MKL1888:Eiszeit
[488] Eiszeit, eine Periode des Diluviums, zu welcher, sei es auf der ganzen Erde, sei es auf der nördlichen Halbkugel, sei es nur in bestimmten Gegenden Europas und Nordamerikas, eine geringere Mitteltemperatur geherrscht haben muß als in der heutigen Periode. Während man früher eine allgemeine Verminderung der Mitteltemperatur aller Orte der Erde durch die verschiedenen geologischen Perioden hindurch bis zum Alluvium annehmen zu dürfen glaubte, so zwar, daß in den ältesten Perioden herab bis etwa zur Kreidezeit überhaupt keine klimatischen Unterschiede existierten und während der Kreideperiode, dem Tertiär und dem Diluvium an einem bestimmten Ort noch höhere Mitteltemperaturen herrschten als in der Alluvialperiode, weisen die untrüglichsten Anzeichen darauf hin, daß bestimmte Orte während der ältern Diluvialzeit eine niedrigere Mitteltemperatur hatten als heutzutage. Die Kenntnis der Merkmale der E. rührt von der Schweiz her. Das großartige, den Alpen entstammte Blockmaterial, welches im W. das Land zwischen Alpen und Jura bis hoch hinauf an den Abhängen des letztern, im N. die Vorschweiz und die Gegenden nördlich des Bodensees bedeckt, wurde zuerst auf Transport durch Wasserfluten zurückgeführt, ja selbst auf Rechnung lokaler Eruptionsthätigkeit gesetzt, bald aber und jetzt allgemein als das Produkt einer sehr bedeutenden Gletscherthätigkeit aufgefaßt, deren Entwickelung in die Periode der E. fällt. Fünf solcher großer Diluvialgletscher unterscheiden die Schweizer Geologen für die Schweiz. Der größte, der Rhônegletscher, kam aus dem Wallis; er verbreitete sich über den Genfer See bis an den Jura und entwickelte an diesem seine höchste Höhe in der Verlängerung der Richtung des untern Rhônethals; er erfüllte das ganze Hauptthal des Wallis mit seinen zahlreichen Nebenthälern und reichte um mehrere Tausend Fuß über die jetzige Thalsohle hinauf, wie die polierten Felswände und Blockwälle anzeigen. Kleiner war der Aargletscher, welcher die Thäler des Berner Oberlandes bis 650 m über die jetzige Thalsohle füllte. Der Reußgletscher erhielt seine Zuflüsse aus den Thälern des Kantons Uri, aus dem Engelberg- und Muottathal und reichte bis an die Albiskette hinauf. Der Linthgletscher erhielt seine Hauptzufuhr aus dem Kanton Glarus und überzog einen großen Teil des Kantons Zürich. Der Gletscher des Rheinthals bezog sein Material aus Graubünden und teilte sich am Schellberg, indem ein Arm den Wallenseegletscher bildete, der andre aber das Rheinthal füllte, den Bodensee und seine Umgebungen bedeckte und bis nach dem Hegau und der Donau hinausreichte. Im S. der Alpen drang ein großer Gletscher aus dem Tessin in die lombardische Ebene vor und erfüllte das Becken des Lago Maggiore; ein zweiter kam vom Splügen und Bergell, bildete, mit dem Gletscher des Veltlin sich vereinigend, eine Brücke über den Comersee und rückte seine Endmoräne bis in die Gegend von Monza vor. Auch über den Gardasee reichte ein Gletscher und wurden Schuttmassen geschoben, welche jetzt bis über Peschiera hinaus das Land bedecken. Am weitesten nach S. wurde der Gletscher des Monte Rosa vorgeschoben, dessen Schuttmassen heute bis Clusio die aus der Ebene aufsteigenden, bis 490 m hohen Hügelzüge bilden. – Das Studium dieser Verhältnisse in der Schweiz bot den Schlüssel zum Verständnis ähnlicher Erscheinungen an andern Orten. Fremdes, aus N. stammendes Material bedeckt die Norddeutsche Tiefebene, und auch hier nahm man zur Erklärung des Transports als Faktor Eis an, freilich anfänglich mit der Modifikation, daß man mit den südlicher als heute reichenden skandinavischen Gletschern