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MKL1888:Ausgrabungen, archäologische

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Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Ausgrabungen, archäologische“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 2 (1885), Seite 115117
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Ausgrabungen, archäologische. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 2, Seite 115–117. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Ausgrabungen,_arch%C3%A4ologische (Version vom 27.12.2022)

[115] Ausgrabungen, archäologische, werden seit dem Ende des vorigen Jahrhunderts systematisch unternommen, um unsrer Kenntnis früherer Kulturzustände ein Material zu verschaffen, welches sicherer und umfangreicher ist, als es die lückenhafte litterarische Überlieferung zu bieten vermag. Auf alten Kulturstätten, welche niemals ganz verlassen worden sind, wie z. B. in Rom, haben Ausgrabungen in den Ruinen schon seit dem Mittelalter stattgefunden. Dieselben waren aber einerseits nur auf die Gewinnung von Baumaterial gerichtet, anderseits charakterisieren sie sich als bloße Schatzgräbereien. Künstlerische Zwecke wurden in Rom erst seit dem Beginn des 15. Jahrh. mit den Ausgrabungen verbunden, nachdem die Begeisterung für das klassische Altertum Gelehrte und Künstler gleichmäßig ergriffen hatte. Während die erstern vorwiegend nach Inschriften suchten, war es den andern um plastische Kunstwerke und um Baudenkmäler zu thun. Seit dem Anfang des 16. Jahrh. wurden schon bedeutende Funde gemacht (unter andern die Laokoongruppe, Apollo von Belvedere), und um diese Zeit faßte auch Raffael den Plan, das alte Rom aus seinen Ruinen wieder erstehen zu lassen. Sein frühzeitiger Tod hinderte ihn an der Ausführung dieses Plans, und so behielten die Ausgrabungen in Rom und ganz Italien einen zufälligen Charakter, bis ebenfalls ein Zufall 1748 von neuem die Entdeckung der verschütteten Vesuvstädte Pompeji und Stabiä herbeiführte, nachdem schon 1736 Ausgrabungen in Herculaneum veranstaltet worden waren. Mit der pompejanischen Ausgrabung beginnt die erste Periode der Ausgrabungen, welche jedoch noch nicht systematisch betrieben, sondern nur langsam mit Unterbrechungen gefördert wurden. Unter der französischen Herrschaft (1806–15) kam ein neuer Zug in die pompejanischen Ausgrabungen hinein. Dieselben wurden aber erst seit 1861 unter der Leitung Fiorellis mit Sorgfalt und Umsicht so fortgesetzt, daß eine vollständige Bloßlegung der Ruinen zu erwarten ist. Die Ausgrabungen in Rom und Italien sind seit den Zeiten der Renaissance nicht unterbrochen worden, haben aber erst seit der Gründung des Königreichs Italien eine wissenschaftliche Organisation und eine Zentralstelle in der Sopraintendanza degli scavi e musei del regno erhalten. Eine besonders große Ausbeute haben die Ausgrabungen in Etrurien, Unteritalien und Sizilien an Vasen-, Gräberfunden und architektonischen Denkmälern geliefert, wodurch nicht nur die griechische und römische Kultur, sondern auch die der italischen Ureinwohner in ein helles Licht gesetzt worden ist. Die gegenwärtige Organisation, welche sich auf zahlreiche Vereine stützt, ermöglicht die Durchführung von Ausgrabungen über ganz Italien. Eine zweite Periode der Ausgrabungen seit der Wiederauffindung Pompejis beginnt mit der französischen Expedition von 1798 nach Ägypten, deren Ergebnisse in der „Description de l’Égypte“ (2. Ausg., Par. 1820–30, 26 Bde.) niedergelegt sind. Eine zweite französische Expedition folgte 1828 unter Champollion, dem sich italienische Gelehrte unter Rossellini anschlossen. Nicht minder ergebnisreich war die preußische Expedition unter Lepsius (1842–45), der das ägyptische Museum in Berlin seine Entstehung verdankt. Später nahm die ägyptische Regierung die Ausgrabungen selbst in die Hand und betraute mit der Leitung derselben Mariette, welcher die Resultate seiner ausgedehnten und erfolgreichen Ausgrabungen im Museum von Bulak (Kairo) niederlegte. Die Ausgrabungen auf der vornehmsten Kulturstätte des Altertums, in Griechenland und den griechischen Inseln, begannen 1751 durch die englischen Architekten Stuart und Revett, welche Griechenland für die Kunst gewissermaßen neu entdeckten und die Ergebnisse ihrer Forschungen in den „Antiquities of Athens“ (Lond. 1762 bis 1816, 4 Bde.; deutsch, Darmst. 1830–33, 3 Bde.) niederlegten. Die Society of Dilettanti (gestiftet 1734) schickte zur Fortsetzung der Forschungen Chandler, Revett und Pars nach Griechenland und Kleinasien. Die „Ionian antiquities“ (1769, dann 1797) und die „Unedited antiquities of Attica“ (1817) enthalten die wissenschaftliche Ausbeute dieser Expedition. In den Jahren 1811 und 1812 veranstaltete eine Reihe deutscher, dänischer u. englischer Reisenden (v. Stackelberg, Haller, Linckh, Brönstedt, Cockerell und Forster) Ausgrabungen, welchen die Giebelgruppen des Athenetempels auf Ägina und der Fries des Apollontempels zu Phigalia in Arkadien verdankt werden. Die französische Expédition scientifique de la Morée unternahm die ersten oberflächlichen Ausgrabungen auf dem Boden des alten Olympia, wobei einige Metopen des Zeustempels zu Tage gefördert wurden. Ein gelegentlicher Fund war 1822 die Venus von Milo auf der griechischen Insel dieses Namens. In Athen wurden Ausgrabungen durch Roß, Strack, Ziller, Bötticher u. a. unternommen. Eine neue Periode der Ausgrabungen, die man erst als die eigentlich wissenschaftliche und systematische bezeichnen darf, beginnt für die griechische Welt um 1870. Die ersten Resultate derselben knüpfen sich an den Namen Heinrich Schliemanns, der die Reihe seiner von den glänzendsten Resultaten begleiteten Ausgrabungen 1869 auf Ithaka begann, dann mit größerm Glück 1870–73 auf dem Boden des alten Troja, 1876 in Tiryns und Mykenä, 1882 wieder in Troja, 1883 in Orchomenos und 1884 wieder in Tiryns fortsetzte, [116] überall Reste einer uralten Kultur aufdeckend. Er gab den Anstoß zu einer Reihe von Unternehmungen, welche ein helles Licht über die griechische Welt verbreiteten. Im J. 1873 sendete die österreichische Regierung eine Expedition nach Samothrake aus (1879 wiederholt), und in demselben Jahr