Zum Inhalt springen

MKL1888:Kiel

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Kiel“ in Meyers Konversations-Lexikon
Seite mit dem Stichwort „Kiel“ in Meyers Konversations-Lexikon
Band 9 (1887), Seite 715717
Mehr zum Thema bei
Wikisource-Logo
Wikisource: Kiel
Wiktionary-Logo
Wiktionary: Kiel
korrigiert
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Indexseite
Empfohlene Zitierweise
Kiel. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 9, Seite 715–717. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Kiel (Version vom 13.09.2023)

[715] Kiel, der am Schiffsboden sich entlang streckende Balken, die Grundlage der „auf K. gebauten“ Wasserfahrzeuge (s. Schiff). – In der Botanik heißt K. (Carina) ein Teil der Schmetterlingsblüte (s. Papilionaceen); [716] in der Zoologie s. v. w. Schaft der Federn.

Kiel, Stadt und Stadtkreis in der preuß. Provinz Schleswig-Holstein, in anmutiger Lage fast im Hintergrund des Kieler Busens (s. d.), Knotenpunkt der Linien Altona-K. und K.-Ascheberg der Preußischen Staatsbahn sowie der Eisenbahn K.-Eckernförde-Flensburg, besteht aus der eng gebauten Altstadt, auf einer Halbinsel zwischen dem Kieler Busen und dem Kleinen K., und aus den freundlichen, 1869 durch die Landgemeinden Düsternbrook und Brunswick vergrößerten neuern Stadtteilen. Am Ostende der Altstadt liegt das Schloß, das im 13. Jahrh. erbaut, im 18. Jahrh. durch die russische Kaiserin Katharina II. erweitert ward (der ältere Teil desselben brannte 1838 ab und wurde neu aufgeführt) und in seinem Innern die Universitätsbibliothek (nahezu 200,000 Bände) und eine kleine,

Wappen von Kiel.