ein Meer in Verbindung dachte, auf welchem das Gesteinsmaterial durch Eisberge unter dem Einfluß nordsüdlicher Strömungen nach S. transportiert worden sei. Die meisten Geologen haben diese sogen. Drifttheorie (vgl. Diluvium) neuerdings verlassen und neigen der Ansicht zu, es sei auch für den Norden Europas eine gewaltige Vergletscherung während der ältern Diluvialperiode anzunehmen. Diese Anschauung einer weitverbreiteten Vergletscherung unterstützend, wurden Spuren ehemaliger Gletscher in einem großen Teil Englands, in Nordamerika, in den europäischen Mittelgebirgen und an andern Orten nachgewiesen, und da auch paläontologischerseits die nordische Natur der im ältern Diluvium eingeschlossenen Reste bewiesen wurde, so wird die Existenz einer E. wohl von keinem Geologen mehr bezweifelt. Eine Übersicht der hauptsächlichsten frühern und heutigen Gletschergebiete der Erde (nach Penck) geben die nebenstehenden Polarkärtchen. Weniger groß ist die Übereinstimmung der Forscher hinsichtlich wichtiger an die Kardinalfrage sich direkt anknüpfender Fragen. Dahin gehört der Streitpunkt, ob mehrere Eiszeiten, von interglazialen Perioden unterbrochen, einander gefolgt sind, oder ob es sich bei der Wechsellagerung von echt sedimentärem Material und Gletscherprodukten nur um ein periodisches Zurückweichen und Anschwellen der Gletscher Einer E. handelt. Offen bleibt ferner die Frage, ob schon ältere geologische Perioden als das Diluvium Spuren einer E. aufzuweisen haben, wie einzelne Geologen (so namentlich Ramsay für das Rotliegende) nachgewiesen zu haben glauben. Getrennt sind weiter die Meinungen über den Grad der Beteiligung der Diluvialgletscher bei der Erodierung der Erdoberfläche; während einige dieselbe nur gering anschlagen und den Gletschern eine mehr konservierende Rolle zuschreiben, erblicken andre in den Gletschern der Diluvialperiode die wichtigsten Faktoren [489] der Thalbildung und namentlich der Aushöhlung der Landseebecken.
Am weitesten gehen die Ansichten auseinander, wenn es sich um die Frage nach den letzten Ursachen der E. handelt. Die ältesten der aufgestellten Hypothesen knüpften an dieselben lokalen Verhältnisse an, von deren Untersuchung die Kenntnis der Erscheinung selbst ausgegangen war: an die Alpen, und zwar nahm Charpentier an, daß die allmähliche Verringerung der Höhe der Alpen durch die Erosion genüge, um auch eine Verringerung der Gletscherthätigkeit zu erklären. Escher von der Linth fand im Föhn, der nach ihm aus der Sahara stammt, den einer größern Verbreitung der Gletscher entgegenwirkenden Faktor; derselbe sei aber erst seit jener Zeit wirksam, seit welcher die Sahara trocken gelegt sei, ein Vorgang, der sich nach ihm erst nach der Diluvialperiode abgespielt hat. Spätere Untersuchungen
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haben die Unhaltbarkeit der Hypothese dargelegt, für den Föhn nachgewiesen, daß er nicht über die Sahara hinwegstreicht, sondern einen westlichern Weg nimmt, und zugleich gezeigt, daß die Sahara auch schon während der Diluvialzeit kein Meer bildete. Der weitern Ausdehnung der Untersuchung glazialer Vorkommnisse entsprechend, beziehen sich später aufgestellte Hypothesen nicht auf die Alpen allein, sondern auf ganz Europa. Von der unleugbaren Thatsache ausgehend, daß dem Golfstrom ein wichtiger Einfluß im Sinn der Erhöhung der Mitteltemperatur für Europa zugesprochen werden muß, fand man in der Ablenkung desselben während der Diluvialzeit, sei es durch einen zwischen Amerika und Europa früher existierenden Kontinent (Atlantis, s. d.), sei es durch Eintreten desselben in den Großen Ozean über die