MKL1888:Beethoven
[604] Beethoven, Ludwig van, der größte deutsche Tondichter, nach wahrscheinlicher Annahme 16. Dez. 1770 zu Bonn geboren. Sein Großvater Ludwig, ein Belgier aus Antwerpen, war seit 1761 Hofkapellmeister in Bonn (gest. 1773), sein Vater Johann Tenorist in der kurfürstlichen Kapelle (gest. 18. Dez. 1792). Letzterer war ein gutmütiger, aber reizbarer Mann; seine mit den Jahren wachsende Neigung zum Trunk machte ihn zuletzt zur Wahrnehmung seiner Stellung untauglich und unfähig, auf das Gemüt des begabten, aber von früher Zeit an in sich verschlossenen Knaben einen günstigen Einfluß zu üben. Ein Gegengewicht gegen diese traurigen Eindrücke bildete die sorgsame und liebevolle Mutter (eine geborne Kewerich aus Ehrenbreitstein), die aber schon 1787 starb. Den ersten Unterricht erhielt B. von seinem Vater, der in richtiger Erkenntnis des bedeutenden Talents sich in ihm möglichst rasch eine Stütze für den Erwerb zu erziehen bestrebt war. In der Folge wechselte der junge B. seine Lehrer mehrfach, so daß er noch in spätern Jahren Grund zu haben glaubte, über den ungenügenden Musikunterricht seiner Jugend zu klagen. Unter den Musikern, deren Unterweisung er genoß (sie gehörten meist der Kapelle seiner Vaterstadt an), ist der Hoforganist Neefe hervorzuheben, der ihn im Klavierspiel und in der Komposition unterrichtete. Durch sein Klavierspiel und seine freien Phantasien erregte B. früh die größte Bewunderung. Schon 1781 machte er eine Reise nach Holland, wo er seine Fähigkeiten produzieren mußte; 1782 und 1783 wurden seine ersten Kompositionen (Variationen und drei Sonaten für Klavier) gedruckt, denen 1785 drei Klavierquartette folgten. Für seine wissenschaftliche Ausbildung wurde leider nicht in einer der künstlerischen entsprechenden Weise gesorgt. Im J. 1784 wurde der 13jährige Knabe bereits als zweiter Hoforganist angestellt und 1787 auf einige Zeit nach Wien geschickt, wo er mit Mozart in Berührung kam und einigen Unterricht von ihm erhielt. Nach seiner Rückreise besserten sich seine Verhältnisse allmählich, und an dem Grafen Waldstein wie an der Familie Breuning erwarb er sich einflußreiche Gönner und Freunde. In der vorzüglichen Bonner Hofkapelle spielte er Bratsche, während er gleichzeitig sich im Klavierspiel immer weiter ausbildete; auch als Komponist war er thätig, doch ist das meiste damals Entstandene ungedruckt geblieben. Da in den kleinen Verhältnissen Bonns die Vollendung seiner künstlerischen Ausbildung nicht möglich war, so begab er sich im Winter 1792, unterstützt vom Kurfürsten Max Franz, dem Bruder Kaiser Josephs II., nach Wien, um dort den Unterricht Haydns zu genießen. Aus dem nur als vorübergehend beabsichtigten Aufenthalt wurde ein dauernder, da nicht bloß Beethovens Vater um diese Zeit starb, sondern auch das Kurfürstentum und damit Beethovens amtliche Stellung 1794 durch die französische Invasion ihr Ende erreichte. In Wien war er der Reihe nach Schüler Haydns, Schenks, Albrechtsbergers, um bereits nach zwei Jahren ganz auf eignen Füßen zu stehen. Empfehlungen und Talent verschafften ihm Zutritt in den ersten Häusern Wiens; Baron van Swieten und die Fürstin Lichnowski wurden seine besondern Gönner. Im J. 1795 trat er zuerst als fertiger Künstler vor die Öffentlichkeit, als Virtuose mit dem Vortrag seines ersten Klavierkonzerts, als Komponist mit der Herausgabe seiner drei ersten Trios (Op. 1) und der drei Haydn gewidmeten Klaviersonaten. Das Aufsehen, welches seine Leistungen schon jetzt erregten, wurde noch erhöht durch eine 1796 unternommene Kunstreise nach Prag, Dresden und Berlin. An letzterm Ort suchte man, wie es scheint, ihn zu fesseln; da er sich aber in Wien als Künstler eine geachtete und gesicherte Stellung erworben und in dieser sein reichliches Auskommen fand, blieb er seiner neuen Heimat jetzt und sein ganzes späteres Leben hindurch treu. Fernere Reisen, um als Virtuose auftreten zu können, wurden ihm