MKL1888:Tier
[697] Tier, ein meist frei und willkürlich beweglicher, mit Empfindung begabter Organismus, der organischer Nahrung bedarf, Sauerstoff einatmet, unter dem Einfluß der Oxydationsvorgänge im Stoffwechsel Spannkräfte in lebendige Kräfte umsetzt und Kohlensäure nebst stickstoffhaltigen Zersetzungsprodukten ausscheidet. Während zwischen leblosen und belebten Körpern (Organismen) eine scharfe Grenze leicht zu ziehen ist, während ferner höhere Tiere und Pflanzen (z. B. Löwe und Eichbaum) als solche sofort erkannt werden, zeigen die einfachsten Organismen Eigenschaften, die eine sichere Entscheidung über die Zugehörigkeit unmöglich machen und daher auch wohl zur Aufstellung eines Zwischenreichs der Protozoen (s. d.) oder Protisten geführt haben. Alle irgendwie zweifelhafte Formen sind hiernach ausgeschlossen, und mit dieser Einschränkung ist die oben gegebene Erklärung des Wortes T. haltbar. Sie trifft auch auf den Menschen zu, den als echtes T. zu bezeichnen erst die letzten Jahrzehnte angefangen haben. Jedes für sich eine abgeschlossene Einheit darstellende T. bezeichnet man als Individuum, hat aber deren von verschiedener Ordnung. So sind bei manchen niedern Tieren, z. B. den Korallen, eine Anzahl von Einzeltieren (Personen genannt) zu einem sogen. Stock (Kolonie) vereinigt, ähnlich wie an einem Baum die Zweige. Ein solcher Tierstock ist ein Individuum höherer Ordnung. Bei jeder „Person“ unterscheidet man als niedere Individuen die Organe, d. h. Körperteile, die zwar bis zu einem gewissen Grad selbständig sind, aber bestimmte Leistungen für den Gesamtorganismus zu verrichten haben. Die Organe finden sich in einfacher oder mehrfacher Anzahl vor (z. B. jede „Person“ hat nur einen Darm, kann aber viele Beine besitzen) und [698] zeigen im letztern Fall eine bestimmte Anordnung, je nachdem das T. strahlig, zweiseitig oder gegliedert ist. Im Körper der höhern Tiere liegen nämlich die mehrfach vorhandenen Organe in der Regel so, daß man nur durch Einen Längsschnitt zwei einander gleiche Hälften, die rechte und linke, gewinnen kann, während jeder andre Längsschnitt (also z. B. der, welcher Bauch- und Rückenteil sondern würde) ungleiche Teile ergibt. Ein solches zweiseitiges (bilateralsymmetrisches) T. besitzt also nur zwei gleiche (genauer: spiegelbildlich gleiche) Teile (Gegenstücke, Antimeren); ein strahlig gebautes, wie die meisten Quallen etc., hat dagegen einen solchen Bau, daß man durch mehrere Schnittebenen je zwei gleiche Teile gewinnen kann, und zerfällt so in mehrere Antimeren. Ist ein T. gegliedert (segmentiert), so wiederholen sich die Organe in der queren, d. h. der auf die Längsachse senkrechten, Richtung derart, daß man durch bestimmte Querschnitte eine Anzahl völlig oder annähernd gleicher Stücke (Folgestücke, Metameren) erhalten kann. So besteht z. B. ein Bandwurm oder ein Regenwurm sowohl aus zwei Antimeren als aus vielen unter sich gleichen (homonomen) Metameren, ein Insekt ebenfalls aus zwei Antimeren, aber nur wenigen, noch dazu ungleichen (heteronomen) Metameren; letztere sind entweder auch äußerlich als Segmente (Ringe, Glieder) erkennbar oder treten nur im innern Bau hervor. Man unterscheidet dann meist, aber durchaus nicht immer, einen aus verschmolzenen Segmenten bestehenden Kopf, eine Brust (Thorax, deutlich gegliedert bei Insekten, äußerlich nicht gegliedert bei Wirbeltieren) und einen Hinterleib (Abdomen; bei den Spinnen z. B. während des Eilebens noch deutlich gegliedert, später scheinbar einfach), faßt jedoch die genannten drei Teile als Stamm im Gegensatz zu den Gliedmaßen (s. unten) zusammen.