angeblich damals noch mit Wasser bedeckte jetzige Landenge von Panama hinweg, eine Ursache für die Herabdrückung der mittlern Temperatur Europas während der E. Nach andern (Lyell) wich während der Diluvialperiode die Verteilung von Land und Wasser von der heutigen wesentlich ab, indem damals die nördliche, nicht wie jetzt die südliche Halbkugel die wasserreichere Hälfte der Erde war. Wie nun heute die südliche Halbkugel die Gletscher, selbst bis zum Meer herabsteigend, noch unter Breiten besitzt, unter denen auf der nördlichen Hemisphäre die untere Gletschergrenze eine sehr bedeutende Meereshöhe zeigt (s. Gletscher), so traten in der Diluvialzeit ähnliche Verhältnisse für die nördliche Halbkugel ein. Man hat ferner die größere Abkühlung während der Diluvialzeit mit einer geringern Wärmeausstrahlung der Sonne (zahlreichern Sonnenflecken) in Verbindung gebracht. Auch hat man angenommen, daß das Sonnensystem bei seiner Bewegung im Weltenraum bald kältere, bald wärmere Regionen durchflöge, also die Erde einer bald größern, bald kleinern Wärmeausstrahlung unterworfen sei. Die meisten Vertreter hat eine Hypothese gefunden (Croll, Pilar, Wallace, Penck, allerdings mit sehr wesentlichen Abweichungen im nähern Ausbau der Hypothese), welche die periodischen Schwankungen in der Exzentrizität der Erdbahn als Erklärung herbeizieht. Während jetzt die Sonne länger nördlich vom Äquator steht als südlich, kehren sich die Verhältnisse im Lauf der Zeiten um. Als direkte Folgen eines solchen Wechsels in der Stärke der Insolation wird (so nimmt man an) eine Verschiebung der jetzt nördlich des Äquators gelegenen Kalmenzone, eine Veränderung der Passate, die jetzt über den Äquator hinweg nach N. wehen, und damit auch eine Veränderung der Meeresströmungen eintreten; eine weitere Folge davon ist die Erhöhung günstiger Bedingungen für die Entwickelung der jetzt auf ein Minimum reduzierten Gletscherthätigkeit auf der nördlichen Halbkugel. Eine veränderte Verteilung von Land und Wasser oder eine wesentliche Veränderung in den Höhenverhältnissen der Gebirge nimmt die Hypothese nicht an, findet vielmehr in dem Umstand, daß die diluvialen Gletscher nur vergrößerte alluviale sind, einen Beweis für die Stetigkeit der betreffenden Verhältnisse. Ihre Richtigkeit vorausgesetzt, würde die Periode, welche man gewöhnlich als E. bezeichnet, nur als die letzte E. der nördlichen Halbkugel aufzufassen sein, welcher in frühern Zeiten, sowohl während der Diluvialzeit als in ältern geologischen Perioden, regelmäßige Eiszeiten vorausgegangen wären. Vgl. Girard, Die norddeutsche Ebene [490] (Berl. 1855); Croll, On the physical cause of the change of climate during geological epochs (Lond. 1864); Sartorius v. Waltershausen, Untersuchungen über die Klimate der Gegenwart und Vorwelt (Haarl. 1865); Hellwald, E. der Alpen (Wien 1867); Braun, Die E. der Erde (Berl. 1870); Gümbel, Über Gletschererscheinungen im Etsch- und Innthal (Münch. 1872); Geikie, The great ice-age and its relation to the antiquity of man (2. Aufl., Lond. 1877); Kinkelin, Über die E. (Lindau 1876); Rütimeyer, Über Pliocän und Eisperiode (Basel 1875); Völker, Eine auf physische und mathematische Gesetze begründete Erklärung der Ursache der E. (St. Gallen 1877); Pilar, Ein Beitrag zur Frage über die Ursache der Eiszeiten (Agram 1878); Kjerulf, Die E. (Berl. 1878); Partsch, Die Gletscher der Vorzeit in den Karpathen und Mittelgebirgen Deutschlands (Bresl. 1882); Penck, Die Vergletscherung der deutschen Alpen (Leipz. 1882); Derselbe, Die E. in den Pyrenäen (das. 1885). Vgl. ferner Diluvium und Gletscher.
Eiszeit, s. v. w. Steinzeit (s. d.).
