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Maskiert

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Autor: Hans Arnold
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Titel: Maskiert!
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aus: Die Gartenlaube, Heft 3, S. 80–92
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1898
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger G. m. b. H. in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Maskiert!

Humoreske von Hans Arnold. Illustriert von F. Hlavaty.

Nun, und wie hat sich die Verlobung schließlich so rasch gemacht?“ frug der Major und streifte die Asche behutsam von der Cigarre.

„Ich glaube, er hat die Großmama für sich zu gewinnen gewußt,“ bemerkte ein anderer aus dem kleinen Kreise, „die hat sich für ihn verwandt, und da war die Angelegenheit schon halb im reinen!“

„Also eine Gönnerin!“ sagte der Major und sah nachdenklich ins flackernde Kaminfeuer, „das kommt wieder auf meine Theorie heraus, – ich habe immer sehr viel auf Gönnerinnen gehalten und in jeder Garnison, wo ich war, immer ein paar im Vorrat gehabt. – Eine, die mir Pasteten und Kuchen backen mußte, eine, die mich mit Lektüre versorgte, und eine, der ich meine Geldsorgen und dummen Streiche beichtete – letztere freilich mit Auswahl, wie sich das von selbst versteht. Die Beichtgönnerin, oder Beichtmutter, wenn man mir den Ausdruck verstatten will, war übrigens in der sonst recht stattlich langen Reihe meiner Gönnerinnen nur ein einziges Mal vertreten. Denn zu solch einer Vertrauensrolle bei einem jungen, übermütigen Lieutenant, dazu gehört eine Person von Herz und Verstand nicht nur, sondern auch von einer gewissen Genialität – und derlei Leute wachsen nicht so oft am Wege. Diese also, meine einzige, erste und letzte Beichtmutter in Portemonnaie- und Herzensnöten hat mir zum Schluß ihrer ehrenvollen Laufbahn als Protektrice noch zu meinem Lebensglück verholfen – und den Streich danke ich ihr heute noch, wo die gute alte Seele längst nicht mehr auf Erden wandelt.

Das war noch ein Original,“ setzte der Major nachdenklich hinzu, „aber im besten Sinn des oft gebrauchten und noch öfter mißbrauchten Wortes! Ein baumlanges, knochiges Frauenzimmer, mit schon ziemlich angegrauten Haaren, die ihr etwas wirr um den Kopf saßen – mit einer tiefen Mannesstimme, die sich in Ernst und Scherz, im Sprechen und Lachen durch ihre herzhafte Lautheit wohl Gehör zu schaffen wußte – mit ein paar Händen wie die Wurfschaufeln und mit einem Gesicht, das wohl nie reizend genannt worden ist. Ein oberflächlicher Beurteiler wenigstens hätte es unbedingt so bezeichnet – ich und wohl jeder, der ihr nahe stand, fand sie nicht häßlich, denn aus dem grob geschnittenen und gefärbten Gesicht guckte so viel frische Herzensgüte und ein so kreuzfideler Sinn heraus, daß man bald aufhörte, sich zu fragen, ob sie die Nase anders in der Länge und den Mund anders in der Quere stehen habe wie sonstige Sterbliche. Ja, sie war bei ihren vorgeschrittenen Jahren so famos – so beneidenswert jung geblieben, daß man nie darüber nachdachte, wie alt sie eigentlich wäre, und bei ihr blindlings und mit Recht Verständnis und Humor für jede – mit Nachdruck sei’s gesagt! – harmlose Dummheit voraussetzte, eine Zuversicht, die mich wenigstens nie getäuscht hat. Kurz, um sie mit einem Wort zu charakterisieren, sie war eines der seltenen Frauenexemplare, die man mit Fug und Recht ‚einen netten Kerl‘ nennen kann.

Dies alte Fräulein – sie hieß Adelheid von Stettendorf – lebte in G..., wo ich damals als Lieutenant im xten Regiment stand. Wir hatten bald eine Verwandtschaft von Adams Gnaden herausklamüsert, und auf Grund und Rechnung dieser Verwandtschaft gewöhnte ich mir’s an, alle paar Tage nach ihrem netten Quartier hinaus zu gehen oder zu reiten, wie es Dienst und Zeit mit sich brachten, mir ein Frühstück auszubitten oder [81] der guten Dame in der Dämmerstunde zuzuhören, wenn sie auf ihrem heisern, alten Klavierchen spielte, was sie mit einer für ihre ganze Person merkwürdigen Zartheit zu thun verstand. Wie lebhaft erinnere ich mich noch jener Abendstunden! Sanft und leise überkam uns die Dämmerung, bis das rote Fünkchen an meiner Cigarre das einzige Sichtbare im Zimmer war, und dabei ließen sich, so gewissermaßen von unsichtbarer Hand gespielt, die einfachen, alten Melodien hören, die doch immer am sichersten den Weg zum Herzen finden. Ja, diese Stunden waren sehr hübsch – wirklich sehr hübsch! Man sieht, Fräulein von Stettendorf und ich waren mit der Zeit sehr gute Freunde geworden, wie dies manchmal mit jung und alt so gehen kann.

Ich war in dieser Zeit auch gerade recht auf solche Art Verkehr gestimmt und zugeschnitten, denn ich hatte mir aus meiner letzten Garnison eine beträchtliche Herzenswunde mitgebracht, die mich etwas irritierte, weil sie ganz und gar keine Anstalt machte, so schnell zu heilen, wie das derartige Wunden sonst bei mir zu thun in der Mode hatten. Zu dieser inneren Verfassung stimmte die dämmerige Klavierspielerei meiner alten Freundin sehr gut – es ließ sich dabei so hübsch von Dingen träumen, die gewesen waren, und die noch kommen sollten – oder doch kommen konnten.

Meine Gönnerin hatte natürlich in Andeutungen die ganze Geschichte mit anhören müssen, so weit man sie eine Geschichte zu nennen berechtigt ist.

Ich hatte ihr mit dem in solchen Fällen üblichen schmerzlichen Behagen erzählt, wie ich in meinem vorigen Anfenthaltsort eine junge Dame kennengelernt hätte, die sich der blondesten Zöpfe und der blauesten Augen auf diesem elenden Erdenball erfreute – wie mich das Schicksal mit militärischer Rücksichtslosigkeit fortgeschleudert, ehe ich mir die geringste Gewißheit, oder auch nur Ahnung hatte verschaffen können, ob ich in der Erinnerung der heimlich und öffentlich Angebeteten nur im geringsten figurierte. Denn das kleine Fräulein verstand es, sich eine verdammt kühle und undurchdringliche Miene wie eine zierliche Larve vor das reizende Gesicht zu halten – hatte auch ein so beträchtliches Gefolge von Freiern, daß der einzelne in diesem Kometenschweif nur wie ein sehr unbedeutendes Lichtfünkchen zu erscheinen berechtigt war – kurz, ich war mit einem Hasenherzen abgereist und wußte nicht, ob die Herrin meiner Gedanken dem Zuge, der mich von dannen führte, auch nur das kleinste Seufzerchen nachgeschickt hatte – ein sehr unbehaglicher Zustand für einen Mann von Gemüt!

Diese halt- und gestaltlose Liebesgeschichte hatte ich, wie gesagt – natürlich ohne einen Namen dabei zu nennen – meiner alten Freundin so nach und nach anvertraut, und sie kletterte zwar zeitweise ganz tapfer mit mir in den verschiedenen Etagen meines Luftschlosses umher, lachte mich aber noch öfter herzhaft aus ob meines Mangels an Selbstvertrauen. Zu meiner Rechtfertigung sei es gesagt, daß ein solcher Ueberfluß von Bescheidenheit wirklich nur in diesem einen Fall mein Fall war – im ganzen kann ich mit Stolz behaupten, daß ich für einen ganz unverschämten Bengel galt! Meine alte Freundin schüttelte denn auch kräftig den Kopf über die Angelegenheit und gab mir mehrfach zu bedenken, ob es denn nicht im Grunde eine große Thorheit sei, sein Herz einem solchen Prinzeßchen zu Füßen zu legen, welches sich am Ende nicht mal die Mühe nahm, es vom Boden aufzuheben. So standen die Sachen, als ich wieder einmal des Abends zu Fräulein von Stettendorf auf einen kurzen Augenblick hereinguckte. Ich fand sie an ihrem Lieblingsplatz, am Kaminfeuer, eben beschäftigt, einen Brief zu lesen. Sie nickte mir zu, ohne sich durch meinen Eintritt stören zu lassen, wie das eben so ihre Art war. Ich setzte mich ihr gegenüber, den Säbel zwischen den Knieen, die Hände darauf gestützt, und wartete, bis sie mit ihrer Lektüre zu Ende sein würde.

‚So!‘ sagte sie und legte den Brief säuberlich in seine Falten, ‚da bekomme ich Besuch ins Haus, und noch dazu einen, bei dem Sie mir als Adjutant helfen müssen, Rotenberg, die Tochter einer alten Jugendfreundin, die jetzt, mitten in der Saison, fort und zu mir auf die Weide geschickt wird, weil sie ein paar Körbe, und noch dazu ein paar recht unbegreifliche ausgeteilt hat. Ein Goldfischchen, lieber Sohn – ja, spitzen Sie nur die Ohren – und ein niedliches noch dazu! Das wäre am Ende eine homöopathische Medizin für Sie – na? wie denken Sie über die Sache?‘

Ich zuckte seelenvoll die Achseln. ‚Für mich ist Spiel und Tanz vorbei!‘ sagte ich mit dem Brustton des Besitzers einer unglücklichen Liebe.

