Der rheinische Karneval
[72–73]
Vom Kölner Karnevalszug auf dem Waidmarkt.
Nach dem Gemälde von Chr. Heyden. |
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Der rheinische Karneval.
„Ein reiches, wildes, lust’ges Leben
Hat allezeit der Rhein gepflegt,
Ihm hat Natur den Kranz der Reben
Umsonst nicht auf die Stirn gelegt.“
So singt Julius Wolff in seinem Schelmenlied „Till Eulenspiegel redivivus“ mit Recht, und wenn überhaupt den Rheinländer eine regsame und heitere Sinnesart kennzeichnet, so gilt dies in ganz hervorragendem Grade von den Bewohnern jener Gegenden am Rhein, wo der beste Rebensaft als heilsamster Sorgenbrecher und Heiterkeitsspender gedeiht. Zu der angeborenen Daseinsfreude kommt aber wohl auch noch als belebendes Element eine gewisse Kampflust hinzu, die am Rhein das Blühen und Gedeihen der volkstümlichen Narren- und Spottfeste befördert hat.
Beachten wir noch die alten Ueberlieferungen, welche besonders in den aus den alten Römerkolonien erwachsenen Städten am Rhein, wie Köln, Koblenz, Mainz, Bingen u. a., als Nachklänge der antiken Bacchanalien und Saturnalien sich erhalten haben, so ist es begreiflich, daß der Prinz Karneval vorwiegend und dauernd seinen Sitz am schönen Rheine aufschlug.
Schon frühe gab es hier einzelne Maskengruppen, sogenannte Bände, die von Haus zu Haus zogen, überall Gastfreundschaft fanden, dafür ihre Neckereien verübten und förmliche Komödien aufführten. Schon in Cäsar v. Heisterbachs Schriften aus dem 12. Jahrhundert wird derselben Erwähnung gethan, und in den Kölner Ratsprotokollen aus dem 14. Jahrhundert finden wir Verbote gegen Vermummungen, weil sie oft zu Erpressungen von Geld und Speisen mißbraucht worden waren. Bei kirchlichen und bürgerlichen Wirren wurden Verbote gegen die Anwendung von Mönchs- und Nonnentrachten erlassen. Mitunter wollte man auch zu Kriegszeiten dem Einschleichen von Spionen,
[77][78] ferner Streitigkeiten zwischen Militär und Civil durch solche Verordnungen vorbeugen. Trotzdem brach sich die Maskenfreiheit immer wieder aufs neue Bahn.
Schon lange vor den eigentlichen drei Fastnachtstagen hört man allenthalben von nichts anderem als den Vorbereitungen zu Maskenscherzen. Heimlich zischeln sich die Frauenzimmer unter Lachen ins Ohr, die Männer horchen neugierig oder schmieden abends beim Schöppchen ihre Gegenpläne, die Kinder erzählen sich fast den ganzen Winter von Fastnachtsscherzen. Flachsperücken und Nasenungetüme jeder Art werden zubereitet, Komödien und Possen eingeübt. Am Sonntag vor Fastnacht beginnen dann schon die Mummereien der Kinder in den Straßen, am Montag folgen die Erwachsenen zu Fuß, zu Pferd und zu Wagen. Ein festliches Getümmel wälzt sich in Köln von der Hochstraße zum Altenmarkt hinab. Alle Fenster sind geöffnet und dicht mit Köpfen besetzt. Den Masken stehen die Häuser offen und überall werden sie bewirtet. Das übliche Gebäck sind die sogenannten Muzen, anderwärts „Krebbel“ (von „Krapfen“) geheißen. Unter den Fastnachtsscherzen wurden schon im Anfang unseres Jahrhunderts manche wegen ihrer moralischen Wirkung hervorgehoben, so die Darstellung einer Spielhölle, der Advokatenkniffe u. dergl.
