MKL1888:Eidechsen
[368] Eidechsen (Echsen, Saurii, hierzu Tafel „Eidechsen“), Ordnung der Reptilien (s. d.), Tiere von langgestreckter, zuweilen selbst schlangenartiger Gestalt, mit fast immer deutlich durch einen Hals vom Rumpf getrenntem Kopf und meist sehr langem, sich verjüngendem Schwanz. In der Regel sind vier Extremitäten vorhanden, die meist nur zum Vorwärtsschieben des über den Boden hingleitenden Rumpfes dienen, bei manchen jedoch auch zum Anklammern, Klettern und Graben verwendet werden können und mit fünf bekrallten Zehen endigen. Nicht selten bleiben die Extremitäten ganz kurz und rudimentär, oder es sind nur vordere oder nur hintere vorhanden, oder es fehlen äußerlich hervorstehende Teile von Gliedmaßen gänzlich. Bei allen E. finden sich Schultergürtel und Becken und mit Ausnahme der Ringelechsen wenigstens die Anlage eines Brustbeins. Von den Schlangen unterscheiden sich die E. wesentlich durch den Mangel der seitlichen Verschiebbarkeit der Kieferknochen und der Erweiterungsfähigkeit des Rachens. Die Bezahnung der E. ist sehr mannigfach, aber nicht so vollständig wie bei den Schlangen; die Zähne sind nie, wie bei den Krokodilen, in besondere Zahnhöhlen (Alveolen) eingekeilt, sondern sitzen unmittelbar auf dem Knochen. Die Zunge ist teils kurz und wenig vorstreckbar, teils lang und dünn, gabelig gespalten und weit vorstreckbar, überhaupt von einer großen Mannigfaltigkeit der Form, so daß nach ihr die E. in Gruppen eingeteilt werden (s. unten). Die Augen besitzen meist Lider, von denen das untere gewöhnlich beweglich ist. Auch ein Trommelfell ist mit Ausnahme der Ringelechsen fast bei allen vorhanden, liegt aber häufig unter der Haut und den Muskeln verborgen. Die Körperbedeckung besteht aus Schuppen, Schildern oder größern Tafeln; doch kommen auch warzige und stachlige Höcker, Hautlappen an der Kehle, Kämme, Falten etc. vor. Bei zahlreichen E. finden sich Hautdrüsen und entsprechende Porenreihen längs der Innenseite der Oberschenkel und vor dem After. Der Farbenwechsel der Haut ist besonders beim Chamäleon auffällig und bekannt. Lebensweise und Fortpflanzung sind sehr verschieden. Die Männchen besitzen zwei Ruten in Gestalt vorstülpbarer Schläuche. Meist legen die Weibchen nach der Begattung verhältnismäßig wenige Eier. Einige gebären lebendige Junge. Die meisten E. sind harmlose Tiere, vertilgen Insekten und Würmer, und einige größere (Leguane) werden des Fleisches halber gejagt. Die Mehrzahl und zwar sämtliche größere und prachtvoll gefärbte Arten bewohnen die wärmern und heißen Klimate. Einzelne Familien kommen nur in der Alten Welt vor, andre haben in der Neuen ganz ähnliche Vertreter, die aber mit Bezug auf die Befestigungsweise der Zähne in den Kiefern konstant verschieden sind. Fossile Überreste