‚Nur nicht elegisch!‘ erwiderte sie munter, ‚Sie wissen, das vertrag’ ich nicht in größeren Dosen. Na, sei dem, wie ihm wolle – – wenn Sie das nächste Mal herkommen, finden Sie etwas Junges und Hübsches am Kaminfeuer, und das müssen Sie mir unterhalten helfen – Vergnügungsprogramm entwerfen, Schlittschuh laufen, für Tänzer sorgen – kurz, was man so von einem Jüngling Ihres Alters und Aussehens ungefähr zu verlangen und zu erwarten berechtigt ist. Zum Glück haben wir ja den vielbesprochenen Maskenball in sicherer Aussicht, da kann mein junger Besuch gleich mit beiden Flügeln ins schönste Amüsement hinein flattern – und Sie flattern mit – nicht wahr, das thun Sie mir zuliebe?‘

Ich erklärte mich selbstverständlich für Wachs in ihren Händen und als solches widerstandslos bereit, mich zum Bärenführer für unbekannte Nichten oder Freundinnen umkneten zu lassen.

Mit einer Art von trotzigem Vergnügen oder vergnügtem Trotz ging ich wirklich an die Aufgabe, in der für mich insofern ein gewisser Reiz lag, als sich hier vielleicht eine Gelegenheit bot, mir selbst zu beweisen, daß ich nicht für alle junge Mädchen so ungefährlich sei, als ich es für die blonde Ines gewesen war, die mir so hartnäckig im Kopfe herumging.

Nach einiger Zeit erfuhr ich, das erwartete Fräulein sei eingetroffen, und beschloß, nun auch das meinige zu thun.

Ich legte meinen besten Ueberrock an, wichste mir den Schnurrbart höchst unternehmend in die Höhe und schickte mich an, so als Herzbrecher frisiert, mich zu meiner alten Gönnerin zu begeben. Wenn sich die Nichte nicht in mich verliebte und in dieser Empfindung genügend Amüsement und Zerstreuung für ihren Besuch bei der Tante fand – an mir sollte es wenigstens [82] nicht gelegen haben! Ein bißchen neugierig war ich nebenbei auch, wie das Goldfischchen aussehen möchte, das da so glitzernd auf der unbekannten Zukunftswelle angeschwommen kam – das Unbekannte hat ja für die Jugend immer einen besondern Zauber – kurz, die Sache ließ sich hoffnungsreich an!

Als ich so, gerüstet, gestiefelt und gespornt wie ein junger Ritter zu seiner ersten Waffenthat, ausziehe und die Anlagen herunter klirre, kommt mir eine junge Dame entgegen, mit ein paar Päckchen in der Hand und einem Veilchenstrauß im Knopfloch, das Näschen etwas hoch in die Luft gereckt. Ich denke denn doch, der Blitz schlägt vor mir ein: meine Angebetete aus M……. in eigenster, anmutigster Person!

Sie erkannte mich auch sofort, das sah ich, denn ein tiefes Rot der Ueberraschung schoß ihr in die Wangen. Aber diese Signalflagge der Herzensbefangenheit brauchte ich mir gar nicht zu meinen Gunsten zu deuten; sie wurde, wie ich erfahren und beobachtet hatte, für Freund und Feind, für ehemalige Lehrer und augenblickliche Tänzer aufgezogen, wie das so manche zarte Mädchengesichter an sich haben – sich selbst zum tiefen Verdruß – und andern Leuten zu Spaß und Vergnügen. Nun, in jedem Fall wurde sie rot und ich noch röter – alle meine Vorsätze und Absichten auf die Nichte der Tante zerschmolzen in dem Augenblick wie Schnee an den Strahlen der Märzsonne. Ich war mit zwei Schritten neben ihr, und ohne zu bedenken, wie sehr mein Verfahren gegen die hergebrachte Form verstieß, die es verbietet, eine junge Dame auf der Straße so mir nichts, dir nichts anzureden – ohne dies oder irgend sonst etwas zu bedenken, legte ich die Hand an die Mütze –

‚Mein gnädiges Fräulein – welch unerwartetes Vergnügen –‘

Aber sie – die Nase noch einen Zoll höher gereckt, sieht mich so recht von oben bis unten kühl und abweisend an.

‚Sie sind auch hier, Herr von Rotenberg? sehr nett!‘ sagt sie, neigt den Kopf, genau gerechnet um zweiundeinenhalben Centimeter, macht eine kleine Wendung auf dem spitzigen Absatz und dreht um – einfach um – wie man gar nicht „ummer“ drehen kann – und da stand ich, und dachte, wie das dem Normalmenschen in solchem Fall zukommt und gebührt: ‚Da hast du’s!‘

Ich sah dem schlanken, zierlichen Mädchen noch ein paar Augenblicke halb betäubt und ganz verdonnert nach, ich hatte wieder einmal die Empfindung, ein so recht hübsches kaltes Sturzbad über den Kopf bekommen zu haben, wie mir dergleichen von derselben niedlichen Hand schon öfter zu teil geworden war – und wenn das nicht immer angenehm ist, so kann es doch unter Umständen sehr zuträglich sein!

Man muß – jetzt, wo die schönen Tage von Aranjuez vorbei sind, kann ich’s ja wohl ruhig sagen! – man muß ein hübscher Bursche gewesen sein, einer, der im großen und ganzen ein ebenso unverdientes wie erfreuliches Glück bei Damen hatte, der sich vor Cotillonschleifen und -Orden auf den Bällen nicht zu lassen und zu fassen wußte – ein solcher Bursche mußte man sein, um zu empfinden, wie heimtückisch es das Schicksal manchmal einrichtet, daß gerade die eine, von der man gern ausgezeichnet sein oder der man doch wenigstens nicht unsympathisch sein möchte, was doch wirklich ein bescheidener Anspruch ist – daß gerade diese eine, sag’ ich, jedesmal zwei Grad unter Null gefriert, wenn man ihr zufällig oder absichtlich in die Nähe kommt.

Aber alles findet seine Grenze und der Mann hat seinen Stolz. Mir war nun genug widerfahren – oder ich glaubte es doch wenigstens – und ging im frischen Eindruck dieses Erlebnisses mit doppeltem Feuereifer daran, der unbekannten Nichte meiner Gönnerin zu hofieren.

Einen Tag oder zwei vor meiner unerwarteten Begegnung mit Ines war sie – die Nichte – angekommen; da war es ja immer noch Zeit, ihr einen Willkommensstrauß zu schicken. Ich bestellte denn einen, so groß wie ein Schulglobus für die Prima, und schickte ihn mit meiner Karte an Fräulein von Stettendorf – denn als ich adressieren wollte, fiel mir zu meiner Beschämung ein, daß ich mich nach dem Namen der Nichte noch gar nicht erkundigt hatte.

Ich schrieb daher auf die Karte ein paar gefühlvolle Worte von ‚aufgehender Sonne‘ und ‚ehrfurchtsvollster Begrüßung‘, die nicht undeutlich durchblicken ließen, daß ich gesonnen und gewillt sei, mich mit Leib und Leben für die nächste Zeit in den Dienst dieser Sonne zu stellen – ich schrieb, was wahrscheinlich sehr blödsinnig ausfiel, mir aber sehr wirkungsvoll vorkam. Ich sagte mich ferner auf derselbigen Karte zu demselbigen Abend an – kurz, ich wollte die Feindseligkeiten nun auch energisch eröffnen.

Die ganze Stadt war in diesen Tagen mit Vorbereitungen und Gedanken zu dem schon erwähnten Maskenball beschäftigt – alles that höchst geheimnisvoll, denn der Hauptspaß in der unter sich so genau bekannten Gesellschaft war, sich einmal möglichst unbekannt gegenüber zu treten und unter dieser Tarnkappe in Scherz und Ernst, in Huldigung oder leichter Bosheit sich allerlei zu sagen und merken zu lassen, was man im Alltagsleben für sich behielt.

Ich hatte mich noch gar nicht mit irgend welchen Gedanken in betreff meines Kostüms beschäftigt und, ehrlich gesagt, jetzt und heute den ganzen Maskentrubel so ein bißchen aus dem Sinn verloren – besonders bei dem unerwarteten Wiedersehen, das mir geworden war. Aber als ich an diesem Abend zu meiner alten Freundin kam, war dafür gesorgt, daß mir das betreffende Fest wieder nahe vor Augen gerückt wurde.

Das große Wohnzimmer bei Fräulein von Stettendorf war im ganzen ziemlich dämmerig, die Lampe, aufs Kamintischchen gerückt, gab nicht genug Licht, um alle Ecken zu erhellen. Als ich hereinkam, sah ich, selbst im Dunkeln stehend, die altbekannte Tante und die unbekannte Nichte in jenem hellerleuchteten Teil des Zimmers sitzen und einen ganzen Stoß Modebilder miteinander beaugenscheinigen, die Trachten von Anno dazumal Anna Domini, wie ein Freund von mir ganz unbefangen sagte, der diese Anna wahrscheinlich für eine Heilige hielt – also Trachten von Anno dazumal zu beaugenscheinigen, über die [83] so eifrig beraten wurde, daß mein Eintritt unbemerkt zu bleiben schien.

Die Nichte saß mit dem Rücken zu mir gewandt, aber ehe ich mir noch Zeit genommen hatte, mir die verwirrende Frage, ob wohl zwei Mädchen in Deutschland solche blonde Prachtzöpfe im Nacken trügen, mit einiger Deutlichkeit beantworten zu können, drehte die Eigentümerin der Zöpfe den Kopf – und da hatten wir die Bescherung!

Die Nichte und meine Prinzessin Ines waren ein und dieselbe, und der Blumenstrauß mit den überschwenglichen Redensarten, den ich heute abgeschickt hatte, stand preislich auf dem großen Sofatisch und war an die unrichtige, oder – wie man’s nehmen will – an die richtige Adresse gegangen!

