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MKL1888:Inschriften

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Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Inschriften“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 8 (1887), Seite 972975
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Inschriften. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 8, Seite 972–975. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Inschriften (Version vom 09.03.2021)

[972] Inschriften (griech. Epigraphai, lat. Inscriptiones) nennen wir heute nur Aufschriften auf Monumenten, Kunstwerken etc., welche ohne eigne selbständige Bedeutung nur zur Charakterisierung oder nähern Bezeichnung eines Gegenstandes dienen. Die alten Völker aber, besonders die Griechen und Römer, machten von den I. einen weit ausgedehntern Gebrauch: nicht nur als Aufschriften in unserm Sinn verwendeten sie die I., sondern in vielen Fällen, wo heute ein Schriftstück über eine Sache durch die öffentlichen Blätter zur allgemeinen Kenntnis gebracht wird, wie Gesetze, Verordnungen, völkerrechtliche Abmachungen u. a., oder wo wir ein Schriftstück in den Archiven niederlegen, oder in den Kanzleien, beim Rechtsanwalt etc., kurz, wo es sich um öffentliche Bekanntmachung und urkundliche Aufbewahrung handelte, verwendeten die Alten in der Regel I. auf Marmor oder Bronze, bisweilen auch auf Holz. Der Grund hierzu lag einerseits in den im Verhältnis zu unsrer Zeit nur mangelhaften Mitteln einer weitern Publizierung überhaupt, anderseits in dem Charakter des antiken Lebens, das in der Öffentlichkeit seinen Schwerpunkt hatte; dazu gesellte sich in einzelnen Fällen auch eine gewisse republikanische Eitelkeit und ein öffentliches Selbstbewußtsein, das manchen an sich unwichtigen Akten eine Bedeutung über Gebühr verlieh. Die griechischen und römischen I., die, in dem Gesagten als teils Aufschriften sind, teils Urkunden in unserm Sinn, sind so vielseitig und eigenartig in ihrem Inhalt und erstrecken sich auf so mannigfaltige Lebensverhältnisse der Alten, daß es kein Gebiet der griechischen oder römischen Altertumswissenschaft gibt (betreffe es nun Sprache, Geschichte, Mythologie, Sitte, Glauben und Denkweise, staatliche und politische Verhältnisse, öffentliches und privates Leben wie Lebensverhältnisse und Lebensbedingungen überhaupt), das nicht aus den I. Licht erhielte. Für manche Seiten der Altertumskunde bilden die I. geradezu die wichtigste Quelle. Eine summarische Übersicht der Hauptklassen mag dies im folgenden deutlich machen.

[Hauptklassen der I.] Um mit den Urkunden zu beginnen, so zerfallen dieselben in staatliche oder behördliche und in private. Zu den staatlichen Urkunden gehören Staatsverträge, Volksbeschlüsse, Senatsbeschlüsse, Erlasse oder Berichte oder Kundgebungen einzelner Beamten oder Behörden. Ein Beispiel für die erstern ist die Tabula Bantina, eine auf der einen Seite in lateinischer, auf der andern in oskischer Sprache beschriebene Bronzetafel, die einen Vertrag zwischen Rom und der oskischen Gemeinde Bantia in Apulien enthält. Ein andres Beispiel liefert die zu Anfang des 19. Jahrh. in Olympia gefundene Bronzetafel, die im elischen Dialekt einen auf 100 Jahre zwischen den Städten Elis und Heräa geschlossenen Bundesvertrag enthält, der wahrscheinlich ins 6. Jahrh. v. Chr. gehört. Volksbeschlüsse oder Gesetze wurden, wenn ihre öffentliche Aufstellung beschlossen war, bei den Griechen in der Regel in Marmor, bei den Römern in Bronze eingegraben und so bekannt gemacht. Erhalten sind deren sehr viele, griechische und lateinische. Von der erstern sei beispielshalber die wichtige, erst 1884 aufgefundene Inschrift von Gortyn (s. d.) auf Kreta, wahrscheinlich aus dem 5. Jahrh. v. Chr., erwähnt, die eine Gesetzesnovelle enthält; unter den lateinischen mögen hervorgehoben werden die in den letzten Jahrzehnten in Spanien zum Vorschein gekommenen Stadtrechte römischer Gemeinden sowie eine besonders zahlreich vertretene Klasse, die sogen. tabulae honestae missionis, d. h. für den einzelnen Soldaten auf Bronzetäfelchen ausgestellte Auszüge aus