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MKL1888:Weimar

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Weimar“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 16 (1890), Seite 489490
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Weimar. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 16, Seite 489–490. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Weimar (Version vom 10.10.2022)

[489] Weimar, Haupt- und Residenzstadt des Großherzogtums Sachsen-Weimar-Eisenach, liegt an der Ilm im Knotenpunkt der Linie Neudietendorf-Weißenfels

Wappen von Weimar.

der Preußischen Staatsbahn und der Eisenbahnen W.-Gera, W.-Blankenhain u. W.-Rastenberg, 212 m ü. M. Das bemerkenswerteste Gebäude ist das großherzogliche Residenzschloß (bis 1651 Hornstein, dann Wilhelmsburg genannt), ein nach dem Brand von 1774 unter Goethes oberster Leitung von 1790 bis 1803 ausgeführtes Bauwerk, im Innern ebenso reich wie geschmackvoll ausgestattet. Es enthält unter andern Sehenswürdigkeiten das Zimmer des Herzogs Bernhard, die Goethe, Schiller, Herder und Wieland gewidmeten, mit trefflichen, auf deren Dichtungen bezüglichen Freskogemälden von [490] Neher, Preller u. Jäger geschmückten vier „Dichterzimmer“ etc. Vor dem Schloß zieht sich der reizende Park hin, in welchem sich das Römische Haus, das Tempelherrenhaus u. viele durch die Erinnerung an Goethe geweihte Stellen befinden. Jenseit der Ilm, in der Nähe des Parks, liegt Goethes Gartenhaus. Andre bemerkenswerte Gebäude sind: das 1574 erbaute Rote Schloß, worin das Departement des Kultus und der Justiz und einzelne Abteilungen des Finanzdepartements ihren Sitz haben; das durch den Gleichenschen Hof mit diesem verbundene Gelbe Schloß, der Sitz des Finanzdepartements; das Grüne Schloß, in welchem die großherzogliche Bibliothek mit 180,000 Bänden und 8000 Karten; das Fürstenhaus mit den Büreaus des Departements des Innern und dem Ständesaal; das Wittumpalais, das einst die Herzogin Anna Amalia bewohnte; das in gotischem Stil erbaute Rathaus, die Loge, die Weimarische Bank, die Kaserne, das Museum mit den Odyssee-Fresken Fr. Prellers (1869), der Marstall, das Gebäude der Gesellschaft Erholung, das Sophienstift (eine Schule für die Töchter höherer Stände), das Landesschullehrerseminar, die städtische Realschule, die Bade- und Waschanstalt, der Bahnhof etc. Das Hoftheater, dessen Bühne unter Goethes und Schillers Leitung zu den ausgezeichnetsten Deutschlands gehörte, wurde 1825 neu aufgeführt und 1868 im Innern durchaus umgebaut und renoviert. Merkwürdig sind auch noch: Lukas Cranachs Wohnhaus am Markte, das Goethe- und Schiller-Museum (in Goethes Wohnhaus, seit 1886), Schillers Wohnhaus, das von der Stadt 1847 angekauft wurde, Wielands und Herders Wohnhaus. Unter den Plätzen sind der Fürstenplatz mit dem Denkmal des Großherzogs Karl August (von Donndorf, seit 1875), der Marktplatz, der Karlsplatz und der Watzdorfplatz, letzterer mit dem Kriegerdenkmal von Hertel (1878), sowie der Jubiläumsplatz zu nennen. Von den zahlreichen Monumenten und Denkmälern sind außer den genannten namentlich hervorzuheben: das eherne Doppelstandbild Goethes und Schillers von Rietschel (1857 auf dem Theaterplatz aufgestellt); das Wielanddenkmal von Gasser (1857), auf dem Wielandsplatz; Herders ehernes Standbild von Schaller (1850), vor der Stadtkirche; die Erzbüste des Großherzogs Karl August im Garten des Armbrustschützenhauses (1825). Die Stadt hat 2 evang. Kirchen, eine katholische und eine griech. Kapelle. In der evang. Stadtkirche (um 1400 erbaut) befinden sich interessante Grabmäler weimarischer Fürsten (darunter das des Herzogs Bernhard, des Kurfürsten Johann Friedrich des Großmütigen und seiner Gemahlin Sibylle) sowie das berühmte Altargemälde Cranachs, die Kreuzigung Christi darstellend. Auf dem nicht mehr benutzten Friedhof der Jakobskirche (Hofkirche) befinden sich die Gräber von Cranach dem ältern, Musäus und Bode. Die Stelle auf demselben, wo Schillers erste Grabstätte (das Kassengewölbe) sich befand, ist durch eine Inschrift bezeichnet. Auf dem neuen Friedhof befindet sich die Fürstengruft. In der Nähe des Sarkophags, der die Überreste Karl Augusts umschließt, stehen die Särge Goethes und Schillers. Mit der Fürstengruft verbunden ist ein über der Ruhestätte der Großherzogin-Großfürstin Maria Paulowna erbautes Mausoleum. Die Zahl der Einwohner beträgt (1885) mit der Garnison (ein Infanteriebataillon Nr. 94) 21,565, darunter 562 Katholiken und 64 Juden. Die Industrie besteht in Ofen-, Parkettfußboden-, Eisenwaren-, Aborttonnen-, Strohhut-, Handschuh-, Kartonagen-, Papier- und Pianofortefabrikation, Kunstschlosserei und -Tischlerei, Buchbinderei, Schriftgießerei, Buchdruckerei (die 1624 gegründete Hofbuchdruckerei), Bierbrauerei, Ziegelbrennerei und Gärtnerei; auch befindet sich dort ein geographisches Institut mit Globenfabrik, eine lithographische Anstalt, eine Dampfbade- und Waschanstalt, eine chemische Fabrik, Dampfsägemühlen, Mahlmühlen etc. Der Handel wird unterstützt durch die Weimarische Bank und andre Geldinstitute; bekannt ist ferner die Hagelversicherungsgesellschaft Union. Die dortigen Märkte für Schafe, Wolle, Vieh, Ölfrüchte und Zwiebeln sind lebhaft besucht. W. ist Sitz des Ministeriums und der Zentralstellen der Landesverwaltung, eines Landgerichts, der Bezirksdirektion I, einer Generalkommission etc. An Bildungs- und andern öffentlichen Anstalten befinden sich dort: ein Gymnasium, ein Realgymnasium, ein Schullehrerseminar, eine Kunstschule (Malerakademie), eine Orchesterschule, ein Museum mit Kupferstichkabinett, eine Bibliothek, eine Baugewerk- und eine Zeichenschule, eine Blinden- und Taubstummenschule, ein Waisenhaus, verbunden mit der Falkschen Erziehungsanstalt für verwahrloste Kinder, ein Arbeitshaus, ein Krankenhaus, eine Krankenpflegerinnenanstalt, eine Mägdebildungsanstalt (Paulinenstift) etc. Am südöstlichen Ende des Parks liegt das Dorf Oberweimar, an der Ilm, mit großer Ökonomie (sonst Cistercienser-Nonnenkloster, 1553 aufgehoben), einer Tuchfabrik und einer alten Kirche; unweit davon, 2 km von der Stadt auf einem Hügel, wohin eine schöne Allee führt, das Lustschloß Belvedere, Sommerresidenz des Großherzogs (1724 bis 1732 im italienischen Stil erbaut), mit einem reizenden Park; nordöstlich von der Stadt die Dörfer Tiefurt (s. d.) und Osmannstedt und nordwestlich das Dorf Ettersburg am Ettersberg (s. d.), mit großherzoglichem Lustschloß, Gewehrkammer und reizenden Anlagen. Zum Landgerichtsbezirk W. gehören die acht Amtsgerichte zu Allstedt, Apolda, Blankenhain, Buttstädt, Großrudestedt, Jena, Vieselbach und W. – W. soll schon im 9. Jahrh. erbaut sein und gehörte seit der Mitte des 10. Jahrh. einem Seitenzweig der Grafen von Orlamünde (s. Sachsen-Weimar-Eisenach, Geschichte). Noch vor dem Aussterben dieses Geschlechts (1376) fiel der Ort an die Landgrafen von Thüringen und nach deren Erlöschen (1440) an Kursachsen. Bei der Teilung zwischen Ernst und Albert (1485) kam W. mit Thüringen an die Ernestinische Linie und wurde bei der Teilung Johann Wilhelms mit seinen Neffen, den Kindern Johann Friedrichs des Mittlern (1572), Residenz. Im August 1560 fand hier das Kolloquium zwischen Flacius und Strigel wegen der synergistischen Streitigkeiten statt. Der Glanzpunkt in der Geschichte Weimars war die Regierungszeit Karl Augusts, während welcher es durch die von diesem Fürsten berufenen Koryphäen der deutschen Litteratur, Goethe, Schiller, Wieland, Herder u. a., den Namen des deutschen Athen erlangte. Vgl. Schöll, Weimars Merkwürdigkeiten einst und jetzt (Weim. 1857); Gräf, Fremdenführer durch W. (3. Aufl., das. 1880); Francke, W. und Umgebungen (das. 1886); Springer, Weimars klassische Stätten (Berl. 1868).