Naturbetrachtungen im Zimmer
Von Berth. Sigismund.
Gewiß sind unter den tausend Familien, welche in der „Gartenlaube“ sich erholen, nur wenige, die nicht im Winter zuweilen in Verlegenheit gerathen sind, wie sie den Kindern eine anmuthige und geistbildende Erholung bereiten sollen. Das Spielzeug, wenn es auch vom heiligen Christ in reichster Fülle bescheert wurde, läßt endlich gleichgültig; auch der Farbenkasten will nicht fortwährend behagen; die Märchen, welche die Eltern mittheilen können, sind hundert Mal erzählt, so daß, wenn auch nicht der Hörer, doch der Erzähler ihrer überdrüssig wird; die Bilderbücher sind so oft betrachtet und durchgelesen, daß sie allen Reiz verloren haben, und von Garten und Flur, wo die Kinder sich auch ohne Anleitung der Erwachsenen auf der Schnee- und Eisbahn belustigen, kommt die junge Welt nach kurzer Zeit halberfroren nach Hause, um im Zimmer in dem traurigsten Unwohlsein, welches der leidige Winter mit sich bringt, zu leiden, an der Langeweile.
Ich beobachtete diesen unbehaglichen Zustand der Kinder während der rauhen Jahreszeit in so vielen Familienkreisen, daß ich, als mir die freundliche Einladung zukam, mein Scherflein zur Unterhaltung in dieser Zeitschrift für den Familienkreis beizutragen, es nicht für ungeeignet hielt, ein Heilmittel dagegen vorzuschlagen.
Argwöhne der freundliche Leser nicht, daß ich zu diesem Zwecke in diesen Blättern Erzählungen und Naturschilderungen für Kinder einschmuggeln wolle! Was ich mittheile, ist für die Erwachsenen, und nur aus zweiter Hand für die Jugend bestimmt. Unsere jungen Zeitgenossen lesen schon so eher zu viel als zu wenig, und die todten Lettern sind nicht einmal das geeignetste Mittel, um das Kind in die Natur und das Menschenleben einzuführen; sie sind und bleiben nur ein dürftiger Ersatz des lebendigen Wortes. Angeschaut, erzählt und – was die Hauptsache ist – durchgesprochen, und im Zwiegespräch verarbeitet muß das werden, was dem Kinde rechte Freude machen und tiefe Wurzeln in ihm schlagen soll. Frage sich der geneigte Leser selbst, welches Märchen lebendiger in seiner Erinnerung haften geblieben sei, das, welches er gelesen oder eins, welches ihm die Mutter erzählte; prüfe er sich, welche Naturerscheinung er freudiger und gewinnreicher aufgefaßt habe, die, welche er aus Büchern kennen lernte, oder eine andere, welche er an der Hand des Vaters beobachtete und mit diesem durchsprach! Immer fällt der größere Reiz und der höhere geistige Gewinn in die Wagschale des mündlichen Verkehrs; die tiefsten Anregungen, die klarsten Urtheile verdankt das Kind stets dem unmittelbaren geistigen Austausche, wo der Mensch durch das lebendige Wort sich ganz individuell mittheilt und auf die Vorstellungen des Hörers direkt eingeht, um sie zu berichtigen und zu erweitern.
Für solchen geistigen Verkehr des Vaters mit dem Kinde, der die erste, süßeste und segensreichste Schule für das letztere sein soll, will ich auf eine Quelle der Unterhaltung aufmerksam machen, die leider von zu wenig Vätern benutzt wird, obgleich sie eine wahre Labequelle für das Gemüth und eine treffliche Gesundheitsquelle für den Geist ist, ich meine die Betrachtung der Natur. Tausende von Kindern lernen die Natur der Heimath fast nur aus den blassen Schilderungen in Büchern oder aus den gelehrten Erklärungen der Schule kennen, und wie viele wachsen auf, die über höchst oberflächliche sinnliche Anschauung derselben nicht hinauskommen! Und doch könnte jeder Vater, jede Mutter, wenn sie auch nicht in die Wissenschaft tiefer eingeweiht sind, kräftig beitragen, um dem Kinde zu genauer und treuer Auffassung und zu deutender Beurtheilung der Naturerscheinungen zu verhelfen. Was ich hier mittheile, sind Stoffe für die Naturforschung im Familienkreise und wirken zur Ausbeutung derselben. Es sind freilich keine großartigen Naturvorgänge, die ich zur Betrachtung vorschlage, im Gegentheil alltägliche, von vielen Erwachsenen kaum eines Blickes gewürdigte Dinge. Aber so wie ein schlichtes Märchen, das halb vergessen und bestaubt im Gedächtniß schläft, für den Erwachsenen neue Reize bekömmt, wenn er es den Kindern erzählt und bemerkt, wie sie sich daran freuen: so gewinnt man den schlichtesten Naturdingen, an denen man wie vor Trivialitäten achtlos vorüberging, Interesse ab, wenn man sieht, wie das Kind, dem jenes Alltägliche neu ist, sich daran ergötzt, und kaum ein Vater macht mit seinen Kindern einen Spaziergang, auf dem er nicht die Wahrheit der schönen Worte Goethe’s freudig erlebt:
„Nur durch der Jugend frisches Auge mag
Das längst Bekannte neubelebt uns rühren,
Wenn das Erstaunen, das wir längst verschmäht,
Aus Kindesmunde hold uns widerklingt.“
[24]
I.
In den schönen Jahreszeiten lernt man den Werth des Fensters nicht lebendig fühlen. Da werden ja die Flügel desselben ausgehoben, um den freien Lufthauch zugleich mit den Düften von Flieder, Linden- oder Rebenblüthen hereinzulassen, und die Glasscheibe erscheint als eine unnütze und lästige Polizei, da ein Gazegitter hinreicht, die lästigen Vagabunden, die Fliegen, abzuhalten.
Im Herbste dagegen, wenn durch die aufgerissenen Fensterflügel der brausende Windstoß hereintobt und die Kerze zu verlöschen droht, sowie im Winter, wenn draußen der Schnee unter den Wagenrädern quiekt und kreischt, daß das bloße Anhören uns eine Gänsehaut zuzieht, das ist die rechte Zeit, die Aufmerksamkeit auf das Fenster, diesen treuen Wächter der Nordländer, der uns lästige Zudringliche abhält und nur die erwünschten Gäste hereinläßt, zu lenken, um dessen Eigenschaften und die physischen Prozesse, die an ihm vorgehen, zu studiren.
Um den Werth des Glases für die Wohnlichkeit unserer Zimmer recht zu erkennen, versuche man nur, Ersatzmittel für dasselbe ausfindig zu machen; dann werden die herrlichen Eigenschaften dieses köstlichen Stoffes recht in die Augen springen.
Zuerst ist das Glas der Luft vollkommen undurchdringlich, weshalb es vom Chemiker zum Kerker für Luftarten gewählt wird, wenn er dieselben, wie Dionysius zu Syrakus mit seinen menschlichen Gefangenen gethan haben soll, in ihrem Gefängnisse belauschen will. Zwar könnten Metallplatten eine eben so luftdichte Scheidewand abgeben; aber sie vermögen das Glas mit nichten zu ersetzen, denn sie würden, so dünn man sie auch hämmerte oder walzte, das Licht nur äußerst kümmerlich einlassen. Legt man ein Stückchen des dünnsten Blattgoldes auf ein behauchtes Glas und blickt durch dasselbe nach der Sonne, so gewahrt man nur einen trüben grünen Schein, aber nicht einmal das Bild dieses hellsten aller Körper auf der Welt. Von den Dingen auf der Straße würden uns also auch die dünnsten Metallplättchen, die von jedem Luftstoße zerrissen werden, nicht eine Spur erkennen lassen.
Das Glas ist zwar nicht vollkommen durchsichtig (denn durch sehr dicke Glasmassen oder durch viele auf einander liegende Glasplatten sieht man nicht deutlich mehr), aber doch so durchsichtig, wie man es für ein Fenster nur wünschen kann. Zugleich läßt sich dieses, durch den erfinderischen Menschengeist ersonnene Produkt aus Sand und Asche durch kein durchsichtiges Mineral, welches die Natur fertig liefert, ersetzen. Denn was hilft es, daß der Diamant höchst durchsichtig ist, da er so äußerst selten und nicht in Tafeln spaltbar ist; was nützt der häufigere prächtige wasserhelle Bergkrystall, da er nur in Säulen, nicht in Plattenform vorkommt; was fruchtet das in durchsichtigen ziemlich großen Tafeln vorkommende Marienglas (Gyps), da es so wenig haltbar ist? Wo eine durchsichtige Scheidewand nöthig ist, müssen wir immer zum Glase greifen.