dem Gesetz, mit welchem der Kaiser den aus bestimmten Militärabteilungen zur Entlassung kommenden Soldaten Bürgerrecht verlieh. Auch Senatsbeschlüsse, von souveränen wie von unterworfenen Gemeinden, haben wir in großer Anzahl; in der Mehrzahl derselben handelt es sich um Verleihungen des Bürgerrechts oder Patronats oder sonstige ehrenvolle Auszeichnungen einzelner. Unter den Kundgebungen, die von Staatsbeamten ausgingen, sind für Attika beispielsweise die Rechnungslegungen der Beamten zu erwähnen, welche Klasse von I. das reichste Material für die griechischen Staatsaltertümer geliefert hat. Zu ihnen gehören die attischen Marine-Urkunden, die Tributlisten der Oberrechnungskammer, aus welchen die Höhe der Beiträge ermittelt werden dann, welche die Bundesgenossen nach Athen zu zahlen hatten, sowie die Rechnungslegung der Kommission, welche den Bau der Propyläen besorgte. Unter den lateinischen I. wird die vielleicht interessanteste und wichtigste von allen, das sogen. Monumentum Ancyranum, dessen Text von Kaiser Augustus kurz vor seinem Tod niedergeschrieben wurde und zugleich mit der griechischen Übersetzung an den Wänden eines Tempels zu Ankyra in Kleinasien erhalten ist. (s. Angora), gewöhnlich als Rechenschaftsbericht aufgefaßt; doch ist neuerdings begründet worden, daß Augustus dies Schriftstück dazu bestimmt hat, für seine rühmende Grabschrift verwendet zu werden. Zu staatlichen Urkunden sind ferner zu rechnen die Verzeichnisse von Beamten aller Art, wie der Archonten, Strategen, Prytanen, Konsuln, von Priestern und Priesterinnen [973] etc. und die Sitzungsprotokolle derselben. Unter der Masse dieser I. ragen durch historische Wichtigkeit hervor unter andern die sogen. Fasti Capitolini, d. h. das unter Kaiser Augustus in den Wänden der Regia, der Wohnung des Pontifex maximus, eingegrabene Verzeichnis der Konsuln des römischen Staats und der Triumphe, von Anfang Roms beginnend; ferner die Sitzungsprotokolle der Arvalen, die Acta der Arvalbrüder (s. d.), welche uns in großer Menge aus der Zeit von Augustus bis auf Gordianus erhalten sind.

Die Privaturkunden sind so mannigfacher Art, daß es nicht möglich ist, hier in Kürze ein Bild von dieser Klasse von I. zu geben. Beispielsweise erwähnen wir die zahlreichen Freilassungsurkunden von Sklaven, mit denen die Fundamente des Tempels zu Delphi bedeckt sind. Hierher gehören die Beschlüsse von Privatkorporationen, womit diese einzelne aus ihrer Mitte, die sich um die Korporation verdient gemacht, durch Dekretierung von ehrenvollen Auszeichnungen belohnten, sowie die aus mehreren Städten Italiens erhaltenen Verzeichnisse von Grundstücken mit den auf Anlaß der milden Stiftungen des Kaisers Trajan für Waisen darauf gegen einen bestimmten Erbzins hypothekarisch angelegten Kapitalien. Auch Testamente, Schenkungen, Kauf- und Mietskontrakte finden sich unter dieser Klasse von Urkunden. Doch war es immerhin eine Ausnahme, daß solche Privaturkunden in Stein oder Bronze eingegraben und aufgestellt wurden. Gewöhnlich wurden sie auf mit Wachs überzogenen Holztäfelchen (tabulae ceratae) niedergeschrieben; solcher waren bisher nur wenige aus siebenbürgischen Bergwerken bekannt, bis 1875 ein Kasten mit mehreren Hundert Quittungen in dem Büreau eines Bankiers zu Pompeji aufgefunden wurde. Ebenfalls zu dieser Gattung von I. gehören die mancherlei öffentlichen und privaten Ankündigungen und Bekanntmachungen, wie z. B. die auf die Schauspiele bezüglichen sowie die Dipinti zu Pompeji, mit Farbe geschriebene Ankündigungen auf der Straße zugekehrten Wänden der Häuser, zum großen Teil Wahlprogramme; hierher gehört auch, daß die Schüler oder der Rektor einer Bildungsanstalt zu Athen (des sogen. Diogeneion) jährlich eine Steintafel in den Räumen ihres Gymnasiums aufstellen ließen, sozusagen ein Jahresprogramm, in welchem die sämtlichen Schüler und Lehrer verzeichnet waren (von welcher Art von I. wir gerade eine sehr große Anzahl haben), oder daß ein griechischer Athlet in ruhmredigen Worten auf einer Steintafel der Welt seine Siege verkündigte, und vieles andre, das sich einzeln hier nicht aufführen läßt.

