Der englische Perserkrieg um Herat
Die englische Diplomatie hat sich wieder entschließen müssen, ihr hübsches Capital von etwa 6,000,000,000, (geschrieben sechs tausend Millionen) Thalern Kriegsschulden, wo möglich schon wieder etwas zu vergrößern, d. h. Krieg anzufangen oder wenigstens so viel Geld durchzubringen, als ob sie Krieg führe. Der künftige Kommandant der englisch-indischen Flotte im persischen Meerbusen zur Demüthigung Persiens und zur Beschulung ihres alten Freundes Dost Mahomed, des Beherrschers von Afghanistan, Sir James Outram verließ Ende Novembers Southampton in England, um nach Bombay in Indien zu fahren und von dort die Flotte in den persischen Meerbusen zu führen.
Weshalb Krieg mit Persien? Das ist eine kurze Frage, worauf man nur durch Beleuchtung sehr weiter und breiter, dunkler Verhältnisse etwas genügend antworten kann. Wer pflegt die Berichte, welche die englische Oberlandpost von Indien etwa alle vierzehn Tage bringt, in den englischen Zeitungen zu lesen? Wer, der da sagen könnte, er habe etwas davon verstanden und die darin vorkommenden, abenteuerlichen Namen nur aussprechen können? Man nehme, wo möglich, eine gute Karte von Indien und den Ländern zur Hand, durch welche die Oberlandpost sich nach Europa windet, und studire die Namen von Städten und Ländern und Racen und Völkern, die um diesen Weg herumliegen und welche alle Indiens und der Oberlandpost wegen von England in Furcht oder Freundschaft gehalten, beschützt und bewacht werden müssen, Punjab und Derejat, Kandahar und Kabul, Turkestan und Beludschistan, die Afghanen, Usbeken, Seikhs und hundert andere Racen, die in Bergfestungen hausen oder deren wandernde Zeltenstädte mit Kameelen und Dromedaren weithin durch sonnig-heiße Ebenen und Thäler glänzen. Man denke sich diese Hunderte von wilden, wandernden, leidenschaftlichen, auf einander eifersüchtigen Racen in unaufhörlichen Konflikten und Kämpfen mit einander, mit ihren Oberhäuptern, die so lange köpfen, bis sie geköpft werden, die Rachekriege Derer, die im Kampfe um den Thron unterlagen, gegen den Sieger und dessen wilde Wuth, womit er sich zu behaupten sucht, die Blutrachezüge von Familie gegen Familie, die endlosen Scenen von Raub und Mord der Racen, die geschäftsmäßig und gewerblich von Nichts leben als den Schätzen, die sie Andern abnehmen – man male sich dies über das ungeheuere Terrain aus, durch welche die englisch-indische Oberlandpost alle vierzehn Tage hindurchsteuern muß, und man wird begreifen, wie es möglich war, daß die Engländer einen „afghanischen Krieg“ führten und jetzt trotz der grimmigsten Verlegenheiten in Europa in den persischen Meerbusen segeln wollen, um ihre Oberlandpost, um ihr Indien vor immer ernstlicher drohenden Gefahren zu schützen. Jede ungewöhnliche Erregung unter den noch nicht von England unterjochten Indiern und den wilden und halbwilden Stämmen, die sich zwischen dem englischen Indien, Rußlands äußersten Grenzen und Persien umhertreiben, weckt in den unterjochten Indiern stets die glühendsten Hoffnungen, Sympathien, abergläubischen Sagen und messianischen Ideen von Erlösung und Freiheit. Dazu kommt unter den indischen Engländern selbst die immer näher kommende Furcht von einer Invasion Rußlands. England hat an seinen Kolonien, so blühend sie auch erscheinen oder geschildert werden, keine Freude, so viel Waaren sie auch dorthin absetzen und so viel Steuern sie auch den Unterjochten abpressen. Es hat in Indien zwei neue Königreiche gewonnen, Birmanien und Oode, aber jeder Gewinn erhöht den drohenden Verlust und macht ihn wahrscheinlicher. Das alte römische Reich war mächtiger als