MKL1888:Winckelmann
[661] Winckelmann, Johann Joachim, Altertumsforscher und Begründer der Kunstgeschichte des Altertums, geb. 9. Dez. 1717 zu Stendal in der Altmark als Sohn eines Schuhmachers, besuchte erst die Schule seiner Vaterstadt, dann das köllnische Gymnasium zu Berlin, studierte seit 1738 in Halle Theologie und alte Litteratur, 1741 in Jena noch Mathematik und Medizin, ward 1742 Hauslehrer zu Hadmersleben bei Halberstadt, 1743 Konrektor zu Seehausen in der Altmark und 1748 Bibliothekar des sächsischen Ministers Grafen von Bünau zu Nöthnitz bei Dresden. Die Nähe Dresdens mit seinen Kunstschätzen sowie der Verkehr mit Künstlern und Kunstkennern, namentlich mit Öser, Lippert, Hagedorn u. a., steigerten in ihm die Liebe zur Kunst. Das Anerbieten des päpstlichen Nunzius in Dresden, Archinto, ihm in Rom eine Bibliothekarstelle zu verschaffen, bewog W. 1754 zum Übertritt zur katholischen Kirche. Er verweilte aber noch ein Jahr in Dresden, mit Kunststudien beschäftigt. Als erste Frucht derselben erschienen die „Gedanken über die Nachahmung der griechischen Werke in der Malerei und Bildhauerkunst“ (Dresd. u. Leipz. 1754, 2. Aufl. 1756); alle Einwürfe, die hiergegen gemacht worden waren, sammelte er selbst in dem „Sendschreiben über die Gedanken von der Nachahmung der griechischen Werke in der Malerei und Bildhauerkunst“ (Dresd. 1755), um sie dann in der „Erläuterung der Gedanken von der Nachahmung etc.“ (das. 1755) zu widerlegen. Im Herbst 1755 reiste er mit einer königlichen Pension nach Rom, wo er an den Kardinälen Passionei und Albani sowie an Archinto, der inzwischen Kardinal und Staatssekretär geworden war, Gönner fand, namentlich aber zu Mengs in ein vertrautes, für die Richtung seiner Studien erfolgreiches Verhältnis trat. Zunächst widmete er seine Zeit fast ausschließlich dem Studium alter und neuer Kunstwerke. Im Frühjahr 1758 besuchte er Neapel, Portici, Herculaneum und Pompeji, im September d. J. auf Einladung des Barons Stosch Florenz, wo er neun Monate verweilte, um die Gemmensammlung desselben zu ordnen. Das Verzeichnis davon führt den Titel: „Description des pierres gravées du feu Baron de Stosch“ (Flor. 1760). Um dieselbe Zeit erhielt W. eine Anstellung als Bibliothekar und Aufseher über die Altertümersammlung des Kardinals Albani. Im Sommer 1760 vollendete er die „Anmerkungen über die Baukunst der Alten“ (Leipz. 1762; franz., Par. 1783). In Gesellschaft des Grafen Brühl besuchte er 1762 abermals Neapel und dessen Umgebungen. Eine von ihm beabsichtigte kleine Schrift zur Erläuterung schwieriger Punkte in der Mythologie und den Altertümern gestaltete sich zu einem größern Werk, das unter dem Titel: „Monumenti antichi inediti“ (Rom 1767, 2 Bde.; neue Ausg. 1821; vollständige deutsche Übersetzung durch Brun, 1791–92) mit 268 Kupfertafeln und vielen Textabbildungen erschien. 1763 zum Oberaufseher aller Altertümer in und um Rom ernannt, veröffentlichte er mehrere Schriften, unter andern: „Von den herculanischen Entdeckungen“ (Dresd. 1762); „Versuch einer Allegorie, besonders für die Kunst“ (das. 1766; hrsg. von Dressel, Leipz. 1866) und die „Abhandlung von der Fähigkeit der Empfindung des Schönen in der Kunst und dem Unterricht in derselben“ (Dresd. 