Meine alte Freundin nickte mir zerstreut zu; Ines machte ihre mir nur zu wohl erinnerliche kleine Kopfneigung, und die Tante wollte mich eben vorstellen, als ich sie unterbrach: ‚Ich hatte schon in meiner vorigen Garnison die Ehre‘ – und mit ausgestreckter Hand, wie das damals eben erst Mode wurde, das Fräulein zu begrüßen gedachte.

Aber sie ließ die beiden Hände so schlapp an den Seiten des Kleides herunterhängen, als wüßte sie gar nicht, was sie mit diesen zierlichen Anhängseln eigentlich anzufangen habe, und sagte mit ihrer kühlen, klaren Stimme: ‚Danke sehr für die schönen Blumen, Herr von Rotenberg – es war sehr freundlich von Ihnen!‘ Die Tante sah starr und erstaunt von einem zum andern: ‚Was, ihr kennt euch schon? Und das hat mir keiner von euch gesagt?‘

Während ich den triftigen Grund, daß mir der Name des erwarteten Gastes nicht mitgeteilt worden sei, hervorbrachte, zuckte Ines nur in fluchtiger Verlegenheit die Achseln.

‚Es giebt ja mehrere des Namens in der Armee,‘ sagte sie – weiter nichts.

Inzwischen hatten die Tante und ich uns gegenseitig je einen Blick an den Kopf geworfen. Sie verstand sich vorzüglich auf diese Zeichensprache, und man kann es ihr nicht verdenken, wenn sie den ganzen Abend überaus pfiffig aussah und sich vorkam – ein Behagen, das ich ihr von Herzen gönnen konnte, wenn es mir auch leider versagt war, es mit ihr zu teilen.

‚Nun, und hier ist man schon in hochwichtigen Konferenzen mit der gütigen Fee Mode?‘ unterbrach ich endlich die beklommene Stille, die der ersten Begrüßung gefolgt war.

Aber Ines legte die Blätter, nach denen ich greifen wollte, rasch übereinander.

‚Das sind Damenangelegenheiten und Sie dürfen uns doch auf dem Ball nicht erkennen, Herr von Rotenberg,‘ sagte sie, nahm den ganzen Stoß Modebilder und ging damit hinaus.

Die Tante sah mich einen Augenblick sehr durchbohrend an, mit einem wahren ‚Röntgenblicke‘ würde ich sagen, wenn man von dergleichen damals schon gewußt hätte – und dann sagte sie, gewissermaßen als Antwort auf meine gänzlich ungesprochene Frage:

‚Ja, lieber Sohn, das ist eine eigene Sache! Das Prinzeßchen gefällt mir – gefällt mir sogar sehr gut; aber es ist ein kühles Nixchen, und ich habe in den drei Tagen erst ein einziges Mal Gelegenheit gehabt, mich über sie zu verwundern, was sonst, wenn ein achtzehnjähriges Mädchen drei Tage im Hause ist, eher und öfter zu passieren pflegt.‘

‚Und worüber haben Sie sich gewundert, gnädigste Tante?‘ frug ich – denn den Namen gab ich ihr schon lange.

‚Ueber den finstern Zug von – ich hätte beinahe gesagt, verächtlichem Zorn, mit dem unser Fräulein heut’ das Bouquet in Empfang nahm und den ich mir im Augenblick gar nicht – jetzt schon ein bißchen besser, und nicht zu Ihren Ungunsten – zu deuten verstand,‘ fuhr Fräulein von Stettendorf in fliegender Hast fort, immer den Blick nach der Thür, durch welche die Besprochene ja im nächsten Augenblick herein kommen konnte, ‚ich weiß nicht recht, wie ich mich ausdrücken soll.‘

,Das passiert Ihnen doch sonst nicht so leicht?‘ warf ich lachend dazwischen. – Sie drohte mir mit dem Finger.

‚Artig!‘ sagte sie, ‚aber wissen Sie, Rotenberg, ich hatte das Gefühl, als wenn sie – falls man so sagen kann – auf sich selber eifersüchtig wäre – auf die Unbekannte, der da ein so effektvoller und gefühlvoller Gruß wie eine Bombe vor die Füße geflogen kam. Denn als ich frug: ‚Nun, was sagst du denn zu meinem galanten Pflegesohn, dem Lieutenant von Rotenberg?‘ da erwiderte sie – abermals mit jenem Zuge, dessen ich vorhin erwähnte: ‚Er mag wohl eben ein solcher Allerweltscourmacher sein, daß er sich für eine unbekannte, junge Dame sofort begeistern kann – eben weil’s eine junge Dame ist – und‘‘ – das alte, gute Fräulein stockte.

‚Und?‘ drängte ich, ‚da sagte sie doch gewiß noch irgend eine Teufelei – ich sehe es Ihnen an, Tantchen! Es ist gewiß das beste, ich weiß ganz genau, woran ich bin!‘

‚Und,‘ fuhr die Tante widerwillig fort, „und solche Leute sind gar nicht mein Genre‘ – das sagte sie, wenn Sie’s denn durchaus wissen wollen! Und da erwiderte ich – halten Sie sich mal die Ohren zu, Kindchen! – ‚Sieh’ ihn dir nur erst an!‘ – freilich ohne zu wissen, daß das schon lange besorgt war!‘ In dem Augenblick und während ich noch zweifelhaft und ungewiß vor mich niedersah, kam Ines wieder herein.

Sie warf einen kurzen, etwas fragenden Blick von mir zur Tante, und von der Tante zu mir, und schritt auf den Samowar zu, um den Thee zu bereiten.

Alle solche kleineren Aemter und Pflichten hatte sie als zeitweilige Haustochter mit einer allerliebsten Selbstverständlichkeit übernommen, das sah ich sogleich. Sie verwaltete sie mit ihrer vornehmen, graziösen Ruhe, die mir, wirklich ohne meinen Willen, der sich nachgerade gegen die fortgesetzte schlechte Behandlung aufbäumte wie ein Pferdchen gegen den Zaum, doch wieder und wieder das Herz abstehlen wollte, so daß ich mich förmlich zwingen mußte, nach einer anderen Richtung zu sehen.

Ihr gelang das besser – überraschend gut, und in einer für meine Eitelkeit sehr heilsamen Weise – ja, ich hatte ab und zu die Empfindung, als ob ich ungefähr so durchsichtig sein müßte wie das ‚bestgeputzteste‘ Fensterglas – ich kann nicht sagen, daß das gerade etwas sehr Behagliches hat.

Und dieser Zustand blieb während der sämtlichen Tage, die noch vor dem Maskenball vergingen, in unveränderter Weise fortbestehen. Ich ging nach wie vor – vielleicht noch ein bischen öfter als vor – im Hause meiner lieben, alten Gönnerin ein und aus – ich besorgte Theaterbillets für uns alle drei – ich gähnte mir als Musikketzer in zwei Symphoniekonzerten beinah’ die Seele aus – ich las mit Feuer und dem Brustton der Ueberzeugung Riehls Novellen und dann ‚Die bezähmte Widerspenstige‘ vor, wobei ich mir an besonders bezüglichen Stellen einen kleinen Seitenblick auf die reizende Widerspenstige mir gegenüber gestattete, die sich zu meiner inneren Genugthuung dabei mehrfach [84] in die Finger stach und rot wurde – kurz, ich opferte mich auf dem Altar geselliger und ästhetischer Genüsse – aber ich kam anscheinend um keinen Schritt vorwärts.

Fräulein von Stettendorf, die ich nur in flüchtigen und seltenen Augenblicken allein sprechen konnte, half mir auch nicht auf die Sprünge – und wenn ich verzweifelt klagte: ‚Ich werde nicht klug aus der ganzen Sache,‘ dann erwiderte sie mir sehr entmutigend: ‚Ich auch nicht!‘ – was mir nicht viel helfen konnte. –

So kam der Maskenball näher und näher, und die Kostümangelegenheit blieb mir über der Herzensangelegenheit unentschieden. Es war mir wirklich und wahrhaftig gar nicht nach Verkleiden und Scherzen zu Sinn und ich ging ernstlich mit dem Gedanken um, am Ende die Sache ganz aufzugeben – entweder gar nicht oder in einem dunklen einfachen Domino auf den Ball zu gehen, um die Rolle des unbeachteten Zuschauers zu spielen, zu der ich überhaupt im Leben verurteilt zu sein schien.

Denn den Ausweg, den ein guter Freund von mir in solchem Maskendilemma ergriffen hatte, der unmaskiert mit einem Fünfzigthalerschein in der hochgehobenen Rechten auf einen Kostümball ging und infolgedessen von niemand erkannt wurde, da kein Mensch ihn jemals im Besitze von barem Gelde gesehen hatte – diesen Ausweg hätte ich freilich zeitweise auch ergreifen können, aber vielleicht gerade damals nicht – kurz, er war ausgeschlossen!

Ich wollte schließlich die ganze Maskenballangelegenheit davon abhängig machen, wie mich Ines in den letzten Tagen vor dem Feste behandeln würde. Denn fuhr sie fort, derartig gleichgültig und abweisend sich gegen mich zu verhalten, so hatte der Spaß überhaupt für mich keinen Sinn und ich fand besseres zu thun, als mich mit fremden, gleichgültigen Gänschen im Takte zu drehen, was mir ohnehin schon nach acht durchtanzten Wintern überdrüssig geworden war.