begannen die Ausgrabungen in Tanagra, welche eine große Anzahl von Terrakotten ans Licht brachten. Das Hauptinteresse der griechischen Ausgrabungen konzentrierte sich jedoch auf die völlige Bloßlegung der Ruinen des alten Olympia durch die deutsche Reichsregierung 1875–81, wobei ein ungeheures Material von Architektur- und Skulpturüberresten dem Boden abgerungen wurde. Im J. 1876 fand ein griechischer Privatmann, Karapanos, die Ruinen des alten Zeusheiligtums und Orakelorts Dodona auf, und in demselben Jahr begannen die Franzosen ihre Ausgrabungen auf der Insel Delos, durch welche unter anderm die Apollonheiligtümer aufgedeckt wurden. Die athenische Archäologische Gesellschaft macht sich besonders um die Reinigung der Akropolis und die Freilegung ihrer Umgebung und von Gräberstraßen verdient. Im J. 1884 hatte sie ihre planmäßige Thätigkeit auf Epidauros und vorher auf Delphi erstreckt. Von großer Bedeutung für die Vermittelung der orientalisch-asiatischen Kultur nach dem Abendland sind die von dem nordamerikanischen Konsul di Cesnola seit 1869 auf Cypern veranstalteten Ausgrabungen, deren reiche Ergebnisse in das Metropolitanmuseum von New York, zum kleinern Teil nach dem Britischen und dem Berliner Museum gekommen sind. Nachdem der Franzose Texier die Reihe der Ausgrabungen in Kleinasien Mitte der 30er Jahre begonnen hatte („Description de l’Asie mineure“, Par. 1839 ff., 1863), richteten die Engländer ihr Augenmerk auf die dortigen griechischen Ansiedelungen und blieben auf dem Gebiet der Ausgrabungen die alleinigen Herren Kleinasiens, bis mit Schliemann eine neue Periode begann. Charles Fellows machte seit 1838 eine Reihe wichtiger Entdeckungen von lykischen Denkmälern (unter andern des Harpyienmonuments und des Nereidendenkmals von Xanthos), welche uns die Einwirkung der griechischen Kunstübung auf heimatliche Überlieferungen zeigen („An account of discoveries in Lycia“, Lond. 1841). Nach ihm veranstaltete Newton in Halikarnaß und benachbarten Städten Ausgrabungen, deren Hauptergebnis die Auffindung des Mausoleums ist (vgl. Newton, A history of discoveries at Halicarnassus, Cnidus and Branchidae, Lond. 1862; J. Fergusson, The mausoleum at Halicarnassus, das. 1862). Der Zielpunkt der nächsten Expedition war Ephesus, wo J. T. Wood 1864 den berühmten Artemistempel zu suchen begann und ihn endlich 1870 entdeckte, zugleich auch den größten Teil der Stadt bloßlegte („Discoveries at Ephesos“, Lond. 1877). Im J. 1868 unternahm Pullan im Auftrag der Society of Dilettanti Ausgrabungen zu Priene in Karien, wobei er den Tempel der Athene Polias auffand, nachdem er schon früher den Bakchostempel in Teos ausgegraben hatte. Alle diese Unternehmungen wurden aber, was die Reichhaltigkeit der Funde anbetrifft, in den Schatten gestellt durch die Ausgrabungen auf der Akropolis des alten Pergamon, welche der Ingenieur Karl Humann 1878–84 im Auftrag der preußischen Regierung unternahm, und deren Ergebnisse in das Berliner Museum gekommen sind. Von gleichem Glück begünstigt waren zwei von Benndorf geführte Expeditionen nach der Südküste Lykiens (1881 und 1882), auf deren letzterer ein großes Grabdenkmal in Gjölbaschi, dem alten Trysa, ausgegraben wurde, dessen plastischer Schmuck nach Wien überführt worden ist. Im J. 1881 traten auch die Amerikaner als Mitbewerber in Kleinasien auf. Auf Kosten des amerikanischen Instituts für Archäologie wurden in Assos, an der südlichen Küste der troischen Landschaft, Ausgrabungen veranstaltet, welche die Bloßlegung und genaue Erforschung des alten dorischen Tempels auf der Akropolis zur Folge hatten. In der kleinasiatischen Stadt Myrina haben die Franzosen Gräber aufgedeckt und zahlreiche Terrakotten gefunden, welche mit den tanagräischen verwandt sind. Über Kleinasien hinaus reichten zwei 1882 und 1883 von der preußischen Akademie der Wissenschaften ausgesendete Expeditionen nach der alten Landschaft Kommagene im nördlichen Syrien, wobei Königsgräber und altsyrische Monumente entdeckt und erforscht worden sind. In den Gebieten des alten Assyrien und Babylonien, den Euphrat- und Tigrisländern, sind die Ausgrabungen das Werk von Franzosen und Engländern gewesen. Der Entdecker der Ruinen Ninives ist der Franzose Botta („Monuments de Ninivé“, mit Flandin, Par. 1846–50, 5 Bde.). Bald darauf begann der Engländer Layard auf derselben Stelle seine Ausgrabungen, welche er bis in die Mitte der 50er Jahre fortsetzte. Die materiellen Resultate derselben besitzt das Britische Museum, die wissenschaftlichen hat er in den Werken: „Niniveh and its remains“ (Lond. 1848) und „Niniveh and Babylon“ (das. 1853) niedergelegt. Ihm folgte im Anfang der 60er Jahre der Franzose Victor Place („Ninivé et l’Assyrie“, Par. 1865 ff., 3 Bde.) und in den 70er Jahren der Engländer G. Smith („Assyrian discoveries“, Lond. 1875) und Hormuzd Rassam („Excavations and discoveries in Assyria“, das. 1880). Die Ruinen von Babylon sind durch Ker Porter, Ainsworth, Loftus, Oppert, Rassam u. a. untersucht worden, ohne daß jedoch bei der ungeheuern Ausdehnung der Schuttberge solche Resultate erzielt werden konnten wie in Ninive. Um die Aufdeckung und Erforschung der Denkmäler des alten Persien haben sich besonders Ker Porter („Travels in Georgia, Persia etc.“, Lond. 1821 ff.), Coste und Flandin („Voyage en Perse; Perse ancienne“, Par. 1843–54, 6 Bde.), Texier („Description de l’Arménie, de la Perse etc.“, das. 1852), Vaux („Niniveh and Persepolis“, Lond. 1851), Rawlinson („The five great monarchies“, 4. Aufl., das. 1879, 3 Bde.) und Stoltze („Denkmäler von Persepolis“, Berl. 1882) verdient gemacht. In der Krim werden von der russischen Regierung systematische Ausgrabungen veranstaltet, welche besonders Gräber mit einer Menge von Geräten und Schmucksachen (zum Teil von Gold) geöffnet haben, die in das Museum der Eremitage nach Petersburg gekommen sind. Für die Baudenkmäler Phönikiens ist eine französische Expedition unter Renan („Mission en Phénicie“, Par. 1864 ff.) von großer Bedeutung gewesen. An der Küste Nordafrikas, in Ptolemais, Kyrene, Tripolis, besonders in Karthago, sind die von Beulé begonnenen Ausgrabungen („Fouilles à Carthage“, 1860) bis in die neueste Zeit fortgesetzt worden.