[281] Eiszeit (hierzu Karte „Mitteleuropa zur Eiszeit“), diejenigen Epochen der der Gegenwart unmittelbar vorausgehenden Quartärzeit, in welche die größte Verbreitung der Gletscher fällt. Die Beweise für eine früher größere Vergletscherung der Erde liefern 1) die erratischen Blöcke. Dieselben bestehen aus Gesteinsarten, welche meistens der nächsten Umgebung fremd sind und nur im Ursprungsgebiet des betreffenden Gletschers, von dem sie transportiert wurden, anstehend gefunden werden. Die Mehrzahl der Blöcke liegt an den Gehängen und auf den Oberflächen von Höhenzügen oft in bedeutender Höhe über dem Thal und in den seltsamsten Stellungen. Die großen Blöcke, häufig von vielen tausend Kubikmetern
Fig. 1. Erratischer Block aus Silurschiefer (2 m × 3,3 m) bei Clapham in Yorkshire. | |
Inhalt, sind stets eckig und scharfkantig (Fig. 1). 2) Die alten Moränen. Diese sind aus den gleichen, der Umgebung fremden Gesteinen zusammengesetzt wie die erratischen Blöcke. Das Material ist verschieden groß, bald eckig und kantig, bald abgerundet, geglättet oder geschrammt. Die Moränen bilden mehr oder minder zusammenhängende Hügelzüge von oft über 100 m Höhe und liegen meist in mehreren parallelen Zügen hintereinander. Die äußern Moränenzüge sind am stärksten unterbrochen, die innern haben ihre charakteristische Form am besten bewahrt. 3) Der alte geschichtete Gletscherschutt (Glazialschotter). Das Gesteinsmaterial entspricht nach Ursprung, Beschaffenheit und Zusammensetzung dem der beiden andern erratischen Bildungen. Die oft freilich unregelmäßige Schichtung deutet auf die Mitwirkung von Wasser, sei es in Gletscherbächen oder Seen. 4) Alte Gletscherschliffe und -Schrammen. Dieselben finden sich nur an widerstandsfähigem, besonders kristallinischem Gestein und lassen sich bis in bedeutende Höhe über die heutigen Gletscher verfolgen (Fig. 2 u. 3). 5) Erratische Pflanzen und Tiere. Lebende Kolonien von nicht durch Wind in den Samen übertragbaren alpinen Pflanzen und von nicht durch Wanderung übertragbaren alpinen oder arktischen Tieren finden sich auf den Gebirgen der gemäßigten Zone; ebenso kommen an zahlreichen Stellen südlich der kalten Zone in glazialen Ablagerungen alpin-arktische Pflanzen- und Tierspezies fossil vor[WS 1], z. B. von erstern Pinus Cembra (Arve), Saxifraga oppositifolia, Dryas octopetala u. a., von letztern Moschusochs, Polarfuchs, Steinbock, Schneehase, Lemminge u. a. 6) Weniger beweiskräftig sind die sogen. Riesentöpfe (s. d., Bd. 13) oder Strudellöcher, entstanden durch Gletschermühlen, welche die Grundmoräne entfernten und mit Mahlsteinen den
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MITTELEUROPA ZUR EISZEIT nach A. Penck, F. Wahnschaffe u. G. de Geer Maßstab 1 : 6 600 000 |
[282] Untergrund bis zu verschiedener Tiefe aushöhlten, wie im bekannten „Gletschergarten“ in Luzern. Die genannten glazialen Ablagerungen ruhen meistens auf den jüngsten tertiären Bildungen, vielfach trifft man aber auch als Übergangsstufe Süßwasserablagerungen, wie Kalke und sandige Thonmergel, oder auch marine Bildungen, wie in Norddeutschland Cyprinenthone mit Cyprina islandica, an. Die eigentlichen glazialen Bildungen zeigen ferner eine häufige Wechsellagerung von echten Moränen mit Gerölllagern, Ligniten, Torflagern und Sand- und Thonschichten
Fig. 2. Gletscherschliff auf der Küste von Argyllshire. | |
und sind stellenweise von Löß bedeckt; so schalten sich in der Nordschweiz zwischen die untern und obern Moränen Schieferkohlen in einer Mächtigkeit von 3 m und Gerölle ein, ebenso in den Algäuer Alpen in der Nähe von Sonthofen. Daraus geht hervor, daß die Vergletscherung der Alpen mehrfachen Schwankungen in Bezug auf ihre Ausdehnung unterlag, die entweder nur untergeordneter Natur waren, oder längern Zeitepochen entsprachen. Aus der relativen Lage der äußern und innern Moränenzüge ist nun geschlossen worden, daß von den wiederholten
Fig. 3. Gekritztes Geschiebe von der Grundmoräne eines Gletschers. | |
Vereisungen die letzte nicht den Umfang der vorhergehenden erreichte. In der Schweiz liegen außerhalb der typischen Endmoränen noch Grundmoränen und erratische Blöcke. Dasselbe Verhältnis kehrt am ganzen Nordrand der Alpen, am Fuß der Pyrenäen, in Mitteleuropa und Nordamerika wieder, die ältern Moränen sind stets weiter verbreitet als die jüngern. Beide unterscheiden sich nicht bloß orographisch, insofern als die äußern Moränen die charakteristischen Eigentümlichkeiten ihrer Entstehung nicht mehr aufweisen, sondern auch geologisch, indem sie durch Zwischenbildungen voneinander getrennt sind. Die Quartärzeit besteht somit nicht aus einer einzigen Gletscherperiode, sondern zerfällt in zwei Perioden des Gletscherwachstums, getrennt durch eine Zeit des Abschmelzens, des zeitweiligen Gletscherrückgangs, eine Interglazialzeit. Bei der Mannigfaltigkeit in der lokalen Ausbildung der Gletscherablagerungen ist eine Parallelisierung verschiedener Gebiete noch mit Schwierigkeiten verknüpft, indem sich nicht sicher nachweisen läßt, daß z. B. die Gletscher in den Alpen genau zur gleichen Zeit ihre größte Verbreitung hatten wie diejenigen in Skandinavien, oder daß die E. Europas mit derjenigen Amerikas gleichzeitig war, es steht nur fest, daß dies innerhalb des gleichen geologischen Zeitabschnitts geschah.
