Zum Inhalt springen

MKL1888:Ockenheim

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Ockenheim“ in Meyers Konversations-Lexikon
Seite mit dem Stichwort „Ockenheim“ in Meyers Konversations-Lexikon
Band 12 (1888), Seite 318
Mehr zum Thema bei
Wikisource-Logo
Wikisource: [[{{{Wikisource}}}]]
Wiktionary-Logo
Wiktionary:
korrigiert
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Indexseite
Empfohlene Zitierweise
Ockenheim. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 12, Seite 318. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Ockenheim (Version vom 10.05.2021)

[318] Ockenheim (Okenheim, eigentlich Okeghem), Johannes, niederländ. Komponist, geb. um 1420 zu Termonde in Flandern (nach andern 1440 in der Grafschaft Hennegau), erhielt seine Ausbildung wahrscheinlich durch Dufay, den ersten namhaften Vertreter der sogen. niederländischen Kontrapunktistenschule, und wurde in der Folge selbst das Haupt dieser Schule während ihrer zweiten Entwickelungsperiode. Er starb vermutlich 1513 als Schatzmeister an der Abtei von St.-Martin zu Tours in Frankreich, wohin ihn Ludwig XI., der dort Hof hielt, 1476 berufen hatte, um seine Kapelle zu leiten. O. gilt mit Recht als der Vater des Kontrapunkts, denn die bei Dufay nur schüchtern auftretenden kanonischen Nachahmungen gewinnen bei ihm an Ausdehnung und Bedeutung, sie erscheinen nicht nur im Einklang und in der Oktave, sondern auch in der Quinte und Quarte. Allerdings beginnen auch mit ihm die kontrapunktischen Künsteleien, welche in den Arbeiten der Niederländer häufig den Gedankeninhalt überwuchern, und schwerlich darf man in einer von seinen Zeitgenossen gerühmten Motette seiner Komposition zu 36 Stimmen (von denen vermutlich nur 6 oder 9 Stimmen notiert waren, deren jede sich als Kanon von 6 oder 4 Stimmen gestaltete, die schließlich zusammen gesungen werden konnten) etwas andres erblicken als mühselige, vorwiegend mechanische Kombination. Überall jedoch, wo er sich vom Zwang der Polyphonie frei fühlt, bekunden sich in seinen Arbeiten eine dem Tonsatz zu Grunde liegende sinnige Absicht und ein Streben nach ausdrucksvoller Melodie. Die volle Ausbildung der Tonkunst in letzterm Sinn war seinen zahlreichen Schülern vorbehalten, vor allen Josquin des Prés (s. d.), der übrigens seiner Verehrung für seinen Lehrer bei dessen Tode durch einen Trauergesang: „La déploration de Jehan O.“, rührenden Ausdruck gegeben hat.