Neben diesen Ausgrabungen in den Gebieten der klassischen Altertümer hat die „Wissenschaft des Spatens“ auch in allen Ländern nicht geruht, wo römische Niederlassungen bestanden haben, so besonders in Spanien (Tarraco = Tarragona), in Frankreich (Massilia, Sanxay bei Poitiers), in der Schweiz und in Deutschland. Was das letztere Land betrifft, so sind in erster Linie die Rheinlande [117] ein ausgiebiges Terrain, aus welchem immer neue Funde (Trier, Saalburg bei Homburg v. d. H.) an das Licht kommen. Neuerdings geht man auch in Süddeutschland, namentlich in Bayern (Augsburg), eifrig den Spuren der Römer nach. Über die Ausgrabungen auf klassischem Boden vgl. im allgemeinen K. L. Stark, Systematik und Geschichte der Archäologie der Kunst (Leipz. 1880).

Die neuere Zeit hat auch den Ausgrabungen prähistorischer Gegenstände allgemeines Interesse zugewandt, und namentlich durch die Aufdeckung und Untersuchung alter Wohnplätze (Pfahlbauten, Höhlen etc.), Gräber, Küchenabfälle, Befestigungen, Monumente und Plätze gewerblicher Thätigkeit ist die Urgeschichte der Menschheit ungemein gefördert worden. Die Auffindung prähistorischer Gegenstände ist vielfach Sache des Zufalls. Doch hat man oft mit großem Erfolg Lokalitäten untersucht, an welche sich alte Volkstraditionen knüpfen. Nicht selten weist die volkstümliche Benennung eines Ackerstücks, wie z. B. „Heidenacker“, „Heidenkirchhof“, „Hünenkirchhof“, „Wendenkirchhof“, darauf hin, daß an dieser Stelle ein alter Begräbnisplatz vorhanden sei. Ebenso leben in vielen Fällen auch die Hügelgräber und Steinmonumente als alte Gräber der Vorfahren unter der Bezeichnung „Heidenköppel“, „Hünenhügel“, „Hünengräber“, „Lauschhügel“, „Lausehügel“, „Wachthügel“, „Hünenbetten“, „Riesenbetten“ in der Erinnerung des Volks fort. Alte Befestigungen, Schanzen, schreibt das Volk gern jenen feindlichen Völkern zu, welche zuletzt im Land gehaust haben; doch reicht in manchen Gegenden die Volkserinnerung auch weiter und bezeichnet sie dann allgemein als heidnische mit der Benennung „Heidenschanzen“ oder, wenn sie irgend welchen alten Feinden angehören sollen, mit dem Namen „Hunnen-“, „Avaren-“, „Hussiten-“, „Schweden-“, „Russen-“ oder „Moskowiterschanzen“. Auch beim Ackern aufgefundene Thonscherben, deren Alter der Kundige mit Sicherheit annähernd zu beurteilen weiß, geben Berechtigung zu Nachgrabungen. Die wichtigsten Fundstücke, welche die Prähistorie zu verwerten weiß, sind Schädel, Skelette, Waffen (aus Stein, Bronze, Eisen), Geräte, namentlich Thonwaren, Schmuckgegenstände, Knochen von Tieren etc. Oft gestatten scheinbar geringfügige Fundstücke, sei es hinsichtlich ihres Materials, sei es mit Bezug auf die Bearbeitung, die wichtigsten Schlüsse, und die prähistorischen Ausgrabungen erfordern daher ebensoviel Vorsicht wie Sachkenntnis, wenn nicht manche wertvolle Andeutung, die sie dem Kundigen geben, verloren gehen soll. Auch die Behandlung der aufgefundenen Gegenstände bereitet oft große Schwierigkeiten und muß mit der größten Behutsamkeit erfolgen. Gefäße sind namentlich unmittelbar nach dem Ausgraben sehr zerbrechlich und werden erst allmählich beim Austrocknen wieder fest. Letzteres aber darf nicht beschleunigt werden, weil besonders Gegenstände aus sehr nassem Boden bei schnellem Trocknen Risse bekommen und völlig zerstört werden. Mit großem Erfolg hat man die prähistorischen Funde auf Karten eingetragen, um die lokale Verbreitung gewisser Verhältnisse, die Herkunft auswärtiger Kunstprodukte, Handelsstraßen etc. aufzudecken, und namentlich für Westdeutschland sind diese kartographischen Arbeiten (durch v. Tröltsch u. a.) in neuester Zeit wesentlich gefördert worden. Die ältesten menschlichen Spuren, Feuersteininstrumente und bearbeitete Renntierknochen, fanden sich in Oberschwaben bei Engisheim und Munzingen. In dieselbe Zeit fallen die Höhlengräber und Höhlenwohnungen an dem Rhône. Die Reste der neuern Steinzeit sind viel häufiger. Hierher gehören die Dolmen im Süden und an der Nordseeküste, in der Schweiz, in den Vogesen, an der Mosel. Niederlassungsgebiete dieser neolithischen Periode sind die Gegenden um Kochem, Bonn, Luxemburg, Heilbronn, Basel, die Wetterau sowie ein Teil der Schweizer Seen. Geringer an Zahl sind die Denkmäler der alemannisch-fränkischen Zeit; sie beschränken sich auf Gräber, Auffüllungen zum Schutz gegen Überschwemmungen der Flüsse und Aufschüttungen am Meeresufer. Sobald derartige Karten über ganze Länder ausgedehnt sein werden, wird man durch sie ein vollständiges Bild der Ausbreitung vorgeschichtlichen Handels und vorgeschichtlicher Industrie erhalten.