unmöglich gemacht durch sein Gehörleiden, welches um 1798 begann und in allmählicher Steigerung zuletzt in völlige Taubheit überging. Dieses harte Schicksal wirkte bestimmend auf Beethovens ganzen folgenden Lebensgang, da die produktive Thätigkeit von nun an immer ausschließlicher sein Leben ausfüllte und die ausübende in den Hintergrund trat. Seit etwa 1800 nahm auch das äußere Leben des Künstlers eine regelmäßige Gestalt an. Den Winter hindurch widmete er sich in der Hauptstadt geselligen Unterhaltungen und der Sorge für Aufführung seiner Werke; im Sommer lebte er meist mehrere Monate zurückgezogen in einem der Dörfer von Wiens Umgebung, nur mit Ausarbeitung seiner Kompositionen beschäftigt. Ein zahlreicher Kreis von Freunden umgab ihn, unter denen F. Ries, mehrere Jahre hindurch sein Schüler, genannt zu werden verdient. Kleinere Reisen innerhalb des österreichischen Staats unterbrachen zeitweise die Gleichmäßigkeit seines Lebens. Im J. 1809 erhielt er einen Ruf als westfälischer Kapellmeister nach Kassel; damals vereinigten sich mehrere seiner hochgestellten Gönner, unter ihnen sein Schüler, Erzherzog Rudolf, ihn durch eine lebenslängliche Rente an Wien zu fesseln. Im J. 1814 war er noch einmal Gegenstand der Aufmerksamkeit für die durch den Wiener Kongreß herbeigezogenen Gäste; von da an aber wurde infolge zunehmender Taubheit und Unterleibsleiden, mit welchen hypochondrische Verstimmungen verbunden waren, sein Leben ein immer mehr isoliertes. Nach dem Tod seines Bruders Karl (1815) entschloß er sich, den Sohn desselben zu sich zu nehmen und dessen Erziehung zu überwachen; dies brachte ihm langjährige Streitigkeiten mit dessen Mutter, während auch die Aufführung des Neffen selbst der liebevollen Sorge Beethovens keineswegs immer entsprach, Umstände, die ihm seine spätern Lebensjahre noch mehr verbitterten. Nach schweren Leiden, unter welchen jedoch seine produktive Kraft nicht erlahmte, sondern eher zu noch ausgeprägterer Eigenart sich entwickelte, starb er an den Folgen der Wassersucht 27. März 1827 im 57. Jahr seines Alters. Das Wiener Publikum, welches ihn über der Rossinischen Oper während der letzten Jahre seines Lebens fast vergessen hatte, erinnerte sich jetzt seines langjährigen Lieblings und gab ihm auf seinem letzten Gang ein zahlreiches Geleit; ein Obelisk mit seinem Namen schmückt sein auf dem Währinger Friedhof befindliches Grab. Eine Bronzestatue (von Hähnel modelliert, von Burgschmiet gegossen) wurde ihm 1845 in seiner Vaterstadt, eine andre (von Zumbusch) 1880 in Wien errichtet. B. war von mittlerer, kräftiger Statur; sein Gesicht war voll, gesund, etwas pockennarbig, von dichtem, meist ungeordnetem Haar umgeben, mit unruhigen, leuchtenden [605] Augen. Seine Gesichtszüge, in der Regel gutmütig, nahmen bei geistiger Erregung, zumal wenn er von Musik sprach, einen ungemein bedeutenden und fesselnden Ausdruck an. Sein Charakter war von Natur edel und wohlwollend und durchaus zum Sittlich-Guten und Wahren angelegt; doch mag die ungeregelte Erziehung in seiner Jugend den Grund zu jener Reizbarkeit, jenem Mangel an Selbstbeherrschung, jenen oft unvermittelten Übergängen aus einer Stimmung in die andre gelegt haben, die er in seinem spätern Leben bekundete. Die völlige Unerfahrenheit und Ungeschicklichkeit in allen Angelegenheiten des äußern Lebens wurzelte in demselben Mangel seiner Erziehung. In der Unterhaltung war er meist wortkarg, jetzt hastig ein freies Wort hinwerfend und im nächsten Moment wieder in düsteres Schweigen versinkend; doch konnte er sich bei rechter Laune auch in possenhaften Einfällen und Witzworten lustig ergehen. Seine liebste Erholung waren einsame, oft weit ausgedehnte Spaziergänge, auf denen ihm, frei von allen störenden Einwirkungen der gewohnten Umgebung, die musikalischen Gedanken am vollsten und reichsten zuströmten; viele seiner Hauptwerke sind im Freien konzipiert, zum Teil sogar ausgearbeitet worden.