In den wichtigsten Gebieten der frühern Vergletscherung sind die Grenzen, bis zu denen das Land von Eis bedeckt war, ziemlich genau festgelegt, wenn auch über die Deutung der Erscheinungen noch nicht volle Übereinstimmung herrscht. Am intensivsten ist die ehemalige Vergletscherung der Alpen und des voralpinen Hochlandes durchforscht. In der Schweiz waren es außer den weniger bedeutenden Arve- und Isèregletschern fünf mächtige Eisströme, die sich über die Hochebene ergossen und teilweise bis in den Jura reichten. Der alte Rhônegletscher hatte über 5000 qkm, ebenso der Rheingletscher, derjenige der Linth ca. 1000 qkm, der alte Aaregletscher 650, der Reußgletscher 1900 qkm Fläche. Die obern Grenzen der Gletscherspuren weisen ein Gefälle auf, das beim Reußgletscher bis 40 m auf 1 km erreicht, beim Aaregletscher sogar bis auf 45 m steigt, die Dicke der Eisschicht betrug bei beiden stellenweise fast 1000 m. Der Rheingletscher wurde durch den Schwäbischen Jura nach NO. abgelenkt und von demselben aufgestaut. Die Moränenlandschaft der zweiten Vereisung, End- und Ufermoränen, zeigt mehrfache Ein- und Ausbuchtungen und bleibt hinter der äußersten Grenze des Moränengebiets um 10–20 km zurück. Entsprechend der Abnahme des eiszeitlichen Gletscherphänomens von W. nach O. steht der Salzachgletscher mit seinen Größenverhältnissen in der Mitte zwischen seinen beiden Nachbarn, dem Inn- und Traungletscher. Die Ursache der Abnahme der eiszeitlichen Gletscherentfaltung, welche ganz proportional der heutigen Entwickelung ist, liegt nicht nur in der Änderung der Höhenverhältnisse des Gebirges, sondern auch in dem Kleinerwerden der Thalsysteme gegen O. Nördlich der alpinen Vergletscherung beherbergten von den deutschen Mittelgebirgen der Schwarzwald und die Vogesen in ihren südlichen Thälern kleine Gletscher. Skandinavien war zur E. ebenso wie heute noch Grönland unter Eis begraben. Nach W. durchkreuzte skandinavisches Eis die Nordsee und lagerte norwegisches Gestein an der schottischen und englischen Ostküste ab. Am mächtigsten war aber die Verbreitung nach S., wo die Eismassen die Ostsee überschritten und die norddeutsche Tiefebene bis an den Außenrand der deutschen Mittelgebirge mit Geschiebe bedeckten. Die Südgrenze des skandinavischen Eises wird durch eine Linie bezeichnet, welche sich von den Rheinmündungen an den Gehängen des rheinisch-westfälischen Schiefergebirges, Harzes, Thüringer Waldes, Erz- und Riesengebirges entlang bis zum Nordabhang der Karpathen östlich von Krakau verfolgen läßt (s. die Karte). In Zentralrußland verbreitete sich der skandinavische Gletscher bis Kiew am Dnjepr und Nishnij Nowgorod an der Wolga. Die vergletscherte Fläche ist scharf und auf allen Seiten vom Ural getrennt. Im Ural und ganzen nördlichen [283] Sibirien hat es zur E. ebensowewig Gletscher gegeben wie heute, wo bis zu den nördlichsten Ausläufern nicht die geringsten Spuren zu finden sind. Zwischen beiden Gebieten nahm der Timangletscher eine besondere Stellung ein. Die Gesteine, welche in dem untern Geschiebemergel Norddeutschlands, der Grundmoräne der ersten Vereisung, liegen, gestatten einen Schluß auf ihren Ursprungsort. Die kristallinischen und eruptiven Felsmassen führen auf das Festland von Skandinavien, die Basalte, welche in der Mark und Mecklenburg gefunden werden, auf Schonen, wo allein Basalt anstehend bekannt ist, in Ost- und Westpreußen sind vorherrschend Granite von Finnland und den Ålandsinseln, namentlich Rapakivi, verbreitet, welche weiter westlich fehlen; die versteinerungsführenden paläozoischen Gesteine stammen sowohl
Fig. 4. Verbreitung der Endmoräne der eiszeitlichen Gletscher in Nordamerika. | |