Ergänzungen und Nachträge
Band 17 (1890), Seite 6873
korrigiert
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[68] Ausgrabungen, archäologische. In mancher Hinsicht hat heute die Altertumswissenschaft einen ähnlichen Reiz wie zur Zeit der Renaissance; damals tauchten aus dem Staub der Bibliotheken die vergessenen Handschriften der alten Dichter, Philosophen, Historiker auf, von denen man bis dahin kaum mehr als den Namen kannte: heute erstehen aus der Tiefe der Erde die begrabenen Denkmäler der Vergangenheit. Die seit 1884 gemachten Funde sind so reichlich, daß wir hier nur eine Übersicht des Wichtigsten geben können; wir folgen der geographischen Ordnung und beginnen bei dem Wiegenland unsrer Kultur, in Asien.

Ausgrabungen in Vorderasien und Persien.

Das Ehepaar Dieulafoy (s. d., Bd. 17) grub 1884 bis 1886 in der vom Schutt gänzlich begrabenen Königsstadt Susa; es wurden gefunden der Palast (Apadana) Artaxerxes’ II., besonders seine westliche Säulenreihe; die Brüstung der Plattform war mit herrlichen Friesen in griechischem Stil und mit schreitenden Löwen geschmückt. Aus dem ältern Palast des Dareios stammen die wie die eben genannten Bildwerke aus Ziegeln mit Schmelzfarben zusammengesetzten, überlebensgroßen Leibwachen (Doryphoren) mit dem Unterschied, daß diese letztern zugleich in Relief gehalten sind. Hände und Gesichter sind schwarz. Löwen, Doryphoren und ein Marmorknauf von 12,000 kg sind nach Paris übergeführt. Vgl. Jane Dieulafoy, A Suse, journal des fouilles 1884–86 (Par. 1888).

Der ältesten Periode der babylonischen Kultur gehören die Funde der vom Kommerzienrat Simon ausgerüsteten Expedition von 1886/87 an. Sie stammen aus Verbrennungsstätten ältester Zeit; die Babylonier verbrannten ihre Leichen an bestimmten Stellen; die Verbrennungsreste wurden an Ort und Stelle unter Beigabe von Totengaben verscharrt, schichtenweise übereinander, und bildeten im Lauf der Jahrhunderte Hügel von beträchtlicher Größe. Im südlichen Teil des Landes wurde der Hügel von Surgul erforscht (140 m lang, 15 m breit) und die gemachten Funde, meist primitive Gefäße, nach Berlin geschafft. Der Fund ist darum so wichtig, weil er zum erstenmal uns einen Begriff von der altbabylonischen Totenbestattung gewährt.

In Vorderasien gruben in Nordsyrien in dem Hügel von Sendscherly Humann, v. Luschan, Winter im Frühjahr 1888 den Zugang eines Palastes auf, dessen Seitenwände mit primitiven Reliefs hethitischer Kunst geschmückt waren: Jagd, Krieg, tierköpfige Göttergestalten, Privatleben. Das Wichtigste ist das Siegesdenkmal des assyrischen Königs Asarhaddon (681–668 v. Chr.): der König im Königsornat mit der assyrischen Krone; vor ihm der besiegte Pharao Taharko und ein syrischer Fürst. Die Säule war im Königspalast von Sendscherly aufgestellt und ist mit den übrigen Funden, darunter dem untern Teil einer Kolossalstatue mit aramäischer Inschrift (dem Panamnu, König von Saru’el, einem Zeitgenossen Tiglat Pilesars III. von Assyrien, von seinem Sohn geweiht), jetzt in Berlin. Hier hat sich ein Orientkomitee gebildet, welches bestrebt ist, dem Berliner Museum Denkmäler Vorderasiens und der [69] Euphratländer zuzuführen. In Sidon ward 1887 ein großer Grabfund aus hellenistischer Zeit gemacht. Ein Schacht führte zu unterirdischen Grabkammern hinab, welche Marmorsarkophage, zum Teil ägyptischen Stils, nach Mumiensärgen geformt, zum größern Teil hellenistisch-griechischer Kunst, enthielten. Der größte (2,30 m lang, 1,70 m breit und ohne den 0,80 m hohen Deckel 1,40 m hoch) wird als Meisterstück der Skulptur, Architektur und Malerei bezeichnet. Alles ist wohlerhalten mit natürlichen Farben bedeckt, vor allem mit den verschiedenen Arten der Purpurfarbe, welche bekanntlich in Sidon angefertigt wurde. Die Skulpturen sind alle in Hochrelief gehalten und dabei die losgelösten Glieder ganz ohne Stützen gearbeitet. Zwei Darstellungen nehmen die vier Seiten ein, jede eine Lang- und eine Schmalseite, erstens eine Schlachtszene, zweitens eine Jagdszene. Der Kampf findet zwischen Griechen und Persern statt; jene sind nackt dargestellt, nur mit Helm und Schild bekleidet, die Perser dagegen sind voll bekleidet, mit einer Tiara auf dem Haupt, wie auf dem berühmten Alexandermosaik in Neapel. Auch die Hosen charakterisieren die Perser. In dem Anführer der Griechen, dessen Haupt mit einem Löwenfell bedeckt ist, glaubt man Ähnlichkeit mit Alexander zu finden. Das Jagdbild zeigt einen außerordentlich bewegten Löwenkampf. Sämtliche Sarkophage befinden sich jetzt im Museum zu Konstantinopel.

Ausgrabungen in Ägypten.