Individuen von noch niederer Ordnung als die Organe sind die Zellen, d. h. die einfachsten Einheiten, aus denen der Körper der Tiere (und auch der Pflanzen; die Protisten sind fast alle einzellig) sich aufbaut. Jedes T., auch das größte und komplizierteste, geht aus Einer Zelle, dem Ei, hervor; letzteres teilt sich im Lauf der Entwickelung in eine Anzahl Zellen, die eine Zeitlang noch gleichartig sein können, bald jedoch ungleich werden (sich differenzieren) und in der verschiedensten Weise zu Geweben zusammentreten (vgl. Zelle, Gewebe, Keimblätter), aus denen wiederum die Organe sich gestalten. Bis zu einem gewissen Grad führen die Zellen noch ein selbständiges Leben, sind jedoch, je höher ein T. steht, um so abhängiger von ihren Nachbarn; für den Gesamtorganismus haben sie, obwohl in andrer Weise als die Organe, gewisse Leistungen (Funktionen) zu verrichten. Man vergleicht so in passender Weise das T. mit einem Staat, in welchem die einzelnen Bürger durch die Zellen dargestellt sind, während als Organe bestimmte Gruppen von Bürgern (Handwerker, Soldaten etc.) bestimmte Funktionen auszuüben haben und ihre verschiedene Verteilung in den Städten und auf dem Land einigermaßen die Gewebebildung veranschaulicht. Die einzelnen Organe und Funktionen beim T. lassen sich in zwei Hauptgruppen vereinigen: sogen. pflanzliche (vegetative) und tierische (animale); erstere beziehen sich auf Ernährung und Erhaltung des Körpers, letztere auf Empfindung und Bewegung.
Bei vielen niedern Tieren besteht der ganze Körper nur aus zwei Zellschichten, einer äußern, der Hautschicht (Ektoderm), und einer innern, der Darmwandung (Entoderm). Von letzterer wird ein zur Nahrungsaufnahme und Verdauung dienender Hohlraum, der Magen oder die Darmhöhle, umschlossen, welche durch nur eine Öffnung, den Mund, mit der Außenwelt in Verbindung zu stehen braucht. Auch bei sehr vielen höhern Tieren tritt während der Entwickelung im Ei ein Stadium auf, in welchem der ganze Embryo nur diese einfache Form besitzt (sogen. Gastrula). Zwischen den beiden genannten Schichten bildet sich jedoch bei weitaus den meisten Tieren eine dritte Schicht, das Zwischengewebe (Mesoderm), aus und liefert sowohl die verschiedenen Formen des Skeletts (Bindegewebe, Knorpel, Knochen) als auch die Muskeln u. a. m. Ein innerhalb dieser Schicht auftretender Hohlraum, die Leibeshöhle, veranlaßt, daß ihr äußerer Teil als sogen. Hautfaserschicht in nähere Beziehung zur Haut tritt, während der innere als sogen. Darmfaserschicht sich dem Darm eng anlegt. Die Leibeshöhle ist mit Flüssigkeit (Blut) gefüllt und enthält meist besondere, darin schwimmende Zellen, die Blutkörperchen, welche gleichfalls vom Mesoderm abstammen. Die einzelnen Organe nun verteilen sich auf die genannten Schichten in folgender Weise.
Die vegetativen Organe umfassen im weitesten Sinn die Vorgänge der Ernährung; die durch den Mund aufgenommenen Nahrungsstoffe werden verdaut, und die durch diesen Prozeß gebildeten löslichen Stoffe werden zu einer ernährenden, den Körper durchdringenden Flüssigkeit, welche in mehr oder minder bestimmten Bahnen zu sämtlichen Organen gelangt und an dieselben Bestandteile abgibt, aber auch von ihnen die unbrauchbar gewordenen Zersetzungsstoffe aufnimmt und bis zu ihrer Unschädlichmachung (s. unten) weiterführt. Die ungelösten Nahrungsbestandteile werden durch den Mund oder meist durch eine besondere Öffnung, den After, ausgestoßen. Gewöhnlich zerfällt dann die Verdauungshöhle, auch Darmkanal genannt, in drei Abschnitte: Vorder- oder Munddarm (Speiseröhre), Mittel- oder Magendarm (Magen) und Hinter- oder Afterdarm (Darm im engern Sinn). Von diesen Abschnitten gehört nur der mittlere zum Entoderm, während Vorder- und Hinterdarm Einstülpungen der Hautschicht sind und bei manchen Tieren sich auch der äußern Haut gleich verhalten. Bei einigen niedern Tieren hat jedoch der Magen keine selbständige Wandung, vielmehr wird die Nahrung aus der Speiseröhre in das weiche Körperinnere gedrückt und dort verdaut; bei den höhern Tieren gestaltet sich dagegen der Verdauungsapparat sehr kompliziert, indem Kauorgane (Kiefer mit Zähnen oder als Abschnitt der Speiseröhre ein besonderer Kaumagen) sowie Drüsen zur Absonderung verdauender Säfte (Speicheldrüsen, Leber) entstehen. Je nachdem übrigens die Nahrung rein pflanzlicher oder rein tierischer oder gemischter Natur ist, unterscheidet man Herbivoren (Phytophagen), Karnivoren (Zoophagen) und Omnivoren (Pantophagen). Die von der Darmwandung aus den Speisen aufgenommene Ernährungsflüssigkeit tritt nur durch sie hindurch in die Leibeshöhle und erfüllt als Blut (oft schon mit zelligen Elementen, den Blutkörperchen) die Lücken und Gänge zwischen den verschiedenen Organen und Geweben. Auf einer weitern Stufe umkleiden sich Abschnitte der Blutbahn mit einer besondern Muskelwandung und unterhalten als pulsierende Herzen eine rhythmische und regelmäßige Strömung des Bluts. Von dem Herzen, als dem Zentralorgan des Blutkreislaufs, aus entwickeln sich dann bestimmt umgrenzte Kanäle zu Blutgefäßen, welche bei den Wirbellosen meist noch mit wandungslosen Lücken wechseln, [699] bei den Wirbeltieren aber als abgeschlossenes Gefäßsystem die Leibesräume durchsetzen. In diesem System unterscheidet man vom Herzen abführende Arterien und zum Herzen zurückführende Venen, zu welchen noch das System von Chylus- oder Lymphgefäßen hinzutritt. Alle genannten Organe gehören dem Mesoderm an. Die Atmung, welche im wesentlichen in der Aufnahme von Sauerstoff und der Abgabe von Kohlensäure durch das Blut besteht, wird im einfachsten Fall durch die gesamte äußere Körperbedeckung ausgeführt; auch können innere Flächen, besonders diejenige des Darmkanals, bei diesem Gasaustausch beteiligt sein. Weiterhin aber treten, und zwar als Teile der Haut- oder der Darmschicht, besondere Atmungsorgane auf, bei der Wasseratmung äußere, möglichst flächenhaft entwickelte Anhänge (Kiemen), bei der Luftatmung Lungen oder Luftröhren (Tracheen). Die Intensität der Atmung steht in geradem Verhältnis zur Energie des Stoffwechsels. Tiere mit geringer Sauerstoffaufnahme (Kiemenatmung) verbrennen nur geringe Mengen organischer Substanz, setzen nur ein kleines Quantum von Spannkräften in lebendige Kraft um und produzieren wenig Wärme, so daß die Temperatur ihres Körpers von der der Umgebung abhängig bleibt. Dies gilt auch für kleine luftatmende Tiere, welche, wie Insekten, eine bedeutende wärmeausstrahlende Oberfläche besitzen (Kaltblüter). Die höhern Tiere mit energischem Stoffwechsel produzieren dagegen viel Wärme, sind durch ihre Körperbedeckung vor rascher Ausstrahlung derselben geschützt und erhalten sich einen Teil der erzeugten Wärme unabhängig von der Temperatur des umgebenden Mediums als konstante Eigenwärme (Warmblüter). Die von den Atmungsorganen ausgestoßene Kohlensäure zählt zu den Auswurfstoffen des Organismus; andre derartige schädliche Stoffe werden durch besondere Exkretionsorgane abgeschieden, von denen die Nieren u. nierenähnlichen Bildungen die wichtigsten sind.