Die meisten Menschen nehmen die Durchsichtigkeit rein sinnlich wahr, ohne sich nach dem „wie“ des merkwürdigen Vorganges zu fragen. Welche Erklärung hat man einem Forschlustigen zu geben, der darüber Auskunft verlangt? Durch Versuche, welche sich leider nur durch sehr umständliche Auseinandersetzungen anschaulich machen lassen, ist erwiesen, daß das Licht aus den wellenartigen Schwingungen eines äußerst feinen, unwägbaren Stoffes entsteht, den man Aether genannt hat. In ihm werden durch leuchtende Körper – wie in der Luft durch eine tönende Glocke – Erzitterungen erregt, welche auch die benachbarten Aethertheilchen durch Stoß in Erzitterung bringen, bis endlich unser Sehnerv die Brandung dieser unendlich feinen Wellen als Licht spürt. Es ist diese Ansicht nicht etwa eine leere Vermuthung, sondern sichere allen Thatsachen entsprechende Hypothese; denn obgleich man von der stofflichen Beschaffenheit dieses Aethers nichts weiß, kann man doch dessen Wellen messen und zählen und aus der Wellentheorie alle Lichterscheinungen mathematisch herleiten. Die Durchsichtigkeit des Glases läßt sich demzufolge nur so erklären, daß zwischen den kleinsten Theilchen des Glases, obgleich keine Luft zwischen ihnen durchschlüpfen kann, doch Zwischenräume sein müssen, in denen sich Aether befindet. Ist nun der Aether außerhalb des Zimmers durch die Sonne oder durch eine Straßenlaterne erschüttert, so pflanzt sich der Stoß seiner Wellen auf den im Glase befindlichen Aether und von da aus weiter bis in das Auge fort. Die Fenstertafel gleicht also einer netzartigen Scheidewand, welche die Lufttheilchen, gleichsam die größeren Fischlein einsperrt, aber den feinen Aether, der dem Wasser vergleichbar ist, hindurchläßt.
Es ist vielleicht aufgefallen, daß das Glas, dieser wegen seiner Zerbrechlichkeit zum Sprüchworte dienende Stoff, vorhin haltbar genannt wurde. Und doch verdient das luftdichte, durchsichtige Glas auch diesen Ehrentitel mit Recht. Man vergleiche nur die gebräuchlichen durchsichtigen Surrogate des Glases, z. B. das Marienglas (Blättergyps) mit dem echten Glase, und man wird seine Vorzüge auch in dieser Hinsicht anerkennen müssen. Der Blättergyps, aus welchem in Sibirien Fensterscheiben gemacht werden, ist so weich, daß er vom Fingernagel geritzt wird. Wollten also die Sibirier ihre Fenster so fleißig abwischen, wie es unsere reinlichen Hausfrauen thun, so würden sie ihre Fensterscheiben bald matt und wund reiben. Wie hart ist dagegen das Glas! Will sich ein Miethsmann in seinem Fenster verewigen, so muß er seinen Namenszug mit dem härtesten Körper der Welt, mit einem Diamant, oder in Ermangelung eines solchen, wenigstens mit dem harten Feuerstein einschneiden.
Außerdem ist das Glas in hohem Grade wetterfest. Eine gute Scheibe widersteht den Einflüssen der Luft und des Wassers, welche selbst den härtesten Felsen beständig zernagen, mit großer Zähigkeit, obgleich das Glas im Wasser nicht ganz unlöslich ist. Schlechtes Glas freilich, zumal in Stallfenstern, trägt sich merklich ab und wird „blind.“ Die blinden Scheiben, welche milchartig trübe sind, und von gewissen Standpunkten aus prächtige Regenbogenfarben zeigen, sind in der Art verändert, daß der auflöslichere Bestandtheil des Glases, das Kali oder Natron, weggespült ist, während der andere Bestandtheil, die Kieselsäure, in Form dünner Plättchen zurückbleibt und das Licht auf ähnliche Art in Farben zerlegt, wie es in der dünnen Hülle der Seifenblasen geschieht. Eine Gypstafel würde, da diese aus Kalk und Schwefelsäure bestehende Verbindung viel leichter im Wasser löslich ist, als das Glas, gar bald durch die Verwitterung verzehrt werden.
Spröde ist freilich das Glas, darum ist es leicht zerschellt, und bricht durch einen Stoß nicht blos an der getroffenen Stelle, sondern es splittert in sternförmigen Sprüngen weit über den unmittelbar verwundeten Punkt hinaus, wenn es nicht von einem so raschen Stoße durchbohrt wird, daß die an die Wunde angrenzenden Glastheilchen nicht Zeit fanden, sich an die Bewegung anzuschließen. Wohl mancher Leser hat schon gesehen, daß eine aus der Nähe durch eine Glasscheibe in gerader Richtung geschossene Pistolenkugel ein scharfrandiges, wie ausgebohrtes Loch durchriß, ohne die Scheibe sonst zu verletzen. Wegen der Sprödigkeit des Glases braucht mancher sparsame und Feuersgefahr fürchtende Hausvater zur Umkleidung der Stalllaternen dünngeschabtes Horn, welches in alter Zeit wohl auch die Stubenfenster bekleiden mußte; deshalb soll man zu Kajütenfenstern auf Kriegsschiffen, wo das Glas durch Sturzwellen und Kanonendonner zu sehr gefährdet sein würde, Glimmertafeln wählen. Aber stets büßt man an Durchsichtigkeit ein, was man an Haltbarkeit gewinnt. Jeder durchsichtige, feste Körper, auch der Edelstein, ist nun einmal spröde. Bricht doch selbst das Wasser, wenn es vom Froste zu einer Glasdecke über dem Teiche erhärtet ist, und von einem niederfallenden Schlittschuhläufer einen derben Stoß bekömmt, mit sternförmigen Sprüngen; wird doch selbst der Diamant, das klassische Sinnbild der Festigkeit, durch einen kräftigen Stoß im Stahlmörser zertrümmert.
Uebrigens ist das Glas bei aller Sprödigkeit elastisch genug, um nicht nur kleine Biegungen wieder auszugleichen, sondern auch, wie das Fell der Trommel, überaus rasche Schwingungen auszuführen, welche die Luft zu Tonwellen anregen. Fährt man mit dem fest aufgestemmten Finger über eine feuchte Fensterscheibe, so gibt sie durch quiekende Töne gleichsam ihr Mißbehagen kund; durchrollt ein Kanonenschuß oder der Donner die Luft, so zittert und bebt sie, wie Espenlaub, und äußert gleichsam ihre Furcht durch Klirren. Seine größte Elasticität und zugleich seine höhere musikalische Begabung zeigt aber das Glas beim Anklingen der Pokale oder vollends in der Glasharmonika, der man mit einem Korkhämmerchen süße, nervendurchschauernde Töne entlockt. Will man die beim Tönen entstehenden Schwingungen des Glases sichtbar [25] machen, so gewähren die Chladni’schen Klangscheiben die bequemste Gelegenheit. Man läßt sich vom Glaser drei-, vier- und mehreckige und runde Glasscheiben schneiden, die etwa die Größe der Spielkarten haben. Eine oder mehrere Kanten derselben reibt man auf einem Sandstein ab, so daß sie keine Schärfe mehr besitzen. Dann faßt man eine solche Glastafel so zwischen Daumen und Zeigefinger, daß sie wagrecht liegt und nirgend an die Hand anstößt, bestreut sie mit trockenem Streusande und streicht den geschliffenen Rand mit einem gut geharzten Geigenbogen. Sobald die Scheibe tönt, sieht man den Sand auf ihr hüpfen, und sich in regelmäßigen Figuren anhäufen, die bald Dreiecke, bald Vierecke, bald Sterne u. dgl. darstellen. Streicht man eine andere Stelle mit dem Bogen, so daß die Scheibe einen andern Ton gibt, so bekommt man auch wieder eine neue „Klangfigur.“ Die Stellen der Tafel, auf welchen der Sand ruhig liegen bleibt, sind diejenigen, welche an der Erzitterung nicht Theil nahmen und heißen Schwingungsknoten.
Eine andere löbliche Eigenschaft des Glases ist seine Farblosigkeit. Mögen die bunten Fensterscheiben in Kirchen, wo sie nur gedämpftes Licht, aber nicht die Bilder der irdischen Dinge einlassen sollen, auch noch so zauberhaft wirken, so würde doch buntes Glas zu Fenstern in Wohnzimmern wenig geeignet sein. Denn schaut man auch gern einige Minuten lang eine Landschaft durch ein blaues oder rothes Glas an, so wird es dem Beschauer, nachdem er die geisterhafte Beleuchtung, die manche Farben der Naturdinge verwandelt und andere ganz vertilgt, angestaunt hat, doch bald ordentlich unheimlich zu Muthe, und er blickt wieder mit wahrer Freude durch das farblose schlichte Fenster seiner Alltagsstube, welches die Außenwelt in ihrem wahren, ungefälschten Aussehen zeigt.
