Nach der Schlacht bei Großbeeren
Am Morgen des 23. August 1813 befand sich ganz Berlin in einer aufgeregten, bangen Stimmung. Die Arbeit ruhte, leer waren die meisten Werkstätten, die Läden zum Theil geschlossen. Trotz des umwölkten Himmels und des in einzelnen Schauern niederströmenden Regens gingen auf den Straßen Tausende unruhig auf und ab, blieben stehen, sprachen mit einander, Männer mit Männern, die sich nie zuvorgesehen, allein die Besorgniß, welche aus Aller Augen blickte, hatte schnell ein Band zwischen ihnen geknüpft. Kanonendonner hallte bald einzeln, bald in schneller Aufeinanderfolge dumpf und erschütternd in der Stadt wieder. Er war der Grund der aufgeregten, bangen Stimmung. Nur wenige Stunden von Berlin entfernt hatte ein Kampf begonnen, von dessen Ausgange das Geschick der ganzen Stadt abhing, abgesehen von den unberechenbaren weiteren Folgen, welche ein Sieg oder eine Niederlage für den ganzen Krieg mit sich bringen mußte.
Mit 80,000 Mann, die zum größten Theil aus Sachsen bestanden, war Oudinot gegen Berlin herangerückt, um nach Napoleon’s Plan: Berlin, Breslau und Prag zu nehmen und zu besetzen, mit der preußischen Hauptstadt den Anfang zu machen. Ihm gegenüber stand das Nordheer der Verbündeten unter dem Befehle Bernadotte’s, des Kronprinzen von Schweden. Eine Schlacht zwischen beiden Heeren hatte begonnen.
Großes stand auf dem Spiele. Für Preußen vielleicht Alles. Mit der festen Zuversicht, in Berlin einzuziehen und an der ihnen in mancher Beziehung verhaßten Stadt Rache zu üben, waren die Franzosen und Sachsen herangerückt. Noch war Napoleon’s Kriegsglück und Ruhm zu wenig erschüttert, das Selbstbewußtsein des deutschen Volkes war noch zu jung, um ohne Besorgniß ein solches Heer, wie es Oudinot führte, herannahen zu sehen. Dazu kam noch, daß man auf Bernadotte mit wenig Vertrauen blickte. Er hielt fest an dem von den preußischen, österreichischen, russischen Herrschern und ihm bestimmten allgemeinen Kriegsplane, welcher so lange ein Zurückweichen des angegriffenen Armeekorps vorschrieb, bis es den drei verbündeten Heeren gelungen sei, sich möglichst zu vereinigen und den französischen Herrscher mit Uebermacht zu erdrücken. Er zögerte deshalb, mit einem Würfel Alles auf das Spiel zu setzen, und mochte vielleicht auch für seine Schweden allzu besorgt sein. Dazu kam noch, daß er bei der Berathung über einen Rückzüg nach Norden und das Aufgeben Berlins auf Bülow’s Einrede ausgerufen hatte: „Was ist Berlin? eine Stadt, nichts weiter!“ Die Aufregung der Berliner, welche zunächst um das Geschick ihrer Stadt besorgt waren, war dadurch noch gesteigert. Zwar hatte Bernadotte nachher die Versicherung gegeben, daß die Stadt vom Feinde nichts zu besorgen habe, doch man vertraute derselben nicht mehr.
Wenn der Kampf für das Nordheer unglücklich ausfiel, oder wenn dasselbe zurückgedrängt die Stadt aufgeben mußte, so war sie verloren. Zwar waren während des Waffenstillstandes auf dem Kreuzberge und am Schafgraben Schanzen aufgeworfen, und hierher eilte an diesem Tage mancher entschlossene Landstürmer, unter ihnen Buttmann und Schleiermacher mit ihren „weithin schattenden Lanzen“, Fichte mit zwei Paar Pistolen in dem breiten Ledergürtel und Iffland mit dem Helm und dem Brustharnisch der Jungfrau von Orleans angethan, um die Stadt zu vertheidigen; allein jedem nur etwas unbefangenen Auge konnte es nicht entgehen, daß durch jene Schanzen das Geschick Berlins nicht abgewandt, ja vielleicht nicht einmal um eine Stunde verzögert werden konnte.