Unter den animalen Verrichtungen fällt zunächst am meisten die Ortsbewegung in die Augen. Manche Protozoen gelangen ohne besondere Organe lediglich durch Zusammenziehung und Ausdehnung ihres ganzen Körpers von der Stelle, andre sind mit Wimpern, d. h. feinen, hin und her schlagenden Härchen, besetzt und bedienen sich nur dieser als Bewegungsorgane. Wo bei den eigentlichen Tieren Muskeln, d. h. kontraktile Gewebsteile, vorhanden sind, legen sich diese im einfachsten Fall dicht unter die Haut und bilden mit ihr einen sogen. Hautmuskelschlauch, dessen abwechselnde Verkürzung und Verlängerung den Körper weiterschiebt. Wenn ferner vom Körper ungegliederte oder gegliederte Anhänge (Gliedmaßen) ausgehen, so zweigen sich besondere Muskeln zu diesen hin ab und befestigen sich entweder an deren Haut oder an ein inneres, dem Mesoderm angehöriges und mehr oder minder starres Skelett. Der ursprünglich rings geschlossene Hautmuskelschlauch reduziert sich alsdann zuweilen so sehr, daß er für die Bewegung kaum noch in Betracht kommt. Die Gliedmaßen selber sind zuweilen ungegliederte, meist jedoch gegliederte, d. h. in bewegliche Abschnitte zerfallende, Anhänge des Kopfes oder Rumpfes. Je nach Bau und Thätigkeit werden sie als Fühler (Antennen), Kiefer (Kauwerkzeuge), Geh- und Schwimmbeine sowie als Flügel bezeichnet und sind in den einzelnen Tiergruppen äußerst verschieden gebaut. Es kann zwar an jedem Segment eines gegliederten Tiers auch ein Paar Gliedmaßen vorhanden sein, doch ist das bei weitem nicht immer der Fall. Als Empfindungsorgane sind Nervensystem und Sinneswerkzeuge anzusehen. Ersteres ist entweder strahlig oder zweiseitig gebaut, geht aus der Hautschicht hervor, liegt jedoch meist in seinem größern Teil tiefer im Innern des Körpers an möglichst geschützter Stelle und besteht aus einem oder mehreren Zentralorganen (Ganglien, Nervenknoten) nebst den davon ausstrahlenden Nerven. Gewöhnlich unterscheidet man ein im Vorderende des Körpers befindliches, aus mehreren Ganglien verschmolzenes sogen. Gehirn (wegen seiner Lage dicht über dem Schlund auch Oberschlundganglion genannt) u. eine sich daran knüpfende Ganglienkette, die je nach ihrem Verlauf als Bauch- oder als Rückenmark bezeichnet wird. Die Eindrücke von der Außenwelt werden von den Sinnesorganen (Auge, Ohr etc.) aufgenommen und mittels der Nerven den Zentralorganen zugeführt; andre Nerven stehen mit den Muskeln in Verbindung und vermögen deren Zusammenziehung zu bewirken. Die Fortpflanzung läßt sich überall auf die Absonderung eines körperlichen Teils, welcher sich zu einem dem elterlichen Körper ähnlichen Individuum umgestaltet, zurückführen. Indessen ist die Art und Weise dieser Neubildung ungemein verschieden (Teilung, Sprossung, Keimbildung und geschlechtliche Fortpflanzung). Als Ausgangspunkt des sich entwickelnden Organismus hat man die einfache Zelle zu betrachten; der Inhalt derselben erleidet eine Reihe von Veränderungen, deren Endresultat die Anlage und Ausbildung des Embryonalleibes ist. Diese Vorgänge sind durch große Mannigfaltigkeit ausgezeichnet und schließen nicht immer die Entwickelung des Individuums ab, sondern liefern vielfach zunächst eine Larve, welche erst durch Metamorphose dem geschlechtsreifen T. ähnlich wird.
Die entwickelungsgeschichtlichen Arbeiten der neuern Zeit haben die zuerst von Cuvier aufgestellte Lehre, nach der es im Tierreich mehrere Hauptzweige oder Typen gebe, gewissermaßen allgemeine „Baupläne“, nach denen die zugehörigen Tiere modelliert zu sein scheinen, im allgemeinen bestätigt. Während aber Cuvier vier Typen (Wirbeltiere, Weichtiere, Gliedertiere, Radiärtiere) annahm, ist die Zahl derselben jetzt auf sieben oder noch mehr erhöht (s. Tierreich), auch hat man die Vorstellung von der Isolierung eines jeden „Bauplans“ aufgegeben, da sich Verbindungsglieder und Verknüpfungen verschiedener Typen nach mehrfachen Richtungen hin nachweisen ließen. Überhaupt ist man auf Grund der darwinistischen Prinzipien über die Inkonstanz der Art und ihre allmähliche Abänderung zur Ansicht gekommen, daß die sämtlichen Typen oder, wie sie jetzt richtiger heißen, Tierstämme gemeinsamen Ursprungs sind.