kennt man bisher nur wenig. Echte E. finden sich erst im mittlern Jura, Formen, welche den heutigen nahestehen, erst im jüngsten Tertiärgebirge; dagegen mag schon das Telerpeton aus dem Bunten Sandstein der untern Trias (s. Tafel „Devonische Formation“, da die Schicht, in der es gefunden ist, früher irrtümlich dem devonischen Sandstein zugerechnet wurde) als ein Vorfahr der E. betrachtet werden. Noch älter sind die Mosasaurier (s. Reptilien), welche wohl für schwimmende E. gelten können. – Die etwa 300 Gattungen mit über 1200 Arten teilt man in 27 Familien ein, von denen jedoch manche nur aus einer einzigen Art besteht. Nach dem Bau der Zunge unterscheidet man vier Gruppen und trennt als eine fünfte noch die Ringelechsen (Amphisbaenidae) ab. Diesen nämlich fehlen die Schuppen der Haut, die Augenlider, meist auch die Extremitäten. Es sind harmlose, größtenteils in Ameisenhaufen lebende Tiere, deren Verbreitungsbezirk Südamerika, Afrika, Kleinasien und Spanien umfaßt. Die vier Gruppen der beschuppten E. sind: Die Kurzzüngler (Brevilingues), mit kurzer, dicker, kaum vorstreckbarer Zunge, meist mit Augenlidern, stets mit Schulter- und Beckengürtel, häufig aber ohne Gliedmaßen oder nur mit Fußstummeln (mit und ohne Zehen) oder endlich mit völlig entwickelten Extremitäten. Hierher die Blindschleichen (s. d., Anguis), Scheltopusik (Pseudopus), Skinke (s. d., Scincus), Sandeidechsen (Seps) u. a. Die Wurmzüngler (Vermilingues), mit nur einer Familie (Chamäleons, s. d.), ausgezeichnet durch ihren hohen, seitlich zusammengedrückten Körper sowie durch ihre weit vorschnellbare, wurmförmige Zunge; auf die Alte Welt beschränkt. Die Spaltzüngler (Fissilingues), mit langer, dünner, ausstreckbarer, zweispitziger Zunge, in der Alten Welt durch die Lacertiden (gemeinen E., s. Eidechse) und Monitoriden (Warneidechsen, s. Varan), in der Neuen durch die Ameividen (Teju-E.) vertreten, zum Teil von ansehnlicher Größe (bis zu 2 m) und eßbar. Die Dickzüngler (Crassilingues), mit dicker, fleischiger, nicht vorstreckbarer Zunge, in den wärmern Gegenden zu Hause. Hierher die Familie der Geckonen (s. d., Ascalabotae), mit Haftlappen an den Zehen und daher zum Klettern auch an platten Wänden geschickt, zugleich die einzigen E. mit lauter Stimme; ferner die altweltlichen Agamiden (Dorneidechse und Drache) und ihre Vertreter in der Neuen Welt, die Iguaniden oder Leguane (s. Leguan und Basilisk), zum Teil auf der Erde, zum Teil auf Bäumen lebend [369] und sogar zuweilen mit einer als Fallschirm dienenden Flughaut versehen (fliegender Drache, Draco volans L.). Vgl. Duméril und Bibron, Herpétologie générale (Par. 1834–54, 9 Bde.); Schreiber, Herpetologia europaea (Braunschw. 1875); Leydig, Die in Deutschland lebenden Arten der Saurier (Tübing. 1872).