England. Ihm gehörte unter Kaiser Augustus ziemlich die ganze bekannte Erde Europa’s, Asien’s und Afrika’s, aber es starb daran einen gräßlichen, langsamen Tod, indem die eingeschlungenen Theile in Gährung und Fäulniß übergingen und es selbst 700 Jahre lang von innen heraus verfaulte. Nur ein Schwachkopf erster Klasse oder ein gegen das Walten der Sittengesetze in der Geschichte der Menschheit von Besitz, äußerer Größe und Geld geblendeter constitutioneller Philister sieht die Nemesis nicht heraus, die über Englands äußere, besonders Palmerston’sche Politik hereinbricht und aus dem Mutterlande, das Jahrhunderte lang das Gift derselben einsog. Man wirft in Deutschland den Leuten, die aus England schreiben, ziemlich geläufig und häufig vor, daß sie sich vereinigt hätten, England schlecht zu machen. Ich frage hier blos beiläufig: Begehen oder erfinden wir die endlosen Schwindeleien, Betrügereien, Morde, Selbstmorde, Räubereien auf offener Straße, Fälschungen, Mißhandlungen von Weibern und Kindern u. s. w., die fast täglich die großen englischen Zeitungen mit enggedruckten Spalten füllen? Täglich etwa eben so viel, als Deutschland in dieser Sphäre in einem Jahre kaum liefert, insofern wenigstens die brutale Geldgier oder kaltblütige Feigheit und Berechnung, die in England den Verbrechen durchschnittlich zu Grunde liegt, in Deutschland sehr lange gesucht werden müßte, um mit dem kriminalistischen Inhalte eines Jahres gegen die tägliche Produktion in England in Konkurrenz zu treten! – Haben wir die 6000 Millionen Thaler Kriegsschulden für auswärtige Politik gemacht? Sind wir Schuld, daß dieses Geld und die Millionen Menschenleben, die für diese Summe geschlachtet wurden, immer mehr als rein weggeworfen in Schatten wiederkehren und an dem starken Marke John Bull’s so zehren, daß selbst ihm bange wird, ob er’s noch länger aushalte?
Dies bei- oder vorläufig zur Beleuchtung eines besonderen, wenig bekannten Stücks auswärtiger englischer Politik, des afghanischen [27] Krieges, dessen Nemesis sich jetzt zum ersten Male im Großen durch den Kriegszug gegen Persien offenbaren wird.
Indien und die Oberlandpost lassen der englischen Diplomatie keine Wahl. Sie muß sehen, wie sie ihren Dost Mohamed noch einmal retten und den persischen Angriff auf Herat, hinter welchem noch mehr steckt, zurückschlagen helfe. Der Schach von Persien belagert Herat, die ziemlich selbstständige, aber zu Dost Mahomed’s Lande Afghanistan gehörige Festung an der persisch-afghanischen Grenze. Er that dies schon einmal 1851, wurde aber damals diplomatisch gezwungen, den oft wieder aufgenommenen Plan aufzugeben, wenigstens zu verschieben. Die Umstände, die dazu führten, sind folgende:
Am 4. Juni 1851 starb der specielle Beherrscher Herats, Yar Mahomed, und hinterließ den Thron seinem Sohne Syed Mahomed. Yar Mahomed war eins der größten Scheusale selbst im Oriente. So wie er todt war, jubelte Alles in Freude auf und eine Menge Racen und Fürsten, die Yar Mahomed ausgeplündert u. s. w. machten Anspruch auf seinen Thron, Fürsten von Kandahar, Dost Mahomed, nicht zum Erben eingesetzte Söhne Yar Mahomed’s, Männer von seinen Töchtern, die er bis zu Tausend hinterlassen haben soll, und andere Herren. Die Fürsten von Kandahar trieben den Thronerben Syed Mahomed leicht zum Tempel hinaus. Um sich aber zu halten gegen eine wilde Schaar anderer Thron-Prätendenten, fühlten sie sich zu schwach und baten daher den Schach von Persien um Beistand. Dieser schickte mit der größten Bereitwilligkeit 12,000 Mann, die aber bald und seitdem mit kurzen Unterbrechungen stets darauf ausgingen, Herat für ihren Schach, dem