Beethovens unermeßlich hohes Verdienst als Komponist besteht im wesentlichen darin, daß er als der erste die absolute oder Instrumentalmusik, welche seinen Vorgängern nur zum Ausdruck allgemeiner Empfindungen gedient hatte, zur Darstellung eines bestimmten dichterischen Inhalts verwendet und demgemäß ihre Formen und Ausdrucksmittel zu ungeahntem Reichtum erweitert und vermehrt hat. Dabei stellte er sich aber keineswegs von vornherein in einen Gegensatz zu den ältern Meistern; vielmehr schloß er sich in der ersten Periode seines Schaffens aufs engste an Haydn und Mozart an. Ebensowenig darf man glauben, daß er sich in seinem Drang, die der Tonkunst bis zu seiner Zeit gezogenen Grenzen zu erweitern, über die Notwendigkeit einer strengen Beobachtung ihrer Gesetze im einzelnen hinweggesetzt hätte. Seine Skizzenbücher beweisen es, wie er bestrebt gewesen ist, durch unermüdliche Arbeit und wiederholte Versuche seinen Tonbildern endlich diejenige Gestalt zu geben, in welcher sie ihm zum Ausdruck seiner Empfindungen völlig geeignet erschienen. Man staunt, wie O. Jahn („Gesammelte Aufsätze“, S. 243) sagt, über seine Art, „nicht bloß einzelne Motive und Melodien, sondern die kleinsten Elemente derselben hin und her zu wenden und zu rücken und aus allen denkbaren Variationen die beste Form hervorzulocken; man begreift nicht, wie aus solchem musikalischen Bröckelwerk ein organisches Ganze werden könne … Und machen diese Skizzen nicht selten den Eindruck unsichern Schwankens und Tastens, so wächst nachher wieder die Bewunderung vor der wahrhaft genialen Selbstkritik, die, nachdem sie alles geprüft, schließlich mit souveräner Gewißheit das Beste behält.“ Nur auf einem Gebiet seiner Kunst war es ihm nicht immer beschieden, den Kampf mit der widerstrebenden Materie siegreich zu bestehen: auf dem der Vokalmusik. Schon in seiner Oper „Fidelio“, noch deutlicher aber in den großen Gesangswerken seiner letzten Schaffensperiode zeigt es sich, daß B., durch die Fügsamkeit der Instrumente gewöhnt, sich im Flug seiner Phantasie keinerlei Beschränkung aufzuerlegen, es häufig versäumte, den Bedingungen Rechnung zu tragen, unter denen die menschliche Stimme allein zu voller Wirkung gelangen kann. Dagegen hat er den Instrumenten eine zu keiner spätern Zeit übertroffene Ausdrucksfähigkeit verliehen, derart, daß sie, sowohl einzeln (namentlich das Klavier) als zum Orchester vereint, die höchsten Ideen und geheimsten Regungen der Menschenseele zu offenbaren vermochten. Wenn wir B. in diesem Sinn als den Schöpfer der modernen Instrumentalmusik bezeichnen, so haben wir ihm zugleich seine Stellung zur Entwickelung der Tonkunst in ihrer Gesamtheit angewiesen. Denn freilich ist der Gesang, d. h. die Verbindung des Tons mit dem Wort, zu allen Zeiten der Ausgangspunkt der Musik gewesen; wenn aber die Musik in sich selbst die Fähigkeit besitzt, Gefühlszustände verständlich auszudrücken, während ja das Wort in erster Linie nur unserm Denkvermögen dient, dann muß es als ein Kennzeichen ihrer höchsten Entwickelung betrachtet werden, daß es dem Komponisten gelingen konnte, auch ohne Mithilfe des oft vieldeutigen Worts sich verständlich zu machen und uns zu rühren. Bei B. lag in seiner persönlichen Entwickelung noch ein besonderer Antrieb, die Instrumentalmusik