Die Unruhe und Angst wuchs mit jeder Minute. Versprengte und Verwundete aus dem Gefechte, welches am Tage zuvor bei Blankenfelde stattgefunden hatte, kamen in die Stadt und steigerten die Aufregung, weil man sie anfangs für Flüchtlinge aus dem an diesem Tage stattgefundenem Kampfe hielt. Der Donner der Geschütze schien bald näher zu kommen, bald sich mehr zu entfernen, und mit ihm wechselten Furcht und Hoffnung. Lange, angstvolle Minuten und Stunden schwanden hin. Vergebens suchte man von den Thürmen und dem Kreuzberge südlich von der Stadt durch Fernrohre etwas über den Fortgang der Schlacht zu erfahren.
Schon am Morgen, sobald der erste Donner der Kanonen gehört war, hatten sich Manche zu Roß und Wagen nach der Gegend begeben, aus welcher der Schall der Geschütze kam, um so schnell als möglich Auskunft über den Fortgang und den Erfolg der Schlacht zu erhalten. Von ihnen kamen am Nachmittage einige zurück, oder von ihnen abgesandte Boten, welche die Nachricht brachten, daß der Hauptkampf um und in der Nähe des Dorfes Großbeeren stattfinde, daß die preußischen Truppen im Vortheil seien und namentlich die Landwehr unter Bülow Wunder der Tapferkeit thue. Der Sieg sei fast schon gesichert. Boten auf [524] Boten kamen, welche die Nachricht bestätigten und neues Erfreuliches berichteten.
Jubel erfüllte mit einem Male die ganze Stadt. Ein anderer Geist war in ihr eingekehrt. Alle, welche bis zu dieser Stunde mit Angst für Hab’ und Gut und Weib und Kind erfüllt waren, vergaßen jede Furcht. Begeisterung war in Aller Herzen entflammt. Viel hatten die Meisten hingegeben, um die Freiwilligen zu dem heiligen Kriege auszurüsten, sie dachten jetzt nicht an sich, sondern nur an die, welche in dieser Stunde für sie Blut und Leben zum Opfer brachten – das Letzte gaben Manche für sie hin.
Wagen mit Brod, Fleisch, Wein, mit Nahrungsmitteln und Erquickungen aller Art, soviel nur aufzutreiben war, wurden fortgeschickt zum Kampfplatze, um die Kämpfenden zu stärken und den Verwundeten Hülfe zu bringen. Spitäler wurden in aller Eile errichtet, um die Verwundeten aufzunehmen, Frauenvereine bildeten sich, die Blessirten zu pflegen, die ganze Stadt, alle Hände regten sich, Jeder wollte in der Hoffnung des Sieges das Seinige dazu beitragen, den Siegenden beizustehen und ihnen ein Zeichen der Freude zu senden.
Es waren Stunden der freudigen Begeisterung und der Opferbereitwilligkeit, wie sie selten schöner vorgekommen und wie sie nur in einer Zeit möglich sind, in der ein solcher Geist das ganze Volk belebt, wie der ist, welcher das Jahr 1813 als groß und heilig in der deutschen Geschichte hingestellt hat.
Während dieser freudigen und begeisterten Vorgänge in Berlin wurde auf dem Schlachtfelde noch immer mit größter Erbitterung gekämpft. Als die Franzosen Nachmittags 5 Uhr das Dorf Großbeeren genommen und in Brand gesteckt hatten, glaubten sie den Sieg für sich schon gesichert, und sächsische Lieutenants vom Regiment Riesemauschel riefen von der Zinne der Windmühle auf dem Windmühlenhügel, welche sie erklettert hatten, den Berlinerinnen schon spottende Grüße für das Nachtquartier am folgenden Tage zu. Der General v. Bülow hatte indeß die Gefahr der Lage erkannt und mit dem Degen in der Hand den Brigade-Generälen den ferneren Angriffs- und Schlachtplan dictirt. Zwar hatte Bernadotte durch seinen Adjutanten den schriftlichen Befehl überbringen lassen: „General von Bülow hat nach dem Empfang dieses sofort den Rückzug nach Berlin anzutreten und auf den Weinbergen[1] Position zu nehmen,“ allein Bülow hatte unwillig gerufen: „Vor uns liegt die Entscheidung!“ und war mit seinem Generalstabe fortgesprengt, um seine Truppen gegen den Feind zu führen.