Wir hatten prachtvolle Schlittschuhbahn in jener Zeit, und ich stellte mich als Matador in dieser wie in manchen anderen brotlosen Künsten fleißig auf der Eisfläche ein. Ich hatte auch schon das Glück genossen, mit meiner blondgezopften Schönen dort herumzugleiten und sie im Stuhlschlitten zu schieben, was zu meiner Zeit eine beliebte Aufmerksamkeit war – jetzt freilich bald in umgekehrter Folge stattfinden wird, da es ja heute Mode ist, daß die jungen Damen die Cour machen und die Herren es herablassend entgegennehmen. Na, so weit waren wir eben damals noch nicht!

Bei diesen gemeinsamen Fahrten taute, trotz Kälte und Eis, der Gegenstand meiner Anbetung etwas auf – wir sprachen dann über alle möglichen Themata zwischen Himmel und Erde – über Bücher und Bilder, über Menschen, Welt und Leben – und unsere Ansichten stimmten so gut überein, ihre liebliche, heitere Verständigkeit war so überaus anziehend, daß ich mir sehr oft auf die Zunge beißen mußte, um sie nicht zu fragen, ob wir denn diese Uebereinstimmung und Sympathie nicht durch einen gemeinsamen Lebenslauf statt Schlittschuhlauf besiegeln wollten.

Aber es ging mir nicht über die Lippen, so oft ich einen Anlauf nahm. Ich hatte ja noch immer nicht die leiseste Veranlassung, den geringsten Schimmer von Recht, anzunehmen, daß ich ihr nicht völlig gleichgültig wäre – und ich meine, es gehört schon ein Geck erster Qualität dazu, einem Mädchen seinen Antrag zu machen, ehe er im geringsten gemerkt hat, was für ein Gesichtchen sie dazu ziehen wird.

So blieb denn vorläufig alles beim alten.

Ich hatte es bisher jeden Tag so einzurichten gewußt, daß ich mit Ines gleichzeitig auf dem Eise erschien, mit ihr ein halbes Stündchen auf und ab lief und dann gleichzeitig mit ihr den Schauplatz des Winterpläsirs verließ. Freilich mußte ich mich immer schon an der Treppe von ihr verabschieden, da sich das nicht anders geschickt hätte. Heute, am Tage vor dem vielbesprochenen Ball wartete ich nun schon geschlagene zehn Minuten auf meine Göttin, fuhr in meiner erwartungsvollen Verfassung eine kunstvolle ‚Acht‘ nach der andern, sah die blitzende Fläche spiegelblank und lockend vor mir liegen, und als noch fünf Minuten hingeschlichen waren, sagte ich mir, Ines werde wohl heute nicht kommen. Ich verbeugte mich frischweg vor einer niedlichen, schwarzäugigen Ratstochter, mit der es sich sehr nett plaudern ließ und die auch auf Schlittschuhen sich gewandt zu bewegen verstand. Surr! flogen wir Hand in Hand miteinander dahin – dazu wurde noch eben von der Stadtkapelle ein deliciöser Walzer intoniert – und die Sache war nicht ohne Reiz.

Es ist immer mein besonderes Pech gewesen, daß ich in meiner ganzen Art und Haltung etwas Hofierendes und Huldigendes gehabt habe – auch, wo ich es gar nicht wollte.

Zahllose Male hat man mir nach irgend einem sterblich ledernen Kommißpecco, auf dem ich alle zehn Minuten nach der Uhr sah und am Leben verzagen wollte, hinterher gesagt: ‚Na, Rotenberg, Sie haben aber wieder einmal flott die Cour geschnitten!‘ und meine Seele hatte nicht daran gedacht!

Daß man aber, wenn man mit einem hübschen Mädchen Schlittschuh läuft, sich fidel und lebhaft unterhält, daß man über nichts und wieder nichts ins Lachen kommt, das ist ja doch kein Unglück und kein Verbrechen – nicht wahr? Allein mir sollte es zum Verderben gereichen! Denn als ich mitten im muntersten Geplauder mit meiner kleinen Demoiselle bin und wir so recht wie zwei Schmetterlinge auf Stahlschuhen einhergaukeln und schaukeln, bei den Klängen der ‚Schönen blauen Donau‘, die damals Hauptwalzer war – da sehe ich plötzlich die großen Augen von Fräulein Ines so finster auf mich geheftet, daß ich einen förmlichen Schreck bekam und mir wirklich gar nicht zu erklären wußte, was ich denn eigentlich verbrochen hatte.

Die ungnädige Göttin schien eben erst gekommen zu sein. Sie hatte in einem der Stuhlschlitten Platz genommen und ein zerlumpter Kerl von mörderischem Ansehen, wie sie in meiner Jugend sich durch Schlittschuhanschnallen ihr Brot zu verdienen pflegten, kniete ritterlich vor ihr auf der Erde und befestigte ihre Stahlschuhe, die notabene so klein waren, daß sie hätten als Berloque an der Uhr getragen werden können.

Ich konnte doch nun nicht augenblicklich meine Partnerin abschütteln wie eine überreife Pflaume, ich mußte anstandshalber noch einmal mit ihr die Bahn herunter fahren; dann murmelte ich ein paar Worte vor mich hin, von denen ich hoffen will, daß sie sie besser verstanden hat als ich – und verabschiedete mich von der kleinen Schwarzäugigen, um Fräulein Ines mein ganz devotestes Kompliment zu machen und sie zu fragen, ob sie mir wohl die Ehre erzeigen wollte, mit mir zu fahren.

Aber siehe da – das Fräulein erwiderte nur kurz und kühl: ‚Ich danke sehr – ich fahre heute nicht!‘ winkte ihrem [85] ‚Straßenräuber‘ zum zweitenmal, ließ sich die Schlittschuhe wieder abschnallen, hing sie über den Arm, grüßte mich, der ich wie Lots Weib in Lieutenantsgestalt vor ihr stand, und schwebte ab. Na, das war ja recht deutlich, und eine nicht mißzuverstehende Antwort auf meinen schon öfter gehegten Wunsch, zu wissen, woran ich war!

Ich machte auch gar keinen Versuch, ihr zu folgen. Ich stand noch vielleicht zwei – drei Minuten und sah ihr nach; dann überlegte ich mir, daß das Festfrieren an die Schlittschuhbahn auch ein zweifelhaftes Vergnügen wäre, welches mir aber unzweifelhaft blühen würde, wenn ich hier noch sehr lange so regungslos stehen bliebe; ich schnallte ebenfalls ab und ging meiner Wege, mit dem Gefühl, nun aber wirklich und definitiv ‚genug‘ und mir den Appetit auf mehr gründlich verdorben zu haben.

Ich hatte mir an dem Morgen ein herrliches Fra Diavolokostüm für den Maskenball ausgesucht und im stillen schon die Möglichkeit erwogen, unter der Maske dieses eleganten Räubers einen Raubzug auf das kühle Herz meiner Schönen zu unternehmen, aber nun überlegte ich es mir anders und strich mit fester Hand den Maskenball von der Liste meiner Lebensfreuden. ‚Man darf sich auch nicht wegwerfen!‘ sagte ich auf der Straße so laut vor mich hin, daß sich ein paar Vorübergehende ganz erstaunt nach mir umsahen.

Der nächste Tag brachte mir so viel Dienst, daß ich kaum zur Besinnung kam, und erst gegen Abend fiel mir ein, daß ich ja wohl meiner alten Freundin von meinem veränderten Entschluß Mitteilung machen müsse, da sie sich gewöhnlich bei gesellschaftlichen Veranstaltungen auf mich und meine Kommandostimme zum Herbeirufen ihrer Droschke und zu ähnlichen Ritterdiensten verließ und verlassen hatte. Ich begab mich also zu ihr und fand sie allein im Wohnzimmer, sehr behaglich und im entschiedenen Genuß des Dämmerstündchens – auf Ballabsichten deuteten im Augenblick noch keine Anzeichen.

‚Ich störe hoffentlich nicht bei den Vorbereitungen zur Toilette?‘ begann ich etwas steif im Eintreten.

Die gute, alte Dame lachte mich vergnügt an.

‚Nein, Rotenberg, ich will Ihnen sogar eine kleine Perfidie von mir verraten – ich gehe gar nicht auf den Ball! Meine Pflegebefohlene habe ich der Generalin Massenburg anvertraut und ihr versprochen, nachzukommen, wenn mir besser würde. Ich hatte nämlich ein bißchen Kopfweh, das ich zum Vorwand nahm; denn es war mir eigentlich von Hause aus nicht recht ernst damit, auf den Maskenball zu gehen, trotzdem ich schon ein herrliches Hexengewand samt Larve und Haube dort auf dem Stuhl liegen habe – um Kinder fürchten zu machen, sage ich Ihnen! Aber ich finde wenig Geschmack daran, wenn alte Leute, denen von Rechts wegen schon der Kopf wackeln sollte, sich noch zu Hanswürsten hergeben – es geht mir gegen den Strich! Die kleine Ines, die übrigens als Watteauschäferin – das sei Ihnen verraten – zum Kopfverdrehen reizend aussieht, ist schon zu Massenburgs gefahren, und wenn ich nicht nachkomme, was ich natürlich nicht thue, will Frau von Massenburg sie mit nach Hause nehmen und bei sich logieren – da habe ich meine ungestörte Nachtruhe. So viel Talent zur Intrigue haben Sie mir wohl gar nicht zugetraut? – Aber Sie?‘ fuhr die alte Dame dann lebhaft fort und faßte mich am Aermel, ‚Sie? warum sind Sie denn noch nicht als Figaro oder Faust oder sonst was dergleichen drapiert? Wollen Sie wohl machen, daß Sie fortkommen?‘

‚Lieber nicht!‘ erwiderte ich mit erzwungenem Lachen, ‚wenn Sie mich hier behalten mögen, gnädigste Tante, dann bleibe ich bei Ihnen – ich habe den Maskenball in den Schornstein geschrieben.‘

Die Tante richtete sich auf und sah mich mit ihren klugen Augen eine ganze Weile an.