Noch ist eine sehr werthvolle Eigenschaft des Glases zu erwähnen, die dasselbe, wenn es auch von den Metallen an Durchsichtigkeit übertroffen wurde, doch über dieselben stellen würde, nämlich seine geringe Wärmeleitung, vermöge deren es nur einen kleinen Theil der Zimmerwärme an die äußere Lust abgibt. Daß Metalltafeln mit der Zimmerwärme, die der Mensch so gern aufspart, weniger haushalten würden, beweist folgender einfacher Versuch. Man bohrt in die Seitenwände eines Topfes in derselben Höhe vom Boden gleich große Löcher und steckt in dieselben gleich lange, mit geschmolzenem Wachse überzogene Stäbchen von Holz, Glas, Eisen und Kupfer so ein, daß sie gleich weit herausragen. Füllt man nun das Gefäß mit siedendem Wasser, so schmilzt das Wachs auf dem außerhalb des Topfes befindlichen Theile der Metallstäbchen früher, als das auf den Glasstäbchen befindliche. Die Wärme bewegt sich also auf der Eisen- und Kupferbahn schneller fort, als auf der gläsernen Straße. Noch weniger leicht wird die Wärme vom Holzstäbchen geleitet. Deshalb versieht man eiserne Ofenthüren und die Deckel von zinnernen Theekannen mit Holzgriffen; deshalb hält ein vor das Fenster gestellter Vorsetzer von Pappe, selbst ein Rouleau oder ein außen angebrachter Fensterladen die Kälte so wirksam ab. Am wenigsten leicht wird die Wärme von der Luft fortgeleitet, wie sich aus der Betrachtung der Doppelfenster ergibt. Die zwischen der innern und äußern Glaswand derselben eingeschlossene Luftschicht bekommt weder viel Wärme vom Zimmer, noch gibt sie von der ihr zugeführten Wärme viel nach außen ab, so daß sie beständig eine mittlere Temperatur behauptet, in welcher die wohlriechende Tulpe, die Tazette und Hyacinthe um Weihnacht fröhlich erblühen und länger vor dem Verwecken sicher sind, als in dem Zimmer. Die Kunst, mit größter Wärmeersparung und geringster Lichteinbuße Doppelfenster einzurichten, soll man in Rußland am besten verstehen. Dort werden die Lücken der Fensterrahmen vorher sorgfältig verklebt, und die im Doppelfensterraume eingeschlossene Luft durch eingestreutes Kochsalz, welches die Feuchtigkeit anzieht, so trocken erhalten, daß die äußeren Fenster der Häuser in Petersburg, wo den Leuten auf der Straße nicht selten die Augenlider anfrieren, eisfrei bleiben, während die äußere Glaswand der Doppelfenster bei uns durch die auf ihr stehenden Eisvorhänge das Licht in der Stube merklich dämpft und die freie Aussicht umflort. Ein zwischen die Doppelfenster eingehängtes Thermometer läßt die frühlingsmäßige, mittlere Temperatur der Lust im Doppelfensterraume deutlich ermessen, und die Leitungsfähigkeit der Luft schätzen.
Läßt man nun zum Schlusse der Fensterbetrachtungen die Eigenschaften des Glases zusammenpassen, und denen des Goldes gegenüberstellen, so wird auch das Kind – selbst wenn es den Werth des Glases für die Wissenschaften, denen es als Linse im Fernrohre und Mikroskope unersetzliche Dienste leistet, nicht kennt – gewiß das Urtheil fällen, daß der Mensch wohl das Gold, nicht aber das Glas entbehren könne, um in außertropischen Ländern sich ein wohnliches, auch im Winter die volle körperliche und geistige Arbeit gestattendes Zimmer herzustellen.
Wir haben das Glasfenster als einen Freund in der Noth erprobt und dadurch den Werth desselben erkannt. Nun wollen wir die physischen Vorgänge, die sich am Fenster darbieten, beobachten und deren Entstehung begreifen lernen, und beginnen unsern Betrachtung mit den Erscheinungen, welche dem Bereiche der Optik angehören.
Das erste Wunderbare, welches den Kindern, selbst schon den Säuglingen am Fenster ausfällt, ist ein Vorgang der Spiegelung. Wenn Abends die Lampe in das dunkle Zimmer gebracht wird, zeigt sich auf der Straße eine in der Luft schwebende Lampe, welche der im Zimmer befindlichen vollkommen gleicht. Jeden Abend betrachten die Kinder dieses Schauspiel mit neuer Lust. Doch bemerken nur ältere und aufmerksamere, daß neben oder vielmehr hinter dem wunderbaren Bilde auf der Straße noch eine gleiche, etwas blässere und oft von der helleren theilweise verdeckte Lampe schwebt. Während man sich bei jüngeren Kindern begnügt, sie zur scharfen Beobachtung der Erscheinung anzuregen, wodurch ihnen auch das Spiegelbild ihres eigenen Gesichtes in sehr blassen Zügen sichtbar wird, müssen die verständigeren zur denkenden Ergründung des angestaunten Phänomens angeleitet werden. Zuerst müssen sie einmal in’s Freie gehen, um sich zu überzeugen, daß man von draußen jenes Bild nicht sieht, daß es also in Wirklichkeit nicht da ist, wie es zu sein scheint. Diese Ueberzeugung ruft den Gedanken an den Spiegel hervor und die Vermuthung drängt sich auf, daß der dunkle Hintergrund der Straße den undurchsichtigen Spiegelbeleg aus Zinn und Quecksilber ersetze. Die durch eine, auf der hintern Seite durch Ruß oder Tusche geschwärzte, Glastafel entstehenden Spiegelbilder machen diese Ansicht zur Gewißheit. Daß die Spiegelung ein Echo des Lichtes ist, und auf dem Zurückprallen der elastischen Aetherwellen von glatten Flächen beruht, ganz so entstehend wie das Abspringen des Gummiballes von der Wand oder der Wiederhall des Rufes vom Felsen, läßt sich leicht begreiflich machen. Bringt man die Lampe dem Fenster näher, so rückt ihr Doppelgänger auf der Straße näher heran; entfernt man die Lampe nach dem Hintergrunde des Zimmers, so zieht sich auch ihr Spiegelbild weiter vom Fenster zurück. Aus diesen Beobachtungen ist leicht das Gesetz herauszufinden, daß das Spiegelbild stets soweit hinter dem Spiegel zu liegen scheint, als der wirkliche Gegenstand sich vor demselben befindet. Die Entstehung des blasseren zweiten Lampenbildes (gewissermaßen eines Doppelecho’s) erklärt sich daraus, daß durch das Anprallen der Aetherwellen an der vordern Spiegelfläche auch der in der Glastafel befindlich Aether in schwache Schwingungen versetzt wird. Dessen Wellen branden an der hintern Glasfläche und wirken auf den Acther des Zimmers zurück.
Sind diese Erscheinungen aufgefaßt, so ist es Zeit, beobachten zu lassen, daß das Fenster auch am Tage der außerhalb des Zimmers Stehenden abgespiegeltes Licht zurückwirft, bei welcher Spiegelung der dunkle Zimmerraum den Spiegelbeleg darstellt. Daraus erklärt sich der eigenthümliche Glanz der Fenster von Außen, den die Maler bei einem, der Symmetrie wegen auf die Wand des Hauses gemalten, Scheinfenster nie darstellen können: daraus erklärt sich ferner die prächtige Vergoldung und Versilberung der Fenster in welche die Abendsonne oder der Mond blickt.
Daß nur die hellsten Gegenstände des Zimmers, wie die Lampe oder Kerze, nicht aber die Wände des Zimmers sich sich abspiegeln, daß ihr Bild auf der Straße erscheint, wird durch die Beobachtung eines Kinderspieles erklärlich. So wie nur der mit Kraft an die Wand geschleuderte Gummiball merklich zurückspringt während der mit geringem Stoße gegen die Wand gerollte Ball an der Wand liegen bleibt, so prallen nur die von sehr hellen Gegenständen ausgehenden kräftigen Lichtwellen von der Glasscheibe so zurück, daß sie das Auge erreichen und in ihm ein deutlichem Bild erzeugen. Sehr matte Aetherwellen erzeugen im Auge keine Empfindung, so wie sehr schwache Luftwellen im Ohre keinen Ton entstehen lassen. So erzeugen auch die von den gegenüber liegenden Häusern an die äußere Fläche der Fenster anbrandenden Aetherwellen [26] nur dann ein von der Straße aus sichtbares Spiegelbild, wenn sie von der Sonne hell beleuchtet sind und der Beschauer einen günstigen Augenpunkt wählt:
Recht schöne Lichterscheinungen zeigen sich am bethauten Fenster. Betrachtet man den Mond durch die zart bethaute („schwitzende, angelaufene“) Scheibe eines Fensters, so erblickt man ihn bleich aussehend und mit einem mattgelben Hofe umgeben. Die wissenschaftliche Erklärung dieses Phänomens, welches Fraunhofer aus der Beugung des Lichtes herleitet, die dasselbe beim Durchgange zwischen kleinen Kügelchen erfährt, ist an dieser Stelle unthunlich, und es möge genügen zu erwählen, daß auch der wirkliche Hof um den Mond, den Jedermann als Vorbedeutung regnerischen Wetters kennt, auf gleiche Weise entsteht. Man sieht dabei den Mond durch eine in der Atmosphäre befindliche Dunstschicht, welche der bethauten Fensterscheibe entspricht.