aber vortreffliche Sammlung von Gipsabgüssen nach Antiken und Skulpturen von Thorwaldsen birgt. Dasselbe wird zur Zeit vom Prinzen Heinrich von Preußen bewohnt. Die Stadt hat 3 evangelische Kirchen: die um 1240 erbaute, jetzt gründlich restaurierte Nikolaikirche mit hohem Turm, die Kloster- oder Heilige-Geistkirche und die 1886 vollendete Jakobikirche; ferner eine Garnison- und eine katholische Kirche, ein altes Rathaus (mit einer Tafel zur Erinnerung an die in demselben 24. März 1848 erfolgte Proklamierung der provisorischen Regierung für die Herzogtümer), ein Stadthaus (Verwaltungsgebäude), eine in Tempelform erbaute Kunsthalle, mehrere altertümliche Privathäuser, viele Villen mit freundlichen Gärten etc. Die Bevölkerung beläuft sich (1885) mit der Garnison (1. Matrosendivision, ein See- und ein Füsilierbataillon Nr. 85) auf 51,706 Seelen, darunter 1636 Katholiken und 283 Juden. Industrie und Handel sind im steten Aufschwung begriffen. K. hat eine kaiserliche und zwei Privatschiffswerften (erstere zeitweilig mit 3000 Arbeitern), 2 Schwimmdocks, sehr bedeutende Mahlmüllerei, eine große Ölmühle, Eisengießerei, Maschinenbau (Schiffsmaschinen) und Kupferschmiederei, bedeutende Bierbrauerei, Spiritus-, Likör- und Seifenfabriken, Holzsägerei und Holzbearbeitungsanstalten, bedeutende Goldleistenfabrikation, 2 elektrotechnische Fabriken, verschiedene Buchdruckereien etc. Der Handel erstreckt sich auf die Einfuhr von Getreide, Kohlen, Bauholz, Vieh etc., ausgeführt werden besonders Kohlen, Mehl, Bier, Butter, Käse, Saatkorn und Fische (Kieler Sprotten und Fettbücklinge). An Bankinstituten hat K. eine Reichsbankstelle (Umsatz 1885: 1653/4 Mill. Mk.), eine Vereinsbank, die Kieler Bank, die Kieler Kreditbank u. a. Die unter dem Namen Kieler Umschlag bekannte Messe (vom 6.–17. Jan.) dient zur Erledigung der Geldgeschäfte, namentlich der schleswig-holsteinischen Gutsbesitzer. Den Verkehr in der Stadt vermittelt eine Pferdebahn. Der Hafen, der beste der deutschen Ostseeküste (s. Kieler Busen), unterhält regelmäßige Dampfschiffsverbindungen mit Königsberg, Danzig, Stettin, Kopenhagen, Bremen etc. Von besonderer Bedeutung ist die zweimal täglich stattfindende Dampferverbindung K.-Korsör, die einen Hauptteil des deutsch-skandinavischen Verkehrs vermittelt. 1886 hatte die Stadt eine Handelsflotte von 73 Seeschiffen; in den Hafen liefen ein 1885: 3465 Schiffe mit 532,189 Ton. Ladung, es liefen aus: 3510 Schiffe mit 538,755 T. Ladung. Unter den Bildungsinstituten steht die Universität, Christiana Albertina, obenan. Der Neubau derselben im Schloßgarten wurde 1876 vollendet. Sie zählte im Wintersemester 1886/87: 74 Professoren und Dozenten und 480 Studierende. Außer der bereits oben erwähnten Bibliothek und dem Kunstmuseum sind mit ihr ein zoologisches Museum, ein Münzkabinett, eine Sammlung nordischer Altertümer etc. verbunden. Der Ausbildung im Seewesen dienen: eine Marineakademie, eine Marine- und eine Deckoffizierschule. An sonstigen öffentlichen Anstalten befinden sich dort: ein Gymnasium, eine Oberrealschule, eine landwirtschaftliche Versuchsstation, das Thaulow-Museum (Sammlung von schleswig-holsteinischen Schnitzwerken aus dem 15.–18. Jahrh.), ein Theater, eine Sternwarte, eine Blinden- und eine Idiotenanstalt, mehrere gelehrte Gesellschaften und Vereine (Verein für Geographie und Naturwissenschaften, Gesellschaft für Sammlung und Erhaltung vaterländischer Altertümer, für vaterländische Geschichte, Landwirtschaftlicher Zentralverein, Gesellschaft freiwilliger Armenfreunde, seit 1793), ein großes Militärlazarett, 2 akademische Krankenhäuser, eine Irrenanstalt im nahen Hornheim, eine große Verpflegungsanstalt für arme Bürger und deren Witwen („Stadtkloster“ genannt, 1822 aus der Vereinigung von vier alten Klöstern gebildet) etc. Die städtischen Behörden zählen 6 Magistratsmitglieder und 24 Stadtverordnete. Von andern Behörden haben hier ihren Sitz: das kaiserliche Kommando der Marinestation der Ostsee, der Stab der 9. Gendarmeriebrigade, ein Medizinalkollegium, ein evangelisches Konsistorium, ein Oberlandesgericht, ein Landgericht, ein Hauptzollamt und die Landesdirektion der Provinz Schleswig-Holstein. Zum Landgerichtsbezirk K. gehören die 22 Amtsgerichte zu Bordesholm, Bramstedt, Burg auf Fehmarn, Eckernförde, Gettorf, Heide, Heiligenhafen, Hohenwestedt, K., Lunden, Lütjenburg, Neumünster, Neustadt, Nortorf, Oldenburg, Plön, Preetz, Rendsburg, Schenefeld, Schönberg, Segeberg und Wesselburen.

In der nächsten Umgegend erregen zunächst das kaiserliche Marinedepot auf dem Terrain des ehemaligen Seebades Düsternbrook, nördlich von K., an der Westseite des Hafens, und die neuen Kriegshafenanlagen auf der östlichen Seite der Bucht zwischen Sandkrug und Ellerbeck das meiste Interesse. Die letztern bestehen aus der Schiffswerfte für die kaiserliche Marine (mit zwei Bassins für Schiffbau und Schiffsausrüstung, jenes 215 m im Geviert, dieses 248 m lang und 215 m breit, beide verbunden durch einen 63 m langen Kanal), den 3 Hellingen (zum Ablaufen neugebauter Schiffe), den 4 Trockendocks (je 94–110 m lang und 22–23 m breit), dem Schwimmdock etc. Die Befestigungen des Kriegshafens, wegen deren K. zu den Festungen gehört, liegen meist an der Stelle, wo der Kieler Busen eine Einschnürung zeigt. Sie bestehen aus den beiden Forts Friedrichsort (s. d.) und Falkenstein auf der schleswigschen und den Strandbatterien Forts Stosch, Jägersberg, Korügen und Möltenort auf der holsteinischen Seite. K. besitzt endlich auch 3 Seebadeanstalten und herrliche Spaziergänge, namentlich durch das städtische Gehölz Düsternbrook nach Bellevue. Weiter dienen die Wilhelminenhöhe (Sandkrug) in Gaarden, Ellerbeck, das Schwentinenthal (s. d.), Knoop und Holtenau mit der Einfahrtsschleuße des [717] Nordostseekanals, Heikendorf und Laboe an der Föhrde als Vergnügungsorte.