‚Und warum?‘ frug sie langsam.

‚Aus einem sehr persönlichen Vernunftsgrunde,‘ sagte ich und versuchte möglichst leicht zu sprechen; ‚wenn ich als Kind einen Kuchen nicht bekommen sollte, ging ich an dem Konditorladen nicht unnütz vorbei, wo er im Schaufenster stand. Nun, ich habe mich jetzt überzeugt, daß ich den Kuchen, den ich gerne hätte, auch nicht bekommen soll – wozu führt es da, wenn ich mich ihm den ganzen Abend gegenübersetze? Nein, man muß einmal einen Strich machen können, und dazu ist der heutige Tag ein ebenso geeigneter Zeitpunkt wie jeder andere.‘

Die alte Dame schwieg eine Weile und sah nachdenklich ins Feuer.

‚Wissen Sie, Rotenberg,‘ sagte sie dann, ‚ich wäre jetzt sehr froh – wirklich sehr! – wenn ich aus voller Ueberzeugung sagen könnte: Sie machen sich Hirngespinste um nichts und wieder nichts, Sie haben alle Chancen bei der Kleinen, und so weiter, und so weiter, was man so gern sagt und gern hört; aber ich gestehe Ihnen ganz ehrlich, ich weiß selber nicht, was ich von dem niedlichen Persönchen und seiner Herzensverfassung halten soll. Daß es in dieser Hinsicht nicht ganz richtig bei ihr ist, darauf will ich schwören – sie hat öfter rotgeweinte Augen und seufzt manchmal über ihrer Stickerei, trotz dem besten Blasebalg. Aber ob Sie dahinter stecken, alter Sohn, oder ein anderer – das weiß ich nicht! Es ist ein ganz sonderbares kleines Mädchen,‘ fuhr die Alte sinnend fort, ‚sie verrät sich nicht und nie, und ich, die ich sonst die geborene und geschworene Vertraute in allen Herzensaffairen bin, ich kriege keinen Ton heraus, wie die Sachen stehen. Eins muß ich Ihnen sagen: daß Sie heute nicht auf den Ball gehen wollen, das ist dumm von Ihnen! Denn auf einem Maskenfest, wo alles so ein bißchen über sich selbst hinaus ist, da gehen auch verschlossene Herzensthüren hin und wieder ein [86] Spältchen weit auf, und Sie können vielleicht mehr sehen, als Sie denken!‘

‚Und mehr, als mir erwünscht ist!‘ warf ich finster hin.

‚Und wenn es so ist, dann ist auch das ganz gut,‘ sagte die Alte in ihrer resoluten Art. ‚Dann wissen Sie, woran Sie sind – Klarheit über alles – Sie wissen, das ist mein Lebensmotto und soll heute abend auch das Ihrige sein! Gehen Sie nur, lieber Sohn, so eine Herrentoilette dauert ja nicht ewig und drei Tage – putzen Sie sich möglichst bethörend an und versuchen Sie Ihr Heil! Nützt’s nichts, so schadet’s auch nichts – die Sache sitzt Ihnen nun doch mal tiefer, als ich gedacht habe – na – wird’s?‘

Ich zögerte.

‚Es ist unmöglich!‘ sagte ich dann, ‚ich habe heute mittag dem Schneider sagen lassen, ich brauchte meinen Fra Diavoloanzug heute abend nicht – er könnte andere, dringendere Arbeit dafür fertig machen, da ich den Ball aufgegeben hätte – ich habe also gar kein Kostüm!‘

Die alte Dame sprang lebhaft auf.

‚Dann nehmen Sie das meinige – gehen Sie als Hexe, Rotenberg, das ist ja ein Hauptspaß! Niemand vermutet Sie hinter der unkleidsamen Maske – viel kleiner als Sie bin ich auch nicht – und denken Sie mal, was Sie für Beobachtungen machen können! Das ist ja eine famose Idee – das thun wir!‘

Ich stand unschlüssig – der Gedanke lockte mich denn doch, gerade um seiner Abenteuerlichkeit willen; ich war so recht in der innerlichen Verfassung, wo man gern mal va banque um den Augenblick spielt – und Fräulein von Stettendorf ließ mir auch gar keine Zeit, mich sehr zu besinnen. Sie hing mir ihr Hexenkostüm über den Arm, schob mich in die Thür ihres Toilettenzimmers, und als ich nach Ablauf einer geraumen Zeit, deren ich bedurft hatte, um mich in den ungewohnten Gewändern und ihrem Faltenwurf zurecht zu finden, verwandelt und unkenntlich wieder heraustrat, legte sie mit grenzenlosem Amüsement die letzte Hand an meine Verkleidung und versteckte meinen stolzen Schnurrbart unter der Larve einer alten braven Hexe, wie sie nicht schauderhafter hätte gedacht werden können.

Ueberredet, gepufft, belustigt und verwirrt, fand ich mich eigentlich erst ganz bei Bewußtsein wieder, als ich schon im Ballsaal stand und mich von der bunten, unkenntlichen, im Maskenfalsett durcheinander zwitschernden Gesellschaft umringt fand, die zuerst – auf mich wenigstens – immer einen fast unheimlichen Eindruck macht. Ich spähte unter den ausdruckslosen Larven vergeblich nach meiner Watteauschäferin, stand als schweigsame, verstimmte Hexe an einem Pfeiler und ließ den vielfarbigen Strom der Menschen an mir vorbeitreiben.

Ich war schon reichlich spät gekommen und eine laute, lärmende Lustigkeit hatte in der Gesellschaft Platz gegriffen, wie sie sonst in unseren Kreisen kaum zum Ausdruck zu kommen pflegte.

Plötzlich sagt ein liebes, bekanntes Stimmchen hinter mir: ‚Tante, gute Tante – so bist du doch gekommen! Ach, mir war schon so ungemütlich unter den vielen, fremden Leuten – wie reizend, daß du da bist!‘

Und eine kleine Hand berührte meine Schulter, während ich unwillkürlich wie ein ertappter Verbrecher zusammenfuhr.

‚Ist dir denn besser geworden?‘ fuhr Ines fort, in einem so liebevollen Ton, daß mir ganz heiß ums Herz wurde, ‚es ist rührend, daß du noch gekommen bist, Tantchen, nun bleibe ich aber auch bei dir!‘

Ich versuchte meine Stimme zu einem möglichst lieblichen Quiekslaut herab zu stimmen, fand es aber bei näherer Ueberlegung ratsam, in den allgemeinen Fistelton überzugehen, in dem ich mich am sichersten fühlte.

‚Es ist wohl besser wir sprechen so!‘ piepste ich verlegen, der direkten Anrede vorsichtig ausweichend, ‚die Leute dürfen doch nicht merken, daß wir zusammengehören und meine Stimme ist so bekannt!‘

Sie nickte eifrig.

‚Ja, ja, du hast gewiß recht -aber ich kann, glaube ich, ruhig sprechen, wie ich will, mich kennt ja hier niemand! Es ist überhaupt kein Mensch hier,‘ fuhr sie in schmollendem Ton fort – eine Feststellung, die angesichts der etwa zweihundert Personen im Saal sehr komisch klang – ‚den Lieutenant von Rotenberg habe ich auch noch gar nicht entdecken können – er ist gewiß nicht gekommen,‘ setzte sie leise hinzu.

‚Doch – der ist hier!‘ gab ich, immer im selben Ton, zurück, ‚dort drüben steht er ja – der italienische Räuber!‘

Der?‘ gab Ines im Ton einer für mich sehr schmeichelhaften Empörung zurück, ‚ach kein Gedanke, Tantchen! – der ist lange nicht so elegant! Nein, nein, zu verkennen ist Rotenberg nicht, er sieht doch immer am besten aus – findest du nicht auch?‘

Peinliche Frage – und peinlichere Situation. Ich kämpfte einen wahrhaft mörderischen Kampf zwischen Liebe und Pflicht – sollte ich mich jetzt demaskieren und allen weiteren Vertrauensergüssen erfolgreich vorbeugen, oder sollte ich diese Gelegenheit ergreifen, die sich mir vielleicht – nein, höchstwahrscheinlich – nie wieder bot, um einmal ins klare zu kommen, wie ich eigentlich beurteilt wurde. – Ich kämpfte, wie gesagt, wie der Ritter mit dem Drachen, aber der Drache – vulgo die Wißbegier und der Egoismus – siegte, ich blieb Tante und piepste weiter.

‚Nun, daß er dir so gut gefällt, läßt du aber für gewöhnlich nicht merken,‘ sagte ich in möglichst unbefangenem Ton, so weit man unbefangen fistulieren kann.

Sie schwieg einen Augenblick.

‚Nein!‘ sagte sie dann ehrlich, ‚das weiß ich wohl. Aber du kannst dir nicht denken, wie ich mich manchmal über ihn ärgere. Ich weiß nicht, Tantchen – ich glaube, ich könnte dir heute abend mal alles sagen – ich komme mir so versteckt und sicher unter der Maske vor – bitte, laß dir’s mal sagen!‘

Ich Scheusal – ich Ungeheuer! Jetzt wäre doch der Augenblick gewesen, diesem rührenden Stimmchen, dieser auf den Lippen zitternden Beichte gegenüber zu sagen, wer ich war; aber ich konnte nicht – ich brachte nur ein mühseliges, von Rührung und Erwartung halb ersticktes ‚Na?‘ hervor und das schien zu genügen.

Wir hatten inzwischen in einer Fensternische, vom Fenstervorhang halb verdeckt, Platz genommen, ein Beichtstuhl, wie er besser nicht gedacht werden konnte.

