MKL1888:Milan I.
[605] Milan I. (Obrenowitsch), König von Serbien, geb. 18. Sept. 1854, Sohn des Fürsten Milosch Obrenowitsch (gest. 1860) und der Maria Catargi, der spätern Geliebten des Fürsten Alexander Cusa von Rumänien, in Paris erzogen, wurde 2. Juli 1868, nach der Ermordung des Fürsten Michael, als M. Obrenowitsch IV. zum Fürsten proklamiert, 22. Aug. 1872 für großjährig erklärt und vermählte sich 17. Okt. 1875 mit Natalie Keschko, Tochter eines russischen Obersten, die ihm 14. Aug. 1876 den Prinzen Alexander gebar. Von Rußland angestachelt und unterstützt, begann er im Juli 1876 gleichzeitig mit Montenegro ohne allen Grund Krieg gegen die Türkei, der jedoch die prahlerisch vorher verkündeten Erfolge, glänzende Siege und Eroberung von Bosnien, keineswegs hatte. M., der die Führung des Heers dem Russen Tschernajew überließ, mußte die ihm von den Truppen angetragene Königskrone ablehnen und, nachdem Ende Oktober bei Alexinatz sein Heer vernichtet und er von Rußland im Stiche gelassen worden war, die Vermittelung Englands für einen Frieden anrufen, der ihm Anfang März 1877 auch von der Türkei unter den Bedingungen wie vor dem Krieg bewilligt wurde. Gleichwohl begann er Ende Dezember 1877 von neuem den Krieg und erlangte auf dem Berliner Kongreß nicht bloß eine beträchtliche Gebietsvergrößerung, sondern auch die Souveränität und den Titel Hoheit. Mit Zustimmung der Mächte nahm er 6. März 1882 den Königstitel an. Klug, gewandt und ein vortrefflicher Redner, wußte sich M. über dem Parteigetriebe eine herrschende Stellung zu verschaffen und in der auswärtigen Politik durch Anlehnung an Österreich Erfolge zu erringen. Nur Kriegslorbeer blieb ihm versagt, indem auch der Krieg mit Bulgarien 1886 mit Niederlagen endete.
[572] Milan I. (Obrenowitsch), König von Serbien, mußte bald erkennen, daß durch den unglücklichen Krieg mit Bulgarien und die ungeschickte und verlustvolle Finanzpolitik der fortschrittlichen Ministerien seine Stellung ernstlich erschüttert war. Treue Anhänglichkeit an seine Dynastie bestand in Serbien nicht; die Radikalen hatte er sich durch die strenge Bestrafung des Aufstandes von 1883 zu unversöhnlichen Feinden gemacht, und sie wußten das Volk immer mehr für sich zu gewinnen, das gegen Österreich-Ungarn, auf welches M. sich stützte, eine eingewurzelte Abneigung hatte, das althergebrachte Milizsystem für viel besser hielt als das teure stehende Heer, das M. geschaffen, und von den kostspieligen Neuerungen in Handel und Verkehr nichts wissen wollte. M. sah sich schließlich genötigt, das fortschrittliche Ministerium Garaschanin 1887 zu entlassen und es erst mit den Liberalen unter Ristitsch, dann den Radikalen unter Gruitsch zu versuchen, welche jedoch dem König die Erfüllung seiner Verträge mit Österreich unmöglich machen wollten und daher entlassen werden mußten. Dazu kam, daß er auch mit der hohen Geistlichkeit in Streit geriet, so daß er den Metropoliten Michael absetzte. Unzweifelhaft trug die schöne, aber herrschsüchtige Königin Natalie durch ihre Ränke zu diesen Schwierigkeiten bei. Sie wollte M. von der Herrschaft verdrängen, um für ihren unmündigen Sohn die Regierung führen zu können und dann Serbien eng an Rußland zu ketten. Während der Abwesenheit des Königs im unglücklichen Krieg mit Bulgarien hatte sie sicher auf die Erfüllung ihrer Hoffnung gerechnet und begab sich, als dieselbe scheiterte, wiederholt auf längere Zeit mit dem Kronprinzen in das Ausland, so 1887 nach der Krim, dann nach Florenz, 1888 nach Deutschland. Ihrem Gemahl, der ihr allerdings wohl durch Liebschaften Anstoß gegeben hatte, begegnete sie mit offener Geringschätzung. Nachdem die Königin