Der ursprüngliche Kölner Karneval begann mit einer Vorfeier in den Klöstern am Donnerstag vor Fastnacht in der sogenannten Pfaffenfastnacht oder Weiberfastnacht. Bis 1797 vergnügten sich die Klostergeistlichen an diesem Tage mit Maskenscherz und Schauspielen, die auf eigens erbauten Theatern aufgeführt wurden. Einige dieser Fastnachtsspiele sind im Druck veröffentlicht. Als typische Figur tanzte an diesem Tage der mit Schellen behangene „Bellengeck“ mit Pritsche und Citrone in den Händen, von Geigern begleitet, durch die Straßen und sprach vor den Häusern der Reichen seine Sprüche, wofür er sein Trinkgeld erhielt. Mit der französischen Revolution verschwand diese Figur, tauchte aber 1801 wieder auf, als ein von Paris kommendes Dekret den Karneval wieder erlaubte. Damals las man die Erlaubnis des Platzkommandanten an allen Ecken: „Il est permis au citoyen Bellengeck de faire son tour“ („Es wird dem Bürger Bellengeck erlaubt, seinen Umzug zu halten“). Sofort bildeten sich die üblichen Festzüge wieder, und 1812 nahm sogar die französische Besatzung der Stadt Köln durch einen gewaltigen Reiterzug an dem öffentlichen Feste teil. Von da ab begann eine neue Aera des rheinischen Karnevals, die wir nach dem Vorgang des Kölner etwas näher betrachten wollen.
Am Tage der Vorfeier pflegten die Frauenzimmer sich gegenseitig zu foppen, indem sie sich die Hauben vom Kopfe rissen. Dies war die sogenannte Weiberfastnacht am Donnerstag vor dem eigentlichen Feste. Sie ward besonders von den „Damen der Halle“ auf dem Marktplatze mit einem grotesken Elfenreigen gefeiert, und für einen Mann war es nicht geraten, den Tanzenden zu nahe zu kommen; sonst rissen sie ihm den Hut vom Kopfe und spielten damit Fangball („Liwweraaz“). Dies nannte man „Mützenbestot“, d. h. Mützenregiment.
Am Sonnabend vor Fastnacht ward dann vom Altan des Rathauses herab öffentlich die Freiheit verkündigt, und nun begann ein dreitägiges tolles Treiben. Maskenzüge und -Gruppen trieben allenthalben ihren Scherz, und jeden Abend fanden Bälle statt. Demütig eilten dann am Aschermittwoch die ausgelassenen Fastnachtsschwärmer zur Kirche, um sich das Aschenkreuz auf die Stirne machen zu lassen. Mittags scherzte man noch einmal bei solennen Mahlzeiten, und am folgenden Sonntag (Lätare) fand eine Nachfeier der Karnevalsfreunde statt. In dieser Form ward das Fest bis 1823 gefeiert. Von da an kamen förmliche Komitees und Generalversammlungen hinzu. Aus letzteren, dem sogenannten „großen Rat“, schied sich ein Komitee aus, der „kleine Rat“, der sich ausschließlich mit den Vorbereitungen zum Feste beschäftigte und sich seinen Sprecher oder Präsidenten wählte. Unter dem Präsidenten stehen die Ausschüsse, die alljährlich vom 11. des 11. Monats, also vom 11. November, ab wöchentlich bis zum Aschermittwoch zusammentreten; denn 11 ist die Narrennummer.
Den Ursprung der Narrenziffer 11 hat man verschieden erklärt. Einmal hält man sie für ein Symbol der Eintracht, weil die Rechte soviel besagt wie die Linke, dann der Beständigkeit, denn sie fängt an, wie sie aufhört; ferner der Schönheit, denn sie zeigt Einheit in der Mannigfaltigkeit und umgekehrt; endlich des Unbegreiflichen, denn die Hälfte der römischen Ziffer XI ist quer durchschnitten VI. Auch die einzelnen Buchstaben des deutschen Wortes „E–l–f“ hat man als die Initialen des Narrenspruchs: „Ei, lustig, fröhlich!“ gedeutet. Schließlich mußten noch die 11 Funken im Kölner Stadtwappen zur Erklärung herhalten. Bekanntlich führt auch die im Karnevalszuge typisch auftretende Kölner Stadtgarde den Titel „Funken“.