Im Sturmschritt gingen sie auf das brennende Dorf los. Mit lautem Hurrah! stürzte sich vor Allem das erste neumärkische Landwehrregiment in den Kampf und auf die Batterien des Feindes. Der Regen strömte noch fortwährend und hinderte, von den Schießwaffen Gebrauch zu machen. Das Bajonnet wurde gebraucht. Mit äußerster Hartnäckigkeit vertheidigten die Sachsen das Dorf und die Batterien, die Landwehr drängte sie zurück, stach die Kanoniere neben den Kanonen nieder, und als das Bajonnet unter den in dichten Haufen zusammengedrängten sächsischen Gardegrenadieren nicht schnell genug aufräumte, griff die Landwehr zum Kolben und schlug darauf los. „Det fluscht better!“ riefen die Pommern, und die Kolbenschläge drangen durch die hohen Bärenmützen und die krebsrothen Röcke mit gelben Kragen der sächsischen Grenadiere. In kurzer Zeit war das Dorf in den Händen der Preußen.
Mit Gewalt drängten die Preußen, den erlangten Vortheil benutzend, sofort nach und stürmten auf den Feind los. Mit größter Tapferkeit wurde auf beiden Seiten gekämpft, allein mehr und mehr neigte sich der Sieg den Preußen zu, und nach zweistündigem, äußerst heftigem Kampfe war der Sieg entschieden und die Schlacht bei Großbeeren von den Preußen gewonnen.
Endlos war der Jubel, als endlich die sichere Siegesnachricht nach Berlin gelangte. Die ganze Aufregung und Spannung löste sich in namenlose Freude auf. Gerettet war die Stadt, der Feind vollständig geschlagen und auf der Flucht, ein Ruhmesreis mehr war von dem Haupte des französischen Herrschers gerissen.
Manche eilten trotz der hereinbrechenden Nacht noch auf das Schlachtfeld, um die Sieger zu begrüßen. Kaum war aber der Morgen des 24. August hereingebrochen, so zog es in dichten Zügen aus der Stadt gen Großbeeren, Männer und Frauen, Greise und Knaben, alle in lautem Jubel trotz des Regens und fast Jeder mit irgend einer Gabe oder Erfrischung für die Sieger oder die Verwundeten. Wagen folgten auf Wagen, entweder mit Lebensmitteln beladen oder bereit, die Verwundeten nach der Stadt zu holen, wo die sorgsamste Pflege sie erwartete. Das ganze Volk war sich bewußt, daß es das Seinige zum Siege beigetragen hatte, denn mit Freuden hatte es die größten Opfer gebracht.
Und groß waren die Errungenschaften des Sieges. Angesichts der Stadt war der bereits frohlockende und siegesgewisse Feind niedergeworfen und in die Flucht geschlagen. 26 Kanonen, 60 Munitionswagen und 2000 Gefangene hatte er in den Händen der Sieger zurück lassen müssen, und 1800 Mann seiner Tnppen lagen todt oder schwer verwundet auf dem Schlachtfelde. Und wichtiger vielleicht noch als diese Errungenschaften war die moralische Kräftigung, welche das preußische Heer durch diesen Sieg gewann. Seit Jahren hatte Napoleon über kriegsgeübte Heere fast immer den Sieg davon getragen, seine Heere unterlagen Männern gegenüber, die mit Begeisterung und Todesverachtung für ihr Vaterland kämpften. Die Landwehr, welche von vielen Officieren der Linie bis dahin mit vornehmem, verächtlichem Achselzucken behandelt worden war, hatte zum ersten Male sich in rühmlichster Weise bewährt, und offen ertheilte ihr Bülow in dem nach der Schlacht erlassenen Tagesbefehle das verdiente Lob.