In Ägypten wurden die interessantesten Funde gemacht, so überraschend, wie niemand erwartet hatte. 1) 1881 bereits wurden bei Theben durch Brugsch eine große Anzahl einstmals in unruhiger Zeit besonders hoch im Gebirge versteckter Königsmumien gefunden, 1885 aber wurden im Museum zu Bulak die wichtigsten ihrer Bindenumhüllung entkleidet, so daß die alten Könige, deren Namen wir schon als Schüler lernen, wieder leibhaftig vor uns treten, vor allen der große Sesostris, Ramses II. (ca. 1300 v. Chr.). Die Züge des großen Eroberers sind fast vollständig erkennbar und deuten auf das Alter eines Mannes in den 80er Jahren. Die Nase ist stark gekrümmt, der Mund fest geschlossen, der Kopf oben abrasiert, das Haar an den Schläfen und am Hinterhaupt vollständig erhalten und von großer Weiche und Feinheit. Der Ausdruck der Gesichtszüge ist der eines Mannes von entschlossenem, fast tyrannischem Charakter. Die Größe der Mumie beträgt 173 cm. Rechnet man hierzu die durch das Zusammenschrumpfen entstandene Differenz, so ergibt sich die Gestalt eines Mannes, dessen Maß über die mittlere Größe hinausgeht. 2) Hieran schließen sich die reichen Funde ägyptischer Porträte aus hellenistischer Zeit aus dem Fayûm, welche, jetzt im Besitz des Wiener Kaufherrn Th. Graf, 1888 und 1889 in München, Berlin u. a. O. ausgestellt waren. Meist ist nur Kopf und Hals mit dem obern Teil der bekleideten Brust dargestellt, hin und wieder auch die Hände; sie waren mit Asphalt auf den Binden des Kopfendes der Mumien befestigt, von andern Binden eng umrahmt, so daß meist nur das Gesicht hervorschaute. In einigen Fällen waren die Porträte von wirklichen Bilderrahmen umgeben. Sie stellen also den Verstorbenen dar. Die Zeit ist nicht mit absoluter Sicherheit anzugeben, doch darf nicht über das 3. Jahrh. v. Chr. hinaufgegangen werden; wahrscheinlich fallen sie in die erste römische Kaiserzeit. Vgl. Graul, Die antiken Porträtgemälde aus den Grabstätten des Fayûm (Leipz. 1889). 3) Von dem geistigen Leben geben uns Kunde: a) die Papyri von Fayûm, jetzt meist in Wien als Papyrus Rainer, welche Fragmente aus allen Zeiten der griechischen Litteratur, aber auch der mohammedanischen bieten (eine besondere Publikation erscheint in Wien: „Die Papyrus Rainer“); b) die Thontafeln von Tell el Amarna. Sie stammen aus dem Archiv des ägyptischen Königs Amenophis IV. (um 1350 v. Chr.), jenes ketzerischen Königs, welcher an Stelle der alten ägyptischen Religion den Sonnenkultus gewaltsam einführte und sich eine neue Residenz gründete, die ihn freilich nur wenige Jahre überdauerte. Sie enthalten Briefe asiatischer Könige und ägyptischer Präfekten an die Pharaonen Amenophis III. und Amenophis IV. Die Schrift ist die babylonisch-assyrische Keilschrift, die Sprache die semitisch-babylonische. Für die Kenntnis jener Zeit sind sie von unschätzbarem Wert. Sie befinden sich größtenteils seit 1888 im Berliner Museum. 4) Für die Aufdeckung der alten Städte und Baudenkmäler ist besonders thätig die englische Gesellschaft des Egypt exploration fund unter Leitung des verdienten Flinders Petrie. Wichtig besonders für unsre Kenntnis der griechischen Ansiedelungen sind die Funde von Naukratis, der ersten Stadt, in welcher den Griechen die Niederlassung erlaubt wurde; die zahlreichen Scherben bemalter Vasen mit Inschriften geben uns reichliche Auskunft auch über die Geschichte des griechischen Alphabets, besonders seines ionischen Zweigs. Die Zeiten der Hyksos, die Pfade der auswandernden Juden erfahren neue Beleuchtung. Auch die Pyramide von Hawarah hat Flinders Petrie eröffnet. Veröffentlicht sind: „The Store-City of Pithorn and the route of Exodus“; „Tanis I und II“; „Naukratis I und II“; „Goslen and the Shrine of Saft-el-Hemach“; „Bubastis“, alle unter dem gemeinsamen Titel: „Egypt exploration fund publications“.

Ausgrabungen in Griechenland und auf den griechischen Inseln.

Zwischen Ägypten und Griechenland, glaubte man lange Zeit, hätten die engsten Beziehungen bestanden, ja man leitete griechische Mythologie (Athene-Neith) wie Kunst (sogen. protodorische Säule von Beni-Hassan) von dem Pharaonenland her, während in den letzten 30 Jahren die entgegengesetzte Ansicht überhandnahm, welche die griechische Kunst als völlig unbeeinflußt von außen darstellte. Die neuesten Funde geben der ältesten Tradition recht, welche z. B. in der Argolis eine ägyptische Kolonie annahm. Die mykenische Kultur, deren Blüte vor die Dorische Wanderung fällt, zeigt sich in einigen Punkten von der ägyptischen beeinflußt. Diese Kultur umfaßt den östlichen Rand Griechenlands von Thessalien bis zum Eurotasthal und liegt uns in Gräbern und Palästen vor. Die Gräber sind meistens unterirdische, bienenkorbartige Gewölbe von den kleinen Dimensionen des Privatgrabes bis zum 16 m hohen Kuppeldom des Königsgrabes. In den letzten Jahren sind neu gefunden, resp. neu untersucht worden von den größern Kuppelgräbern 1) das Kuppelgrab von Volo am Golf von Volo 1886. Es war seit dem Altertum unberührt, der Zugang noch verrammelt und bot eine große Anzahl kleiner Fundgegenstände aus Perlen, kleinen Goldrosetten und -Voluten und Glasgegenstünden, alle vom Schmuck der ganz verwesten Leichen herrührend; 2) neu untersucht durch Dörpfeld wurde das berühmte „Schatzhaus des Minyas“ zu Orchomenos. Die Spiralendecke seines Seitengemachs, der eigentlichen Totenkammer, steht ganz unter ägyptischem Einfluß. Es ist in römischer Zeit [70] wieder benutzt worden, wie dies eine große Marmorbasis beweist, welche in der Mitte des Hauptraums gefunden wurde, sie hat jedenfalls Marmortafeln getragen; vor ihr hat, wie die in den Fels gehauenen Standspuren beweisen, ein Tisch oder Sarkophag mit zwei Füßen gestanden. Das Innere war nur nach Art eines Sternenhimmels mit Bronzerosetten in regelmäßigen Abständen bekleidet, nicht, wie man bisher annahm, mit Bronzeplatten zusammenhängend bedeckt (vgl. „Verhandlungen der Berliner Anthropologischen Gesellschaft 26. Juni 1886“); 3) auch im „Schatzhaus des Atreus“ zu Mykenä zeigte es sich, daß die Wölbung nur mit Bronzerosetten bekleidet war; 4) eine besonders wichtige Ausgrabung ist 1889 gemacht und von bedeutenden Resultaten gekrönt gewesen. In der Nähe des alten Amyklä bei Sparta im Eurotasthal ist ein schon länger bekanntes Grab ausgeräumt worden, in welchem sehr wichtige Gold- und Silbersachen (Trinkgefäße mit figürlichen Reliefs, Schmuckgegenstände und Waffen) gefunden wurden. In Mykenä selbst wurden von Tsuntas 1887 und 1888 ein großes Kuppelgrab und einige 50 kleinere Gräber ausgegraben. Dabei wurden sehr reichhaltige Funde an Gefäßen und geschnittenen Steinen gemacht. Vgl. Belger, Beiträge zur Kenntnis der griechischen Kuppelgräber (Programm des Friedrichs-Gymnasiums zu Berlin, 1887). Die zweite Gattung von Resten der mykenischen Kultur sind die Palastbauten von Tiryns und Mykenä. Die erstern sind seit Schliemanns großer Ausgrabung (1884) bekannt (vgl. Schliemann, Tiryns, 1886). Der Palast von Mykenä liegt auf der Akropolis; bei der Ausgrabung fanden sich auch Inschriften, welche beweisen, daß Mykenä auch nach der Zerstörung durch die Argiver (468) noch existiert hat. Da Tiryns auf einem ziemlich niedrigen Hügel aus der Ebene sich erhebt, so ist dieser natürliche Mangel durch ganz kolossale Mauern ausgeglichen worden. Sie sind aber nicht völlig massiv, sondern von korridorartigen Hohlräumen durchsetzt; da die Mauer nach außen größtenteils verfallen ist, so öffneten sich diese „Galerien“ in Spitzbogenform nach außen, und man glaubte lange, daß dies der ursprüngliche Zustand gewesen sei, indem man die ganze Einrichtung für Ausfallsgalerien hielt. Die letzten Ausgrabungen haben aber bewiesen, daß es Innenräume waren. Da die Mauern von Karthago ähnlich konstruiert sind, mit Hohlräumen, welche als Elefantenställe und Magazine benutzt wurden, so hat man auch hier phönikische Verwandtschaft gesucht. Scheinen so sich Fäden nach dem Orient hinüberzuspinnen, so gewinnt es auch immer mehr Wahrscheinlichkeit, daß auch die spätere griechische Kultur, so grundverschieden sie auf den ersten Blick von der mykenischen zu sein scheint, doch mit ihr zusammenhängt. So sind in allerletzter Zeit in einem mykenischen Grab zwei Fibeln (unsern Plaidnadeln durchaus ähnlich) gefunden worden, welche bisher als ein spezifisches Eigentum der spätern griechischen Kultur gehalten wurden. Geographisch war auch der mykenische Palastbau selbst in Attika vertreten. Bei der großartigen Aufräumung der Akropolis von Athen haben sich namentlich auf der Nordseite tief unter dem heutigen Niveau beträchtliche Reste der alten vorpersischen Bauten gefunden, welche in Gesamtanlage und Einzelheiten zu Tiryns und Mykenä Analogien zeigen.