Eine weit prächtigere Lichterscheinung bietet sich dar, wenn man durch eine mit feinen Wassertröpfchen beschlagene Fensterscheibe in schräger Richtung die Sonne betrachtet. Jedes Tröpfchen des Fensterbeschlages nämlich erscheint dann so herrlich mit Regenbogenfarben umsäumt, daß das Auge des Beschauers ordentlich farbentrunken wird. Auch auf die wissenschaftliche Erklärung dieser Beugungs-Erscheinung muß hier verzichtet werden. Nur möge einem Irrthume vorgebeugt werden, der sich bei diesem Farbenspiele wenigstens in die Kinder einschmuggeln könnte, nämlich dem Vorurtheile, daß auch der Regenbogen auf gleiche Art seine Farbenschönheit erhalte. Bei dem Farbenlicht des Fensters gelangt das Sonnenlicht zwischen den Tröpfchen der bethauten Scheibe hindurch in das Auge; den Regenbogen erblickt aber nur der, welcher der Sonne den Rücken kehrt; es kann also dabei das Licht der Sonne nur durch Spiegelung zu dem Beschauer kommen und muß dabei in seine farbigen Bestandtheile zerlegt werden. Jede Lichtwelle nämlich, die von der Sonne angeregt zu uns fluthet, besteht aus mehreren farbigen Bestandtheilen, welche, wenn sie verbunden in das Auge gelangen, die Empfindung des Weißen erzeugen, geradeso wie drei harmonische, gleichzeitig in das Ohr dringende Töne zu einem Akkorde verschmelzen, der die einzelnen Tonbestandtheile dem Hörer kaum noch verräth. Ein ähnliches Farbenschauspiel, wie durch die bethaute Glastafel, erhält man, wenn man durch eine mit Drudenmehl bestreute Glastafel (welche man, um das Abfallen jenes Mehles zu verhüten, mit einer andern Glastafel bedeckt) nach einer Kerzenflamme blickt; oder wenn man durch die zarte Befiederung einer Flaumfeder nach der Sonne blinzelt.
Hiermit beschließen wir unsere optischen Studien am Fenster, und wollen ein anderes Mal die Phänomene betrachten, welche durch die Wärme hervorgerufen werden.
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Warum schwitzen die Fenster nicht im Sommer, sondern gerade dann, wenn es kalt ist? – Worin das Schwitzen der Fenster besteht. – Warum bethaut gewöhnlich nur das Glas, nicht auch der Fensterrahmen? – Warum fängt der Niederschlag stets an den untersten Scheiben an? – Warum ist eine bethaute Glastafel nicht durchsichtig? – Warum spiegelt sich an einer bethauten Glastafel die Lampe nicht deutlich ab? – Warum sitzen am Fenster nicht kugelrunde, sondern abgeflachte Tropfen? – Ein Spiel am bethauten Fenster und seine Erklärung.
„Warum schwitzen die Fenster nicht im Sommer, sondern gerade dann, wenn es kalt ist?“ fragte mich ein Wißbegieriger. Man sieht aus dieser Aeußerung, wie ein metaphorischer Ausdruck leicht zum Irrthum führt. Der Mensch ist nur zu geneigt, ein Gleichniß so weit zu verfolgen, bis es hinkt, was zuletzt ein Jedes thut, und bei diesem Verfolgen des Gleichnißwortes verläuft sich der Mensch auch bei philosophischen Fragen gar zu leicht. Deshalb ist die Benennung eines Naturdinges nicht bedeutungslos, und wäre die Wissenschaft einmal dahin gekommen, die Wesen und Vorgänge der Natur nach einem logischen Plane mit Ausdrücken zu bezeichnen, die ebenso folgerichtig als handlich wären, so wäre man um einen sehr bedeutenden Schritt vorwärts gelangt.
Für den Vorgang nun, welchen wir jetzt betrachten wollen, nämlich für das, von den die Blankheit liebenden Hausfrauen beklagte, Schwitzen oder Anlaufen der Fenster gibt es eine Bezeichnung, die nicht nur den sinnlichen Eindruck, sondern auch den Ursprung desselben mit einem anderen ganz entsprechenden in Verbindung setzt; die Bezeichnung ist: das Bethauen. Die feinen Wassertröpfchen am Fenster gleichen in der That in ihrer Entstehungsweise vollkommen den Thauperlen, welche Morgens an Grashalmen und Blättern hängen.
Die Luft innerhalb der bewohnten Räume trägt stets eine gewisse Menge Wasser in luftförmiger Gestalt, als Dampf. Auch Zimmer, in denen kein Kochgeschirr und keine Ofenblase als Dampfkessel wirkt, sind nicht arm an Wassergehalt der Luft. Der Physiolog Valentin fand durch genaue Wägungen, daß er selbst in einer Stunde durchschnittlich 29 Gramm Wasser durch die Haut und 15 Gramm durch die Lunge im Athem ausscheidet. Die dampfartigen Ausscheidungen eines erwachsenen Menschen belaufen sich also in 12 Stunden auf etwa 1 Pfund Wasser. Jede im Zimmer vorgehende Verbrennung (auch das Athmen ist im Grunde eine solche) gibt eine gewisse Menge Wasserdampf an die Luft ab, wie man leicht sieht, wenn man einen kalten Gegenstand kurze Zeit über eine Flamme hält. Jedes brennende Licht, jede dampfende Cigarre wirkt wie ein kleiner Dampfkessel. Auch die, das Winterzimmer theilenden, Pflanzen tragen zur Dampfbildung bei. Hales fand durch Wägungen, daß eine Sonnenblumenstaude täglich 1¼ Pfund Wasser an die Atmosphäre abgibt; ein großer Epheustock oder ein Ficusbaum wird kaum weniger Wasserdampf ausathmen. Aus diesen Thatsachen erhellt, daß es der Luft in Wohnzimmern nie an Feuchtigkeit fehlen könne, und das Hygrometer, mit welchem man den Wassergehalt der Luft bestimmt, bestätigt die reichliche Beladung der Zimmerluft mit Wasser.
Je wärmer die Luft ist, desto mehr Wasser nimmt sie auf, und trägt dasselbe als unsichtbaren Dampf, weshalb nasse Schrift oder feuchtes Linnen am Ofen rasch trocknen. Erkaltet aber eine mit Wasserdampf gesättigte Luft, so muß sie einen Theil der Feuchtigkeit, die sie an sich gerissen, wieder abgeben. Oeffnet man bei großer Kälte das Fenster in einer warmen Stube, so erkennt man an den zitternden und flimmernden Luftwellen den dichter werdenden Dampf; athmet man in frostkalter Luft, so bildet das im Athem enthaltene Wasser sogleich Nebel; steigt die Ausdünstung des warmen Thees an den kühlen Deckel der Kanne, so gerinnt er zu Tropfen; bringt man ein Trinkglas oder einen Leuchter aus der kalten Küche in’s warme Zimmer, so setzen sich an diesen Gegenständen sogleich Wasserkügelchen an. Jene Nebel und Tropfen entstehen aus der Beute, welche die warme Luft sich angeignet hatte, aber, sobald sie in der Nähe eines kalten Gegenstandes abgekühlt wird, herausgeben muß.
Die durch die äußere Luft erkaltete Fensterscheibe gleicht in ihrer Wirkung auf die dunstige Zimmerluft vollkommen dem Deckel der Theekanne oder dem kalten Leuchter. Hauchen wir eine kalte Fenstertafel in der kühlen Jahreszeit an, so bedeckt sie sich mit feinen Tröpfchen, weil der unmittelbar an das Glas grenzenden Luft mehr Dampf beiwohnt, als sie nunmehr zu ertragen im Stande ist. Aber diese Glasscheibe gleicht nicht blos so kleinen Dingen, sie darf sich stolz neben Größeres hinstellen, nicht blos neben den Condensator einer Dampfmaschine, in welchem der thatkräftige Dampf, nachdem er seine Dienste gethan, zu Wasser wird, sondern auch neben die höchsten Berge, an welchen sich nach denselben Gesetzen so häufig und rasch Wolken bilden. Haucht Aeolus vom mittelländischen Meere her die Alpen an, welche mit ihrem Eispanzer eine Mauer zwischen Süd und Nord bilden, so verwandelt sich der warme Athem des Luftgottes sogleich in Nebeldampf und Gewölk, und fällt im günstigen Falle, wenn nicht Luftströmungen ihn weiter tragen, als Regen zu Boden. Wenn sich in klaren Nächten die Luft abkühlt, so läßt dieselbe den Ueberschuß ihres Dampfgehaltes als zierliche Thautropen absitzen. Wir haben also an der anlaufenden Fensterscheibe einen physikalischen Apparat, der die Entstehung des Nebels, Thaues und Regens veranschaulicht, und der Winter, der sich auch sonst als Kinderfreund bewährt, zeigt sich hier als lehrreicher Kunststückmacher. Was der Sommer nach Taschenspielerart während der Nacht oder hoch in den Lüften treibt, so daß wir nur den Erfolg, nicht das Verfahren des Kunststückes sehen, das zeigt der treuherzige Winter den Menschen im Spiele innerhalb des Zimmers.
Aber zugleich stellt der nordische Geselligkeitsfreund, der die Familien so gern traulich zusammengeschaart sieht, einige Räthselfragen an die forschlustige Gesellschaft, wohlwissend, daß Räthsel und Charaden eine unentbehrliche Würze der geselligen Kreise sind.
Zuerst stellt er das Räthsel auf: „Warum bethaut gewöhnlich nur das Glas, nicht auch der Fensterrahmen?“ Der freundliche Leser, der sich des im ersten Abschnitte unserer Hausphysik erwähnten Versuches über die Wärmeleitung erinnert, wird die Auflösung sogleich haben. Das Glas gibt von der vom Ofen erborgten Wärme mehr an die Straßenluft ab, als der Holzrahmen, und darum erkältet die kühlere Glasscheibe die benachbarte Luft stärker, so daß diese einen Theil des Dampfes niederschlägt. Doch hat die Glasscheibe keineswegs das Alleinrecht zu bethauen, bei großer Kälte bedecken sich auch die Fensterrahmen mit Tropfen.
