MKL1888:Trigonometrie
[842] Trigonometrie (griech., Dreiecksmessung), der auf die Ähnlichkeitslehre sich gründende Teil der Geometrie, welcher aus drei zur Bestimmung ausreichenden Stücken eines Dreiecks die übrigen durch Rechnung finden lehrt. Das Hilfsmittel hierzu bilden die goniometrischen (trigonometrischen) Funktionen, welche den Zusammenhang zwischen geradlinigen Strecken und Winkeln vermitteln. Um die Bedeutung dieser Funktionen zu verstehen, denke man sich einen Winkel u durch Drehung eines Schenkels um den Scheitel O entstanden; der Winkel sei dann positiv oder negativ, je nachdem die Drehung der Bewegung eines Uhrzeigers entgegengesetzt oder mit ihr gleichgerichtet ist;
Fig. 1. | |
es ist also in Fig. 1 der spitze Winkel AOP positiv, dagegen der spitze Winkel AOS negativ, wenn der zuerst geschriebene Radius OA der Anfangsschenkel ist. In dem Kreis (Fig. 1) sind zwei aufeinander senkrechte Durchmesser gezogen, der horizontale A′A und der vertikale B′B. Indem man von P die Senkrechten PC auf A′A u. PD auf B′B fällt, erhält man die horizontale Projektion OC und die vertikale OD des Radius OP, des Endschenkels des Winkels . Die horizontale Projektion wird positiv gerechnet, wenn sie von O nach rechts, die vertikale, wenn sie nach oben liegt, bei entgegengesetzter Lage sind sie negativ. Man versteht nun unter Sinus von u, geschrieben , die Vertikalprojektion des Endschenkels, dividiert durch diesen selbst; unter Kosinus von u, , die Horizontalprojektion, dividiert durch den Endschenkel; es ist also
Dabei wird der im Nenner stehende Radius OP stets positiv gerechnet, während den im Zähler stehenden [843] Projektionen ihr Vorzeichen zu erteilen ist. Ferner ist die Tangente von u (, oder ) gleich dem Sinus, dividiert durch den Kosinus, die Kotangente () gleich Eins, dividiert durch Tangente, die Sekante () gleich Eins durch Kosinus, die Kosekante () gleich Eins durch Sinus. Die früher üblichen Funktionen Kosinus versus () und Sinus versus () werden jetzt kaum mehr benutzt. Aus Fig. 1 und den gegebenen Definitionen ist ersichtlich, daß sämtliche goniometrische Funktionen dieselben absoluten Werte, die sie für einen spitzen Winkel haben, auch für die Winkel , und haben. Das Vorzeichen ist aber in den verschiedenen Quadranten verschieden nach dem folgenden Schema:
0°–90° | 90°–180° | 180°–270° | 270°–360° | |
sin | + | + | − | − |
cos | + | − | − | + |
tan | + | − | + | − |
cot | + | − | + | − |
sec | + | − | − | + |
cosec | + | + | − | − |
Man braucht sonach nur die Werte der trigonometrischen Funktionen für die Winkel des ersten Quadranten zu kennen. Diese Werte, gewöhnlicher die Logarithmen derselben, finden sich in Tabellen zusammengestellt, die den Sammlungen logarithmischer Tafeln (s. Logarithmus)
Fig. 2. | |
einverleibt sind. Die Untersuchung der Eigenschaften dieser goniometrischen Funktionen ist Aufgabe der Goniometrie (s. d.). Im rechtwinkeligen Dreieck (Fig. 2) kann man, mit dem Obigen sachlich übereinstimmend, definieren den Sinus als die Gegenkathete des Winkels, dividiert durch die Hypotenuse, Kosinus als anliegende Kathete durch die Hypotenuse, Tangente als Gegenkathete durch anliegende:
Diese drei Gleichungen, in Verbindung mit dem Pythagoreischen Satz und der Formel , genügen zur Berechnung der fehlenden Stücke eines rechtwinkeligen Dreiecks.
Fig. 3. | |
In einem schiefwinkeligen Dreieck mit den Seiten a, b, c und den Gegenwinkeln α, β, γ (Fig. 3) dienen zur Berechnung der fehlenden Stücke die zwei Formeln: und nebst den vier andern, welche sich durch Vertauschung der Buchstaben ergeben. Die erste Formel, eine Erweiterung des Pythagoreischen Satzes, lehrt aus zwei Seiten u. dem eingeschlossenen Winkel die dritte Seite (a aus b, c und α) finden, aber auch den Winkel α aus den drei Seiten. Der Unbequemlichkeit der Rechnung halber wendet man aber in beiden Fällen häufig andre Formeln an. Die zweite Formel, der Sinussatz (weil man schreiben kann , d. h. zwei Seiten verhalten sich wie die Sinus der Gegenwinkel), dient in Verbindung mit der Formel dann zur Rechnung, wenn sich unter den bekannten Stücken zwei gegenüberliegende befinden. Das hier Angedeutete bildet den Inhalt der ebenen T., an die sich die Polygonometrie, die Berechnung der Polygone, anschließt. Die sphärische T. hat es mit der Berechnung sphärischer Dreiecke zu thun, die durch Bogen größter Kreise auf einer Kugel gebildet werden. Vgl. über ebene und sphärische T. Dienger, Handbuch der T. (3. Aufl., Stuttg. 1867); Reuschle, Elemente der T. (das. 1873). Da die Erde keine genaue Kugel, sondern ein Sphäroid ist, so hat man unter dem Namen sphäroidische T. eine Erweiterung der sphärischen T. ausgebildet, welche sich mit den Dreiecken auf dem Sphäroid beschäftigt. Vgl. Grunert, Elemente der ebenen, sphärischen und sphäroidischen T. (Leipz. 1837). – Die Astronomen des Altertums bestimmten die Winkel durch die Sehnen, die sie in einem um den Scheitel beschriebenen Kreis umspannten; der syrische Prinz Albategnius (Mohammed ben Geber al Batani, gest. 928) führte zuerst die halben Sehnen der doppelten Winkel, d. h. die Sinus als absolute Längen (nicht Quotienten), ein; auch rührt von ihm die erste Idee der Tangenten her, die von Regiomontanus dauernd eingeführt wurden. Die Auffassung der trigonometrischen Funktionen als Verhältniszahlen datiert von Euler.