Wir verlassen jetzt die mykenische Kultur, deren Denkmälerkreis sich noch beständig erweitert und uns sicherlich noch die Zusammenhänge der uralten Kulturen Ägyptens, Babyloniens, Griechenlands aufzeigen wird, und gehen über zu der eigentlich griechischen Kunst, wie sie etwa vom 6. Jahrh. v. Chr. uns entgegentritt. Im Peloponnes gräbt die hochverdiente griechische Archäologische Gesellschaft schon seit Jahren das berühmteste Asklepiosheiligtum, den beliebtesten Kurort Griechenlands, Epidauros, aus. Gefunden wurde der Asklepiostempel aus dem Ende des 5. Jahrh. v. Chr. mit vielen Resten der Giebelgruppen, welche im Stil der Nikebalustrade zu Athen am nächsten kommen, ein Tempel der Artemis, Hallen für den Kurgebrauch, das wohlerhaltene Theater und der berühmte, säulenumgebene, kleine Rundtempel des großen Polyklet, die sogen. Tholos. Letztere ist in allen Ornamenten von wunderbarer Schönheit und Feinheit der Ausführung, ja der Bau macht in allen Einzelheiten so starken individuellen Eindruck, daß Furtwängler ihn wirklich für das Werk des berühmten Polyklet hält. Das Theater wird mit Recht demselben Architekten zugeschrieben, ist wohl das schönste aller erhaltenen und gibt wichtige Aufschlüsse über den Theaterbau der Griechen vor der Zeit des römischen Einflusses. An Skulpturen wurden die Giebelgruppen des Asklepiostempels, Amazonenkämpfe darstellend, gefunden, sind aber noch nicht zusammengesetzt, ferner herabschwebende Nikefiguren, als Krönung der Giebeldreiecke, welche deutlich den Einfluß der Nike des Päonios von Olympia zeigen, Statuen des Asklepios selbst und ein ganz wundervolles Relief, welches, wohl nach dem Goldelfenbeinbild gemacht, den Gott in ruhig heiterer Würde thronend darstellt. Für die allgemeine Kulturgeschichte am wichtigsten aber sind die gefundenen Inschriften, unter welchen wir drei Stelen hervorheben, die Kur- und Wundergeschichten enthalten. Sie sind genau so wie etwa mittelalterliche Berichte vom heiligen Blut oder moderne von Lourdes, ja manche Einzelheiten wiederholen sich so frappant, daß man sieht: der Mensch bleibt wenigstens in seinen Bedürfnissen immer derselbe. Der ganze heilige Bezirk war mit Weihgeschenken der Geheilten angefüllt wie ein moderner Wunderkurort: Blinde werden sehend, Lahme gehen, Aussätzige werden rein, unfruchtbare Weiber erhalten Nachkommenschaft. Auch Epidauros ist noch nicht erschöpft und wird noch vielerlei Aufschlüsse geben. In Sikyon ist das Theater ausgegraben worden, aber noch nicht publiziert; in Korinth sind die Fundamente des uralten dorischen Tempels freigelegt worden, welcher wohl bis ins 6. Jahrh. v. Chr. hinaufreicht, und dadurch hat sich der Grundriß wiederherstellen lassen; in Patras ist eine Art von Odeion, ein bedecktes Theater, aufgefunden worden.

Ausgrabungen in Athen.