[Geographische Verbreitung.] Wie hiernach das Tierreich als ein sich allmählich entwickelndes erscheint, so liegt auch bei einem Überblick über die geographische Verbreitung der Tiere auf der Erde derselbe Gedanke nahe. Danach ist die heutige Verteilung der Tiere (auch des Menschen) auf der Oberfläche unsers Planeten nicht von jeher dieselbe gewesen, sondern hat sich durch das Zusammentreffen von vielen Umständen gerade so und nicht anders gestaltet. Zu berücksichtigen sind, wenn man zu einem Verständnis derselben gelangen will, die geologischen Veränderungen (Senkungen und Hebungen von Land, so daß Halbinseln zu Inseln werden oder Inseln mit dem Festland in Verbindung treten etc.) und die paläontologischen Funde, um aus der frühern Verteilung die jetzige erklären zu können, und um in besonders klaren Fällen auch wohl Rückschlüsse auf die [700] frühere Beschaffenheit der Erdrinde, auf die Anordnung von Wasser und Land u. a. m. wagen zu dürfen. Die gegenwärtige Verbreitung der Tiere bietet viele Sonderbarkeiten dar, die nur durch Zurückführung auf frühere Zustände erklärt werden; z. B. läßt sich die Ähnlichkeit der Fauna (Tierwelt) auf hohen Bergen mit derjenigen der nordischen Gegenden leicht durch die auch sonst begründete Annahme der sogen. Eiszeit begreiflich machen, deren über ganz Europa verbreitete Vertreter in der wärmern Gegenwart nur noch an den genannten kältern Orten zu finden, sonst aber ausgestorben sind. Im übrigen sind noch folgende Thatsachen bemerkenswert. Von den Wendekreisen zu den Polen hin nimmt im allgemeinen die Anzahl der Arten ab, diejenige der Individuen zu. Die sämtlichen um den Nordpol gelegenen Länder haben, was bei der Gleichmäßigkeit der Lebensbedingungen nicht auffallen kann, eine ziemlich eintönige Fauna, während weiter nach dem Äquator zu die einzelnen Kontinente in Bezug hierauf meist große Verschiedenheiten aufweisen. Doch gilt dies nur von solchen Land- und Wassertieren, deren Mittel zur aktiven oder passiven Wanderung in andere Gegenden gering sind; bei Seetieren hingegen spielen meist Entfernungen keine Rolle, während eingeschobene Länderstrecken leicht als Barrieren gegen die Verbreitung wirken (vgl. Wanderung). Bei dem Versuch einer Einteilung der Erdoberfläche nach dem allgemeinen Gepräge ihrer Land- und Süßwasserbewohner gelangt man zu 6–8 Regionen, welche aber nur einen relativen Ausdruck für natürliche große Verbreitungsbezirke geben, weil sie sich nicht auf alle Tiergruppen in gleicher Weise anwenden lassen. Auch stößt man auf intermediäre Gebiete, welche Eigenschaften der benachbarten Regionen mit einzelnen Besonderheiten verbinden. Diese Regionen sind: 1) die paläarktische Region: Europa, das gemäßigte Asien und Nordafrika bis zum Atlas; 2) die nearktische Region: Grönland und Nordamerika bis Nordmexiko; 3) die äthiopische Region: Afrika südlich vom Atlas, Madagaskar und die Maskarenen mit Südarabien; 4) die indische Region: Indien südlich vom Himalaja bis Südchina und bis Borneo und Java; 5) die australische Region: Celebes und Lombok, nach Osten bis Australien, und die Südseeinseln; 6) die neotropische Region: Südamerika, die Antillen und Südmexiko. – Die vier ersten Regionen haben miteinander eine weit größere Ähnlichkeit als irgend eine derselben mit der von Australien oder Südamerika; auch hat man Neuseeland als selbständige Region unterschieden und von der palä- und nearktischen Region eine Zirkumpolarprovinz von gleichem Rang abgegrenzt; einzelne Forscher unterscheiden auch noch eine Mittelmeerprovinz. Bezüglich des relativen Reichtums der einzelnen Regionen gab Wallace folgende Tabelle:
Region | Wirbeltiere | Säugetiere | Vögel | |||||
Familien | der Region eigentüml. Familien | Gattungen | der Region eigentüml. Gattungen | Prozentverhältnis | Gattungen | der Region eigentüml. Gattungen | Prozentverhältnis | |