Ebenso mannigfach ist die zweite Hauptabteilung der griechischen und lateinischen I., die I. im engern Sinn oder Aufschriften. Die Hauptklassen derselben sind die Weih-, Ehren- und Grabinschriften. Die erstern sind I., die eine für die Götter bestimmte Weihung begleiten, oft auf dem Gegenstand selbst angebracht, bei Tempeln gewöhnlich auf dem Fries, bei Statuen auf dem Sockel. Für die sakralen Altertümer, für die Kenntnis der religiösen Seite des antiken Lebens wie für die Mythologie sind diese Art der I. eine wichtige Quelle. Die Ehreninschriften sind großenteils Aufschriften auf Sockeln von Ehrenstatuen, die für das römische Altertum, für Geschichte und Staatsrecht besonders dadurch von Wichtigkeit sind, daß die Römer auf denselben die Laufbahn des Geehrten, d. h. die Ämter, die er verwaltet, in chronologischer Reihenfolge aufzuführen pflegten. Die Grabinschriften endlich sind die bei weitem zahlreichste Klasse dieser Art I., die das antike Leben überall begleiten und die trotz ihrer Einfachheit, da sie oft nur den Namen und die Heimat des Verstorbenen nennen, doch von den Verhältnissen der Bevölkerung, wie z. B. von ihrer Mischung, ihrer Dichtigkeit, von dem Grad ihres Wohlstandes, ein treues Bild geben. Eine große Zahl derselben sind in Versen, von denen freilich nicht viele poetischen Wert haben. Von den übrigen Klassen der I., die in diese zweite Hauptabteilung gehören, verdienen noch erwähnt zu werden die Grenzsteine, die Meilensäulen, die Aufschriften auf Maßen und Gewichten sowie endlich die Stempel, namentlich von Ziegeln. Endlich gehört in diese Abteilung noch die große Masse der rein zufälligen inschriftlichen Vermerke, wie sie berufene und unberufene Hände zu allen Zeiten an vielbesuchten Orten als Andenken zurücklassen, z. B. die zahlreichen auf der Memnonssäule zu Memphis oder die aus dem 7. Jahrh. v. Chr. datierende Söldnerinschrift von Abu Simbal in Nubien, die der Anführer der griechischen Söldner auf den Beinen eines dort stehenden Kolossalbildes eingekratzt hat, weil er den denkwürdigen Moment, der sie von der Heimat so fern abgeführt, glaubte verewigen zu müssen. Schließlich sind auch noch die sogen. Graffiti, die Wandkritzeleien, hier zu erwähnen, wie sie beispielsweise fast jedes Haus zu Pompeji (das Bordell nicht zu vergessen) aufzuweisen hat, des mannigfaltigsten Inhalts, dem auch Wahlagitationen, abgebrochene Liebesgrüße, Karikaturen mit spottenden Bemerkungen nicht fremd sind.