Die Generalversammlungen der regelmäßigen wöchentlichen Sitzungen des „großen Rats“ beginnen von Neujahr ab. Alle Teilnehmer müssen die preisgekrönte dreifarbige grün-rot-gelbe Narrenmütze aufsetzen und erhalten beim Eintritt ein Liederbüchlein. Präzis 11 Minuten nach der festgesetzten Stunde bezieht das Festkomitee unter den Klängen des üblichen „Narrhallamarsches“ seine Tribüne und eröffnet mit launiger Begrüßung die Sitzung. Alsdann verliest sein Sekretär ein närrisches Protokoll über die vorige Versammlung. Nun lösen sich Vorträge mit Liedern ab. Gefällt ein Vortrag, so wird er lebhaft belacht und beklatscht und mitunter vom Präsidenten mit Orden oder einem närrischen Titel belohnt. Hat er aber mißfallen. so erregt das Publikum Tumult und der Redner muß verschwinden, sei es durch Erscheinen einer aufsteigenden Wand oder durch eine unterirdische Versenkung. Mitunter stürzten zwei fratzenhafte Affen auf den Redner, zum Zeichen, daß sein Vortrag „unterm Aff’“ war.
In den Vorträgen fehlt es nie an politischen, lokalen, ja selbst persönlichen Anspielungen, die, je treffender sie sind, mit um so größerem Beifall aufgenommen werden. Ist der Getroffene unter den Anwesenden, so darf er nicht den Verdrossenen spielen, sondern das Beste ist, wenn er herzlich mitlachen kann.
Ohne persönlichen Stachel freilich sind die allgemeineren Hänseleien auf ganze Stände, wie auf Lieutenants, Advokaten und so weiter. So war einmal in Mainz von einer drastischen, wahrhaft zwerchfellerschütternden Komik die scenische Vorführung des Testamentes eines alten Winzers auf dem Sterbebette. Scheinbar mühsam richtet sich der alte Weinpanscher auf seiner Matratze in die Höhe und versammelt um sich seine Söhne, ihnen mit heiserer, erlöschender Stimme vor seinem Hinscheiden noch ein hochwichtiges Geheimnis anzuvertrauen. Begierig und atemlos lauschend horchen die Söhne auf die letzten Worte des dunklen Ehrenmannes. „Tretet näher an mich heran, meine lieben Kinder,“ – so flüstert der Biedermann – „vernehmt das heilige Vermächtnis eures sterbenden Vaters. Ein Geheimnis von schwerwiegender Bedeutung will ich euch mitteilen, das euch in eurem Berufe als Weinfabrikanten von großem Vorteil sein wird. So hört denn und bewahrt es als letztes Testament eures erfahrenen Vaters in eurem Busen: man kann auch Wein bloß von Trauben machen!“ – Sprach’s und hauchte vor den in starrem Erstaunen und tiefer Ehrfurcht verharrenden Söhnen seine edle Seele aus.
Auf die Vortrüge folgen in geeigneten Abständen Lieder, die von der Versammlung im Chorus gesungen werden. Oft wird zum Refrain an die Gläser geklungen, in die Hände geklatscht, geniest, oder es werden alle möglichen Tierstimmen nachgeahmt.
Es hat nicht an ernsten und wissenschaftlich bedeutenden Männern gefehlt, die dem Karneval ihre Sympathie bezeigten und ihm seine Berechtigung zuerkannten. So vor allem unser Altmeister Goethe (1824). Infolgedessen lud ihn das Kölner Komitee zum nächsten Fasching ein, und Dr. Dillschneider dankte ihm in einem warm empfundenen Sonett. Goethe erwiderte mit einem Gedicht, dem wir folgende Verse entnehmen:
„Auch dem Weisen fügt behaglich
Sich die Thorheit wohl zur Hand,
Und so ist es ganz verträglich,
Wenn er sich mit euch verband …
Löblich wird ein tolles Streben,
Wenn es kurz ist und mit Sinn;
Heiterkeit zum Erdeleben
Sei dem flüchtigen Rausch Gewinn!“
Außer Goethe nahmen viele berühmte Männer die ihnen zugesandten Narrendiplome mit humoristischen Antwortschreiben an, so E. M. Arndt, Bechstein, Dickens, Duller, Freiligrath, [79] Just. Kerner, Lachner, Lortzing, Mendelssohn-Bartholdy, Mosen, Rückert, Simrock, Bendemann, Schadow, Schnorr, Ad. Stöber, Tiedge, Zschokke u. v. a.