Das zweite Räthsel des Winters heißt: „Warum fängt der Niederschlag stets an den untersten Scheiben des Fensters an, und warum bethauen diese stärker als die oberen?“ Da die Auflösung nicht rasch erfolgt, gibt er lächelnd zum Stichworte: „kalte Füße, kalter Fußboden.“ Das führt auf die Lösung. Die Luft am Boden des Zimmers ist immer kühler, als die in der Nähe der Decke befindliche. Die Stubenfliege weiß das recht gut, in der kühlen Zeit setzt sie sich stets an die Zimmerdecke zur Ruhe. Diese Temperaturverschiedenheit [96] rührt daher, daß die kältere Luft, welche schwerer ist, sich herabsenkt, während die wärmere nach Art des Luftballons, der eigentlich nichts ist, als eine warme Luftblase, emporsteigt. Demzufolge muß die Luft in der Nähe der unteren Fenstertafeln kühler sein als die vor den oberen schwebende. Das läßt sich leicht sichtbar machen. Hänge ich eben jetzt mein Thermometer vor die unterste Fensterscheibe, so zeigt es 10°, vor der oberen dagegen 16° Wärme. Durch die kühleren unteren Scheiben wird deshalb die Luft leichter auf den Thaupunkt gebracht, wo sie wie ein mit Salz bestreuter Blutegel ihren Raub herausgeben muß. Aus diesen Thatsachen erklärt sich unmittelbar, warum jede einzelne Fensterscheibe am unteren Ende zu beschlagen anfängt und hier sich mit größeren Tropfen bedeckt. Bei diesem letzteren Vorgange trägt übrigens auch die durch Gerinnung frei werdende latente Wärme etwas bei. So oft nämlich ein dampfförmiger Körper zu Tropfen gerinnt oder so oft eine Flüssigkeit zum festen Körper erstarrt, wird die Wärme, welche dem Dampfe oder der Flüssigkeit zu ihrem lockeren Zustande verhalf und von ihnen gebunden war, in’s Freie gegeben und läßt sich nun durch ihre Einwirkung auf das Thermometer nachweisen.
Drittes Räthsel. „Warum ist eine bethaute Glastafel nicht durchsichtig, sondern nur durchscheinend?“ Da der Winter an Laien in der Optik keine zu hohen Ansprüche macht, läßt er folgende Lösung, die freilich mehr eine bloße Erläuterung durch ähnliche Vorgänge als eine Theorie ist, gelten. Die Luftwellen werden sehr geschwächt, wenn sie sich durch die Poren netzartiger Körper durchdrängen müssen; deshalb bewirkt eine mit Tuch überspannte Oeffnung eine so bedeutende Dämpfung der Töne, welche im Zimmer erschallen, für die außen Horchenden. Aehnlich verhält es sich mit dem Lichte, besonders wenn es mehrere verschiedene Körper nach einander durchdringen muß. Das klare Wasser ist undurchsichtig, wenn es beim Herabstürzen am Wasserfalle sich in Schaum verwandelt; Glas oder Kolophon liefert, wenn es gepulvert wird, undurchsichtigen Staub. Am schäumenden Wasserfalle muß sich das Licht bald durch Wassertröpfchen, bald durch Luftbläschen, im letztgenannten Falle bald durch Glas- und Harztheilchen und Luft hindurchkämpfen, und wird dadurch sehr entkräftet. – „Gut,“ meint der Räthselmann; „aber, wenn ich einmal durch Analogien abgefunden werden soll, warum gibt ihr nicht die näher liegende von den Wolken? Ist nicht eine aus klaren Wassertropfen bestehende Wolkenschicht so undurchsichtig, daß selbst die Sonne nicht durchblicken kann?“
Viertes Räthsel. „Warum spiegelt sich an einer bethauten Glastafel die Lampe nicht deutlich ab und gibt nur einen unbestimmten matten Wiederschein?“ – Ein vom Winde bewegter Teichspiegel gibt kein deutliches Spiegelbild der Uferlandschaft, weil die wellig gekräuselte Oberfläche die anprallenden Lichtwellen unregelmäßig zurückwirft und verwirrt. Die bethaute Fensterscheibe ist durch die Wassertröpfchen höckerig geworden, und die an den kleinen Höckern abprallenden Lichtwellen verwirren sich mit den aus den Vertiefungen zurückgeworfenen, so daß keine regelmäßige Strömung der Lichtwellen zum Auge gelangt und darum im letzteren kein Bild entsteht.
Fünftes Räthsel. „Warum sitzen am Fenster nicht kugelrunde Tropfen, wie am bethauten Blatte, sondern nur abgeflachte, unregelmäßig umrandete Wassertröpfchen?“ – Auch die Lösung dieser Frage finden wir nach einigem Sinnen. Wasser, welches auf den breternen Fußboden verschüttet wird, läuft sogleich breit; auf der gebohnten Diele dagegen oder auf der gefirnißten Tischplatte bleibt es in Form einzelner Tropfen haften. Aehnliche Unterschiede in der Benetzung treffen wir durch Besprengung einer reinen und einer fettigen oder staubigen Schiefertafel mit Wasser. Die einzelnen feinsten Wassertheilchen haben offenbar den Trieb, sich um einen Kameraden, der sich zuerst gelagert, eng zusammenzuschaaren, sowie die Schafe um den lagernden Leithammel oder die jungen Gänschen und schwärmenden Bienen sich in einen Klumpen gruppiren. Diesen Gruppirungstrieb (Cohäsion genannt), durch welchen sie Kugeln (Tropfen) bilden, befriedigen die Wassertheilchen stets, wenn kein Hemmniß sie daran hindert. Ein solches Hinderniß tritt aber ein, wenn der Körper, auf dessen Oberfläche sie sich niederlassen, sie stark anzieht, so daß jedes Theilchen des festen Körpers sich mit Kraft bestrebt, ein Theilchen Wasser an sich zu ziehen. Man hat die Ursache dieser Erscheinung Adhäsion (Anhaftekraft) genannt. Macht sich diese Kraft geltend, so mußte das kleinste Wassertheilchen seinem Geselligkeitstriebe entsagen, und kann sich höchstens zu kleinen Truppen mit den Nachbarn associiren. Staub und Fett haben keine Adhäsion zum Wasser, so wenig als der wachsartige Ueberzug der Pflanzenblätter, darum bildet das Wasser auf staubigen und fetten Unterlagen kleine Kugeln, weil hier blos der sociale Trieb der Wassertheilchen waltet. Reines Holz und blanker Schiefer dagegen übt starke Anhaftungskraft aus, jedes Theilchen Holz oder Schiefer bannt ein Theilchen Wasser an sich, so daß es mit der Bildung großer Gruppen vorbei ist. Am Glase haftet das Wasser gern, denn von dem über den Rand des Trinkglases übergelaufenen Wasser bleiben an der Außenseite des Glases Tröpfchen hängen und an einem Glasstabe, der in’s Wasser getaucht wurde, blieb ein Wasserüberzug festgebannt.
Je mehr aber das Glas unrein, mit Fett oder Staub bedeckt ist, desto weniger haftet das Wasser an ihm, und bildet statt eines gleichmäßigen Ueberzuges größere Tropfen. Unsere, nie ganz von Staub und Fett freien Fensterscheiben üben eine beschränkte Adhäsion aus, sie lassen Wasser an sich ankleben, aber nicht in einer gleichmäßigen Schicht, sondern in einzelnen kleinen Tröpfchen, die an ihren Rändern sich zum Theil mit den benachbarten Tröpfchen vermischen und dadurch abplatten. Je reiner eine Glastafel ist, mit desto feineren Tröpfchen beschlägt sie. Haben sich größere Tropfen an das Fensterglas angesetzt, so rollen sie, kleine geschlängelte Strömchen bildend und die untern Tropfen lavinenartig mit sich fortreißend, abwärts, weil nun der Zug die Erde, der gern Alles an sich reißt, die Oberhand bekommt, also die Schwere über die Adhäsion Herr wird.
„Die Lösung mag passiren,“ meint der Räthselmann, „da ihr Menschen nun einmal mit eurem Erklären nicht weiter kommt, als zu sagen: das Wasser haftet, weil es Anhaftungskraft hat. Lassen doch die Examinatoren, fast wie in Molière’s eingebildeten Kranken, den Kandidaten auch passiren, wenn er das Purgiren der Sonne durch die Purgirkraft derselben erklärt!“ Aber genug der Räthsel und zur Abwechselung ein Spiel am bethauten Fenster!
Wir wischen eine Scheibe sorgfältig rein, und schreiben nun mit dem Finger einen Namen darauf. Dieser bleibt natürlich, wie ein mit trockener Feder geschriebener Buchstabe, unsichtbar. Jetzt behauchen wir die Scheibe, und siehe da, der Name ist deutlich zu lesen. Wenn durch die Stubenwärme der Beschlag verdampft, verschwindet der Name. Nach abermaligem Behauchen kehrt er wieder, und läßt sich oft mich mehreren Stunden auf’s Neue sichtbar machen.