Paläarktische | 136 | 3 | 100 | 35 | 35 | 174 | 57 | 33 |
Äthiopische | 174 | 22 | 140 | 90 | 64 | 294 | 179 | 60 |
Indische | 164 | 12 | 118 | 55 | 46 | 340 | 165 | 48 |
Australische | 141 | 30 | 72 | 44 | 61 | 298 | 189 | 64 |
Neotropische | 168 | 44 | 130 | 103 | 79 | 683 | 575 | 86 |
Nearktische | 122 | 12 | 74 | 24 | 32 | 169 | 52 | 31 |
Jedoch sind wegen der Unsicherheit im Begriff der Gattung und Familie die angegebenen Zahlen mit Vorsicht aufzunehmen. Die Grenzen der einzelnen Regionen sind ausgedehnte Meere, hohe Gebirgsketten oder große Sandwüsten; diese Grenzen haben aber nicht für alle Tiere gleichen Wert, denn für einzelne Gruppen bilden sie absolute Hindernisse, während sie andern immer noch Übergänge aus einem Gebiet in das andre gestatten. Für ziemlich abgeschlossene Verbreitungsbezirke braucht man den Ausdruck Verbreitungszentren (Schöpfungszentren), indem man damit der Ansicht Raum gibt, daß dort bestimmte Artengruppen sich ausgebildet und langsam auch in andre Gebiete verbreitet haben. Vgl. Häckel, Generelle Morphologie (Berl. 1866, 2 Bde.); Gegenbaur, Grundriß der vergleichenden Anatomie (2. Aufl., Leipz. 1878); Rütimeyer, Herkunft unsrer Tierwelt (Basel 1867); Schmarda, Geographische Verbreitung der Tiere (Wien 1853); Wallace, The geographical distribution of animals (Lond. 1876, 2 Bde.; deutsch, Dresd. 1876); Sclater, Über den gegenwärtigen Stand unsrer Kenntnisse der geographischen Zoologie (deutsch, Erlang. 1876); Semper, Die natürlichen Existenzbedingungen der Tiere (Leip. 1879, 2 Bde.); Marshall, Atlas der Tierverbreitung (Gotha 1888, 9 Karten).
Tier, in der Jägersprache der weibliche Hirsch.
[929] Tier. Nachdem die Art und Weise der Färbung und Zeichnung im Tierreich lange Zeit als bedeutungslos und zufällig gegolten, ist besonders durch Eimer die in der Mannigfaltigkeit der Zeichnungen herrschende Gesetzmäßigkeit und ihre Bedeutung für die Stammesgeschichte der Tiere nachgewiesen worden. Eimer studierte zunächst die Varietäten der Mauereidechse, von denen eine gestreifte (striata), gefleckte (maculata), ungezeichnete, oben braungelbe, unten farblose (modesta) und grüne (elegans) Varietät unterschieden werden; die Übergänge, die sich finden, führen alle zur gestreiften Varietät, so daß die gestreifte als die Stammform aller andern anzusehen ist; hierfür spricht auch, daß die Jungen aller dieser Eidechsen mehr oder weniger gestreift sind. Aus der gestreiften Zeichnung entsteht die gefleckte in der Weise, daß sich die Streifen in Flecke auflösen, und indem sich die Flecke quer verbinden, entsteht Querstreifung, welche demnach die jüngste, letzt entstandene Form der Zeichnung ist. In der Umwandlung von einer Zeichnung in die andre schreitet das Männchen voran; unter gestreiften Formen beobachtet man namentlich bei alten Männchen eine Auflösung der Längsstreifen in Flecke, beim Weibchen dagegen zeigen sich die Eigenschaften der Stammform länger und deutlicher als beim Männchen. Mit zunehmendem Alter tritt eine neue Zeichnung zuerst am hintern Ende des Körpers auf, zieht sich von da nach vorn und wird hinten durch eine neu auftretende wieder verdrängt (Gesetz der wellenförmigen Entwickelung). Am besten läßt sich die allgemeine Gültigkeit dieses Gesetzes in der Zeichnung der Raubtiere verfolgen; neue Eigenschaften in der Zeichnung treten hier zuerst an den Seiten auf und ziehen sich nach dem Rücken hin, so daß die Mittellinie des Rückens die alten Eigenschaften am längsten bewahrt. Die Stammformen des Katzengeschlechts sind die Zibetkatzen (Viverra); von ihnen stehen am tiefsten die von Madagaskar; sie sind vollkommen längsgestreift und stellen wohl die Urzeichnung aller Raubtiere dar; bei andern Arten, z. B. der spanischen Ginsterkatze, haben sich die Streifen in Flecke aufgelöst; die afrikanische und asiatische Viverre zeigen bereits eine beginnende