Eine der bedeutendsten und ertragreichsten Ausgrabungen, die je unternommen worden sind, geschah in den letzten fünf Jahren zu Athen. „Man glaubte bis vor kurzem, daß auf der athenischen Burg jeder Winkel genügend durchforscht, jeder Erdhaufe durchsucht sei, und doch hat man noch beträchtliche Reste von großen Bauwerken aufgedeckt und eine solche Masse von Statuen, Bronzen, Terrakotten, Vasen und Inschriften gefunden, daß nicht nur das vorhandene Museum damit gefüllt werden konnte, sondern noch ein neues hinzugebaut werden mußte. Für Jahrzehnte werden diese Funde der Wissenschaft noch reichlichen und lohnenden Stoff zu Studien aller Art bieten.“ So schreibt Dörpfeld in den „Mitteilungen des Kaiserlich Deutschen Archäologischen Instituts“ (athenische Abteilung, 1888, S. 431), in welchen überhaupt über die neuen Funde seit einigen [71] Jahren regelmäßig berichtet wird. Danach bildete die Akropolis, ehe sie mit Mauern umgeben war, einen langgestreckten, zerklüfteten Felsrücken, welcher nur im SW. bequem zu ersteigen war. Die ersten Bewohner stellten auf diesem unebenen Fels durch Abarbeiten und Aufschütten mehrere kleine Plateaus für ihre Wohnungen und Heiligtümer her und erbauten auch wahrscheinlich an der ganzen Westseite ein großartiges Festungswerk, welches den Namen Pelasgikon trug; eine Fortsetzung war auf der Südseite, allen Windungen und Einbuchtungen des Felsens folgend, eine starke Polygonalmauer. Die allgemeine Form des Burgfelsens aber wurde dadurch wenig verändert. Als die Perser im J. 480 die Burg durch Ersteigen der Felswand an der Nordseite eingenommen hatten, wurden die Tempel und die übrigen Gebäude in Brand gesteckt und soweit möglich zerstört, die vielen Statuen und Weihgeschenke, welche neben den Tempeln aufgestellt waren, wurden teilweise weggeschleppt, zumeist aber umgestürzt und zerschlagen, sogar die Postamente beschädigt.

Erst nach nochmaliger Verwüstung im folgenden Jahr und nach vollständiger Fertigstellung der Stadtmauer konnte man an den Wiederaufbau der Burg denken. Einen bedeutenden Teil an der Ausführung dieses Plans hat Kimon, die Hauptarbeit aber blieb Perikles und seinen großen Künstlern; ihnen war es vorbehalten, der athenischen Burg jene Gestalt zu geben, welche sie zu einem Zentrum der Kunstgeschichte gemacht hat: die ganze Burg sollte mit einer mächtigen, am äußern Rande des Felsens aufgeführten Stützmauer umgeben und zu einem einzigen großen Plateau hergerichtet werden. Auf dem so gewonnenen großen Unterbau sollten die Heiligtümer in prächtigerer und großartigerer Gestalt errichtet werden. Dabei benutzte man alle vorhandenen alten Werkstücke der zerstörten Tempel als Bausteine, doch so, daß man sie durch Abarbeitung der Profilierungen neuen Quadern möglichst ähnlich machte. Nur bei der Einmauerung der schon früher bekannten großen Gebälkstücke in der Nordmauer zwischen Erechtheion und Propyläen wurde ein andrer Zweck verfolgt. Da diese Epistyle, Triglyphen, Metopen und Geisa genau in derselben Anordnung verbaut sind, welche sie früher am alten Athenetempel hatten, so waren sie sicher bestimmt, nicht nur als Schmuck der Burgmauer zu dienen, sondern auch die Athener immer an die ruhmreichen Perserkriege zu erinnern. Von unschätzbarem Wert nun ist es für uns geworden, daß man in das leere Dreieck, welches zwischen der neuen Stützmauer und dem ansteigenden Burgfelsen entstand, alles nur mögliche vorhandene Material an Statuen, Basen, Inschriftsteinen, Werkstücken, Scherben zur Füllung hineinschüttete. Man wollte das Alte nicht wiederherstellen, sondern alles aus eigner Kraft neu und viel schöner herstellen. Ein so gewaltiges Selbst- und Kraftgefühl hatte der gewonnene Sieg den Athenern verliehen. Wie in einem Archiv lagen also wohlbewahrt bis auf unsre Tage ganze Reihen fast ganz erhaltener Statuen nebeneinander, die für uns noch den unschätzbaren Wert haben, daß wir wissen, sie gehören alle in die Zeit vor 480. Zur Verdeutlichung dieser durch die neuen Ausgrabungen konstatierten Auffüllung gibt Dörpfeld folgendes Bild: er vergleicht den Durchschnitt durch den Burgfelsen mit dem Durchschnitt durch ein einfaches Haus, welches ein Giebeldach trägt. Die vertikalen Hauswände entsprechen den steil abfallenden Abhängen der Burg und die beiden schrägen Dachlinien der nach beiden Seiten sanft abfallenden Oberfläche des natürlichen Burgfelsens. Denkt man sich nun die Außenmauern dieses Hauses bis zur Firsthöhe hinaufgeführt und die beiden Dreiecke zwischen diesen Mauern und den ansteigenden Linien des Daches mit Schutt ausgefüllt, so hat man ein schematisches Bild der Akropolis mit den Mauern des Kimon und ihrer Hinterfüllung zur Herstellung des großen Burgplateaus.