diesem Höhepunkt zuzuführen. Selbst ausübender Künstler in der höchsten Bedeutung, in und mit dem Orchester aufgewachsen, fand er sich immer am ehesten diesem Kunstmittel zugeführt, um seinen poetischen Intentionen Ausdruck zu geben. Was ihn nun in dieser von ihm mit besonderer Liebe gepflegten und entwickelten Gattung vor seinen Vorgängern Mozart und Haydn auszeichnet, welche ja ihrerseits schon die Sprache der Instrumente zu so reicher Entwickelung geführt hatten, ist zunächst die weitere Ausgestaltung der übernommenen Formen zu größern, den neuen Ideen angemessenen Dimensionen. Unter seinen Händen erweitert sich das Menuett zum vielsagenden Scherzo, das Finale, bei seinen Vorgängern meist nur ein heiter und lebhaft sich verlaufender Ausgang, wird bei ihm zum Gipfelpunkt der Entwickelung des ganzen Werks und übertrifft an Wucht und Breite nicht selten den ersten Satz. Dann aber ist ihm namentlich schon jenes oben berührte (wir nennen es das poetische) Moment eigentümlich, jene überall erkennbare Einheit eines zusammenfassenden Gedankens. Was er in einzelnen Werken (z. B. in der „heroischen“ und in der Pastoral-Symphonie) schon durch die Aufschrift bezeichnete, wird sich auf die große Mehrzahl seiner Instrumentalwerke anwenden lassen: daß die in den einzelnen Teilen poetisch dargestellten Seelenzustände in einer innern Beziehung zu einander stehen und daher die Werke recht eigentlich als Tondichtungen zu bezeichnen sind.
Weisen wir noch in der Kürze auf die wichtigsten Werke Beethovens im einzelnen hin, so müssen wir dabei vor allem die Epochen namhaft machen, in welchen sich erkennbarer als bei vielen andern Künstlern sein Genius entwickelt hat. Äußerlich umfassen seine gedruckten Werke, zu denen noch eine ziemliche Reihe (namentlich Klavierkompositionen) ohne Opuszahl hinzukommt, 138 Nummern. Es gehören zu denselben 9 Symphonien, 7 Konzerte, 1 Septett, 2 Sextette, 3 Quintette, 16 Streichquartette, 36 Klaviersonaten, 16 Sonaten für Klavier mit Begleitung, 8 Klaviertrios, 1 Oper, 2 Festspiele, 1 Oratorium, 2 große Messen und zahlreiche kleinere Kompositionen für Klavier und für ein- und mehrstimmigen Gesang. In diesen Werken lassen sich nun die Epochen der Beethovenschen Produktion ziemlich deutlich nachweisen, deren man allgemein und mit Recht drei annimmt, zu denen als Vorbereitungsepoche die der jugendlichen Entwickelung Beethovens kommt. Die letztere Epoche ist bei ihm ungewöhnlich lang im Vergleich zu der raschen Entwickelung eines Mozart u. a. Erst mit dem Jahr 1795, seinem 25. Lebensjahr, [606] also nicht lange nach seiner Abreise aus Bonn, können wir dieselbe abschließen; denn erst in diesem Jahr veröffentlichte er sein „erstes Werk“, welches er selbst dieser Bezeichnung wert hielt (die drei Trios Op. 1). In jene Jugendepoche gehören als seine ersten Kompositionen: 9 Nummern Klaviervariationen und 3 Sonaten für Klavier (1782 und 1783), dann 3 Klavierquartette (1785), ein Trio, einzelne Lieder, verschiedene Sammlungen von Variationen für Klavier (darunter die bereits sehr schönen und eigentümlichen über „Vieni Amore“ von Righini) und von den ungedruckten ein Klavierkonzert, eine Sonate für Klavier und Flöte, ein Ritterballett (1789) und einzelnes andre. In diesen Werken verfolgt man mit Interesse den erkennbaren