K. (wahrscheinlich von dem altsächsischen Wort Kille, was einen sichern Platz für Schiffe bedeutete) kommt schon im 10. Jahrh. unter dem Namen Kyl vor und wird bereits im 11. Jahrh. als Stadt erwähnt. Nachdem die Stadt 1072 von den Slawen zerstört worden, ward sie vom Grafen Adolf II. (gest. 1164) wieder aufgebaut. 1242 erhielt sie das lübische Stadtrecht. Zu Anfang des 14. Jahrh. gab ihr König Christoph II. die Erlaubnis zum Stapel und Seehandel und 1318 Münzgerechtigkeit; das meiste zu ihrem Aufblühen trug aber Graf Adolf IV. bei, welcher nach dem Sieg bei Bornhövede in K. seine Residenz aufschlug. Dessen Sohn Johann I. gründete die Linie Holstein-K. (s. Holstein). Durch ihre Regenten mit vielen Freiheiten ausgestattet, erhob sich die Stadt sehr rasch, und schon 1363 gehörte sie zur Hansa. 1544 kam sie an Herzog Adolf zu Holstein-Gottorp, der sie im Flensburger Teilungsvertrag vom 12. Aug. 1581 an seinen Neffen, König Friedrich II., abtrat. Während des Dreißigjährigen Kriegs wurde sie von den Truppen beider Parteien wiederholt erobert. Herzog Christian begründete 1665 daselbst eine Universität, die seinen Namen trägt. Seit 1721 war K. wieder Residenz der Herzöge von Holstein-Gottorp und Hauptstadt des großfürstlichen (russischen) Anteils von Holstein, bis es 1773 mit dem königlichen Anteil vereinigt wurde (s. Schleswig-Holstein, Geschichte). Geschichtlich merkwürdig ist K. besonders durch den daselbst zwischen Dänemark und Schweden und zwischen Dänemark und Großbritannien 14. Jan. 1814 geschlossenen Kieler Frieden, in dem Dänemark Norwegen an Schweden, Schweden dagegen Schwedisch-Pommern an Dänemark abtrat. 1848–50 war K. der Sitz der provisorischen Regierung. Auch der Herzog Friedrich von Augustenburg residierte 1864–66 in K. Vgl. Häseler, Führer durch K. (2. Aufl., Kiel 1875); Prahl, Chronika der Stadt K. (das. 1856); Fick, Mitteilungen aus Kiels Vergangenheit (das. 1867); Volbehr, Beiträge zur Topographie der Stadt K. (das. 1881, Bd. 1).

Kiel, Friedrich, Komponist, geb. 7. Okt. 1821 zu Puderbach a. d. Lahn als der Sohn eines Schullehrers, machte seine Studien in Koburg unter Kummer, wurde darauf von seinem Gönner, dem Fürsten von Wittgenstein-Berleburg, in dessen Hauskapelle angestellt und ging 1843 nach Berlin, wo er unter Dehn mit einer königlichen Unterstützung noch drei Jahre lang seine Studien, namentlich im Kontrapunkt, fortsetzte. Nach beendigter Ausbildung blieb er in Berlin eine Reihe von Jahren als Lehrer und Komponist, aber nur in der Stille und in kleinem Kreise wirkend, bis die 1862 vom Sternschen Gesangverein veranstaltete Aufführung seines „Requiem“ ihn mit einem Schlag zur Berühmtheit erhob. Drei Jahre später wurde er zum Mitglied der königlichen Akademie der Künste ernannt, 1867 zum königlichen Professor und 1869 zum Senatsmitglied der Akademie. In demselben Jahr wurde er Kompositionslehrer an der neuerrichteten Hochschule für Musik, nachdem er während der drei vorhergehenden Jahre am Sternschen Konservatorium in gleicher Eigenschaft thätig gewesen war. Er starb 14. Sept. 1885 in Berlin. K. zeigt sich in seinen Kompositionen als Kontrapunktist von hervorragender Bedeutung, ohne jedoch dem formalen Element ein Übergewicht über das geistige einzuräumen; dies gilt nicht allein von seinem oben erwähnten „Requiem“, sondern auch von seinen übrigen größern Werken: „Tedeum“, „Stabat mater“ (1864), „Missa solemnis“ (1866), dem Oratorium „Christus“ (1874) wie auch von seinen Arbeiten für Kammermusik, unter denen sich eine Violinsonate, ein Klavierquartett, ein Klavierkonzert u. a. auszeichnen. Wie glücklich K. in seinen Kompositionen den künstlerischen Ernst mit einer edlen Popularität zu vereinen weiß, zeigen namentlich seine „Deutschen Reigen“ für Klavier und Violine (1870) und seine Walzer für Streichquartett (1880).