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MKL1888:Gelehrsamkeit

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Gelehrsamkeit“ in Meyers Konversations-Lexikon
Seite mit dem Stichwort „Gelehrsamkeit“ in Meyers Konversations-Lexikon
Band 7 (1887), Seite 5455
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Gelehrsamkeit. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 7, Seite 54–55. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Gelehrsamkeit (Version vom 27.02.2025)

[54] Gelehrsamkeit (Gelahrtheit), im objektiven Sinn der Inbegriff wissenschaftlicher Kenntnisse, im subjektiven der Besitz von solchen, also die notwendige Eigenschaft des Gelehrten. Im engern Sinn versteht man unter G. noch besonders einen vornehmlich im Gedächtnis aufbewahrten bedeutenden Vorrat historischen Wissens im Gegensatz zur eigentlich wissenschaftlichen und philosophischen Einsicht, die in dem Erkennen des Wesens und des Grundes der Dinge beruht. Deutlichkeit, Gründlichkeit, Genauigkeit, Ordnung und systematischer Zusammenhang sind für das gelehrte Wissen unerläßliche Bedingungen, und es unterscheidet sich dasselbe eben hierdurch von dem gewöhnlichen oder populären Wissen. Im engsten Sinn bedarf es dazu auch noch einer zureichenden Kenntnis der altklassischen Sprachen und Litteraturen, da die wissenschaftlichen Leistungen der Griechen und Römer die Grundlage bilden, auf welcher sich die moderne Wissenschaft auferbaut hat. Der mit der Wiedererweckung der klassischen Litteratur und dem Aufblühen der Naturwissenschaften im Zeitalter der Renaissance und Reformation (15. und 16. Jahrh.) entwickelte unabhängige Gelehrtenstand muß an erfolgreicher Wirksamkeit immer mehr gewinnen, je mehr das dem Autoritätsglauben entgegengesetzte Prinzip des Selbstdenkens und Selbstforschens zur Geltung kommt. Dessen Bestrebungen aber, so achtungswert sie an sich als Äußerungen rein wissenschaftlichen [55] Bedürfnisses sind, müssen so lange rat- und führerlos bleiben, als nicht die Wissenschaft vom Wissen, seinen Bedingungen, Zielen, Methoden und Grenzen, die Philosophie, das „Auge der G.“, deren Grundlage ausmacht. Bei den seit Erfindung der Buchdruckerkunst so vielfach vorhandenen Hilfsmitteln der G. ist es zwar heutzutage nicht unmöglich, auch ohne gelehrten Unterricht, durch das bloße Lesen und Studieren von Schriften sich G. anzueignen (Autodidakt). Dennoch wird der mündliche Unterricht, wie er auf Gelehrtenschulen und Universitäten erteilt zu werden pflegt, das vorzüglichste Mittel zur Erwerbung einer gelehrten Bildung bleiben. Vgl. Fichte, Vorlesungen über das Wesen des Gelehrten und seine Erscheinung im Gebiet der Freiheit (Berl. 1806).