Fortschritt, den der junge Künstler von den ersten noch ganz gebundenen und unselbständigen Schritten an Neefes Hand zu allmählicher Befreiung und Selbständigkeit macht; man gewahrt im Verlauf den entschiedenen Einfluß Mozarts, ohne daß dessen Fülle und Klarheit zunächst erreicht würden. Vor allem aber gewahrt man von der ersten Zeit an das sicherste Gefühl für das formelle Ebenmaß und prägnante Ausprägung des wenn auch noch nicht tiefen musikalischen Gedankens; kein geniales Überschreiten der hergebrachten Form, kein subjektives Versuchen, sondern vor allem das Streben nach dem sichern Besitz des Überlieferten kennzeichnet ihn. Dabei begegnen uns auch in dieser Zeit schon einzelne Arbeiten, in denen wir den vollen und warmen Herzschlag Beethovenschen Empfindens gewahren, entsprechend den Nachrichten, die wir über den Reichtum seiner freien Phantasien schon in jener Zeit erhalten. Zu bemerken bleibt hier schließlich noch, daß viele der erst im Verlauf der folgenden Jahre erschienenen Werke ihrem Entwurf, teilweise auch ihrer Ausarbeitung nach jedenfalls dieser vorbereitenden Epoche angehören.
Die erste Epoche des eigentümlich Beethovenschen Schaffens, in welcher er nach vollständiger Überwindung aller Vorstufen in individueller Selbständigkeit auftritt, beginnt mit der Herausgabe der ersten drei Klaviertrios Op. 1 (1795) und endigt etwa mit den Jahren 1800–1802. Sie umfaßt diejenigen Werke, in deren Gestaltung und Form der Einfluß Mozarts und Haydns noch durchweg erkennbar bleibt. Außer den genannten ersten Trios gehören hierher die Haydn gewidmeten Klaviersonaten Op. 2, die Sonaten Op. 7, 10, 13 („S. pathétique“), 14–28, die Sonaten mit Begleitung Op. 5, 12, 17, 23, 24, das Septett Op. 20 (1800), die erste Symphonie Op. 21 (1800), die sechs ersten Streichquartette Op. 18 (1799–1800), das Quintett für Klavier und Blasinstrumente Op. 16, die ersten Klavierkonzerte Op. 15 und 19, das Ballett „Die Geschöpfe des Prometheus“ (1800), die Szene „Ah perfido“ (1796), das Lied „Adelaide“ (1796) sowie eine Anzahl kleinerer Instrumental-, hauptsächlich Klavierwerke. Es versteht sich von selbst, daß bei einzelnen dieser Werke die Zugehörigkeit zu der einen oder andern Epoche unsicher erscheint; im ganzen wird man es bestätigt finden, daß hier B. bei aller Individualität in Melodieführung und Modulation doch noch auf dem Mozartschen Boden steht. Nur auf einem Gebiet (freilich dem ihm eigensten) zeigt er sich auch in dieser Epoche schon bahnbrechend; es ist dies die Klavierkomposition, sowohl in der Form des Konzerts als der Sonate und Variation. Nicht nur in der Technik, sondern auch im Zuschnitt der Sätze und des Ganzen erscheint er hier schon vielfach selbständig und neu, und deutlich erkennbare Zeichen weisen schon in diesen frühern Werken auf des Komponisten Absicht hin, ein Ideenganzes zur deutlichen Erscheinung zu bringen, z. B. wenn er zwei allerdings über die Grenzen der Sonatenform hinausschweifende Sonaten als „gleichsam Phantasien“, eine andre als die „pathetische“ bezeichnet. Aber auch ohne Fingerzeige solcher Art empfindet man in diesen Werken sowohl im einzelnen als im ganzen jenes Streben nach einheitlichem Ausdruck, welches ihren Autor als den einstigen Schöpfer der modernen Instrumentalmusik schon jetzt erkennen läßt.
