Mitteilungen des Verbandes deutscher Vereine für Volkskunde Nr. 9
für Volkskunde
Nr. 9. | (Korrespondenzblatt) | Juni 1909. |
der dritten Tagung des Verbandes deutscher Vereine für Volkskunde.
Die dritte Tagung des Verbandes wird am
mit folgendem Programm stattfinden:
Gesellige Zusammenkunft im Hotel „Zur goldenen Birn“, Leonhardstr. 8.
Geschäftliche Beratung der Abgeordneten im Hörsaal I der Universität (Hauptgebäude, Erdgeschoß rechts, Theologisches Institut).
- Geschäfts- und Rechnungsbericht des Ausschusses.
- Frage der Zeitschriftenschau.
- Die Begründung einer volkskundlichen Zentrale und die Anlage volkskundlicher Zettelkataloge (Referent: Herr Museumsdirektor Prof. Dr. Lauffer-Hamburg).
- Bericht über die Aufnahme der Getreidepuppen (Herr Robert Mielke).
- Die Sammlung alter Soldatenbriefe und Tagebuchaufzeichnungen aus Kriegszeiten.
- Änderung der Satzungen.
- Nächster Verbandstag.
- Neuwahl des Ausschusses.
Zu 6 beantragt der Ausschuß folgende Änderung des § 4: Mitglieder des Verbandes können alle Vereine und Anstalten werden, die sich die Förderung der Volkskunde zum Ziele gesetzt [2] haben; auch einzelne Personen, die sich um die volkskundliche Forschung Verdienste erworben haben, können Aufnahme finden; diese haben volles Stimmrecht.
Ferner folgende Änderung des § 5:
Über die Aufnahme von Vereinen und Anstalten entscheidet vorläufig der geschäftsführende Ausschuß und endgültig die Abgeordnetenversammlung; dasselbe gilt auch über die Aufnahme von Einzelmitgliedern.
Ferner folgende Änderung des § 14:
Die dem Verband angehörenden Vereine, deren Mitglieder jährlich einen Beitrag bis zu 2 Mark bezahlen, haben an die Zentralstelle (den Ausschuß) 1% ihrer Mitgliederbeiträge zu entrichten; Vereine mit Jahresbeiträgen von 2,10 bis 5 Mark haben 1½%, Vereine mit Jahresbeiträgen über 5 Mark 2%, zu entrichten; jedoch soll die Gesamtsumme mindestens 10 Mark betragen. Dieser Satz (10 Mark) gilt auch für Anstalten als Mindestbeitrag. Der Jahresbeitrag der Einzelmitglieder ist 5 Mark.
Zu § 15 beantragt der Ausschuß folgenden Zusatz: Der Druck des Korrespondenzblattes erfolgt in einer der schon bestehenden Zeitschriften für Volkskunde.
An diesen Verhandlungen können nach § 8 der Satzungen auch nicht abgeordnete Mitglieder der Einzelvereine und Anstalten mit beratender Stimme teilnehmen.
Danach Vortrag des Herrn Pfarrer Dr. Schullerus aus Hermannstadt: Siebenbürger Märchen. (Zur Methodik der Märchenforschung.)
Gemeinsames Mittagessen im Hotel „Zur goldenen Birn“.
Wir machen darauf aufmerksam, daß Vorausbestellung der Wohnung in Graz sehr angebracht ist, da zur Zeit unsrer Tagung Messe in Graz ist.
Nach § 7 ist jedes Verbandsmitglied verpflichtet, die Abgeordnetenversammlung zu beschicken, indem es entweder selbst einen Abgeordneten entsendet oder sich durch denjenigen eines andern Verbandsmitgliedes vertreten läßt. Jedoch sollen nie mehr als zwei Verbandsmitglieder einen gemeinsamen Vertreter bevollmächtigen.
[3]
Im Jahre 1907 erschien in deutscher Übersetzung das Werk des dänischen Dichters K. Larsen: „Ein modernes Volk im Kriege in Auszügen aus dänischen Briefen und Tagebüchern der Jahre 1863/64.“ Sein Verfasser hat mit vielem Fleiße unter seinen Landsleuten alles Schriftliche aufzutreiben gewußt, was die Volksseele in Kriegszeiten widerspiegelt, und hat aus der Fülle des Materials herausgesucht und veröffentlicht, was das Seelenleben eines Volkes in solch bewegten Tagen am klarsten erkennen läßt. Nicht überall hat das Buch richtiges Verständnis gefunden, am wenigsten bei dem Rezensenten im „Lit. Ztbl.“, der überhaupt keine Ahnung hat, worum es sich in diesem Werke handelt. Dasselbe ist ein trefflicher Beitrag zur Volkskunde; es fordert uns zugleich auf, daß auch wir diese Regungen der Volksseele in unserem Volke nicht unbeachtet lassen dürfen und zunächst ihre Zeugnisse sammeln. Drei Kriege hat unser Volk im letzten Menschenalter mitgefochten: den dänischen, den deutschen Bruderkrieg, den französischen. Zu diesen gesellen sich die Kämpfe der Österreicher in Italien 1859. Zahlreiche Briefsammlungen von Teilnehmern an diesen Kriegen liegen bereits gedruckt vor. Aber es sind fast alles Briefe von Gebildeten an ihre Angehörigen; was uns noch fehlt, das sind Briefe oder Aufzeichnungen des gemeinen Soldaten, des Mannes aus dem Volke, der ohne irgendwelche Reflexion das Leben im Felde, die Kämpfe, die Freuden und Leiden in Feindesland schildert und die Eindrücke wiedergibt, die dies alles auf sein Gemüt gemacht hat. In den Familien der Angehörigen werden diese Aufzeichnungen meist wie ein Talisman heilig aufbewahrt. Die Zeit eilt, und mit ihr geht das Geschlecht dahin, das diese Kriege mit erlebt hat. Es ist zu befürchten, daß mit ihm auch viele dieser Urkunden der Volksseele schwinden. Sie im Original oder zuverlässigen Abschriften zu sammeln ist eine Aufgabe, die unserm Verbande in erster Linie zukommt. Die Grazer Tagung wird zu dieser Stellung nehmen. Aber schon heute richte ich an unsere Mitglieder die Bitte, innerhalb ihres Wirkungsgebietes sich nach Leuten umzusehen, die für diese Aufgabe Interesse zeigen und bereit sind, an der Sammelarbeit teilzunehmen. Gewiß wird es etwas Mühe kosten, das Material zu erlangen. Aber wie es Larsen in Dänemark gelungen ist, eine fast erdrückende Fülle von Stoff in die Hände zu bekommen, so dürfte es auch uns mit etwas Energie und Spürsinn gelingen, und ich bin überzeugt, daß selbst der Sammler an dieser Arbeit seine Freude finden wird.