es früher gehörte, wieder zu gewinnen. Um diese Zeit schickte Rußland eine große Truppenmasse an die Nordküste des kaspischen Meeres. Von da an marschirten sie landeinwärts auf Herat und hielten sich irgendwo, man sagt, vielfach versteckt zwischen Indien und Persien auf. Die Invasion Indiens von Rußland war früher ein verlachter Aberglaube, jetzt glaubt man immer ernstlicher daran. Herat ist jetzt wieder erobert von Persien. Herat heißt unter den Völkern dort: Schlüssel oder Thor Indiens. Dieser Titel ist kein poetischer, sondern ein strategischer. Herat ist die beste Basis zu einer Kriegsoperation gegen Indien, dessen Grenzen nicht weit davon anfangen und auch sonst vorzüglich geeignet zur Unterhaltung einer Armee in den sonst unwirthlichen Gegenden. Das dazwischen liegende Land ist Afghanistan, dessen Beherrscher Dost Mahomed allen Grund hat, die Engländer zu hassen. Sie trieben ihn erst in die Arme Rußlands und Persiens und erklärten ihm dann 1838 den Krieg. Dies gab den berüchtigten afghanischen Krieg, in welchem die ganze englische Armee auf ihrem Rückzuge von Kabul bis auf den letzten Mann vernichtet ward, in welchem Schrecken und Meutereien vorkamen, wie man sie sonst in der Geschichte selten finden wird. Persien stand, wie jetzt, vor Herat. Dost Mahomed hatte eben so großes Interesse gegen diese Belagerung, wie die Engländer und strebte daher nach der Freundschaft Englands. Dieses aber erklärte Krieg gegen ihn, jagte ihn vom Throne, setzte dafür einen Schwächling darauf, verlor 7 Millionen Pfund dabei und mehr als 10,000 Mann Truppen und setzte dann Dost Mahomed wieder auf seinen Thron, wo er noch herrscht, alt und knorrig, fest und grimmig gegen England. Wer an diesem unglaublichen Inhalte des afghanischen Krieges zweifelt, den müssen wir auf das zweibändige Werk von John William Kaye: „Geschichte des Krieges in Afghanistan“ u. s. w. verweisen. Es enthält die größte Schmach der englischen Diplomatie aller Zeiten. England zieht jetzt in den Ketten der Nemesis dieses Krieges in den persischen Meerbusen, um den „Schlüssel zu Indien“ nicht zu verlieren. Mit einigem gesunden Menschenverstande wäre es 1838 dahin gezogen, statt gegen Dost Mahomed. Jetzt kommen sie mindestens achtzehn Jahre zu spät mit Dost Mahomed zwischen sich, in dessen Lande sie 7 Millionen Pfund Sterling und 10,000 Menschenleben vergeudeten, blos um ihn ab- und dann wieder einzusetzen und 1856 endlich das „Mißverständniß“ gut zu machen. Die Flotte wird inzwischen noch weniger im Kampfe um Herat thun können, als neuerdings vor Sebastopol oder Kronstadt.
Herat, um uns diesen fernen, aber politisch jetzt sehr nahe liegenden Zankapfel etwas genauer anzusehen, liegt in einem reichen Thale voller Getreidefelder, Weingärten und Blumen. Die Umgegend, in welcher alle Straßen von und nach Indien zusammenlaufen, ist üppig fruchtbar und wird nur die „Kornkammer Central-Asiens“ genannt. Herat ist einer der wichtigsten Centralpunkte asiatischen Handels und so reich an Bodenertrag und Handelsgewinn, daß es zehn Mal so viel Soldaten ernähren kann, als jetzt darin und darum stehen. Aber die Schönheit und Pracht der Stadt, wie aller orientalischen Städte, ist blos auswendig. Drum herum Alles lachendes, üppiges, blühendes Leben, innerhalb zwischen engen Straßen lauter Gebirgszüge uralter, stets mit frischer Fäulniß bedeckter Schmutzhaufen, bestehend aus dem Kehricht, den Küchenabfällen, Leichen und Excrementen vieler Generationen. Selbst für den Abfluß des Regens und viel schlimmerer Flüssigkeiten ist nicht im Geringsten gesorgt. Daher zwischen den Schmutzgebirgen unzählige Thäler voller Jauche.