Die zweite Periode beginnt etwa in den Jahren 1800–1802; sie zeigt uns den Meister in der vollen und reichen Entwickelung seiner erstarkten Künstlerpersönlichkeit, welche ihn zur Hervorbringung von Werken befähigte, die, während uns jedes eine Welt reichsten Empfindungslebens eröffnet, zugleich die schönste Harmonie von Inhalt und Form erkennen lassen. Hierher gehört vor allem die stattliche Reihe der Symphonien: die von Lebensfreudigkeit und Heiterkeit überströmende in D dur (1802); die „Eroica“ (1804), ihrer Konzeption nach zur Verherrlichung Napoleon Bonapartes bestimmt, das deutlichste Beispiel jener Beherrschung des Ganzen durch einen poetisch zusammenfassenden Gedanken; die vierte in B dur (1806); die mächtige, den Kampf gegen ein übermächtiges Schicksal darstellende in C moll (1807); „die Pastorale“ (1808); die siebente in A (1812), welche alle Stufen der Freude, von leiser Träumerei bis zum dithyrambischen Jubel, durchläuft; endlich noch die liebliche achte in F (1812). Hierzu kommen eine Reihe andrer, gleich vollendeter und jedes für sich eigentümlicher Gebilde: die drei Quartette Op. 59, dem Grafen Rasumowski gewidmet (1806), sowie die beiden folgenden Op. 74 (1809) und 95 (1810); die große Reihe der fernern Klavierkompositionen: die Konzerte in C moll, G dur und das großartigste von allen in Es dur (letzteres 1809); die Klaviersonaten Op. 30 in G, D moll und Es; die beiden mächtig großen in C und F moll (Op. 53 und 57), denen als leichtere Gegenstücke die in F und Fis (Op. 54, 78) zur Seite treten; die Es dur-Sonate Op. 81a mit ihrer Überschrift: „Les adieux, l’absence et le retour“, ein neues Beispiel der Darstellung einer bestimmten dichterischen Idee in Tönen. Zu den einfachen Klavierwerken kommen die Sonaten mit Begleitung: Op. 30 in A, C moll und G, dem russischen Kaiser Alexander gewidmet; die für den Violinisten Rudolf Kreutzer geschriebene sogen. Kreutzer-Sonate Op. 47 in A (1803); ferner Op. 96 in G (1810) und Op. 69 für Klavier und Violoncell in A; die Trios Op. 70 in D und Es und Op. 97 in B; das Triplekonzert für Klavier, Violine und Violoncell Op. 56; die Phantasie für Klavier, Orchester und Chor (1808) u. a. Dieser Periode gehören auch die ersten größern Chorkompositionen Beethovens sowie seine Oper „Fidelio“, welche leider die einzige bleiben sollte, an. Zu jenen rechnen wir das Oratorium „Christus am Ölberg“ und die erste, durch einfache, edle Auffassung und milde Würde sich auszeichnende Messe in C (1807). In seiner Oper „Fidelio“, die in erster Bearbeitung (als „Leonore“) 1805, in zweiter 1806, in dritter und bleibender (mit der E dur-Ouvertüre) 1814 auf die Bühne kam, hat B. keineswegs neue Wege dramatischer Gestaltung versucht. Der Form nach den Rahmen der Mozartschen Oper nicht überschreitend, dankt diese Oper eben nur dem reichern und tiefern, in diesem Fall noch durch einen menschlich interessanten und rührenden Stoff angeregten Geist Beethovens ihre besondere Stellung. Neben ihr erwähnen wir noch seine übrigen mit Bühnenwerken verbundenen Kompositionen: die Gesänge und Zwischenakte zu [607] Goethes „Egmont“ (1810) und die beiden Festspiele „König Stephan“ und „Die Ruinen von Athen“ (1812). Ganz besonders hervorragend, als Seelengemälde der ergreifendsten Art zu bezeichnen sind die meisten der zu diesen Werken gehörigen oder auch einzeln geschriebenen Ouvertüren, am vollendetsten die große „Leonoren-Ouvertüre“, die zum „Egmont“ und die zu Collins Trauerspiel „Coriolan“. Noch erwähnen wir hier die zum großen Teil dieser Zeit angehörigen Lieder, wie „Herz, mein Herz etc.