Schon nach Erscheinen der dänischen Ausgabe seines Werkes teilte mir Larsen mit, daß dieses Studium der Volksseele auch in andern Ländern, besonders in Deutschland, in Angriff genommen werden müsse. Damals hatten wir noch keinen Verband, noch keinen Mittelpunkt solcher Forschung. Ich habe mich daher gefreut, daß Larsen nach Erscheinen der deutschen Ausgabe seinen alten Plan wieder aufgenommen hat, und habe ihm zu dessen Verwirklichung gern die Hand geboten. Unterdessen hat er für seine Idee durch öffentliche Vorträge in Berlin und Wien bereits Propaganda gemacht. Diesen Vortrag hat er unserm Verbande in einer großen Anzahl von Sonderabzügen zur Verfügung gestellt, so daß mit diesen Mitteilungen jedem Vereine 5, den Museen je 2 Exemplare zukommen, die durch die Bibliotheken [4] oder durch Auszüge in den Vereinsorganen als Werbemittel zur Mitarbeit dienen mögen. Einige Exemplare hoffen wir in Graz verteilen zu können.
Zur Ergänzung sei noch erwähnt, daß Larsen für seinen Plan auch in Frankreich die Werbetrommel geschlagen und hier allseitiges Entgegenkommen gefunden hat.
Angesichts der großen Aufgaben, die den Verband beschäftigen, mag es unzulässig erscheinen, daß die Studien eines einzelnen über die Schranken stiller Arbeit hinaus an die Öffentlichkeit treten und die Aufmerksamkeit weiterer Kreise in Anspruch nehmen. Aber es geschieht nicht zu eigenem Nutzen, sondern zur Erhaltung wertvollen Volksgutes, wenn ich im Hinblick auf die Zeit der Sommerreisen an alle, die es angeht, die Bitte richte, auf Sammlung naturdeutender Sagen nach Möglichkeit bedacht zu sein. Wie schon die zwei ersten Bände meiner Natursagen lehren, ist deutsches Material sehr spärlich vorhanden. Noch auffallender ist dessen Fehlen bei den Tiersagen, mit deren Druck ich jetzt zu tun habe. Ich bin der Meinung, daß auf diesem Gebiete sehr schlecht gesammelt worden ist – warum ist denn in Mecklenburg Ausbeute möglich? – und ich möchte wenigstens zu dem Versuche anregen, das Versäumte durch Nachlese wieder gut zu machen. Natursagen lassen sich gewiß leichter sammeln, als alle andern Sagen; selbst der Wanderer kann bei flüchtigem Verweilen Sammlerglück haben, denn die Frage nach der Beschaffenheit irgend eines vorliegenden Naturgegenstandes und dessen sagenhafter Deutung ist bald getan und bald beantwortet. Wer gleich mir von der Wichtigkeit dieser Sagen überzeugt ist, der erinnert sich wohl bei günstiger Gelegenheit meiner Bitte. Für die Veröffentlichung der so gewonnenen Schätze stehen unsere Zeitschriften für Volkskunde zur Verfügung. Die Wissenschaft wird für jeden Beitrag dankbar sein.
In meiner kurzen Ansprache auf dem Berliner Verbandstage habe ich die Bemerkung gemacht, daß von den deutschen Akademien für die Dialektforschung wenig Unterstützung zu erhoffen sei (Mitt. Nr. 8, S. 7). Leider habe ich mich mit dieser Aussage, wenigstens was die Berliner Akademie der Wissenschaften betrifft, im Irrtum befunden. Aus den Generalberichten der Deutschen Kommission geht unzweideutig hervor, daß diese „eine erschöpfende Aufnahme des Wortschatzes der Mundarten im Deutschen Reich und bei stammverwandten Nachbarn“ nicht nur auf ihr Programm gesetzt, sondern die Ausführung dieses Planes auch bereits zielbewußt in Angriff genommen hat. Ich muß diese unberechtigte Vermutung, zu der mich eine Bemerkung Kauffmanns in der Zeitschr. f. deutsche Phil. veranlaßt hatte, um so mehr bedauern, als sie vor Männern gefallen ist, die z. T. Mitglieder der Akademie sind und die uns in Berlin so gastliche Aufnahme gewährt hatten.
Buchdruckerei Richard Hahn (H. Otto), Leipzig.