[Alter und Verbreitung der I.] Die Verbreitung der I. nach Zeit und Ort hängt eng mit der Entwickelung des antiken Lebens überhaupt zusammen; dem entspricht es, wenn die griechischen I. an Alter den lateinischen weit voraus sind. Zu den ältesten bekannten griechischen I. gehören neben der oben erwähnten von Abu Simbal die auf der Insel Thera (Santorin) und einige auf der Insel Melos (Milo) gefundene, die auch aus dem 7. Jahrh. v. Chr. stammen, vielleicht noch älter sind. Die griechischen I. der ältesten Zeit sind noch im epichorischen Alphabet, d. h. in dem Alphabet ihrer Örtlichkeit, geschrieben und zeigen in der altertümlichen Gestaltung der Buchstaben sowie teilweise auch in der (bei den Griechen allerdings früh geschwundenen) Eigentümlichkeit, die Zeilen von rechts nach links oder abwechselnd je eine nach rechts und eine nach links zu schreiben, noch deutlich die Entlehnung der Schrift von den Phönikern. Von den römischen I. reichen wohl wenige der vorhandenen über das 3. Jahrh. v. Chr. hinaus, wenn auch die älteste vor kurzem gefundene vielleicht mit Recht noch dem 6. Jahrh. zugewiesen wird; zu den ältesten gehören die I. der Grabmäler der Scipionen zu Rom, einige davon im saturnischen Versmaß. Abwärts könnte eine Zeitgrenze zwischen Altertum und Mittelalter auch für die griechischen wie lateinischen nur willkürlich angesetzt werden. Die geographische Verbreitung über die Alte Welt entspricht in ihrer größern oder geringern Dichtigkeit in den einzelnen Örtlichkeiten im großen und ganzen der Bedeutung, welche die einzelnen Länder und Städte in politischer Hinsicht und im Handelsverkehr früher oder später eingenommen haben. Für die griechischen I. ist demgemäß das eigentliche Griechenland der Mittelpunkt. Hier ist wiederum Attika durch die zahlreichsten und wichtigsten Urkunden und andre inschriftliche Funde vertreten, die von Solons Zeit bis in das 4. Jahrh. n. Chr. reichen. Aus Mittelgriechenland ist außerdem namentlich Delphi anzuführen. Lateinische I. [974] im eigentlichen Griechenland sind selten. In Asien, abgesehen von den an der Küste gelegenen altgriechischen Kolonien, sowie überhaupt in den Ländern, die erst durch Alexander d. Gr. und seit dieser Zeit dem hellenischen Einfluß erschlossen sind, finden sich griechische I. auch erst seit dieser Zeit, darunter ebenfalls wenige lateinische. Im Westen und Norden überwiegen die lateinischen I. Sizilien hat dagegen ziemlich viele wichtige griechische und nur wenige lateinische; in Süditalien stellt sich das Verhältnis schon anders. In den übrigen Teilen von Italien finden sich natürlich lateinische I. häufig, griechische nur vereinzelt; eine Ausnahme macht die Stadt Rom mit ihrer Umgebung. Wie diese an lateinischen I. unglaublich reich ist, so hat sie auch eine große Zahl griechischer I., aber fast nur aus der Zeit der Herrschaft der Römer über Griechenland. In allen übrigen Ländern, die zum römischen Reiche gehörten, in Nordafrika, Spanien, Frankreich, England, den Provinzen am Rhein und an der Donau, sind die griechischen I. selten. Die verschiedene Dichtigkeit, in welcher die lateinischen auftreten, entspricht dem größern oder geringern Grade der Romanisierung, wie z. B. Britannien fast nur I. von römischem Militär aufzuweisen hat.