Querstreifung. Die gefleckten Katzenarten, wie Leopard, Panther, Jaguar etc., entstanden aus längsgestreiften dadurch, daß die Streifen der letztern sich in Flecke auflösten; der Tiger ist vollkommen quergestreift, er besitzt nächst dem Löwen die am weitesten vorgeschrittene Zeichnung; die Löwen sind erwachsen einfarbig, aber in der Jugend gezeichnet. Die Hauskatze hat auf dem Rücken Längsstreifen, an den Seiten Querstreifen, die vorn oft noch aus Flecken bestehen; die Wildkatze hat eine weiter entwickelte Zeichnung, indem die seitlichen Querstreifen weniger zahlreich und im Schwinden begriffen sind; es scheint demnach, daß die Hauskatze nicht von der Wildkatze [930] abstammt, sondern daß sich beide aus der in ihrer Zeichnung der Hauskatze ähnlichen afrikanischen Falbkatze entwickelt haben. Aus den Zibetkatzen sind außer den Katzenarten auch die Hyänen hervorgegangen. Die Übereinstimmung zeigt sich besonders bei der gestreiften Hyäne, jedoch ist im allgemeinen die Zeichnung eine vorgeschrittenere; es ist bereits das Schwinden der Zeichnung vorbereitet, welches bei den Hunden noch weiter gediehen ist, doch sind auch bei den hundeartigen Raubtieren noch Spuren von Zibetkatzen- und Katzenzeichnung vorhanden, und zwar sind bei allen Teile von solchen Streifen zu erkennen, welche auch bei den Hyänen besonders entwickelt sind, so daß die Zeichnung der hundeartigen Raubtiere sich wie ein Überrest jener der Hyänen ausnimmt. Auch bei andern Säugetieren läßt sich diese Gesetzmäßigkeit in der Zeichnung der Tiere nachweisen. So zeigt das Zebra Querstreifung, auf der Mittellinie des Rückens aber und auf der Stirn Längsstreifung. Beim Quagga ist hinten schon Einfarbigkeit aufgetreten, am Hals ist Querstreifung, auf der Stirn noch Längsstreifung. Auch Esel und Pferd haben häufig auf dem Rücken eine dunkle Längsmittellinie. Unter den hirschartigen Tieren sehen wir beim Damhirsch Längsreihen weißer Flecke, die beim Weibchen deutlicher erkennbar sind als beim Männchen; in der Jugend haben aber auch Edelhirsch und Reh, die erwachsen einfarbig sind, Längsreihen von weißen Flecken, und eine ganze Reihe weiterer Tiere, welche im Alter keine Zeichnung besitzen, trägt solche in der Jugend. So bei den Säugetieren die Jungen vom Tapir, Schwein und Wildschwein; auch bei der überwiegenden Mehrzahl von Reptilien und Amphibien sind die Jungen längsgestreift, und das Gleiche findet sich bei vielen Nacktschnecken und jungen Raupen. Unter den Vögeln zeigen die geschilderte Umwandlung der Zeichnung besonders gut die Raubvögel. Die Jungen fast aller unsrer einheimischen Raubvögel haben nach Abwerfen der Daunen ein Jugendkleid, welches braun gefärbt und mit schwarzen Längsspritzen gezeichnet ist, die zuweilen so aneinander gereiht sind, daß sie schwarze Längslinien darstellen, später aber in längsgestreifte Flecke sich auflösen. Die Weibchen behalten dieses Kleid häufig; zuweilen wird es aber auch bei ihnen, wenigstens im Alter, in ein quergestreiftes umgewandelt. Dies ist die Regel beim Männchen schon zur Zeit seiner Reife. Überall überhaupt zeigt sich bei den Vögeln die „Präponderanz des männlichen Geschlechts“. Bei Amseln, Drosseln oder Würgern behalten die Weibchen das jugendliche Kleid, während die Männchen selbst nahe verwandter Gattungen und Arten später weit mehr voneinander abweichen. Bei den Vögeln nimmt im Gegensatz zu den Säugetieren die Rückenseite zuerst die neuen Eigenschaften an. Die Längsstreifung erhält sich am längsten an der Unterseite. Wenn sich die Zeichnung verliert, so geschieht dies zuerst auf dem Rücken und zwar wiederum zuerst bei den Männchen. Die Querstreifung kann wenigstens in Form von Querbinden an der Unterseite des Schwanzes und der Flügel oder an der ganzen Unterseite bestehen bleiben. Zuletzt wird dann auch die Unterseite einfarbig. Zuweilen trifft man alle Stufen