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Eidechsen. |
Gemeine Eidechse (Lacerta agilis). Natürl. Größe. (Art. Eidechse.) – Blindschleiche (Anguis fragilis). 3/5. (Art. Blindschleiche.) – Skink (Scincus officinalis). Natürl. Größe. (Art. Skink.) – Flugdrache (Draco volans). Nat. Größe. (Art. Drache.) – Dorneidechse (Stellio vulgais). 1/2. (Art. Dorneidechse.) – Helmbasilisk (Basiliscus mitratus). 1/3. (Art. Basilisk.) |
[269] Eidechsen. Die Naturgeschichte dieser Tiere hat in den letzten Jahren sehr erhebliche Fortschritte gemacht durch das Studium der Brücken- oder Stacheleidechse (Sphenodon punctatus oder Hatteria punctata) und ihrer fossilen Verwandten. Man hatte die neuseeländische Stacheleidechse oder Tuatera, die bei den Eingebornen die Rolle des menschenfressenden Lindwurms oder Drachens der deutschen Sagen spielt, und von der sie schon dem Kapitän Cook Schauergeschichten erzählten, für ein fast ausgestorbenes Tier gehalten; aber vor ca. sieben Jahren hat sie Reischek in Menge auf den kleinen Inseln der Mangareibai im O. der Nordinsel Neuseelands lebend angetroffen, und sie ist seitdem häufig in europäische Sammlungen gelangt. Trotz ihres teilweise gepanzerten Körpers und des vom Kopf bis zum Schwanz laufenden drohenden Stachelkammes scheint sie ein ziemlich friedfertiges Tier zu sein, denn sie teilt ihre unterirdische Wohnung regelmäßig mit einem Sturmvogel (Procellaria Gouldi oder Cooki) oder einem Sturmtaucher [270] (Puffinus gavius), so daß die Eidechse auf der einen, ein oder zwei Sturmvögel auf der andern Seite der Höhle hausen. Ob diese eigentümliche Art des Zusammenwohnens auf gegenseitigem Nutzen oder bloßer Duldung beruht, ist übrigens unbekannt, doch das erstere wahrscheinlicher.
An diesem Tier hatte man längst höchst altertümliche Merkmale entdeckt, nämlich beiderseits gehöhlte Wirbel, wie sie sonst nur bei Fischen, Amphibien und Reptilien der Vorzeit vorkommen, und ebenso im sonstigen Knochenbau Eigentümlichkeiten, wie sie nur fossilen Tieren zukommen; auch das sogen. Scheitelorgan, welches von den meisten Zoologen für ein verkümmertes drittes Auge gehalten wird, weist hier noch eine Entwickelung auf, wie bei keinem andern lebenden Tier. Auch gehören thatsächlich alle nähern Verwandten der Stacheleidechse längst begrabenen Zeiten an, und die wichtigste davon, Palaeohatteria longicaudata, eine langschwänzige, 42–47 cm lange Panzereidechse mit robusten Gliedmaßen, aus den Permschichten des Plauenschen Grundes, ist 1888 von Credner beschrieben worden. Die merkwürdigste Eigentümlichkeit derselben besteht darin, daß sie im Beckenbau Kennzeichen der Stegokephalen, also von Amphibien, mit denen der Reptilien vereinigt und eben darin Ähnlichkeiten mit Krokodilen und Dinosauriern auf der einen Seite, mit Plesiosauriern auf der andern besitzt. Dazu kommen im Schädelbau Anklänge an die Familie der Schildkröten, so daß sich im Bau dieses Tiers Eigenheiten fast aller Reptilienordnungen vereinigen, obwohl es im allgemeinen den E. am nächsten zu stehen scheint. Gleichwohl können Hatteria, Palaeohatteria und andre fossile Verwandte kaum mehr mit den heute lebenden E. in einer Ordnung vereinigt bleiben, wie es Huxley und auch Credner befürworteten, und selbst die 1867 für Hatteria aufgestellte besondere Ordnung der Schnabelechsen (Rhynchokephalen) scheint für Palaeohatteria nicht mehr auszureichen, da diese als eine wahre Mischform aus allen jüngern Reptilienformen erscheint und darum an die Wurzeln des gemeinsamen Stammbaums gestellt zu werden verdient. Auch der noch immer sehr unvollkommen bekannte Ursaurier (Proterosaurus) scheint nach Credners Untersuchungen hierher zu gehören, und von einer in englischen und indischen Triasschichten gefundenen 2 m langen Art (Hyperodapedon Gordoni) hat Huxley 1887 nachgewiesen, daß sie ihrem Körperbau nach ein vollkommenes Mittelglied zwischen Rhynchosaurus articeps der Triasschichten und der lebenden Hatteria bildet. Natürlich tritt jede nähere Erkenntnis der Stammverwandtschaft der strengen Sonderung in künstliche Abteilungen feindlich entgegen, und wenn man fortfährt, die ältern Schnabeleidechsen den eigentlichen E. (Lazertilien) zu nähern, so kann das nur in dem Sinn geschehen, daß letztere die Abkömmlinge eines Mittelstammes des Reptilreichs darstellen, der bis zu den Schnabelechsen zurückführt, und um den sich die andern Reptilienordnungen als Seitenzweige gruppieren. Nach alledem muß man sehr gespannt sein, die Ei- und Jugendentwickelung der Brückeneidechse kennen zu lernen, deren Untersuchung nicht mehr lange auf sich warten lassen wird.