Und mit welchem Plan und Pomp ist die Stadt gebaut! Von allen Seiten stark und strategisch genial befestigt und durch tiefe Gräben und bombenfeste Erdwälle uneinnehmbar gemacht, war sie schon zur Zeit des Perserangriffs 1838 so verfallen, daß sie nach dem Urthelle von Sachverständigen schon binnen vierundzwanzig Stunden hätte fallen müssen, wenn die Perser Ernst gemacht hätten und nicht von dem Glauben, daß sie uneinnehmbar sei, zurückgehalten worden wären. Die Stadt bildet ein regelmäßiges Viereck, jede Seite etwas über eine englische Meile lang und in der Richtung der vier Hauptlinien des Kompasses gebaut. Die Straßen laufen, den Außenseiten entsprechend, in regelmäßigen Linien, von den zwei Hauptstraßen, die sich in der Mitte durchschneiden, in vier regelmäßige Viertel getheilt. Aber die Art, wie die Straßen gebaut wurden, gab mit dem üppigsten orientalischen Glanze oben zugleich überall durchlaufenden Grund zum Verfalle unten. Die untern Geschosse bestehen aus verfaulten, von Kehricht und aufgehäuften Unrath zum Theil schon verstopften Läden, ehemals prächtigen offenen Bazars, mit hervorspringenden Dächern und Bogen, deren Thürmchen und Zinnen aber noch lügnerisch in der Sonne glänzen und von orientalischem Pompe fabeln, während unten Häuser und Menschen Fäulniß, Tod und Verderben aus- und einathmen und nur die lachenden, gesunden Umgebungen das Wunder erklären, daß die etwa 45,000 Einwohner nicht längst alle von der Pest hingerafft wurden. Sie bestehen aus einem seltsamen Gemisch von Indiern, Armeniern, Juden u. s. w., die sich zwar stets durch Tod aus der Luft und eine Zeit lang durch ein eigenthümliches Geschäft des Stadtkommandanten verringerten, sich aber immer wieder durch Einwanderung, wozu die vortheilhafte Lage als Handelsplatz verführte, ergänzten.
Die Regierung Kamrae’s, den die Perser 1851 entfernen wollten, war eine der scheußlichsten, die je ein Volk ausgehalten. Sein Kommandant und erster Minister von Herat bekam nur einen geringen Gehalt, den er aber durch geschäftsmäßiges Einfangen und Verkauf von Leuten zu erhöhen wußte. Die Bewohner von Herat wagten sich nur im äußersten Nothfalle verstohlen über die Straße, und huschten dann blaß und hager vorsichtig von Versteck zu Versteck. Häuser und Läden wurden schon vor Sonnenuntergang geschlossen und verbarrikadirt, und die Stille der Abende und Nächte nur durch das gräßliche Geheul Abgefaßter und Eingefangener unterbrochen. Es war wie im Königreiche Dahomey, wo der Sklavenhandel ein königliches Privilegium ist, und von allen „gesetzlichen“ Mitteln unterstützt und gegen Konkurrenz geschützt wird.
Unter den als Sklaven verkauften Heratern waren einige Perser. Dies gab dem Schach Veranlassung, gegen Herat zu ziehen, um wo möglich die ihm früher gehörende beste Stadt seines Reiches wieder zu gewinnen. Auch nahm er den Heiligenschein eines religiösen Beschützers an. Die Perser bekennen sich größtentheils zu der Schiiten-, die Afghanen zu der Sunnitensekte des Muhamedanismus, die sich gegenseitig zerfleischen, wie wilde Thiere im wüthendsten Hunger. Die regierenden Klassen und Soldaten von Herat waren größtentheils Sunniten, die Bürger und Einwohner Herats Schiiten oder Schiiahs. Letztere als die Unterliegenden zu beschützen, schien dem Schach von Persien ein guter Vorwand, der denn auch stark mit hervorgehoben ward. Seine Armee ward größentheils von freiwillig gesandten russischen Offizieren und Ingenieurs befehligt. Außerdem handelte der Schach im Vertrauen auf weitere russische Unterstützung für die Eroberung von Khiva, Khorassan u. s. w. Da Persien bereits so ziemlich in den Rang einer russischen Provinz gekommen ist, würde der Schach diese Eroberungen rein für Rußland machen, dem sein Land doch früher oder später zufallen wird. Die Engländer wissen das, [28] aber sie haben während dieses ganzen Jahrhunderts diese Richtung mit Palmerston’scher Politik mehr unterstützt, als zu verhindern gesucht, obgleich sie sehen, daß ihnen dadurch die Oberlandpost und die ganze Sammlung zusammengeraubter Königreiche und Mongoleien in Indien verloren gehen wird. Sie sind jetzt, wie es heißt, mit 15 Dampfschiffen beschäftigt, 11,000 Mann, 1200 Pferde und die nöthigen Seeleute und Marinesoldaten nach Persien zu schaffen, um Indien zu retten. Zur Zeit des afghanischen Krieges war es Zeit dazu, jetzt ist’s wahrscheinlich 18 Jahre zu spät.