[Sammlungen von I.] Sammlung und wissenschaftliche Benutzung ist für die griechischen I. schon aus dem Altertum selbst bezeugt. So verwerteten gelegentlich Herodot und Thukydides das inschriftliche Material für ihre Geschichtswerke, ebenso der Historiker Theopompos, der auch schon epigraphische Quellenkritik übte, indem er die berühmte Urkunde des sogen. Kimonschen Friedensvertrags für untergeschoben erklärte. Ferner erkannte Aristoteles die Wichtigkeit der inschriftlichen Urkunden über die dramatischen Aufführungen für die Litteraturgeschichte, wie denn sein Werk „Didascaliae“ ganz auf solchen I. beruhte. Auch werden ganze Sammlungen einzelner Klassen von inschriftlichen Denkmälern erwähnt, wie des Krateros Sammlung der Volksbeschlüsse und die Sammlung der attischen Epigramme des Philochoros. Endlich benutzten auch die alten Grammatiker, wie Pollux, die I. für ihre Zwecke. Für die lateinischen I. dagegen ist aus dem Altertum selbst mehr als gelegentliche Benutzung nicht bekannt. Aber wie durch neuere Forscher, namentlich G. B. de Rossi, ermittelt ist, sind schon im 6. bis 9. Jahrh. n. Chr. vielfach antike I., besonders der Stadt Rom, abgeschrieben und zu Sammlungen vereinigt worden. Diese Sammlungen waren verschiedenartig; teils enthielten sie I. antiker Denkmäler jeder Art, teils wesentlich christliche, für nach Rom kommende Pilger interessante, teils metrische, die als Vorbilder dienen konnten. Von der ersten Gattung ist der wichtigste Rest die sogen. Sammlung „Anonymus von Einsiedeln“, die uns in einer Handschrift des Klosters Einsiedeln erhalten ist und etwa 80 I. aus Rom enthält. Im 10. bis 12. Jahrh. ist das Verständnis antiker I. fast völlig erloschen. In gewissem Sinn beginnt die Beschäftigung mit ihnen und damit die moderne Wissenschaft der Epigraphik mit der Sammlung, die der bekannte Volkstribun Roms, Cola di Rienzi, kurz vor 1347, in welchem Jahr er sein Tribunat antrat, anlegte. Auch diese Sammlung, die von den Spätern viel benutzt ist, enthält fast nur I. der Stadt Rom. In der ersten Hälfte des 15. Jahrh. sind es dann namentlich zwei Männer, deren Beispiel die epigraphischen Studien in Aufnahme brachte: der Humanist Poggio (1380–1459) und der Kaufmann Cyriacus (1391–1450). Ersterer, der Reisen nach Deutschland und der Schweiz unternahm, um antike Schriftsteller aufzufinden, und in der That seltene Schätze zu Tage förderte, veranstaltete auch eine Sammlung alter I., in deren erstem Teil er die I. des „Anonymus von Einsiedeln“, von denen er ein Exemplar aufgefunden, verwertete. Auch seine reiche Sammlung, die lange verschollen war und erst in unserer Zeit unter den Handschriften des Vatikans wieder entdeckt ward, besteht zum größten Teil aus stadtrömischen I.; daneben enthält sie vereinzelte aus andern italienischen Städten. Cyriacus, mit dem Familiennamen de’ Pizzicolle, aus Ancona, verband Reiselust mit Begeisterung fürs Altertum. Auf seinen ausgedehnten Reisen nach Asien, Griechenland, Dalmatien, nach Rom und den meisten Städten Ober- und Mittelitaliens zeichnete er allerlei Reste des Altertums, Bauten, Statuen, Gemälde, schrieb griechische und lateinische I. ab und trug alles in seine Tagebücher ein. Dieselben gingen später verloren, sind aber in der nächsten Zeit vielfach benutzt worden. Es folgt dann eine große Zahl handschriftlicher Sammlungen von Italienern, bald auch von Deutschen, im ganzen nicht aus den Kreisen der eigentlichen Philologen. Die erste gedruckte Sammlung von I. ist wohl die von Ravenna in der 1489 zu Venedig gedruckten Schrift von Desiderio Spreti über Ravenna. Es folgt der Druck der antiken I. von Augsburg durch Konrad Peutinger (zuerst 1505), von Mainz durch Huttichius (1520), dann die mit dem Namen des Buchdruckers Mazochi bezeichnete Sammlung der I. der Stadt Rom (1521). Die erste allgemeine Sammlung von (größtenteils lateinischen) I. des Altertums ist gleichfalls in Deutschland (Ingolst. 