Die schon früher oftmals behauptete, aber immer wieder bestrittene Giftigkeit einzelner Eidechsenarten ist nunmehr bei der Gattung Heloderma sicher dargethan worden. Zwei Arten derselben, H. horridum und H. suspectum, leben in den Südstaaten Nordamerikas und in Mexiko, woselbst ihr Biß seit jeher wie derjenige der Klapperschlangen gefürchtet wurde. Schon lange wußte man, daß sie Zähne besitzen, welche vorn und hinten mit Furchen versehen sind, wie sie auch bei einzelnen Giftschlangen vorkommen, die keinen geschlossenen Zahnkanal besitzen, um das Gift in die Wunde zu leiten. Allein dies wäre noch kein Beweis, denn eine nahe verwandte Eidechse auf Borneo (Lanthanotus borneensis) ist gleichfalls mit Furchenzähnen versehen, ohne giftig zu sein. In Wirklichkeit betrachteten denn auch Brehm und andre Forscher den Verdacht der Giftigkeit bei Heloderma als Volksmärchen, weil man Fälle beobachtet hatte, in denen der Biß ohne alle übeln Erscheinungen geheilt war und alle übrigen E. giftlos sind. Indessen haben neuere Beobachtungen von Lubbock, Weir Mitchell und Reichert dargethan, daß Frösche, Tauben und Meerschweinchen dem Biß oder einer Einspritzung des Speichelgifts in wenigen Minuten erliegen, und der erstgenannte Naturforscher hat kürzlich einen Fall mitgeteilt, in welchem ein von der Eidechse in den Daumen gebissener Mann starb. Die Ungleichheit der Wirkung beruht auf dem eigentümlichen Verhalten, daß ungleich den im Oberkiefer liegenden Giftdrüsen der Schlangen hier die beträchtlich entwickelten Drüsen im Unterkiefer liegen und, wie J. G. Fischer festgestellt hat, ihr Sekret durch vier noch weiter verästelte Kanäle zur Wurzel der vorn und hinten gefurchten Giftzähne entsenden. Obwohl nun der Rachen des gereizten Tiers in der Regel von dem reichlich abgesonderten Speichel übertrieft, so kann doch leicht der Fall eintreten, daß die Furchenzähne des Oberkiefers giftfrei sind, und dann werden, wenn das Tier in gewöhnlicher Stellung zubeißt, nur geringe Mengen des Gifts in die Bißwunde gelangen. In der Regel jedoch werfen sich diese E., wie Sumichrast beobachtete, bei der Verteidigung auf den Rücken, so daß beim Zubeißen in dieser Lage die Furchenzähne des Unterkiefers von oben nach unten wirken und das Gift, den Gesetzen der Schwere entsprechend, in die Wunde fließen lassen, wie es bei den Schlangen geschieht. Weir Mitchell und Reichert in Philadelphia haben sich größere Mengen des Sekrets verschafft, indem sie das Tier reizten, auf einen Gefäßrand zu beißen, um damit genauere Versuche anzustellen. Sie fanden, daß es alkalisch reagiert, nach einigen Minuten Krämpfe, Pupillenerweiterung und Tod (bei Tauben) veranlaßt, wobei es, ähnlich wie das Cobragift, auf das Herz wirkt. Es zeigte sich im vergifteten Tier das Herz in völliger Muskelerschlaffung und voll harter, schwarzer Klumpen.