“, „Kennst du das Land etc.“ und namentlich die wahrhaft klassischen, tief ergreifenden und doch aufs einfachste konzipierten Lieder „An die ferne Geliebte“, freilich schon einer etwas spätern Zeit angehörig (1816). Der Übergangszeit von der zweiten zur dritten Periode gehören die zahlreichen Bearbeitungen schottischer, irischer und andrer Volksmelodien (mit Klavier-, Violine- und Cellobegleitung) an, die B. meistenteils für den englischen Verleger Thompson übernommen. Endlich veranlaßten die politischen Ereignisse mehrere größere und kleinere Gelegenheitskompositionen, wie das Instrumentalwerk „Die Schlacht bei Vittoria“, Op. 91 (1813), die Kantate „Der glorreiche Augenblick“, Op. 136 (1814), und verschiedene Chöre.
Die Jahre 1814–18 bezeichnen einen relativen Stillstand in Beethovens Produktion. In diesem kurzen Zeitraum traten nur ganz vereinzelt größere Kompositionen, z. B. die Sonate in A (1815), der schon genannte „Liederkreis“ u. a., hervor; Krankheit und bitteres häusliches Leid hemmten seine Phantasie. Nach Überwindung dieser Periode der Entmutigung erscheint er uns in mancher Beziehung verändert. Sein Empfinden ist bei völliger Abgeschlossenheit gegen die Außenwelt noch mehr verinnerlicht, infolgedessen der Ausdruck desselben häufig weit ergreifender, unmittelbarer als jemals früher, dagegen die Einheit von Inhalt und Form mitunter nicht so vollendet wie sonst, sondern von einem subjektiven Moment stark beeinflußt. Die Hauptwerke dieser dritten Epoche sind die „Missa solemnis“ (1818–22) und die neunte Symphonie in D moll (1823–24). Erstere, zur Feier der Installation des Erzherzogs Rudolf als Bischofs von Olmütz bestimmt, ist die reichste und unmittelbarste Offenbarung seines von dem religiösen Gegenstand tief erregten Innern, ausgezeichnet durch selbständige, tief eindringende Auffassung der Textesworte, durch eine überwältigende Wärme und Innigkeit des Ausdrucks, durch eine Fülle der edelsten und schönsten Gedanken. B. hielt sie für sein vollendetstes Werk. In andrer Weise drückt die neunte Symphonie (mit dem Schlußchor über Schillers „Lied an die Freude“) das Ringen eines Menschenherzens aus, welches sich aus Mühen und Leiden nach dem Tag reiner Freude sehnt, der ihm doch in voller Klarheit und Reinheit nicht beschieden ist. Außerdem gehören dieser Zeit noch an: die Ouvertüre „Zur Weihe des Hauses“, Op. 124 (1822), die Klaviersonaten Op. 106 in B (1818), Op. 109 in E, Op. 110 in As (1821) und Op. 111 in C moll (1822), mehreres Kleinere für Klavier und Gesang und endlich die letzten großen Streichquartette Op. 127 in Es (1824), Op. 130 in B dur und Op. 132 in A moll (1825), Op. 131 in Cis moll und Op. 135 in F dur (1826), deren Verständnis erst in neuerer Zeit weitern Kreisen erschlossen worden ist. Viele Entwürfe, darunter der zu einer zehnten Symphonie, befanden sich in dem Nachlaß des Komponisten.