‚Siehst du,‘ begann das Mädchen mit leiser Stimme, ‚er gefällt mir wirklich sehr gut – riesig! – nein, wirklich, Tantchen – ich finde ihn so furchtbar nett – aber es ärgert mich so grenzenlos, daß er immer jedem jungen Mädchen den Hof macht.‘

‚Aber das thut er doch gar nicht!‘ quiekste ich verzweifelt, im Bewußtsein meiner Unschuld.

‚Ja doch – und doch – und doch! Was brauchte er damals gleich den Strauß zu dir zu schicken, ehe er eine Ahnung hatte, wer die Nichte überhaupt war? Und mit diesem schwülstigen Brief – zu arg!‘

‚Aber das war doch nur eine Aufmerksamkeit für mich,‘ verteidigte ich mich mit Wärme.

‚Ach, er macht es ja immer so,‘ sagte Ines zornig, ‚gestern auf der Schlittschuhbahn schnitt er wieder einem ganz unterirdischen, kleinen Geschöpf die Cour – wie toll – er sah mich überhaupt nicht, sag’ ich dir – einfach großartig war es! Und wenn ich dann mit ihm zusammen bin, ärgere ich mich so, daß ich gar nicht anders kann, als grenzenlos unfreundlich gegen ihn sein. Von Natur bin ich es ja wirklich nicht – nicht wahr, Tantchen, das weißt du doch?‘

Und die kleine Hand stahl sich in meine – ich zitterte, daß das Kaliber mich verraten möchte, und wagte nicht den arglosen Händedruck zu erwidern.

‚Ach Tantchen,‘ fuhr Ines nach einer Pause stockend fort, ‚sei nicht böse – aber bitte, sprich jetzt nicht so hoch – es klingt so komisch – es paßt so gar nicht zu dem, was wir zu sagen haben und was doch so ernsthaft ist – sprich in deinem guten, alten Ton – das wäre mir viel gemütlicher!‘

Na, das war ja eine erfreuliche Zumutung! Ich hörte mich in dem Augenblick in meinem ‚guten, alten Ton‘, meinem Brüllbaß vom Exerzierplatz sprechen – das hätte etwas Hübsches gegeben! Also meine letzte Zuflucht – die Piepstimme war mir genommen – da konnte ich mir ja ebensogut [87] gleich die Larve abnehmen – das war nun schon ‚ein Aufwaschen‘, wie das der Volksmund ausdrückt.

Ich griff verzweifelt zu einem letzten Ausweg.

Vorsichtig schielte ich umher – dann begann ich tonlos zu flüstern – ein Talent, welches ich erst in jener sauren Angststunde an mir entdeckte.

‚Wie gewöhnlich kann ich nicht sprechen‘ hauchte ich zart, ‚das hört am Ende ein Bekannter in unserer Nähe – sieh mal, der Andalusier dort spitzt ohnehin schon die Ohren nach uns – aber so leise flüstern, das geht, und flüstern kann man auch die ernsthaftesten Dinge!‘

Sie dachte einen Augenblick nach.

‚Du hast vielleicht nicht unrecht,‘ sagte sie mit einem leichten Seufzer, ‚und nun sage mir einmal, Tantchen – aber auf dein Wort, glaubst du, daß –‘ Sie verstummte und nahm die Larve ab, als wenn es ihr darunter zu heiß wäre – dann wendete sie das reizende, ernsthafte Gesicht seitwärts und sah sinnend vor sich hin.

‚Daß?‘ wiederholte ich unbarmherzig und stellte mich dumm – nun war meine Stunde gekommen!

‚Daß er mich ein bißchen gern mag?‘ brachte sie stockend und mühselig hervor und schlug die Hände vors Gesicht, ‚trotz der vielen Courmachereien bei anderen Leuten – glaubst du’s, Tantchen?‘

Daß ich in diesem Augenblick nicht von meiner ‚guten, alten‘ Stimme Gebrauch machte und ein so donnerndes ‚Ja und dreimal Ja!‘ in den Saal hinein schmetterte, daß die Fensterscheiben klirrten, das habe ich mir durch mein ganzes Leben sehr hoch angerechnet. Aber ich bezwang mich, so schwer es mir wurde. Ich dachte mir: heute ist vielleicht das erste und letzte Mal, daß du ihr eine Strafpredigt halten kannst – was mit der Wirklichkeit ungefähr übereingestimmt hat – und ich begann im lehrhaften Flüsterton, so zart und leise wie der Südwind, der durch die Wipfel streicht, eine wohlgesetzte Rede.

‚Nun, mein Kind,‘ zischelte ich so recht tantenhaft, tonlos und würdig, ‚du machst dir wirklich unnötige Gedanken. Der junge Mensch – er mag ja ein Windbeutel sein‘ – (mir blutete das Herz bei dem Zugeständnis!) ‚ich halte ihn nicht dafür!‘ (nein, das that ich wirklich nicht, ich protestierte immer in Gedanken gegen mich selbst, wenn ich mich so schlecht machte) – ‚aber du mußt dir nun darüber klar werden, was du eigentlich willst. Er liebt dich – er hat es mir selbst unzählige Male gesagt.‘ –

‚Tante!‘ rief Ines atemlos und sprang auf.

Ich zog sie wieder auf ihren Platz zurück.

‚Aber er wird sich entschieden nicht mehr lange so schlecht behandeln lassen,‘ fuhr ich strafend fort, ‚du siehst, er ist heute abend auch nicht auf den Ball gekommen – wenn er nun etwa ganz fortbleibt – bedenke mal!‘

Sie hing das Köpfchen unter dem rosa Schäferhut und erwiderte kein Wort. Und ich konnte auch nicht mehr flüstern – mir war die Kehle wie ausgedörrt, ich stützte den Kopf in die Hand und gab mir das Ansehen, als dächte ich tief und schmerzlich über die verwickelte Situation nach.

‚Ach, du hast gewiß wieder stärkeres Kopfweh, liebe, gute Tante,‘ sagte Ines zärtlich und besorgt, ‚und ich bin ein solcher greulicher Egoist und klage dir hier mein Leid vor – wollen wir nicht nach Hause fahren? Ich bin freilich noch zum Souper und den dummen Tänzen allen engagiert – aber ich führe so schrecklich gern mit dir – mir ist der ganze Ball verleidet!‘

Ich erschrak nicht schlecht bei diesem Vorschlag, der mein mühsam bewahrtes Inkognito rettungslos zu vernichten drohte.

‚Nein, du bleibst!‘ sagte ich mit Autorität, ‚es wäre unfreundlich, wenn du so mit polnischem Abschied auf und davon gingst. Komm’ jetzt zu Frau von Massenburg und morgen früh zu mir, da wird sich alles aufklären. Daß du dann aber auch nett zu Rotenberg bist!‘ säuselte ich noch drohend, ‚man darf die Saiten nicht zu straff spannen!‘

Sie war sehr nachdenklich geworden und ließ sich wortlos – was mir zu großer Befriedigung gereichte! – zu ihrer Beschützerin führen, der ich, nun wieder piepsend – nach dem Prinzip ‚So eine Mumie will doch mal eine Abwechslung haben‘ – meine Gründe für das Verlassen des Balles mitteilte. Dann aber sprang ich, selig wie der König eines schuldenfreien Reiches, meiner weiblichen Würde und Kleidung nicht achtend, die Treppe hinunter, riß mir die Larve vom Gesicht und warf mich in eine Droschke und fuhr rücksichtslos, wozu Liebe und Glück im Anfangsstadium ja zu machen pflegen, im Jagdgalopp nach dem Hause meiner alten, braven Freundin, um ihr mein übervolles Herz auszuschütten.

Das Schicksal wollte mir anscheinend auch weiterhin wohl: es brannte noch Licht oben in dem behaglichen Wohnzimmer, und so riß ich, im Vollgefühl meines guten Rechtes, mit allen Sorgen und Freuden zu der lieben alten Dame zu kommen, kräftig an der Klingel – kräftiger, als ich es eigentlich selbstbeabsichtigt hatte, denn es gellte nur so durch das nächtlich stille Haus – es war ja mittlerweile halb elf Uhr geworden.

Das Mädchen erschien mit verschlafenen Augen und sichtlich gesträubten Federn. ‚Gnädiges Fräulein gehen eben zur Ruhe!‘ bemerkte sie mit giftiger Betonung der Ruhe, die ich so schonungslos unterbrochen hatte. Sie musterte dabei meine hexenhafte Persönlichkeit mit unverkennbarem Hohn und schien nicht geneigt, mich zu melden.

‚Ich lasse bitten, das gnädige Fräulein möchte mich nur einen einzigen Augenblick empfangen,‘ drängte ich, ‚sagen Sie, in höchst wichtiger Angelegenheit.‘

Und ein Thaler, dieser Märchentalisman aller Zeiten, glitt in die Hand der mürrischen Zofe, die sich sofort zum sanften Engel verklärte und auf ihren so rapid gewachsenen Engelsflügeln davonflog. – Nach einigen Augenblicken des Parlamentierens wurde ich ins Wohnzimmer gelassen und stand, vor Ungeduld im Galopptempo mit dem Fuß wippend, am Kamin, in dem eben die letzten Funken träge und schlaftrunken durch die Asche krochen.