Der dermalige Herrscher der Afghanen, Dost Mahomed, steht gegenwärtig an der Spitze einer Armee von beinahe 70,000 Mann, und soll dieselbe, sagt man, auf 100,000 Mann gebracht werden; aber diese undisciplinirte Armee, in welcher der Schach von Persien alle Muselmanen der Sekte der Schiiten zu Anhängern hat, würde der persischen Armee weit nachstehen, wenn sie nicht von den Engländern bis in die Organisationsdetails unterstützt würde. Die Armee der Afghanen ist aus den Kontingenten der verschiedenen Stämme zusammengesetzt. Sie besteht zu zwei Dritteln aus Kavallerie, welche ihren besten Theil bildet. Diese Truppe ist in 25 Korps unter den Hauptchefs des Landes getheilt. Ihre malerische Kleidung ist uralt. Die Soldaten tragen eine sehr hohe konische Mütze, eine lange Jacke, weite Beinkleider und Maroquinstiefeln. Die Bewaffnung ist nicht gleichförmig; die Einen haben lange Flinten wie die Araber, die Andern sehr mörderische Lanzen oder Aexte, deren sie sich mit grosser Gewandtheit bedienen. Diese Kavallerie, welche nicht nach europäischer Weise manövrirt, ist wirklich furchtbar. Die Inferiorität der Armee der Afghanen besteht sohin in der Infanterie. Die Soldaten tragen schwere Karabiner, deren sie sich schlecht bedienen; sie sind weder an Märsche noch Strapazen gewöhnt, und manövriren ohne Zusammenwirken. Um diesem um so fühlbarern Uebel zu steuern, da die persische Infanterie ausgezeichnet ist, lassen die Engländer die Infanterie der Afghanen durch eine ihrer besten Brigaden verstärken.
Die Artillerie der afghanischen Armee ist nicht besser, als ihre Infanterie, weshalb es die Engländer für nöthig erachteten, der Brigade zwei Feldbatterien und eine Haubitzenbatterie beizugeben. Aber ein ebenso wirksames Mittel als die Truppensendungen ist das von den Engländern angewendete, indem sie Dost Mahomed, dessen Habgier bekannt ist, bedeutende Summen zuschickten und ihm Waffen und Munition auf ihre Kosten lieferten. Der wilde Häuptling weiß übrigens sehr wohl, daß Rußland der Verbündete Persiens ist, und er fürchtet die Macht des Czar. Die Afghanen sind tapfer, räuberisch und undisciplinirt. Der Armee folgt ein beträchtliches, den verschiedenen Stämmen gehöriges Material. Mehre führen Weiber und Kinder mit sich in den Krieg; eine Gewohnheit, die ihren Nomadensitten entspricht. Das westliche Afghanistan, welches sich mit Persien im Kriege befindet, umfaßt drei große Abtheilungen: das Königreich Kabul mit fünf Provinzen, das Königreich Kandahar mit drei Provinzen, dann das Fürstenthum Herat, das aus zwei Provinzen besteht: der Stadt Herat und ihres Gebietes mit den Städten Zurudge und Ubah und jener von Siahband mit der Hauptstand gleichen Namens.
Kabul ist die Residenz Dost Mahomed’s und der Hauptort des ganzen Reichs. Sie liegt 2000 Meter über der Meeresfläche und hat Befestigungswerke, welche die Fürsten der Familie Timur erbauen ließen. Die Stadt Kandahar liegt am linken Ufer des Orghendab, einem der Nebenflüsse des Hirmend. Diese wichtige Stadt bestand schon zu Zeiten Alexanders des Großen und zählte 1809 100,000 Einwohner. Das Wort „Afghan“ bedeutet Bergbewohner, was beweist, daß diese Völker ursprünglich Persien, Hindostan und Baktriana bewohnten.
Der Krieg um Herat ist dem äußeren Anscheine nach um die Frage, wer nun dort regieren soll, Dost Mahomed, Persien oder ein erobernder Held der englischen Armee oder Aristokratie, d. h. in der That um das Schicksal Indiens und ganz Centralasiens, wovon die Schicksale Englands und Europa’s wesentlich mit abhängen. So fern also auch der neue Kriegsschauplatz von uns liegt, werden dessen Siege und Niederlagen (oder Vertuschungen und Verschiebungen der Krisis) uns doch in unsern eigenen öffentlichen Angelegenheiten mit der Zeit sehr nahe kommen.