von dem skandinavischen Festland als von den Inseln Öland, Gotland, Ösel, Dagö. Gletscherschliffe und -Schrammen auf anstehendem Fels sind gefunden bei Osnabrück (produktives Steinkohlengebirge), Velpke, Gommern bei Magdeburg (Kulmsandstein), bei Halle und Landsberg auf Quarzporphyr, bei Taucha und Wurzen unweit Leipzig, bei Oschatz und Lommatzsch auf Gneisgranit, bei Hermsdorf und Joachimsthal in der Mark (geschrammte Septarien im Septarienthon). Mehrfach sind zwei verschiedene Schrammensysteme beobachtet, so bei Rüdersdorf bei Berlin, Velpke, Gommern und Landsberg (s. die Karte), woraus man auf wiederholte Eisbedeckung mit verschiedener Bewegungsrichtung schließen darf. Während der ersten E. breitete sich das von Skandinavien vorrückende Inlandeis fächerförmig im norddeutschen Flachland aus; dem entsprechend ist im Zentrum der Tiefebene die Richtung im allgemeinen NNW. bis SSO. (Rüdersdorf, Lommatzsch, Leipzig) im W.: NNO. bis SSW. (Velpke, Osnabrück); bei der zweiten Eisinvasion war die Richtung eine ausgesprochen ost-westliche (jüngeres Schrammensystem von Rüdersdorf und Velpke). Wie in der Richtung, unterscheidet sich die zweite Eisbedeckung auch in Bezug auf die Ausdehnung nach S. und die Mächtigkeit von der ersten. Auf der Höhe der Insel Bornholm und auf dem Höhenzug Romeleklint in Schonen werden die Schrammen der ältern Richtung nicht von denjenigen der jüngern gekreuzt, die Felsen ragten also wie heute die höchsten Berge auf Grönland als „Nunatakers“ aus dem Eismantel der zweiten E. heraus. Die Südgrenze fällt mit einer Linie zusammen, welche vom Nordufer des Zuidersees die Ems an der Mündung der Hase kreuzt, an den Gehängen der Weserberge vorbei nach O. über Braunschweig, Magdeburg, Wurzen, Hoyerswerda, Görlitz, Haynau, Liegnitz, Ohlau, Brieg, Oppeln nach Polen hinzieht, also im großen und ganzen in ziemlich gleicher Entfernung dem Südrand der ersten Vereisung parallel verläuft. Die große Eisdecke des nördlichen England bestand aus mehreren Gletschern, von denen jeder durch Seiten- und Endmoränen begrenzt war. Die gemeinsame Endmoräne der vereinigten Gletscher bildet eine gekrümmte, 550 Meilen lange Linie von der Mündung des Humber bis zur äußersten Ecke von Carnarvonshire. Der Gletscher der Irischen See, der mächtigste Englands, kam von Schottland, stieß auf die Berge von Wales und teilte sich in zwei Zungen. Die Vergletscherung Irlands hatte zum Zentrum eine große Binnendepression, die von einem Kranz von Gebirgen umgeben ist. Von diesen kamen die ersten Gletscher, nach deren Vereinigung die Eismasse nach W., N., SO. strömte. In Nordamerika zieht sich eine zusammenhängende Kette von mächtigen Moränen vom Kap Cod am Atlantischen Ozean durch Massachusetts, Long Island, New York südlich vom Ontario- und Eriesee bis an den Ohio; der Michigan ist ganz von denselben umschlossen, die hier in der Moräne des Green Bay-Gletschers (westlich vom Michigan) bis zu 235 m relativer Höhe ansteigen. [284] Zwischen dem Missouri und North Red River streichen die Moränen durch Dakota nach NW. Viel weiter nach S. erstreckt sich aber das Gebiet der Driftablagerungen (s. das umseitige Kärtchen, Fig. 4). Es lassen sich drei charakteristische, durch Zusammensetzung und Anordnung des Materials verschiedene Ausbildungen unterscheiden, nämlich eine typische Endmoräne, ein schmaler Streifen zerstreuten Geschiebes und eine breite Zone von Gerölle, das, je weiter vom Rand entfernt, um so feiner und dünner wird. Der Moränenrand herrscht im Gebiet der atlantischen Staaten vor, wo er das Driftmaterial ganz verdeckt, streicht dann aber nordwestlich durch das Innere, während unter demselben das Geschiebe