Der Karneval schuf sich eine eigene Litteratur. Es entstanden am Rhein eigene Karnevalsschriften und -Zeitungen, in Köln zuerst 1808 die „Curiosa Descriptio“. Auch Fastnachtsstücke wurden geschrieben. Von 1826 ab erschienen förmliche Karnevalszeitungen, die, wenn sie zu scharf waren, periodisch unterdrückt wurden. Ein hervorragender Karnevalsschriftsteller ist Ludw. Kalisch, der Verfasser des „Buches der Narrheit“ und der „Schlagschatten“. Dieser gründete die Mainzer Karnevalszeitung, die „Narrhalla“, die bis in die 70er Jahre bestand. Außer Kalisch arbeiteten Langenschwarz, Prof. Schumacher, der gemütliche Dichter F. Lennig, Horneyer, Dr. Wiest, Ed. Reis, Ferd. Hey’l, der bekannte rheinische Schriftsteller, und andere an Mainzer Witzblättern mit. Solche waren außer der schon genannten „Narrhalla“ „Die neue Mainzer Narrenzeitung“ und „Des Narren Sonntagsblatt“. In Köln erschienen die „Kölnischen Funken“ und die Wochenprotokolle, betitelt „Karnevalsulk“. In Frankfurt a. M. schrieb Friedrich Stoltze die „Krebbelzeitung“. Sind auch die meisten dieser litterarischen Produkte schon ihrer lokalen Anspielungen wegen von nur vorübergehendem Wert, so haben doch manche Karnevalsdichter, wie die eben genannten, Produkte voll poetischen Humors geschaffen, die zu jeder Zeit, wenn der geeignete Sinn erwacht ist, aufs neue zünden.
Naht die eigentliche Faschingszeit heran, so ziehen in Köln die sogenannten „Funken“ in der Tracht der alten kurkölnischen Stadtsoldaten auf. Am Sonntag vorher findet in der Regel eine Kappenfahrt der Karnevalsmitglieder statt und am sogenannten Rosenmontag (welchen Namen einige von „rasen“ ableiten) der große Festzug, von dem uns unter anderen Hackländer in seinem „Künstlerroman“ eine so lebendige Schilderung entworfen hat und der in jedem Jahr nach einer besonderen Idee ausgeführt wird. Es fehlen dabei in der Regel nicht die charakteristischen und typischen Figuren, die mit der Geschichte der Stadt Köln, sowie mit den im Geruche der Narrheit stehenden Orten und Personen zusammenhängen. Das gilt vor allem von dem bewährten Ritter „Jan von Werth“ und dem Urtypus aller Schalksnarren Till Eulenspiegel, ferner vom ehrenfesten Stadtfähnrich „Wackerschwenk“, dem berühmten Kölner Bürgermeister Gryn, dem Sieger in der Worringer Schlacht, im Kettenpanzer, und dem unvermeidlichen „kölnischen Bauer“ mit seinem Sinnspruch: „Halt faß, do kölscher Boor, am Rich, fall et söß or soor (süß oder sauer)!“ Auch schreiten wohl die Vertreter der alten Rittergeschlechter, die zur Steffen, von Spee, die Overstolzen, Leparten und andere daher; dann die Zünfte, angeführt von den charakteristischen Figuren des Kölner Hänneschen, wie Bestevader und Maritzebill. Unter den Vertretern der Zünfte sind bekannte Typen der Brauermeister Schwabbelich, der Bäckermeister Kleienfaß, der Schuhmacher Pechklotz, der Metzger Beihau, der Faßbinder Polterklopf, der Schmied Tubalkein, der Schneider Fips, der Grobschmied Tombak, der Fischmengermeister Rümpchen. Und so giebt es unzählige andere im Laufe der Jahre auftauchende und wieder verschwindende Gestalten. Ständig [80] erscheinen auch beliebte Sagen- und Opernfiguren, wie der Rodensteiner und Lohengrin, wie Don Juan, Faust und Mephisto, Vertreter der Narrenstädte Schilda, Dülken, Cochem u. a.