1534) durch Apian und Amantius veröffentlicht worden. In der Mitte des 16. Jahrh. blühten die epigraphischen Studien sehr; namentlich sind es italienische, deutsche und holländische Gelehrte, welche nach Italien kamen, wie Martin Smetius, Stephanus Pighius, Justus Lipsius. Unter den italienischen Epigraphikern dieser Zeit ist der Architekt Pirro Ligorio aus Neapel bekannt als das auffallendste Beispiel des Hanges zum Fälschen. Seine handschriftlichen Werke befinden sich in mehreren Bibliotheken, namentlich in denen zu Neapel zu Turin. Das in der letztern befindliche Hauptwerk, eine alphabetisch geordnete Encyklopädie alles Wissenswürdigen in 26 Foliobänden, enthält in den Erläuterungen der einzelnen Artikel neben sehr vielen echten Urkunden Tausende, die er erfunden hat. Die handschriftliche und gedruckte Litteratur wird in den folgenden Jahrhunderten immer reicher, namentlich in fast allen italienischen Städten durch patriotische Lokalgelehrte gefördert. Für die griechischen I. ist sie unverhältnismäßig geringer, weil in den früher von den alten Hellenen bewohnten Ländern wenig geistiges Leben mehr herrschte und unter der Türkendespotie Fremden meistens der Zutritt verschlossen war. Erst durch die sich allmählich ausbildenden diplomatischen Beziehungen zwischen dem Osten und Westen von Europa wurden auch die griechischen Örtlichkeiten den Forschern und gelehrten Reisenden (etwa seit dem 16. Jahrh.) erschlossen, und von da an datiert eine Reihe von Sammlungen griechischer I., von denen hier nur die des Franzosen Michael Fourmont aus dem 18. Jahrh., der sich auch als Fälscher von I. berüchtigt gemacht hat, genannt werden soll. Die beiden größten allgemeinen Sammelwerke von lateinischen und griechischen I. sind das von Gruter („Inscriptiones antiquae totius orbis romani“, Heidelb. 1603), das auf Anregung und unter Mithilfe von Joseph [975] Scaliger entstanden ist, und das von Muratori („Novus thesaurus veterum inscriptionum“, Mail. 1739–42, 4 Bde.). Streng wissenschaftliche Bearbeitung und Verwertung der I. für die Zwecke der Altertumskunde haben für die lateinischen zuerst hauptsächlich zwei Italiener angebahnt und begründet: Gaetano Marini aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrh. und Bartolommeo Borghesi aus dem 19. Jahrh. Für die griechischen I. wurde der eigentliche Schöpfer und Begründer der epigraphischen Disziplin August Böckh (s. d.). Auf seine Veranlassung unternahm die Berliner Akademie der Wissenschaften die Herausgabe sämtlicher griechischer I. in dem „Corpus inscriptionum graecarum“. Die Bearbeitung von Ernst Curtius und Kirchhoff, und mit dem 4. Band (Berl. 1856–59; Bd. 1 erschien 1825) war das Werk vorläufig abgeschlossen. Die darauf durch zahlreiche Ausgrabungen und Reisen erfolgte außerordentlich bedeutende Bereicherung des inschriftlichen Materials hat den Plan zu einer neuen Sammlung veranlaßt, und fürs erste ist die der attischen I. in Angriff genommen worden. Von dieser, dem „Corpus inscriptionum atticarum“, sind bis jetzt 4 Bände (bearbeitet von Kirchhoff, Köhler und Dittenberger, Berl. 1873–82) erschienen, welchen sich eine Sammlung der ältesten griechischen I. nicht attischen Fundortes: „Inscriptiones graecae antiquissimae“, von Röhl anschließt. Außerdem sind in dem großen von den Franzosen Le Bas und Waddington herausgegebenen Werk „Voyage en Grèce et en Asie Mineure“ zahlreiche griechische I. publiziert. Neben andern Inschriftwerken, in welchen der Bestand einzelner Museen niedergelegt ist, kommen für die griechischen I. noch zahlreiche Zeitschriften in Betracht, namentlich die vom kaiserlich deutschen archäologischen Institut herausgegebenen „Mitteilungen“ und das von der französischen Schule in Athen publizierte „Bulletin de correspondance hellénique“. Eine für Studienzwecke empfehlenswerte Auswahl bietet Dittenbergers „Sylloge inscriptionum graecarum“ (Leipz. 1883).