Man fühlte in dem freudigen Siegesrausche den bitteren Mißklang nicht, der darin lag, daß in dieser Schlacht Deutsche gegen Deutsche im erbittertsten Kampfe standen; man übersah es fast, daß selbst in jenen Tagen der hereingebrochenen Freiheit der Censor in Berlin – ein Geh. Legationsrath Renfner – es wagte, Bülow’s Siegsberichten die Druckerlaubniß in den Zeitungen zu versagen, – den Sieg konnte er trotz alledem nicht schmälern und Bülow die Palme desselben nicht entreißen.
Unleugbar ist es, daß Bülow der Held dieser Schlacht war, daß er sie selbst gegen die Befehle des Kronprinzen von Schweden gewonnen, der sich nicht an der Schlacht betheiligte und erst zum Schluß derselben den Preußen einige Truppen zur Unterstützung sandte. Ebenso unleugbar ist es aber auch, daß Bernadotte’s Verhalten von den Meisten verkannt und falsch gedeutet wurde. Bülow hatte im Vertrauen auf die gute Sache kühn die Schlacht gewagt, und das Glück war ihm zur Seite gestanden, Bernadotte durfte nicht Alles auf eine im Erfolge noch sehr unsichere Schlacht setzen, er war ein zu gereifter und erfahrener Feldherr dazu.
Was wäre aus Berlin, aus der ganzen Nordarmee, vielleicht aus ganz Preußen geworden, wenn die Schlacht bei Großbeeren unglücklich endete? In dieser einen Frage liegt die ganze Rechtfertigung für Bernadotte’s Verhalten.
Unser Bild bedarf kaum ein Wort zur Erklärung. Eine Scene am Morgen nach der Schlacht auf dem Friedhofe zu Großbeeren stellt es dar. Von Berlin war bereits zahlreiche Hülfe für die Verwundeten angelangt. Auf dem Kirchhofe war am erbittertsten gekämpft worden. Er war von einer hohen Mauer von Feldsteinen umgeben, hatte also eine schwache Befestigung. Anfangs wurde er durch die pommersche Landwehr vertheidigt, sie mußte weichen, als das ganze Dorf durch die Sachsen unter Reynier erobert wurde. Nach hartnäckigem Kampfe gewannen die Preußen mit dem Dorfe auch den Kirchhof wieder.
Eine große Anzahl der im Dorfe Gefallenen wurde auf dem Friedhofe beerdigt. Neben ihren Gebeinen erhebt sich, rings von Ketten umgeben, ein Denkmal mit dem Adler und dem Landwehrkreuze oben darauf.
Sicherlich werden am 23. August dieses Jahres Viele von Berlin nach der Stätte wallfahrten, wo vor fünfzig Jahren über Berlins, ja über Preußens Geschick entschieden wurde. Sie werden der Männer gedenken, welche dort Alles gewagt für ihr Vaterland und welche den Sieg mit ihrem Leben erkauft haben, sie werden sich des Jubels erinnern, welcher ganz Berlin nach der Schlacht bei Großbeeren erfüllte; mögen sie aber auch des Geistes eingedenk sein, der damals das ganze Volk, vom Bettler bis zur Krone hinauf, erfüllte, jenes großen, heiligen Freiheitsgeistes, und mögen sie sich dann zurufen: „So war es vor fünfzig Jahren, und wie ist es jetzt!“
- ↑ Die Weinberge liegen nordöstlich von Berlin; Bernadotte hätte hiernach jetzt noch Berlin preisgeben wollen. Wahrscheinlich liegt in dem Befehle eine Verwechslung der Weinberge mit dem in südlicher Richtung von Berlin gelegenen und, wie bereits erwähnt, mit Schanzen versehenen Kreuzberge.