alle versöhnlichen Anträge Milans zurückgewiesen und die Herausgabe ihres Sohns verweigert hatte, ließ er ihr denselben mit Hilfe der preußischen Polizei 13. Juli 1888 in Wiesbaden wegnehmen und nach Belgrad bringen und 24. Okt. durch den Metropoliten Theodosius die Scheidung aussprechen. Um seine Stellung im Land von neuem zu befestigen, erließ M. 26. Okt. eine Proklamation an das serbische Volk, in welcher er an den 1889 bevorstehenden 500jährigen Gedenktag der Schlacht auf dem Amselfeld erinnerte, auf dem das alte serbische Reich zu Grunde ging, und erklärte, es sei nun Zeit, an die innere Regeneration des Landes durch Regelung der Staatsfinanzen und durchgreifende Reform der Verfassung zu gehen. Er ernannte einen Ausschuß, welchem er den von ihm ausgearbeiteten, sehr liberalen Verfassungsentwurf vorlegte, und welcher ihn genehmigte, worauf 2. Dez. die große Skuptschina gewählt würde. Die Wahlen fielen durchaus zu gunsten der Radikalen aus, und wenn dieselben auch 2. Jan. 1889 die neue Verfassung unverändert annahmen und das neue radikale Ministerium die bisherige auswärtige Politik, die hauptsächlich des Königs Werk war, fortführte, so sah M. seit den Skuptschinawahlen seine Stellung doch als unhaltbar an; er fürchtete, die Verpflichtungen, die er gegen Österreich übernommen hatte, künftig nicht halten zu können, und hoffte, daß sein Rücktritt dem serbischen Volk die Bedeutung der Dynastie Obrenowitsch zum Bewußtsein bringen und es mit seinem Sohn enger verbinden werde. Die Aufregung und die Sorgen der letzten Jahre hatten ihn aufgerieben und sein Nervensystem zerrüttet; er war regierungsmüde und traute sich nicht die Kraft zu, mit einer radikalen Skuptschina weiter zu regieren. Alle Versuche, ihn von seinem Entschluß abzudanken abzubringen, waren vergeblich. Am siebenten Jahrestag seiner Proklamation zum König, 6. März 1889, verkündete er plötzlich einen Ukas, in welchem er die Krone seinem Sohn Alexander übertrug, ernannte für denselben eine Regentschaft und erließ an das Volk ein Manifest, in welchem er seinen Schritt rechtfertigte. Er behielt sich die Hälfte der Zivilliste (600,000 Frank) und das Recht vor, die weitere Erziehung seines Sohns zu leiten. Das serbische Volk zeigte Staunen über das unerwartete Ereignis, aber keine Betrübnis. M. begab sich zunächst auf Reisen nach dem Orient, dann nach Paris, behielt sich aber die Rückkehr nach Serbien vor.
[617] Milan I. (Obrenowitsch), früherer König von Serbien, kehrte 1890 von Paris nach Serbien zurück, angeblich nur, um die Erziehung seines Sohnes, des Königs Alexander, zu leiten, jedoch wohl auch in der Absicht, die Pläne der Königin Natalie zu durchkreuzen und seine finanziellen Interessen zu wahren. Die Königin Natalie betrieb nämlich mit allem Eifer die Aufhebung der Ehescheidung vom 24. Okt. 1888 und wandte sich endlich 23. Juni 1890 an die Synode der Bischöfe mit der Bitte, dieselbe möge ihre Entscheidung über das Urteil des Metropoliten Theodosius abgeben, d. h. dasselbe aufheben. Der Metropolit Michael war geneigt, sich auf eine erneute Verhandlung der Ehescheidungssache einzulassen und hatte schon eine dahin lautende Antwort an die Königin aufgesetzt. Doch hatte die Regentschaft M. bei der Wiedereinsetzung Michaels in sein Amt versprochen, daß an dem Urteilsspruch von dessen Vorgänger Theodosius in der Ehesache nicht gerüttelt werden solle, und rechtzeitig von dem Vorhaben des Metropoliten durch den König M. unterrichtet, begaben sich die Regenten zu Michael und erklärten ihm, „sie könnten es nicht dulden, daß die Synode auf das bekannte Gesuch der Königin-Mutter einen andern Bescheid erteile als denjenigen, dessen