Den Triumphzug eröffnet die geschichtlich gewordene Figur des sogenannten Geckenbänchen, die, wie man glaubt, den Vortänzer bei Prozessionen in früherer Zeit darstellen oder auf David vor der Bundeslade anspielen soll. Unsere Abbildungen stellen zwei Gruppen des Kölner Karnevals dar. Das erste Bild (S. 72 und 73) führt uns eine Tanzscene auf dem Waidmarkt vor. Es ist ein Holzschnitt nach einem der Gemälde, die Chr. Heyden im Auftrage der „Großen Karnevalsgesellschaft“ gemalt hat und die den Sitzungssaal derselben schmücken. Auf dem Bilde von G. Franz (S. 77) sehen wir den Auszug der „Funken“ mit der Spitze des Zuges und einem als Schiff gestalteten Prachtwagen. Im Hintergründe erhebt sich die Apostelnkirche.
Es ist unmöglich, sich auch nur einen annähernden Begriff von dem Gewühl und dem tollen Treiben auf den Straßen, sowie von dem Jubel und den tausendstimmigen Zurufen aus den dichtbesetzten Fenstern der festlich geschmückten Häuser zu machen, wenn sich der buntschillernde Zug mit den hochaufgebauten Prachtwagen vorüberbewegt. Blumenbouquets und Confetti fliegen hin und wider, Fahnen flattern, Tücher wehen, Champagnerpfropfen knallen und ein sinnverwirrender, vieltöniger Lärm von Musik, Gejohle, Gelächter und Zurufen wie das übliche: „Geck, loß Geck elans!“ (d. h. Narr, laß Narr vorbei!) braust durch die Luft.
Nicht minder tumultuarisch geht es bei den Maskenbällen her, die früher besonders glänzend im Gürzenich zu Köln abgehalten wurden, jetzt zumeist in geräumigeren Lokalen, in Mainz in der überaus prächtig geschmückten Stadthalle stattfinden. Fast alle Jahre prangt das Innere dieses, soweit uns bekannt, nächst dem Wintergarten des Centralhotels in Berlin größten Gesellschaftslokals in eigenartigem karnevalistischen Schmuck. So trug die Ausstattung vorigen Jahres nach dem Entwurf des dortigen genialen Architekten C. Sutter das Gepräge einer mittelalterlichen Stadt, wobei, wie unsere Abb. S. 79 zeigt, den Thoren, Türmen und Pechnasen charakteristische Physiognomien aufgesetzt waren. Den Hintergrund des Karnevalpodiums schloß eine altdeutsche Burg ab. Von nicht geringerem malerischen Reiz ist das Getümmel von etwa 6000 Personen auf einem solchen Maskenball. Hier muß man sich unter das bunte Gewühl aller möglichen Charaktermasken stürzen, foppen, Abenteuer suchen oder sich necken lassen. Gar mancherlei seltsame Begegnungen und unverhoffte Überraschungen sind hier schon vorgekommen. Der Reiz dieses Vergnügens ist so groß, daß nach Saphir zu dieser Zeit der Himmel voll Geigen und die Erde voll Versatzzettel hängt.
Damit haben wir eine Nachtseite des Karnevals berührt, die Gefahr finanziellen und moralischen Ruins. Die Versuchung ist ja allerdings groß, lockt wohl aber auch zu anderen Festzeiten den Haltlosen, über die Schnur zu hauen. Anderseits weckt und hebt der Karneval Kunstsinn und Geschmack, fördert Witz und Geist, er schwingt die Geißel über Verkehrtheiten und sittliche Schäden, und keine Waffe wirkt erfolgreicher als der Spott. Endlich muß auch angeführt werden, daß die bedeutenden Überschüsse aus den Karnevalsbeiträgen den Stadtarmen zu gute kommen. Als 1857 zu Mainz die furchtbare Pulverexplosion einen Teil der Stadt in Trümmer legte, verzichtete die „Narrhalla“ nicht nur auf ihre Vergnügungen, sondern sie gab ihre Mitgliedsbeiträge mit Extrazuschüssen zur Linderung der Not. Aehnliches geschah bei den verheerenden Rheinüberschwemmungen. So zeigt der wahre Narrhallese, daß er nur zur rechten Zeit zu Scherz und Ausgelassenheit geneigt ist und daß in seiner sonst so lebenslustigen Brust doch auch ein fühlend Herz für das Unglück seiner Mitmenschen schlägt. Und hiermit bethätigt sich die Wahrheit des Horazischen Spruches: „Dulce est desipere in loco,“ d. h. „Schön ist Thorheit zur rechten Zeit!“