Damit nicht Tischrücker, wenn solche unter den geneigten Lesern sein sollten, auch hier den Fingerspitzen eine geheime magnetisch-elektrische Kraft zuschreiben, nehmen wir ein anderes Schreibwerkzeug, einen Holzspan, eine Federspule, ein Stück Speckstein, einen Eiszapfen. Immer erscheint nach dem Behauchen die sympathetische Schrift wieder. Am längsten scheint sich die Nachwirkung des Eisgriffels zu erhalten; in allen Fällen aber zeigt sich bei der Behauchung ein Unterschied im Bethauen an den Schriftzügen und dem Grunde. Die Schriftzüge bekommen stets einen geringeren Wasserbeschlag, als der Glasgrund.
Da die Stärke der Bethauung bei gleichartigen und gleich glatten Körpern von dem Grade der Adhäsion abhängt, welchen die Oberfläche des festen Körpers auf den Wasserdampf ausübt, so müssen die vom Schriftzüge getroffenen Glastheilchen eine Aenderung ihrer Adhäsionskraft erlitten haben. Wie mag diese bewirkt sein?
Der Schlüssel des Geheimnisses scheint in Folgendem zu liegen. Taucht man einen Glasstab in siedendes Wasser, so sieht man von ihm sogleich Luftblasen aufsteigen. Das Glas hatte also Lufttheilchen durch Adhäsion an sich gebannt, die jetzt durch die Hitze fortgetrieben werden. Die Wärme ist nun einmal kein Freund des dichten Beisammenseins. So wie sie die Wassertheilchen im Kochtopfe auseinander jagt, daß sie überlaufen, so scheucht sie auch die Menschen, die im Winter gern eng beisammen sitzen, auseinander; im Sommer rücken die Passagiere der Post so fern von-, im Winter so nahe wie möglich aneinander.
So gut wie jener Glasstab hat auch die Fenstertafel eine Schicht Luft an sich gezogen und hält sie als eine Art Sonder-Atmosphäre an sich fest. Tritt nun in diese adhärirende Luftschicht Wasserdampf, so sucht die habgierige Glasscheibe auch davon soviel an sich zu ziehen, als es ihre Adhäsionskraft erlaubt. Je mehr sie aber schon Kraft anwenden muß, um die Luftschicht [97] zu halten, desto weniger Dampf oder Wassertröpfchen wird sie gleichzeitig festhalten können.
Denkt man sich nun, daß durch den Druck des zum Schreiben gebrauchten Körpers die am Glase haftende Atmosphäre an den beschriebenen Stellen zusammengedrückt und verdichtet werde, so begreift sich leicht, daß jene mit der Anziehung dichterer, schwererer Lufttheilchen beschäftigten Glastheilchen weniger Wasser an sich ziehen, also auch weniger bethauen können. Daraus ergibt sich auch, warum die mit Eis geschriebenen Züge beim Behauchen ganz besonders deutlich werden, da hier außer dem Drucke der Eisspitze auch die Kälte zur Verdichtung der adhärirenden Luft beiträgt.
Ein ähnlicher, durch gleiche Ursachen bedingter Versuch ist folgender. Läßt man auf einer blanken, aber nicht frisch geputzten Metallplatte einen Siegelstempel eine Zeit lang stehen, und behaucht, nachdem man ihn abgehoben, die Platte, so wird durch die Bethauung ein Abdruck des Stempels sichtbar. Deutlicher und schöner als durch das Behauchen wird das Bild, wenn man die Platte, auf welcher der Stempel gestanden, mit Quecksilberdampf beräuchert, was aber wegen der Giftigkeit dieser Dämpfe nur von Sachverständigen geschehen darf.
Zum Schlusse der Betrachtung des beschlagenen Fensters sei noch die Vegetation erwähnt, mit welcher sich im Winter die nasse Fensterscheibe an ihrer untern Einfalzung in den Rahmen bedeckt. Man bemerkt an und auf dem Rahmen eine rothbräunliche Gallert, welche unter dem Vergrößerungsglase außer den vom Zimmer angeflogenen Staubtheilchen, einzelne Schmetterlingsschuppen, Härchen und den vom Abwischen sitzen gebliebenen Fasern ein zierliches Pflänzchen zeigt. Es ist freilich so klein, daß erst die vierhundertmalige Vergrößerung ein deutliches Bild gewährt. Es besteht aus einem einer Perlenschnur ähnlichen Stiele, von dem am Ende ähnliche Aeste abgehen, und sieht blaß bräunlich. Die perlenähnlichen Glieder sind die einzelnen Zellen, aus denen das Individuum besteht, und durch deren Theilung es wächst. Merkwürdig ist, daß dieses zarte Gewächs durch das Einfrieren, dem es so häufig ausgesetzt ist, nicht leidet.
Eine viel reichere Flora entwickelt sich an den selten abgewischten Fenstern dunstiger Räume, z. B. an den Fenstern der Gewächshäuser, an denen ein grüner Anflug von Algen und jungen Mooskeimen lustig vegetirt und nicht selten winzigen Thierchen zum Aufenthalte dient.
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Mit welcher schwungvollen Umschreibung würde der poetische Hindu oder Araber, der es zum ersten Male sähe, das Fenstereis bezeichnen! Vielleicht würde er sagen: „Gott ist groß! Er läßt die Oase grünen mitten im Wüstensande und Blumen blühen auf der gläsernen Thüre des Nordländers. Bei meinem Barte, keine Damascenerklinge und kein Teppich von Mosul ist prächtiger gemustert, als dieser erstarrte Hauch, der vor der Sonne verschwindet, wie ein Trugbild der Wüste!“
Doch bedarf das Fenstereis keineswegs des Reizes der Neuheit, den es für solche Südländer haben würde, um Interesse und Wohlgefallen zu erwecken. Auch der Deutsche bewundert immer auf’s Neue die schönen Gestalten, in welche sich das Wasser verkleidet. Dabei fragt man sich wohl, warum die modernen Sprachen nicht eine schönere, oder doch richtigere Bezeichnung für den Vorgang gewählt haben mögen. Denn, daß man nicht mit gleichem Rechte sagt: die Fenster gefrieren, wie man spricht: der Fluß gefriert, liegt auf der Hand.
Sind auch die Gestalten, in denen das Wasser an der innern Fläche der Fenster erstarrt, nicht so regelmäßig schön und zierlich, wie die Gebilde des Reifes und Schnees, so ersetzt das Fenstereis durch seine freieren, gewissermaßen launigen Formen das, was ihm an fester Regelmäßigkeit abgeht. Man wünscht sich, da die froststarren Finger das Zeichnen, welches ohnehin nur unvollkommene Abbilder gibt, nicht erlauben, gar oft einen Daguerre’schen Apparat, um manche dieser vergänglichen Kunstwerke der Natur aufzubewahren. Gewiß gibt es unter allen „nachahmenden Gestalten,“ in welchen es der unorganischen Natur beliebt die organische zu parodiren, keine, die an Schönheit die des Fenstereises übertrifft. Das oft in moosähnlichen Fädchen vorkommende Silber und die auf Kalkplatten häufigen braunen oder schwarzen baumartigen Zeichnungen aus Eisen- und Braunsteinoxyd (Dendriten) stehen wenigstens an Reichthum der Formen dem gefrorenen Fenster nach. Ist es doch, als wollte das Wasser zeigen, daß es halb und halb organischer Natur ist, da es in keinem lebenden Wesen fehlt.
Die mannichfaltigen, von mir bis jetzt beobachteten Formen des Fenstereises lassen sich auf fünf Hauptformen zurückführen.
1) Die größtentheils eisfreie Glasscheibe ist nur an einzelnen Stellen mit Eissternen aus drei bis sechs Strahlen besetzt, welche letztere wieder kleine Fiederblätter tragen. Gleichzeitig trifft man nicht selten weiße, ziemlich gerade, zuweilen sich kreuzende Linien, welche mit kurzen weißen Eiszacken besetzt sind, so daß sie einem bereiften Strohhalme, einem schlaffen Moosstengel oder einer kurzästigen Tanne gleichen.
2) Die Glastafel trägt einzelne Gestalten, welche den Wedeln des Farrnkrautes oder dem Barte einer Schreibfeder ähneln.
3) Ein scheinbar gleichartiger, nebelähnlicher mattweißer Anflug, dessen Rand da, wo er an die unbeeisten Stellen angrenzt, dem Saume eines fernen Nadelwaldes gleicht, oder einem mit Schilf bewachsenen Ufer ähnlich ist. Jener scheinbar gleichartige matte Grund ist, wie man durch die Loupe erkennt, aus sehr kleinen anliegenden Eissäulchen gebildet, welche in ihrer Gruppirung oft an die Fußstapfen der Vögel im Schnee, also an unregelmäßige Sterne erinnern.