Wortlaut sie Sr. Eminenz hiermit bekannt zu geben sich beehrten“. Demgemäß entschied die Synode 17. Juni, daß sie sich in Erwägung, daß der Ehestreit bereits endgültig entschieden worden sei, neuerdings in Erörterung einer durchaus vollendeten Thatsache nicht einlassen könne. Hatte M. in dieser Frage gesiegt, so vermehrte das doch keineswegs seine Beliebtheit, im Gegenteil regte sich überall das Gefühl des Mitleids für die Königin-Mutter, deren völlige Unschuld an politischen Ränken sogar behauptet wurde, während der Ehescheidungsprozeß des Generals Protitsch gegen seine Gattin Artemisia M. arg bloßzustellen drohte. Auch mußte es M. erleben, daß die Radikalen eine der seinigen ganz entgegengesetzte Politik namentlich in den auswärtigen Angelegenheiten befolgten, daß die Minister, die M. in seiner Gereiztheit mit Vorwürfen überhäufte, dieselben mit Berufung auf ihre verfassungsmäßigen Pflichten und Rechte zurückwiesen, und daß die Presse ihn in der schonungslosesten Weise angriff. M. verließ Belgrad im Oktober, nachdem ihm die Regenten die Wahrung seiner Rechte zugesichert und seinen Jahrgehalt erhöht hatten, und begab sich nach England. Die Königin Natalie versuchte noch die Skuptschina durch eine im November eingereichte Denkschrift für ihre Sache zu gewinnen; dieselbe erklärte sich aber für nicht zuständig. Weiteres s. Serbien.
[614] Milan I. (Obrenowitsch), ehemaliger König von Serbien. Das serbische Ministerium erfüllte 1891 sein M. gegebenes Versprechen, dessen Rechte zu wahren, indem es in der Skuptschina ein neues Preßgesetz durchbrachte, welches ihn als unverletzbar unter besondern Schutz stellte. Bei seiner Abreise von Belgrad im Oktober 1890 hatte M. gegen die Zahlung eines Vorschusses von 1 Million auf die ihm zustehende Hälfte der königlichen Zivilliste versprochen, bis zur Großjährigkeit seines Sohnes, des Königs Alexander, sich nicht in Serbien aufzuhalten, wenn die Skuptschina in einer Resolution den Wunsch äußere, daß die Königin Natalie ebenfalls bis zur Großjährigkeit ihres Sohnes ihren Wohnsitz außerhalb Serbiens nehmen möge. Auch dies that die Skuptschina 13. April 1891, und auf Grund dieses Beschlusses forderte die Regierung die Königin auf, im Interesse des innern Friedens Serbiens das Land zu verlassen. Indes die Königin, „das störrische Weib“, wie sie M. nannte, erklärte, nur der Gewalt weichen zu wollen. Nachdem verschiedene Versuche der Regentschaft, die Königin zur Nachgiebigkeit zu bewegen, gescheitert waren (auch ein Besuch des jungen Königs war vergeblich gewesen), wurde 19. Mai die herausgeforderte Gewalt angewendet. Bei der Fahrt nach dem Schiffe, auf welchem die Königin Serbien verlassen sollte, wurde der Wagen durch eine von Garaschanin und der Fortschrittspartei aufgereizte Volksmasse angehalten und zur Rückkehr nach der Wohnung gezwungen. Erst nach Aufbietung einer größern bewaffneten Macht wurde die Abreise der Königin erzwungen. M. dankte der Regierung die pünktliche Erfüllung ihrer Versprechungen schlecht. Da er die im Oktober 1890 empfangene Million Vorschuß rasch vergeudet hatte, verpfändete er 1891 bei einer russischen Bank seine Domänen in Serbien gegen mehrere Millionen. Da dieses Geschäft in Serbien angefochten wurde, M. aber des Geldes dringend bedurfte, entsagte er 1892 kurzweg allen königlichen Rechten, ja sogar seiner serbischen Staatsangehörigkeit, wogegen die Regentschaft seine finanziellen Wünsche erfüllte; die Skuptschina genehmigte das Abkommen im März 1892 (s. Serbien, Geschichte), um M. los zu sein. M. nahm den Namen eines Grafen Takowa an, machte sich aber bald durch seine Spielwut in Paris, wo er sich niedergelassen, unmöglich.