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MKL1888:Integrālrechnung

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Integrālrechnung“ in Meyers Konversations-Lexikon
Seite mit dem Stichwort „Integrālrechnung“ in Meyers Konversations-Lexikon
Band 8 (1887), Seite 992993
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Integrālrechnung. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 8, Seite 992–993. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Integr%C4%81lrechnung (Version vom 14.01.2023)

[992] Integrālrechnung, der zweite Teil der Infinitesimalrechnung, welcher sich mit der Ermittelung der Integrale beschäftigt. Zu dem Begriff des Integrals gelangt man folgendermaßen. Es sei eine Funktion der Variabeln , die man sich geometrisch versinnlichen kann, indem man als Abscisse und als rechtwinkelige Ordinate abträgt; ferner seien und zwei Werte von , , und zwischen denselben mögen die Werte eingeschaltet werden. Zieht man nun die Ordinaten , so zerfällt die Fläche, welche von bis zwischen der Abscissenachse und der Linie liegt, in Streifen, die man annäherungsweise als Rechtecke berechnen kann. Man erhält also als Annäherungswert für diese Fläche die Summe

.

Je kleiner man die Abschnitte , etc. auf der Abscissenachse macht, und je größer man also gleichzeitig ihre Anzahl nimmt, desto genauer stellt diese Summe die erwähnte Fläche dar, und der Grenzwert, der sich ergibt, wenn man diese Abschnitte verschwindend klein werden und ihre Anzahl über alle Grenzen wachsen läßt, ist der genaue Wert dieser Fläche. Dieser Grenzwert heißt nun das bestimmte Integral der Funktion zwischen den Grenzen und und wird durch das Zeichen

ausgedrückt. Die Differenzen , etc. sind nämlich verschwindend kleine Zunahmen der Abscisse oder Differentiale von und werden mit bezeichnet. Der Grenzwert obiger Summe ist daher die Summe der unendlich vielen verschwindend kleinen Produkte , gerechnet von bis . Das Wort „Summe“ wird durch das Zeichen ausgedrückt, welches aus dem Buchstaben S entstanden ist. Wir können uns das bestimmte Integral auch als ein Volumen denken. Legt man nämlich durch einen Körper eine Achse, welche man als Abscissenachse betrachtet, und errichtet darauf senkrechte Ebenen, welche den Körper in Querschnitten schneiden, so kann man das Volumenelement dieses Körpers als eine Schicht von der verschwindend kleinen Dicke und dem Querschnitt betrachten, also gleich setzen, und das bestimmte Integral drückt also das Volumen des Körpers zwischen und aus. Den Wert eines bestimmten Integrals kann man in vielen Fällen nach folgender Regel finden: Ist der Differentialquotient (s. Differentialrechnung) einer Funktion , welche von bis stetig und endlich bleibt, so ist

.

Um das bestimmte Integral zu ermitteln, hat man daher nur nötig, die Funktion zu finden. Diese nennt man nun das unbestimmte Integral von und bezeichnet sie mit . Die Ermittelung der unbestimmten Integrale ist daher die erste Aufgabe der I., und diese Aufgabe ist gerade das Gegenstück von der Bestimmung des Differentialquotienten, der Fundamentalaufgabe der Differentialrechnung (s. d.). Die Eigenschaften und die Wertermittelung bestimmter Integrale bilden einen zweiten Hauptgegenstand der I.; bestimmte Integrale lassen sich nämlich auch dann oft genau angeben, wenn sich der Wert des entsprechenden unbestimmten Integrals nicht in geschlossener Form mit Genauigkeit darstellen läßt. Den umfangreichsten, wichtigsten und noch lange nicht abgeschlossenen Teil der I. bildet die Integration der Differentialgleichungen. Unter Differentialgleichungen versteht man Gleichungen zwischen den Funktionen, den unabhängigen Variabeln und den Differentialquotienten; die Aufgabe besteht darin, die Funktionen ohne Vermittelung der Differentialquotienten durch die unabhängigen Variabeln auszudrücken. Auf solche Gleichungen kommt man meistenteils, wenn man geometrische, mechanische, physikalische Probleme mathematisch zu behandeln sucht. Als Schöpfer der I. im heutigen Wortsinn ist Leibniz zu betrachten; von ihm rührt auch das Zeichen her, das er zuerst in einem Manuskript vom 25. Okt. 1675 angewandt hat. Sein Zeitgenosse Newton hat, wenn auch in andrer Form, noch früher ähnliche Probleme behandelt. Um die weitere Ausbildung der I. haben sich im vorigen Jahrhundert namentlich die Brüder Jakob und Johann Bernoulli, Leonh. Euler, d’Alembert, Lagrange u. a. verdient gemacht. Vgl. Schlömilch, Kompendium der höhern Analysis, Bd. 1 (5. Aufl., Braunschw. 1881); Derselbe, Handbuch der [993] Mathematik, Bd. 2 (Bresl. 1881); Navier, Lehrbuch der Differential- und Integralrechnung (deutsch von Wittstein, 4. Aufl., Hannov. 1875, 2 Bde.); Serret, Lehrbuch der Differential- und Integralrechnung (deutsch von Harnack, Leipz. 1883, 2 Bde.); Stegemann, Grundriß der I. (4. Aufl., Hannov. 1886); Gerhardt, Die Entdeckung der höhern Analysis (Halle 1855).