sich weit nach S. verschiebt. Eine ganz besondere Stellung unter den Moränen nehmen die dem amerikanischen Kontinent allein eigentümlichen Interlobatemoränen ein. Dieselben entstanden dadurch, daß zwei große Eiszungen sich einander so näherten, daß ihre Seitenmoränen verschmolzen. Die Gebirge um die Depression der Hudsonbai scheinen die Hauptquelle für das Inlandeis gewesen zu sein. Außerdem kam ein großer Eisstrom an der Westseite des Felsengebirges von Alaska nach Vancouver. In Grönland und Spitzbergen müssen die Gletscher früher, wie alte Schliffe und Moränen beweisen, größer als jetzt gewesen sein, doch ist der Unterschied verhältnismäßig gering; ein Gleiches gilt von der früher größern Ausdehnung der Gletscher auf Neuseeland und von Südamerika.
Vergegenwärtigt man sich die Verbreitung der Gletscher der E. und vergleicht sie mit den heutigen Gletschern, so tritt die Thatsache hervor, daß die ehemalige Vergletscherung nur eine dem Grad nach verstärkte Ausbildung der jetzigen war. Dabei darf man aber nicht an eine allgemeine Eiskappe denken, welche über der ganzen arktischen Region lag und sich radial nach S. vorschob; vielmehr entstand die Eisbedeckung wahrscheinlich sowohl in Skandinavien und England als in Nordamerika aus lokalen Gletschern, deren Eismassen beim Vorrücken verschmolzen. Die E. erscheint demnach als eine Periode, in welcher die Gletscher einen starken Vorstoß ausführten, als eine klimatische Schwankung; der Unterschied von E. und Gegenwart in klimatischer Hinsicht ist mehr quantitativer als qualitativer Art. Über den Charakter des Klimas, welches während der E. herrschte, haben aber die Untersuchungen der quaternären Seen des westlichen Nordamerika einiges Licht verbreitet. Während eines Teils der Quartärzeit waren die jetzt wüsten Strecken der Hochplateaus zwischen dem Felsengebirge und der Sierra Nevada, des sogen. Großen Beckens, mit einem System von Seen bedeckt. Im nördlichen Teile lagen zwei große Wasserbecken, der Bonnevillesee im westlichen Utah, der Lahontansee, eine zusammenhängende Gruppe von Thalseen, im westlichen Nevada. Aus physikalischen, chemischen und biologischen Gründen läßt sich ein zweimaliges Ansteigen des Seespiegels nachweisen, das durch eine Periode des Rückganges unterbrochen war. Wie das mehrere hundert Fuß tiefe Alluvium darthut, ging eine trockne Periode mit geringem Niederschlag und starker Verdunstung bei hoher Temperatur voraus. Das erste Ansteigen der Seen wurde durch mäßige Niederschläge bei niedriger Temperatur und schwacher Verdunstung veranlaßt, die weitere Entwickelung der Seen wurde aber durch eine Zeit unterbrochen, in der die Wassermassen sich bedeutend verminderten. Das zweite Ansteigen geschah mit Unterbrechungen bis zu noch größerer Höhe als das erste Mal. Den beiden Hochwasserzeiten entsprechen zwei Ablagerungen auf dem Seeboden, getrennt durch eine diskordante Schicht; die untern Schichten sind dicker als die obern, die erste Hochflut also wohl von längerer Dauer. Im Monobecken wurden Moränen der Sierra Nevada abgelagert, an denen die Terrassen des Sees deutlich ausgeprägt sind. Die Sierra Nevada hatte zwei Eiszeiten wie der Monosee zwei Hochwasserperioden, die nicht nur gleichzeitig waren, sondern auch aus gleicher Ursache, nämlich einem klimatischen Wechsel, herrühren: E. und Seeanschwellung fanden bei einem feuchten und kühlen Klima statt. Die vorstehenden Betrachtungen legen es nahe, die E. als eine Periode der Erdentwickelung anzusehen, in welcher ein kühles und feuchtes Klima in den mittlern und höhern Breiten der Nord- und Südhalbkugel herrschte. Die von A. Penck entworfene Karte der Isochionen, d. h. der Linien