Eine allgemeine Sammlung der lateinischen I. beabsichtigte im Anfang der 40er Jahre die Pariser Akademie, doch kam der Plan nicht zur Ausführung. Aufgenommen und durchgeführt hat auch diesen Gedanken die Berliner Akademie der Wissenschaften und dem „Corpus inscriptionum graecarum“ ein „Corpus inscriptionum latinarum“ zur Seite gestellt. Die Seele dieses Unternehmens war Th. Mommsen (s. d.), welcher den Plan entworfen, die Bearbeitung geleitet und zum großen Teil selbst ausgeführt hat. Zu Grunde gelegt ist, wie bei den griechischen I., die geographische Einteilung, so daß die inschriftlichen Denkmäler einer jeden Stadt vereinigt sind. Das Werk geht in nächster Zeit seiner Vollendung entgegen. Bei dem für eine kritische Herausgabe notwendigen Prinzip, für alle noch vorhandenen Denkmäler Abschrift durch einen Sachkundigen zu erhalten, für die nicht mehr vorhandenen aber die letzten Originalabschriften aufzufinden, um danach den ursprünglichen Text wiederherzustellen, war es nötig, alle Bibliotheken zu durchsuchen und die nach Tausenden von Nummern zählende gesamte gedruckte und handschriftliche Litteratur durchzuarbeiten. Erschienen sind bis jetzt Bd. 1 (Berl. 1863), enthaltend die I. aus der Zeit der Republik, bearbeitet von Mommsen (dazu ein von Fr. Ritschl herausgegebener Tafelband, welcher die noch vorhandenen Denkmäler dieser Zeit in Faksimiles gibt); Bd. 2 (das. 1869), mit den I. von Spanien, bearbeitet von E. Hübner; Bd. 3 (das. 1873), mit den I. des Orients und der Donauprovinzen, bearbeitet von Mommsen; Bd. 4 (das. 1871), mit den Wandinschriften (Dipinti und Graffiti) von Pompeji, von K. Zangemeister; Bd. 5 (das. 1872–77, 2 Tle.), mit den I. von Oberitalien, gleichfalls von Mommsen; Bd. 6 (das. 1876 ff.), mit I. der Stadt Rom, von Henzen, de Rossi u. a.; Bd. 7 (das. 1873), mit den I. von England, von E. Hübner; Bd. 8 (das. 1881, 2 Tle.), mit den afrikanischen I., von G. Wilmanns; Bd. 9 und 10 (das. 1883), mit den I. in den süditalischen Landschaften und in Sizilien und Sardinien, wiederum von Mommsen. Der Veröffentlichung harren die Schlußbände: Bd. 11, mit den I. aus Mittelitalien, von E. Bormann; Bd. 12 u. 13, mit denen aus Frankreich und den Landschaften am Rhein, von O. Hirschfeld; Bd. 14, mit den I. der Umgegend von Rom, von H. Dessau. Für die christlichen I. der Stadt Rom tritt als Ersatz ein das besondere Werk von de Rosse (s. d.), der in einem Band bisher die zeitlich bestimmten herausgegeben hat. Ein Supplement zu dieser Sammlung der lateinischen I. bildet die „Ephemeris epigraphica“, herausgegeben von Henzen, Mommsen, de Rossi u. a. (bis jetzt 6 Bde. Berl. 1872–85). Zur Einführung in das Studium der lateinischen I. bestimmt ist die Sammlung von G. Wilmanns („Exempla inscriptionum latinarum“, Berl. 1873, 2 Bde.). Von der Akademie der Wissenschaften zu Paris herausgegeben, erscheint zur Zeit auch ein „Corpus inscriptionum semiticarum“ (Par. 1881 ff.); römische I. in Algerien gab Léon Renier heraus (das. 1886). – Über die altpersischen Keilinschriften in Asien s. Keilschrift; die hieroglyphischen I. in Ägypten s. Hieroglyphen; die etruskischen in Italien s. Etrurien.