‚Die Tante putzt sich wohl anderthalb Stunden,‘ dachte ich ingrimmig, als die Sekundenuhr gerade zweimal um ihre kleine Bahn getrippelt war. Da ging die Thür auf, die Tante trat ein – ich wollte sie gerade mit einer Flut von Entschuldigungen und Erklärungen bestürmen, aber sie ließ mich gar nicht zu Worte kommen, sie sah mich einen Augenblick starr und entgeistert an [90] und brach dann in ein homerisches, unauslöschliches Gelächter aus, mit einer so fürchterlichen Stimme, daß ich selbst in diesem eilfertigen und hochwichtigen Augenblick nicht umhin konnte, mir zu sagen, ich hätte mir mein Flüstern und Quieken auf dem Ball sehr gut sparen können, denn meine gute Tante – mein netter, alter Kerl – hatte doch eigentlich ein Organ wie ein tüchtiger Wachtmeister!

Was sie eigentlich so belustigte, darüber war ich mir in meiner über mich selbst gehobenen Verfassung grenzenloser, freudiger, zitternder Erregung nicht klar. Als sie aber gar nicht aufhörte mit Lachen und nur mit schmerzlich verzogenem Gesicht sich immer wieder die Lachthränen trocknete, wurde ich begreiflicherweise ärgerlich. ‚Mas lachen Sie denn eigentlich ohne Aufhören, Tante?‘ frug ich in etwas unwirschem Ton.

‚Nun,‘ sagte das Fräulein und machte einen allerdings ziemlich fruchtlosen Versuch, sich zu fassen, ‚wenn Sie sich sehen könnten, lieber Sohn, wie Sie mit der weißen Haube und dem großen Schnurrbart aussehen – wenn Sie sich so sehen könnten, und dann nicht lachten, dann würde ich Ihnen sofort die Thür weisen, denn Leute ohne Sinn für einen lächerlichen Anblick kann ich nicht brauchen!‘

‚Ich danke bestens!‘ erwiderte ich gereizt, ‚lächerlicher Anblick – niedlich!‘

‚Nun aber zur Sache!‘ fuhr die Tante, ungerührt durch meinen gerechten Unwillen, fort, ‚was wollen Sie eigentlich zur mitternächtigen Stunde von mir, daß Sie so klingeln, als wenn das Haus in Flammen stünde?‘

Ich trat einen Schritt näher.

‚Tante,‘ sagte ich tiefbewegt, ‚Tante – Ines liebt mich – sie hat mich in Ihrer Verkleidung für Sie gehalten, und ich habe sie nicht enttäuscht – sie hat mir ahnungslos ihre Liebe gestanden – Tante – Tante!‘

Zu meinem Entsetzen winkte die Tante unter erneutem, erstickendem Gelächter als einzige Erwiderung abwehrend mit der Hand.

‚Drehen Sie sich um! Drehen Sie sich ganz weg – oder nehmen Sie wenigstens die Haube ab!‘ stöhnte sie; ‚wenn Sie mit der Haube und dem Schnurrbart gefühlvoll werden, das überlebe ich nicht!‘

Ein neuer Lachkrampf schüttelte meine Gönnerin, die ich in dem Augenblick am liebsten selbst geschüttelt hätte, trotz aller Liebe und Hochachtung.

‚Zum Teufel die Haube!‘ rief ich, riß mir das unselige Gebäude vom Kopf und schleuderte es voll Abscheu in eine Ecke, ‚also noch einmal, Tante: Ines liebt mich!‘

‚Na,‘ sagte die Tante herzlos, ‚das thut sie hoffentlich morgen vormittag auch noch – dazu hätten Sie mich nicht aus dem Schlaf zu klingeln brauchen. Wenn ich denke, daß ich so viel intriguiert habe, um mir eine ruhige Nacht zu verschaffen – und das ist die Folge!‘ setzte sie mit wehmütigem Kopfschütteln hinzu.

‚Verzeihen Sie mir, Tantchen,‘ rief ich ungeduldig und reuevoll, da mir meine Rücksichtslosigkeit nun erst klar wurde, ‚ich sehe ja alles selbst ein, aber was soll ich nun thun?‘

Ich ging hastig und aufgeregt in der Stube auf und ab, die Tante sah mir mißtrauisch nach; als ich mich aber verzweifelt in einen Sessel warf, stellte sie sich energisch vor mich hin.

‚Nein, lieber Freund, nein,‘ sagte sie mit Nachdruck, ‚hier stundenlang über einem Entschluß brüten, das, bitte, besorgen Sie zu Hause! Ich bin Ihnen herzlich gut – aber die Nacht bei Ihnen zu wachen, weil Sie sich verliebt haben – das können Sie nicht verlangen, so weit geht meine Freundschaft nicht!‘ Bei mir überwog jetzt auch der Humor die Ratlosigkeit – ich küßte der alten braven Dame lachend die Hand.

‚Sie haben vollkommen recht, liebste Tante, und Sie sollen jetzt auch gleich Ihre Ruhe haben. Aber zunächst seien Sie noch einmal, wie schon so oft, die klügste, beste Ratgeberin unter der Sonne für Ihren Nichtsnutz von Pflegesohn: sagen Sie mir, wie soll ich meinen Vorteil weiter verfolgen? Sie wissen am besten, wie schwer ich ihn mir errungen habe!‘

‚Und nicht einmal redlich,‘ erwiderte die Tante vergnügt. ‚Aber so gefallen Sie mir viel besser,‘ setzte sie erleichtert hinzu, ‚auf dem Kothurn sind Sie wirklich gar nicht nett, Rotenberg! Nun will ich Ihnen auch einen vernünftigen Vorschlag machen. Jetzt ist es bald elf Uhr – Sie haben noch ungefähr zweiundeinehalbe Stunde Zeit, denn so lange wird, aller menschlichen Berechnung nach, der Greuel auf dem Maskenball noch dauern. Fahren – jagen – rasen Sie in die Maskengeschäfte – in die Theatergarderobe – klingeln Sie die Leute heraus – darin haben Sie ja heute Routine –‘

‚Tante!‘ sagte ich bittend.

‚Na, etwa nicht?‘ gab sie kaltblütig zurück, ‚besorgen Sie sich einen feinen Maskenanzug – Carlos, Rinaldo Rinaldini, Harlekin – was Sie wollen und was Sie kriegen können – das wird wohl das Entscheidende bei der Frage werden – dann rasen Sie wieder auf den Ball zurück, schmieden das Eisen, so lange es heiß ist – und wenn es irgend angeht, verloben Sie sich noch vor dem Schlußkaffee. Aber holen Sie sich meinen aufrichtigen und herzlichen Glückwunsch nicht etwa morgen früh um vier, sondern frühestens mittags um zwölf – und nun – fort – weg! ich sehe Sie schon nicht mehr!‘

Und die Thür schloß sich hinter mir, während ein kräftiges: ‚Na, gottlob, fort ist er,‘ mir als Segensspruch der Tante nachtönte und mich noch auf der eiligen Fahrt erheiterte, die ich nun durch die Maskengeschäfte der Stadt antrat.

Verwünscht, angeknurrt, mehrfach fast hinausgeworfen, um Unsummen Geldes geprellt, fand ich mich endlich als Spanier wieder, ‚stolz, wie man ihn liebt‘, und will nun von der sich abspielenden Liebeserklärung nichts weiter sagen, als daß sie glückte – was ja unbedingt die Hauptsache ist. Das freudige Erschrecken, welches Ines’ Gesichtchen bei meinem Anblick zur Schau trug – man hatte sich inzwischen demaskiert –, der so ungewohnt weiche, vorwurfsvolle Ton der Frage: ‚Aber wo waren Sie denn den ganzen Abend?‘, alles dies gab eine famose Einleitung für meine Absichten und Wünsche, so daß wir noch vor [91] Beendigung des Blumenwalzers – damals Cotillon benannt – einig und glückselig waren!

Die Frage meiner kleinen Braut: ‚Aber wie sind Sie denn so rasch zu dem Entschluß gekommen?‘ denn das Du fand sie an diesem ersten Abend noch absolut unmöglich und unerhört für den eigenen Gebrauch – mir wurde es gar nicht sauer, ich bin immer ein talentvoller Mensch gewesen! – diese Frage also überhörte ich geflissentlich und etwas beschämt. Daß ich in diesen unvergleichlichen Stunden noch manche andere, innerlich gestellte Frage meines Gewissens überhören und übertäuben mußte, das war der einzige bittere Wermutstropfen in meinem Glücksbecher. Ich kam mir vor wie ein Dieb, der den Schatz, den er nicht auf ehrliche Weise erringen konnte, auf listigen Umwegen an sich gebracht hat, und das war ein peinliches Gefühl für einen anständigen Kerl.

Aber ich ertränkte die Gewissensstimme für den Augenblick erfolgreich in Glück und Sekt, und als ich am späten Abend, oder besser frühen Morgen, den Kopf aufs Kissen legte, da wußte ich, daß ich einer der fröhlichsten und zufriedensten Menschen auf Gottes Erdboden sei – und das Gefühl ist gar nicht zu verachten!

Am nächsten Morgen flutete dies Glücksgefühl mit der neuen Kraft des jungen Tages wieder neu auf mich ein – ich hielt es nicht im Hause aus, ich fuhr vom ‚Blumenschmidt‘ zum Goldschmied, dann tobte ich zwecklos in den Straßen umher, bis ich mit einiger Wahrscheinlichkeit annehmen konnte, daß Ines den Ball ausgeschlafen habe und sich wieder bei der Tante befände. Dann sprang ich die Treppe hinauf, als wenn sie nur eine Stufe hätte, und verlebte den Tag in einem wahren Taumel von Lustigkeit und Behagen.

Am nächsten Tage sollte nun Ines nach Hause reisen und ich ihr mit einem etwas späteren Zuge folgen, um ihren Eltern meine Herzenswünsche vorzutragen. Am Abend aber, an diesem ersten und letzten des Beisammenseins vor der offiziellen Aussprache mit den Autoritäten, saßen wir bei unserer alten, lieben Tante Stettendorf so recht vergnügt um die Bowle exquisitesten Punsches, wie ihn die Tante und sonst niemand zu brauen verstand. Es hätte übrigens des Punsches gar nicht bedurft, denn mir war die ganze Situation schon so wie so in den Kopf gestiegen, wie sich aus dem Verlauf der Begebenheiten nur zu klar erweisen wird.