4) Die Glastafel ist von einem Gewebe mit unregelmäßigen Maschen bedeckt, welches dem Tüll ähnelt. Die Maschen sind stets am oberen Theile der Tafel feiner, als unten. Der freie Rand des Gewebes zeigt gewöhnlich, wenn nicht die ganze Tafel bedeckt [179] ist, schiff- und nadelwaldartige Zacken. Daß die scheinbaren Maschen nicht eisfreie Lücken zwischen den Eisfäden sind, erkennt man leicht; sie sind mit dünnem Eis belegt. Zuweilen bemerkt man an dem Spitzengrunde, besonders wenn man ihn bei schief durchfallendem Lichte betrachtet, Spuren von Gruppirung gewisser Partien zu Gestalten, die an die isländische Flechte oder an Damhirschgeweihe erinnern.
5) Die ganze Glasscheibe ist mit einem dichteren Eisbelege überzogen, der unregelmäßig eckige, zuweilen fast rautenförmige Figuren bildet, die zum Theil matt, zum Theil perlmutterglänzend aussehen und auffallend dem Metallmohr der Präsentirteller oder dem Moiré gewisser Damenkleiderstoffe ähnlich sind. Diese moirirten Figuren sind gewöhnlich mit mehlartigem Schneestaube mehr oder weniger dicht bedeckt.
Da keiner der freundlichen Leser, der soviel Natursinn hat, um diese Vorgänge überhaupt zu beachten, sich mit der bloßen Betrachtung der Figuren begnügen wird, vielmehr wünscht, etwas über ihr Werden zu erfahren, so soll hier aus die hauptsächlichen Punkte, auf die es bei der Bildung derselben ankommt, aufmerksam gemacht werden, zumal da die physikalischen Lehr- und Lesebücher diese für die Hausphysik wichtige Erscheinung unberücksichtigt lassen.
Das Gefrieren der Fenster tritt nicht schon dann ein, wenn die äußere Luft auf den Gefrierpunkt erkaltet ist, sondern erst bei wenigstens 4° Grad Kälte derselben. Nur dann erkalten die Glasscheiben, welche von innen Wärme bekommen, bis zum Nullpunkte. Gewöhnlich beginnt im mittleren Deutschland die Bildung des Fenstereises nicht vor dem November und dauert nicht länger als bis zum März; am häufigsten und dichtesten sind die Eisvorhänge im Januar. Je klarer und heller gestirnt eine Winternacht ist, desto sicherer darf man erwarten, daß die Eisblumen-Beete treiben werden. Bei recht kaltem Wetter dauert der Proceß den ganzen Tag fort, zuweilen hat der Ofen auf Viertelstunden die Oberhand und schmilzt ein Guckloch für die Kinder, aber bald bedeckt sich dieses wieder mit einem Vorhange, den die Kinder vergeblich durch Behauchen zu lüften versuchen.
Immer gefrieren die untersten Scheiben eines Fensters zuerst, und die Eisbildung an jeder einzelnen Tafel beginnt stets von ihrem untern Rande. Die Ursache dieses Aufwärtsschreitens des Frostes ist dieselbe, die früher beim Bethauen angeführt wurde.
Die ersten Eistheile bilden sich stets da, wo die Glastafel in den untersten Querstab des Rahmens eingelassen ist, wie wenn sie am Holze wurzelten. Wenn eine Scheibe oben, wo sie eine Zeit lang blank blieb, später auch zu beeisen anfängt, wurzeln die ersten Eiskeime oben an der Holz und Glasgrenze und wachsen nach abwärts den unteren entgegen. Jeder Stoff, der aus dem flüssigen in den festen Zustand übergeht, sucht sich einen festen Fußpunkt aus, wenn dies irgend möglich ist. Gefriert ein Teich zu, so fängt die Eisbildung am Rande desselben an; bleibt eine Eisscholle des Baches in der Mitte des Teiches liegen, so wird auch sie zum Fußpunkte für junge Eisstrahlen. Dampft man eine Salzlösung in einem Gefäße ab, so krystallisirt das Salz zuerst am Rande des Gefäßes. Zwei Ursachen scheinen am Fenster diese Vorliebe der Krystallursprünge für den Rand zu bewirken, zuerst die bei der Besprechung des Thauens erwähnte Adhäsion (Anziehungskraft), und dann der Umstand, daß die Ränder der Glastafel, wegen ihrer Nähe an dem warmhaltenden Holzrahmen, weniger dicht bethauen und die geringere Menge Wasser, das sich an sie gelagert, schneller zum Frostpunkte erkalten.
Daß die äußeren Scheiben des Doppelfensters weniger gefrieren, als die Scheiben eines einfachen Fensters in demselben Zimmer, erklärt sich aus dem geringeren Wassergehalte der im Doppelfenster-Raum eingeschlossenen Luft. Je weniger eine Luft wasserhaltig ist, desto stärkere Erkaltung ist nöthig, um sie zum Niederschlage zu bewegen. In der feuchten Atmosphäre Englands genügt meist das Zuströmen einer um wenige Grade kühleren Luftschicht, um Nebel und Regen zu bilden; aus der trockenen Luft Persiens oder gar der Wüste Sahara oder Gobi bringt selbst eine Erkaltung von 20 und mehr Graden keinen Niederschlag hervor. Am einfachen Fenster herrscht Insel- oder oceanisches Klima, im Doppelfenster dagegen continentales Klima, wie die Geographen diese Unterschiede benennen.
Die Ursache davon, daß hinter einem Schirme von Pappe, selbst hinter dem papiernen oder linnenen Rouleau die Fenster früher und dicker gefrieren, liegt augenscheinlich darin, daß jene schlechten Wärmeleiter die Zufuhr der Ersatzwärme vom Zimmer her abschneiden.
Ehe wir uns an die Auflösung des schwierigsten Räthsels wagen, welches der Winter in seiner Eisblumensprache aufgibt, wollen wir ein Bekenntniß unserer Schwäche ablegen, damit nicht der Räthselmann unsere Vermessenheit mit kaltem Spotte belache! Die Morphologie, (die Wissenschaft, welche die Gestalten der Naturdinge erforscht) stößt, wie jede andere Wissenschaft, die nicht blauen Dunst für Klarheit ausgibt, zuletzt auf Unerforschliches. Die letzten Ursachen, warum die verschiedenen chemischen Stoffe in verschiedenen regelmäßigen Gestalten, auftreten, warum z. B. das Kochsalz und das Gold als Würfel, der Smaragd und der Bergkrystall in sechsseitigen Säulen krystallisiren, sind ebenso unbegreiflich, als die Gründe, warum an dieser Stelle des bebrüteten Eies sich ein Herz und dort ein Auge bildet. Es gibt aber in der Natur so Vieles, was der Menschengeist erforschen kann, daß ein bescheidener Mann nicht faustisch zu grollen braucht, wenn er vor den letzten Ursachen sein Unvermögen einsieht. Ein solcher Faust gleicht in der That einem frisch gefangenen Rotkehlchen, welches immer wieder mit aller Wucht an die Fenstertafel stößt, deren Schranken es nicht sieht oder nicht erkennen will.
So wollen wir es denn als unerklärbare Thatsache annehmen, daß das Wasser in der Atmosphäre, wo es von keinem Widersacher gestört wird, in Formen krystalisirt, die im Wesentlichen denen des Bergkrystalles entsprechen. Die wunderbar schönen Schneesternchen, die man beobachtet, wenn an kalten Tagen recht einzelne Flitterchen herabfallen, zeigen diese Grundform, die wir als Norm annehmen, in mannigfachen zierlichen Variationen. Jedes läßt die Grundform durchblicken, wie die musikalische Variation ihr Thema, aber oft mit Zugaben von Zierrathen und Beiwerk. Auch der Reif, der an Brückengeländern und andern Gegenständen im Freien sich ansetzt, hat oft Gestalten mit wenig Abweichung vom Grundtypus, obgleich er häufiger unregelmäßige Säulchen, Zacken und Fiederblätter darstellt.
Das Fenstereis dagegen zeigt, soweit meine Beobachtungen reichen, nie eine Gestalt, welche dem strengen mathematischen Gesetze des Schneesternes ganz treu bliebe. Nur der Winkel, unter dem sich die Eisfiedern an ihren Stamm ansetzen, scheint als derselbe, wie er bei den regelmäßigen Eiskrystallen gilt, fest zu bleiben, da er auch bei den ersteren gewöhnlich ebenfalls sechzig Graden gleichzukommen scheint. Zuweilen sieht man wohl eine sternartige Figur an den Fenstern, aber dann trägt sie drei bis sieben Strahlen, die von ungleicher Länge sind und meist unter ungleichen Winkeln ansitzen.
Die schönsten Eisgebilde erzeugen sich an den Fenstern von Räumen, deren Luft verhältnißmäßig arm an Wasserdampf ist. So finden sich die unter 1, 2 und 3 beschriebenen Sterne, candirten Linien, Schilfstengel und Farrnwedel (Gestalten, die auch beim Reife vorkommen) gewöhnlich in unbewohnten Zimmern, in Vorsälen, Corridoren oder am äußeren Doppelfenster. Man kann an den Eisvorhängen von Außen fast so gut errathen, wie es im Innern des Zimmers hinsichtlich der Wärme und sonstigen Luftbeschaffenheit steht, als aus der Blankheit der Scheiben und der Vorhänge im Sommer sich die Tüchtigkeit der Hausfrau erkennen läßt.