1771). Sein Hauptwerk [662] ist aber die „Geschichte der Kunst des Altertums“ (Dresd. 1764; 2. Aufl., Wien 1776; neue Ausg. von J. Lessing, 2. Aufl., Heidelb. 1881, und in verschiedene Sprachen übersetzt), welche er später durch die „Anmerkungen über die Geschichte der Kunst“ (Dresd. 1767) ergänzte. 1764 hatte W. mit Volkmann und Heinrich Füßli eine dritte Reise nach Neapel unternommen, deren Ergebnisse er in den „Nachrichten von den neuesten herculanischen Entdeckungen“ (Dresd. 1764) bekannt machte. Den größten Teil des Jahrs 1766 widmete er der Ausarbeitung des „Discorso preliminare“ und seiner „Monumenti inediti“. 1767 unternahm er eine vierte Reise nach Neapel und Herculaneum, und im folgenden Jahr begab er sich in Gesellschaft des Bildhauers Cavaceppi über Venedig, Verona und durch Tirol nach München und Wien. Auf der Rückreise ward er zu Triest in einem Gasthaus von Francesco Arcangeli 8. Juni 1768 ermordet. Sterbend setzte er noch den Kardinal Albani zum Universalerben ein. Eine Kolossalbüste Winckelmanns, von E. Wolff gearbeitet, ließ König Ludwig I. von Bayern in Villa Albani, der letzten Stätte seines Wirkens, aufstellen. Ein Denkmal von L. Wichmann ist ihm in Stendal, eine Marmorstatue von demselben in der Vorhalle des Museums zu Berlin errichtet worden. 1823 wurde ihm auch ein Marmordenkmal im städtischen Museum zu Triest gesetzt. Durch die „Kunstgeschichte“ und die „Monumenti“ wurde W. der eigentliche Schöpfer der Kunstwissenschaft. Er öffnete das griechische Altertum zu so freier und objektiver Betrachtung wie Herder den Orient. W. war der erste, der ganz unabhängig und mit wissenschaftlich gebildetem Auge die klassischen Kunstschöpfungen betrachtete und von der Erhabenheit, der Harmonie, dem lebendigen Hauch derselben so durchdrungen war, daß sich dieser antike Geist bei ihm in der körnigen, einfachen Sprache, in den Grundsätzen seiner Lehre und in der Idee vollendeter Schönheit wieder ausgeprägt und gleichsam verkörpert hat. Aus wenigen Andeutungen des Vellejus Paterculus und des Quintilian hatte W. die Idee einer geschichtlichen Entwickelung der Kunst geschöpft, und danach bestimmte er in seiner „Kunstgeschichte“ die Charaktere, Stilarten und Grundzüge der alten Denkmäler. Biederkeit und Einfachheit waren die hervorstechendsten Eigenschaften seines Charakters. Eine Gesamtausgabe seiner Werke wurde von Fernow begonnen und von Meyer und Johannes Schulze vollendet (Dresd. 1808–20, 8 Bde.). Vollständiger noch ist die Ausgabe von Joseph Eiselein (Donauesching. 1825–1829, 12 Bde.). Als Anhang zu ersterer Ausgabe gab Fr. Förster heraus: „Winckelmanns Briefe 1747 bis 1766“ (Berl. 1824–25, 3 Bde.); Blümner veröffentlichte „Winckelmanns Briefe an seine Züricher Freunde“ (Freiburg 1882). In neuerer Zeit wird der Geburtstag Winckelmanns in Rom von dem Archäologischen Institut daselbst durch einen feierlichen Akt jährlich begangen, und auch auf mehreren deutschen Universitäten, namentlich zu Kiel, Greifswald, Berlin und Bonn, werden zur Erinnerung jährlich 9. Dez. Winckelmann-Feste gefeiert. Vgl. Heyne, Lobschrift auf W. (Kassel 1778); Goethe, W. und sein Jahrhundert (1805); Justi, W., sein Leben, seine Werke und seine Zeitgenossen (Leipz. 1866–72, 2 Bde.).