Ich wußte mich vor Uebermut und Lustigkeit gar nicht zu lassen und mein ernsthaftes Mädchen wurde auch schon angesteckt und lachte mit – der Tante gar nicht zu gedenken, die sich solche Gelegenheiten unter keinen Umständen entgehen ließ. Plötzlich, während ich so recht fidel, die Cigarre, die mir gnädigst verstattet worden war, zwischen den Zähnen, im Zimmer auf und ab promeniere, sehe ich auf einem Stuhl die Hexenhaube von dem verhängnisvollen Maskenball liegen.

Nun ist man bekanntlich in lustiger Stimmung nie zum Ueberlegen geneigt – ich war es auch nicht. Ich nehme – ich weiß nicht, plagt mich der Böse! – die Haube vom Stuhl, setze sie mir auf, trete damit vor den Spiegel und sage, indem ich mich an dem Anblick labe, so recht strahlend und selbstzufrieden: ‚Die Haube hat mir doch vorgestern abend ausgezeichnet gestanden!‘ Tableau!

Das lähmende Entsetzen, welches mich in diesem feierlichen Augenblick mit Geierkrallen anpackte – die innere Stimme, die mir widerwärtig gellend ins Ohr schrie: ‚Mein Junge, du hast eine kolossale Dummheit gemacht!‘ – das absolute, bleierne, nach meiner Empfindung etwa zwei und eine halbe Stunde dauernde Stillschweigen, das sich über die eben noch so fröhliche, kleine Tafelrunde lagerte – das alles muß man erlebt haben, um sich eine Vorstellung davon machen zu können!

Ich wagte nur einen einzigen Blick nach meiner Braut – aber ich hatte genug! Ines saß da wie zu Stein erstarrt – mit weit aufgerissenen Augen, deren Ausdruck aus fassungslosem, nicht verstehendem und begreifendem Schreck sich zu verständnisvoller, grenzenloser Empörung und Beschämung wandelte, und plötzlich sprang sie mit einem ihr sonst ganz fremden Ungestüm auf – der Stuhl krachte um – die Thür wollte sich nicht lumpen lassen und krachte gleichfalls – effektvoller Abgang! – weg war sie, und die Tante und ich saßen uns in tödlicher Verlegenheit und Wortlosigkeit gegenüber.

Endlich fand meine alte Freundin das erlösende Wort: ‚Ja, aber sagen Sie mal,‘ begann sie so recht schonend, ‚eine solche bodenlose Dummheit ist mir denn doch in meinem ganzen Leben nicht vorgekommen!‘

‚Mir auch nicht,‘ sprach ich dumpf ergeben und ließ mich moralisch zerschmettert in einen Sessel fallen.

Dann schwiegen wir wieder beide und warteten auf einen Einfall, und es schien mir ganz wahrscheinlich, daß wir so in vierzehn Tagen auch noch sitzen würden.

Die Tante starrte mich feindselig an – ich gab es ihr zurück, denn ich fand, sie hätte mich doch wenigstens beklagen können. Die Situation wurde immer gespannter.

Plötzlich erhob sich das Fräulein, schlug mit der geballten Hand kräftig auf den Tisch und hielt mir eine längere Rede. ‚Hören Sie einmal!‘ begann sie mit großem Nachdruck, ‚jetzt oder nie will ich Ihnen meine Meinung sagen. Ich fühle mich so ein bißchen dazu verpflichtet, denn ich habe durch meinen Hexenvorschlag [92] Ihnen die Suppe eingebrockt und muß sie Ihnen nun auslöffeln helfen. Das ist nur gerecht. Also – dieser Augenblick – diese einzige, nächste Viertelstunde entscheidet, meiner unmaßgeblichen Ansicht nach, in mehr denn einer Hinsicht über Ihr ganzes, künftiges Leben!‘ – Ich wollte sie unterbrechen, aber sie legte den Finger auf den Mund, und ich schwieg wohlerzogen.

Daß Ines Ihnen verzeiht,‘ fuhr die Tante bedächtig fort, ‚heut’ oder morgen – das halt’ ich für ausgemacht, denn sie ist ein gutes Kind und hat Sie lieb! Aber wie sie Ihnen verzeihen wird – da sitzt jetzt der Haken. Sie sind ja der Schuldige, daran läßt sich nichts drehn und deuteln. Aber die ganze Geschichte war doch, im Grunde genommen, nur ein schlechter oder – guter Witz und eine ganz gerechte, kleine Strafe dafür, daß Sie eine lange Zeit hindurch recht minderwertig von ihr behandelt worden sind. Also sie muß jetzt nachgeben – – – und mit Humor nachgeben – sie muß die Lächerlichkeit der Sache einsehn! Denn das sage ich Ihnen, ehrlich und ohne Hinterhalt, Rotenberg – das macht mir, wie ich Sie kenne, manchmal ein bißchen Sorge für Ihre Zukunft, daß Ines vorderhand noch nicht so recht über einen dummen Witz lachen kann – und das könnte Ihnen, der Sie doch eigentlich aus dummen Witzen zusammengesetzt sind –‘

‚Danke!‘ sagte ich herzlich.

‚Bitte!‘ erwiderte die Tante trocken, ‚ich meine, das könnte Ihnen im späteren Leben oft recht peinlich sein. Also gehen Sie ihr jetzt mal nach! Sie sitzt, wie ich sie kenne, in meinem kleinen Boudoir; da hat sie sich schon manchmal ausgeärgert, wenn Sie ihr wieder etwas Vermeintliches oder Wirkliches angethan hatten. Klinken Sie! Ist’s zu, dann klopfen Sie – laut und tüchtig – und hilft das auch noch nichts – dann reden Sie durch die Thür. Ich warte.‘

Und die Alte lehnte sich bequem im Stuhl zurück, drehte die Daumen mit rasender Schnelligkeit umeinander und schien zu Ende mit ihrer Weisheit.

Ich stand schweigend und starrte auf meine Stiefelspitzen, als wenn ich sie noch nie gesehen hätte und mir den hübschen Anblick so recht einprägen wollte.

Nach einer Weile, als sich gar nichts begab, sah die Tante in die Höhe.

‚Na?‘ sprach sie gedehnt und vorwurfsvoll und zerrte die eine Silbe so lang, als wenn sie vom besten Gummielastikum hergestellt worden wäre.

‚Ich kann nicht!‘ sagte ich verzweifelt, ‚schicken Sie mich in ein brennendes Haus – in die Bataille – zum Zahnarzt – es soll am Tell nicht fehlen! – aber zu einer beleidigten Braut! – Die Situation ist mir noch so sehr neu!‘ setzte ich flehend hinzu.

Die Tante warf mir einen Blick zu – einen einzigen! – aber der einzige sprach Bände! –

Und dann nannte sie mich zum erstenmal im Leben ‚du‘ – und von da an immer!

‚Ach, du unseliges Huhn,‘ sprach sie mit tiefem Mitgefühl, ‚wie wird es dir als Ehemann ergehen!‘

Dann stand sie auf und ging hinaus – ich hörte sie eine ganze Weile an der Klinke arbeiten – ich hörte ein dumpfes Gemurmel – ein leises Schluchzen – ich kam mir vor wie ein raffinierter Mörder und sonstiger Verbrecher – und ich büßte in den zehn Minuten wirklich alle vergangenen und begangenen Sünden ab – und noch ein paar zukünftige auf Vorrat. Aber eine innere Stimme sagte mir: ‚Landgraf, werde hart, – giebst du jetzt klein bei, so giebst du’s durch dein ganzes Leben‘ – und der Gedanke hatte immerhin seine zwei Seiten, selbst für einen so freudeglitzernden Bräutigam, der freilich im Augenblick eher alles andere that wie glitzern.

Na – alles nimmt ein Ende, das sollte ich auch erfahren und erleben.

Ich hörte – ganz gemein horchend, wie ich zu meiner Ehrenrettung nicht verschweigen will! – also ich hörte, wie der Schlüssel im Schloß gedreht wurde, und nach wenig Augenblicken erschien die Tante und zog Ines hinter sich her wie ein Lämmchen zur Schlachtbank. Sie – Ines – hatte rotgeweinte Augen und sah mich zunächst überhaupt gar nicht an – wollte es wenigstens entschieden nicht; als ich aber, wie ein rechter, armer Sünder, mit hängenden Ohren dastand und gar nichts sagte, flitzte es wie ein Lächeln über ihr Gesicht – der erste, kleine Sonnenstrahl nach dem Frühlingsregen – sie hielt mir die Hand hin und sagte: ‚Meinetwegen – da will ich nur wieder gut sein – aber eine Scheußlichkeit war’s doch!‘

Und die war’s ja auch!




Wenn mich nun jemand fragen sollte, wie die Kur der Tante im Verlauf der Zeit sich bewährt hat – selbige Tante erschien übrigens auf unserem Polterabend im Hexenkostüm, als ‚ich‘, wie sich eigentlich von selbst versteht! – also wenn mich nun jemand fragen sollte, ob Ines im späteren Leben immer nachgegeben hat und ob ich gar nicht unter den Pantoffel gekommen bin, dem erwidere ich stolz und selbstzufrieden – – nein, dem will ich lieber antworten, daß ich es gar nicht liebe, wenn sich jemand in meine Privatangelegenheiten mischt; es geht ihn ja doch im Grnnde auch wirklich gar nichts an!“