Der Grund, daß sich in mehr trocknen, wenig erwärmten Räumen schönere Gestalten bilden, liegt darin, daß die spärlichen als Dampf zum Fenster gelangenden Wassertheilchen, welche durch die Kälte auf noch kleineres Volumen zusammenschrumpfen, sich gegenseitig Raum zur freien Entwickelung ihrer Form lassen. Alle Wesen bedürfen zu ihrer Entwickelung freien Spielraum; wird ihnen dieser von fremden Dingen oder von ihres Gleichen verengt, so ist meist Verkrüppelung oder Ausartung ihr Loos. Wenn in einer dunstigen Stube die Fensterscheibe, ehe es zum Gefrieren kommt, dicht mit Wassertröpfchen besetzt ist, so haben die daraus entstehenden festen Theile, zumal da sich das Wasser beim Gefrieren ausdehnt, nicht Platz und verkümmern sich gegenseitig in ihrem Gestaltungstriebe. Eine entsprechende Erscheinung gewahrt man beim Schmelzen von Schwefel oder Wismuthmetall in einem Tiegel. Beide Stoffe zeigen, wenn sie erstarren, keine deutliche Krystallisation, sondern nur schwache Andeutungen ihres Strebens nach einer solchen. Stößt man dagegen, sobald die Oberfläche des geschmolzenen Körpers erstarrt ist, ein Loch in diese feste [180] Decke und gießt den größern Theil des unter ihr befindlichen Flüssigen aus, so zeigen sich nach dem Erkalten einzelne, oft recht schön ausgebildete Krystalle.
Bedenkt man nun, daß am Fenster außer dem störenden Gedränge der gestaltungslustigen Wassertheilchen auch die Beschaffenheit des Bodens, auf dem sie erwachsen, störend einwirken kann, so begreift sich, daß selten regelmäßige Gestalten zum Vorschein kommen. Eine dünnere Stelle der Glastafel wird früher erkalten, als ihre Nachbarn und sich eigenwillig und voreilig beeisen; ein anderer Punkt der Glastafel ist etwas mehr fettig, besitzt also weniger adhärirendes Wasser und kann nicht nachkommen. Ritze, wie sie beim Abwischen der Glastafeln so leicht entstehen, bedingen die den gereiften Strohhalmen oder kurzästigen Tannen vergleichbaren Eisgebilde. Die geritzte Stelle ist dünner, erkaltet deshalb früher und füllt sich mit einem Eisstreife, aus dem, vielleicht von den seitlichen Splitterungen beginnend, Zacken herauswachsen. Daß aber die Gestaltungen des Fenstereises nicht ausschließlich von der Beschaffenheit des Glases bedingt sind, ist offenbar, da dieselbe Glastafel an demselben Tage verschiedene Gebilde zeigen kann.
Die unter 4 und 5 beschriebenen Gestalten bilden sich auf den Glasscheiben, welche sich, ehe sie zum Frostpunkte erkalteten, mit Thautropfen bedeckten, während die erstgenannten immer durch augenblickliches Erstarren des Dampfes zu entstehen scheinen. Man sieht an der nassen Scheibe von ihrem untern Rande aus feine Eislinien entstehen und in geschwungenem Verlaufe weiter rückend sich verlängern. Der zwischen ihnen befindliche tüllartige Grund erstarrt etwas später. Die eben entstandenen zarten Eislinien sind so dünn und durchsichtig, daß man sie nur bei schief auffallendem Lichte deutlich wahrnimmt. Gewöhnlich setzt sich aber bald schneeartiger Duft daran, der später oft auch die andern Stellen der Scheibe, aber dünner, bedeckt und durch seine verschiedene Dicke die Eisbilder ebenso deutlich macht, wie die dickeren Stellen der Lithophanien (durchscheinender Porzellanbilder, die man an’s Fenster hängt) die helleren hervortreten lassen.
Nicht selten sieht man an den Fenstern dampfarmer Zimmer die Eis-Productionen verschiedener Zeitabschnitte auf einer und derselben Scheibe deutlich abgegrenzt. Die unterste Zone, welche mit einem gezackten, waldsaumähnlichen Umrisse endigt, besteht aus dem verhältnißmäßig dichtesten Eisbelege; die zweite, oft von der erstern durch einen ziemlich breiten blanken Glasstreif getrennt, ist entweder aus Ruthengestrüpp oder aus zackigen Massen von Baumschlag oder Gewölk, oder aus einzelnen unregelmäßigen Sternen gebildet. Oft ist noch eine dritte Zone vorhanden, die vom oberen Rande des Glases nach unten wächst. Die später entstandenen Zonen bestehen deshalb aus dünneren Eisschichten, als die ersten, weil die Zimmerluft durch den ersten Niederschlag schon einen großen Theil ihres Wassergehaltes eingebüßt hatte, und nun die erste Schicht auch wieder mit beeist; so daß natürlich auf die zweite Lieferung weniger Material verwendet werden kann.
Die fertigen Eisfiguren werden oft theilweise umgewandelt und geben dann gewöhnlich großes Flechtenlaub, wenn der in der Nacht gebildete Eisbeleg während des Tages theilweise schmilzt und auf’s Neue erstarrt.
Aus dem bisher Erwähnten ergibt sich leicht, inwiefern die Beschaffenheit des Fenstereises vom Kältegrade der äußeren Luft und dem Feuchtigkeitsgehalte der Zimmerluft abhängt. Je weniger kalt die Atmosphäre und je trockner die Stubenluft ist, desto mehr in’s Einzelne frei gebildete Figuren, welche gewissermaßen Individuen darstellen, entstehen; je kälter dagegen die Atmosphäre und je dampfreicher die Zimmerluft ist, mit desto dichteren Vorhängen werden die Fenster verhüllt, auf denen dann nicht mehr einzelne Figuren, sondern verflossene Muster zu sehen sind. Darum sind zu Anfange und Ende des Winters die unter 1, 2 und 3 aufgeführten Formen häufiger, im Januar aber ist der Mohr und der Flechtengrund an der Tagesordnung.
Beim Abthauen, welches zum Schlusse noch kurze Erwähnung finden möge, bilden sich außen, und bei großer Kälte auch innen am Fenster Eiszapfen, deren Entstehungsweise und Form vollkommen den in vielen Höhlen vorkommenden Tropfsteingebilden entspricht, nur daß sich bei den letztern (auch Stalaktiten genannt) aus dem verdunstenden Wasser Kalk absetzt, während beim Tropfels das Wasser selbst erstarrt.
Immer thauen die obersten Scheiben zuerst auf, und an jeder einzelnen Scheibe schmilzt die obere Hälfte früher als die untere. Diese, das gerade Gegentheil zum Bethauen und Gefrieren bildende Erscheinung erklärt sich aus derselben Ursache, die dort besprochen wurde.
Warum das Eis des dem Ofen gerade gegenüber liegenden Fensters stets zuerst schmilzt, selbst wenn die Stubenluft in der [181] Nahe den Fensters noch eiskalt ist, ergibt sich aus der Lehre von der Wärmestrahlung, die im zweiten Capitel der Hausphysik, am warmen Ofen, besprochen werden möge. Diese Wärmestrahlen, welche die Luft durchführen, ohne sie zu wärmen, und nur an festen Körpern merklich werden, lassen sich durch einen zwischen Fenster und Ofen gestellten Schirm absperren.
Wenn der Eisbeleg der Fenster zu schmelzen anfängt, ist es leicht, einzelne Stücke desselben hin- und herzuschieben, aber schwer, ein solches Eisplättchen vom Fenster zu entfernen. Will man den Fingernagel darunter schieben, um es abzuheben, so weicht es mit der Gewandtheit eines Aalen aus, und die Kinder zerbrechen oft die durch den Frost ohnehin sprödere Fenstertafel über ihrem Bemühen, die mit Eis plattirte Fläche zu reinigen. Diese auffallend starke Adhäsion rührt daher, daß sich unter dem Eisfourniere eine Wasserschicht befindet, welche die Stelle des Leimes vertritt, indem sie die kleinen Vertiefungen des Glases ausfüllt und durch Ebenung der Glasfläche mehr Berührungspunkte zwischen Glas und Eis schafft. Aus demselben Grunde kleben zwei Glasscheiben, die an der Berührungsfläche befeuchtet sind, hartnäckig aneinander. Die Adhäsion ist nämlich zwar eine bedeutende Kraft, aber ihr Wirkungskreis erstreckt sich nur auf winzige Entfernungen; je glatter zwei Ebenen sind, desto mehr Berührungspunkte sind vorhanden, und desto mehr kann diese Kraft in Wirksamkeit treten. Darauf beruht das Spiel der Kinder, eine kleine Münze an der feuchten Fensterscheibe haften zu machen, was an dem trocknen Fenster nicht gelingt.
Damit hättest Du, lieber Leser, einen Abriß der Jahresgeschichte des Fensters. Ich besorge fast, das Lesen desselben hat Dich ermüdet und Du begehrst nach interessanteren Dingen. Betrachte Dir aber nur das hier in dürren Worten Geschilderte selbst, und nimm zumal Deine Kinder als Gehülfen der Beobachtung und Forschung; dann wirst Du finden, daß in solcher Hausphysik manche Ergötzlichkeit und Geistesübung verborgen ist. „Hoher Sinn liegt oft im kind’schen Spiel.“