Die erste vollständige kritische Gesamtausgabe von Beethovens Werken erschien 1861–65 bei Breitkopf u. Härtel in 24 Serien unter Revision von Rietz, Nottebohm, Reinecke, David, Hauptmann u. a., welche durch Zuziehung der Manuskripte und Originalausgaben überall eine sichere Grundlage für ihre Arbeit gewannen. Ein chronologisches Verzeichnis der Werke Beethovens veröffentliche A. W. Thayer (Berl. 1865), ein thematisches mit historischen Nachweisungen über die Entstehung der Werke Gust. Nottebohm (Leipz. 1868). Von den zahlreichen Schriften über Beethovens Leben und Werke nennen wir: Wegeler und Ries, Biographische Notizen (Koblenz 1838, Nachtrag 1845); Schindler, Biographie Beethovens (3. Aufl., Münst. 1860); Lenz, B. et ses trois styles (Brüss. 1854, 2 Bde.); Derselbe, B., eine Kunststudie (Hamb. 1850–60, 5 Bde.); Oulibischeff, B., ses critiques et ses glossateurs (Leipz. 1857; deutsch von Bischoff, das. 1859); Elterlein, Beethovens Klaviersonaten (4. Aufl., das. 1875); Derselbe, Beethovens Symphonien nach ihrem idealen Gehalt (3. Aufl., Dresd. 1870); Alberti, B. als dramatischer Tondichter (Stettin 1859); Dürenberg, Die Symphonien Beethovens (2. Aufl., Leipz. 1876); Lorenz, Haydns, Mozarts und Beethovens Kirchenmusik (das. 1866); Marx, Beethovens Leben und Schaffen (4. Aufl., Berl. 1884, 2 Bde.); Derselbe, Anleitung zum Vortrag Beethovenscher Klavierwerke (2. Aufl., das. 1875); Nohl, Beethovens Leben (Leipz. 1864–77, 3 Bände); Derselbe, B. und die Kunst der Gegenwart (Wien 1871); Thayer, Beethovens Leben (deutsch von Deiters, Berl. 1866–78, Bd. 1–3); Nottebohm, Beethovens Skizzenbuch (Leipz. 1865); Derselbe, Ein Skizzenbuch von B. aus dem Jahr 1803 (das. 1880); Derselbe, Beethoveniana (das. 1872); Derselbe, Beethovens Studien (das. 1873, Bd. 1). Eine Ausgabe von „Beethovens Briefen“ besorgte Nohl (2 Samml., Stuttg. 1865–68); „Briefe Beethovens an Erzherzog Rudolf“ veröffentlichte Köchel (Wien 1865). Von Einzelaufsätzen über B. sind besonders hervorzuheben: die beiden in O. Jahns „Gesammelten Aufsätzen“ (Leipz. 1866) enthaltenen („Leonore oder Fidelio?“ und „B. und die Ausgabe seiner Werke“) und der von Ambros: „Das ethische und religiöse Moment in B.“ (in dessen „Kulturhistorischen Bildern“, 2. Aufl., das. 1865). Von den zum Jubiläum 1870 erschienenen Schriften ist Richard Wagners Abhandlung „B.“ (Leipz. 1870) weitaus die wertvollste. Vgl. außerdem Breuning, Aus dem Schwarzspanierhaus. Erinnerungen an B. aus meiner Jugendzeit (Wien 1875); Nohl, B. nach den Schilderungen seiner Zeitgenossen (Stuttg. 1876).
[105] Beethoven, Ludwig van. Als Supplement zu der Gesamtausgabe seiner Werke erschien ein Band, 46 bisher ungedruckte Werke enthaltend (Leipz. 1888). Vgl. ferner Nottebohm, Zweite Beethoveniana (Leipz. 1887); v. Wasielewski, Ludw. van B. (Berl. 1887, 2 Bde.).