der Umbildung am Körper eines und desselben Vogels: Kehle längsgestreift, Brust längsgefleckt, nach unten in kurze, abgerissene Fleckenzeichnung übergehend, welche den Übergang zur Querstreifung bilden, die am Schwanze ausgesprochen ist, während die ganze Rückenseite schon einfarbig geworden. Das Gesetz der wellenförmigen Entwickelung ist also auch hier ausgeprägt. Unter den wirbellosen Tieren hat Eimer die gesetzmäßige Umbildung der Zeichnung an Schmetterlingen, und zwar zunächst an den dem Segelfalter ähnlichen Arten der Gattung Papilio, verfolgt. Auch hier zeigt sich der gleiche Entwickelungsgang in der Zeichnung: 1) Längsstreifung, 2) Fleckung durch teilweise Auflösung der Streifen, oft auch nur seitliche Verschmelzung oder Verkürzung oder teilweises oder völliges Schwinden einzelner Binden, 3) Querzeichnung oder Querstreifung durch seitliche Verbindung der Flecke oder auch der Längsstreifen, 4) Einfarbigkeit durch fast oder ganz vollständiges Zurücktreten der Zeichnung oder auch durch Verbreiterung der Querverbindungen und der ursprünglichen Längsbinden, so daß die Grundfarbe schließlich ganz oder bis auf Reste verdrängt wird. Auch bei den Schmetterlingen läßt sich ein allmähliches Fortschreiten der Zeichnung von hinten nach vorn, eine postero-anteriore Entwickelung verfolgen, und es treten auch neue Zeichnungen nur hinten auf. Das Undulationsgesetz jedoch, d. h. das bei den Wirbeltieren geschilderte wellenförmige Vorrücken der hinten neu auftretenden Zeichnung nach vorn mit zunehmendem Alter, kann bei den Schmetterlingen nicht in Betracht kommen, da diese die Puppe fertig verlassen. Die große Mannigfaltigkeit der Zeichnung der Formen, Abarten und Arten wird weniger durch das Auftreten neuer Zeichnungen bedingt, als durch Umbildung der alten, indem die eine, z. B. ein gewisser Streifen in einer Gruppe, schwindet, in einer andern sich mehr ausbildet, oder indem beides zugleich vor sich geht, hier Fort-, dort Rückbildung, oder endlich, indem an Vorder- und Hinterflügel, Ober- und Unterseite die Veränderung nicht in gleichem Maße vor sich geht. Des weitern wird die Mannigfaltigkeit bedingt durch die Korrelation, indem mit Veränderung einer Zeichnung häufig noch eine andre oder mehrere zugleich auftreten, z. B. steht mit der schönen Ausbildung der Afteraugenflecke beim Segelfalter die Ausbildung der blauen Randbinde in Beziehung. Die Ursache kann in der ursprünglichen morphologischen und physiologischen Gleichwertigkeit der betreffenden Teile liegen, wie auch die Symmetrie von gleicher stofflicher Zusammensetzung und gleicher physiologischer Thätigkeit der beiden Körperhälften herrührt. Solche korrelativ vor sich gehende, sprungweise Umbildung ohne Zwischenstufen bezeichnet Eimer als kaleidoskopische Umbildung. Die Entdeckungen und Beobachtungen Eimers über die gesetzmäßige Aufeinanderfolge der verschiedenen Zeichnungen wurden von Weismann durch Untersuchungen an den Raupen von Schwärmern bestätigt. Nach diesem Forscher laufen alle Daten der Entwickelungsgeschichte darauf hinaus, daß von den drei bei Sphingidenraupen vorkommenden Zeichnungsformen, der Längsstreifung, den Schrägstrichen und den Flecken, die erstere die ältere ist. Unter den Arten, welche mit Schrägstrichen oder mit Flecken geziert sind, finden sich viele, deren Jugendstadien längsgestreift sind, das Umgekehrte aber findet sich nicht, niemals zeigt die junge Raupe Flecke oder Schrägstriche, wenn die erwachsene Raupe nur längsgestreift ist; die erste und älteste Zeichnung der Sphingidenraupe war also die Längszeichnung. Von Bedeutung ist, daß auch bei den Raupen die neuen Zeichnungen zuerst am hintern Teile des Körpers zu entstehen pflegen. Durch diese Untersuchungen hat die Art und Weise der Zeichnung eine große Bedeutung für die Beurteilung der Verwandtschaft der Tiere und für die Systematik gewonnen.