gleicher Schneegrenzhöhe, veranschaulicht die klimatischen Verhältnisse der E. recht deutlich. Die 1000 m-Isochione, welche heute an der Westküste Norwegens verläuft, erscheint südwärts in das mittlere und südliche Deutschland verschoben; die 1400 m-Isochione, welche heute über Schweden angetroffen wird, lag in der E. in der Nähe der Tátra. Die E. stellt sich als eine Verschiebung der Klimengürtel dar. Die Ursache der E. muß man somit in den Veränderungen der tellurischen Bedingungen des Klimas suchen; letztere stehen möglicherweise mit Vorgängen kosmischer Natur in Beziehung. Die Bedingungen für eine über große Erdräume sich erstreckende Gletscherentwickelung hat A. Woeikof untersucht, indem er von den gegenwärtig herrschenden klimatischen Verhältnissen ausgeht. In den Ozeanen der mittlern und äquatorialen Breiten ist die Temperatur der Wassermasse durch Strömungen, welche aus der Tiefe der Polarmeere kommen, stark erniedrigt, so daß in den Tropen das Wasser eine Temperatur von ca. 4° hat. Die Meere der Nordhemisphäre sind im allgemeinen weniger tief und mehr von Land umgeben als in den entsprechenden südlichen Breiten. Dieser Umstand und die große Masse süßen Wassers, das aus den Flüssen kommt, erklären die ausgedehnte Eisbildung an ihrer Oberfläche und die lange Dauer des Eises. Die Schneedecke über dem Eise schützt noch das Wasser gegen starke Abkühlung. Die Meere der hohen südlichen Breiten sind tiefer, ausgedehnter und den Wirkungen von Wind und Strömungen ausgesetzt. Der Mangel an Land in 50–70° südl. Br., ferner die Abwesenheit von Süßwasser, das Fehlen kalter Landwinde erklärt die relativ geringe Menge von Eis. Die Meere der nördlichen Breiten tragen Eisfelder, die der südlichen dagegen Eisberge. Selbst im Winter sind auf der südlichen Hemisphäre weite Strecken nicht durch Eis oder Schnee gegen Abkühlung geschützt. Der Wärmeverlust bedingt Konvektionsströmungen, die das kalte Wasser in die Tiefe führen, horizontale Strömungen leiten dieses Wasser auf dem Meeresboden zum Äquator. Die Temperatur der Wassermasse liegt auf der südlichen Halbkugel nahe bei 0°. Die Verdunstung bei so niedriger Temperatur begünstigt nun aber die Bildung von Schnee, von Firnfeldern und Gletschern, die ihrerseits wieder zur Abkühlung der Meere beitragen. Die Meere der nördlichen Halbkugel verdunsten infolge der warmen Strömungen bei höherer Temperatur und liefern Regen. Das Übergreifen des Südostpassats auf die Nordhemisphäre befördert in dem Atlantic und Pacific viel wärmeres Wasser nach Norden. Dieser Umstand bedingt das Temperaturübergewicht der Nordhalbkugel über den äquatorialen [285] Teil der Südhalbkugel. Die notwendige Vorbedingung für eine große Gletscherentwickelung ist daher eine ausgedehnte Meeresfläche. Und in der That deuten viele Beobachtungen darauf hin, daß die Verteilung von Land und Meer zur E. auf der Nordhalbkugel eine andre war als gegenwärtig. Die Eiszeiten sind entstanden durch Veränderungen der Grenzlinien zwischen Festland und Meer und durch die hiervon wieder abhängige Veränderung der Luft- und Meeresströmungen. Eine Erklärung für die Änderung des Charakters der Jahreszeiten liefern möglicherweise die wechselnden Exzentrizitätsverhältnisse der Erdbahn. Vgl. Heim, Gletscherkunde (Stuttg. 1885); Dames, Glazialbildungen der norddeutschen Tiefebene (Berl. 1886); „Carte du phénomène erratique au versant nord des Alpes“ von A. Favre (Berner geolog. Kommission 1884, Begleitworte dazu von A. Favre in „Archives des sciences phys. et nat.“, Bd. 12, Genf 1884); E. Brückner, Vergletscherung des Salzachgebiets (Wien 1886).
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: fossi-|vor