Was nun die Einzelfunde betrifft, so hat zunächst die Architektur eine große Bereicherung erfahren. 1) Die ältesten Gründungen, das „Haus des Erechtheus“, scheinen auf der Nordseite gestanden zu haben, von wo eine durch die Burgmauer gehende Treppe bis zur Perserzeit einen nähern und auch leicht verschließbaren Weg zur Unterstadt vermittelte. 2) Unter Peisistratos’ Regierung fällt die Erbauung eines großen Athenetempels zwischen dem heutigen Erechtheion und dem Parthenon. Das Verdienst, seinen Grundriß und die Baugeschichte festgestellt zu haben, gebührt Dörpfeld; es war ein dorischer Peripteros aus Porosstein mit je sechs Säulen an den kurzen, je zwölf an den Langseiten. Die innere Einteilung entsprach fast genau dem spätern Parthenon. Die Zerstörung durch die Perser traf auch ihn, doch wurde er nachher notdürftig wiederhergestellt. Wie lange er in dieser Form gestanden hat, darüber ist noch Streit; wahrscheinlich wurde er nach Vollendung des neuen Parthenon als störend und überflüssig abgebrochen, während er bis dahin zur Aufbewahrung des Bundesschatzes gedient hatte. Von seinem Giebelschmuck ist eine größere Anzahl Fragmente gefunden worden; er bestand aus Marmor und stellte den Kampf der Giganten gegen die Götter dar. 3) An der Nordseite sind verschiedene Baulichkeiten gefunden worden, die vielleicht den Priesterinnen der Athene zum Aufenthalt dienten. 4) An der Südseite ist ein großer Bau mit Vorhalle, wahrscheinlich die Chalkothek, eine Art von Rüstkammer. 5) Von nicht weniger als sieben verschiedenen Gebäuden sind die Dachleisten, die Simen, gefunden worden, aber die Gebäude selbst sind noch nicht rekonstruiert; dagewesen sein muß mindestens ein, vielleicht zwei Heraklestempel, wie sich das aus der zweiten großen Fundabteilung ergibt. Die Skulptur hat den Löwenanteil. Die Fragmente der Marmorfiguren von Giganten und der Athene vom großen Tempel des Peisistratos erwähnten wir bereits, noch merkwürdiger aber und ganz überraschend sind die Skulpturen aus mergeligem Kalkstein, dem sogen. Poros. Es sind zunächst zwei Giebelgruppen in Hochrelief, die zu einem Tempel gehört haben müssen: die eine Herakles mit dem Triton, die andre Zeus und Herakles mit dem dreiköpfigen, schlangenleibigen Typhon und der Echidna kämpfend. Jeder dieser Giebel war nach Brückners Berechnung 8,50 m lang und ca. 1 m hoch. Fremdartig sehen uns die Skulpturen an: glotzäugig, vergnüglich lächelnd, die Typhonköpfe mit zottigem Haar und langen, spitzen Bärten, alles aufs bunteste und sauberste bemalt, nicht so sehr in der Absicht, der natürlichen Erscheinung nahezukommen, als vielmehr mit beschränkten Mitteln ein farbenleuchtendes Bild zu schaffen. Es wird vermutet, daß der ganze Tempel unter asiatischem Einfluß stehe; sind doch Säulen gefunden worden, deren Kannelierungen nicht parallel mit der Hauptachse von oben nach unten, sondern spiralförmig rings um die Säule laufen. Möglicherweise hat Krösos den Heraklestempel gestiftet. Er ist in die Zeit Drakons und Solons hinaufzurücken. Auch von einem dritten Giebel sind beträchtliche Fragmente da: Herakles im Kampf mit der Hydra; auch diese aus Poros.

[72] Als Übergang zu den plastischen Rundwerken können wir die sehr zahlreich gefundenen Basen rechnen, zum Teil in Form kannelierter Säulen, zum Teil als viereckige, im Verhältnis zu den Statuen ziemlich schwache Pfeiler. Ihre Bekrönungen, meist in Kapitälform, geben den Beweis, daß die uns überlieferten drei Säulenordnungen erst nach langem Tasten und Versuchen ihre endgültige Form erhalten haben; namentlich für die Geschichte des ionischen Kapitäls sind die Funde wichtig. Die Weih- und Künstlerinschriften stehen teils in den Kannelüren, teils auf den bekrönenden Standplatten. So ist es gelungen, eine ganze Statue mit dem zu ihr gehörigen

Plan der Ausgrabungen auf der Akropolis.

Fußgestell wieder zusammenzusetzen, eine Athenepriesterin mit wohlerhaltener, zierlicher Bermalung, das Haar in Löckchen und Strähnen frisiert, der Kopf von einem Diadem umgeben, nach der Inschrift ein Werk des Antenor. Es bildet heute eine Hauptzierde des neuen Akropolismuseums. Mit dem einheimischen Kalkstein fängt die athenische Plastik an, die Marmorskulptur kommt herüber von den Inseln; denn auch die Namen der chiotischen Bildhauer erscheinen auf den neugefundenen vorpersischen Inschriften der Akropolis. Die gefundenen Bildwerke sind entweder lebensgroße, aufrecht stehende Statuen von Priesterinnen, meist in demselben Schema: die linke Hand erfaßt zierlich das faltige Gewand, während die rechte vorgestreckt ist, alle sind namentlich an den Säumen der Gewänder aufs sorgfältigste bemalt; oder einzelne Köpfe, auch männliche, endlich sind sogar Reiterstatuen gefunden worden.

Unsre Kenntnis der vorpersischen Skulptur wird durch diese Funde eine ganz neue, und viele Hände sind noch damit beschäftigt, den Bau zu errichten. Auch die Geschichte der Vasenmalerei trägt Gewinn davon, da nunmehr durch die Fundstellen im Perserschutt die alte Ansicht von Ludwig Roß unumstößlich geworden ist, daß die rotfigurige Vasenmalerei bereits in der Zeit vor den Perserkriegen geübt wurde (vgl. Vasen, Bd. 16, S. 57).

Wir erfahren durch die Ergebnisse dieser Ausgrabungen, daß auch den Griechen nicht die Kunst wie ein Geschenk vom Himmel herab auf einmal gespendet worden ist, sondern daß viele Generationen in angestrengter Mühe gearbeitet haben, ehe aus den glotzäugigen, thöricht lächelnden Versuchsköpfen der ältesten Zeit die idealen Züge wurden, die wir an den Skulpturen des Parthenon bewundern. Auch für die untere Stadt hat sich mancherlei gefunden, doch nicht von großer Bedeutung; es hat sich gezeigt, daß der Tempelplatz des Zeustempels am Ilissos an der Nordseite ein kleines Propyläon hatte, daß der Tempel selbst nur acht Säulen Fronte besaß, und daß die Stadtmauer im W. etwas (nach O. zu) einzurücken ist.

Im Piräeus haben die Franzosen 1887 nach der Lage des Aphrodisiums gesucht, dieselbe nur ungefähr bestimmt, aber das Thor, welches von der Halbinsel Eetinöa nach außen führt, genauer untersucht; 1884 wurde beim Bau eines neuen Theaters ein Gebäude gefunden, welches als Versammlungsraum der Dionysiasten bezeichnet wird. In Eleusis wurde 1887 die Ausgrabung des großen Mysterientempels und seiner Umgebung zu einem vorläufigen Abschluß gebracht. Mindestens drei übereinander gebaute Tempel lassen sich unterscheiden; außerdem wurde ein Buleuterion, ein Tempelchen des Pluton, vor dem Haupteingang ein großes Wasserbecken und ein Triumphbogen, und vielerlei andres gefunden. An Skulpturen sind hervorzuheben sehr schöne archaische Köpfe und ein etwas schwermütig blickender Kopf, der heute als ein Original des Praxiteles, sein Eubuleus, betrachtet wird. Am Westabhang des Pentelikon wurde das Heiligtum des Dionysos in Ikaria mit [73] vielen Skulpturen und Inschriften von Milchhöfer entdeckt und durch die Amerikaner ausgegraben, in Thorikos wurde ein zweites Theatergebäude ebenfalls von den Amerikanern aufgedeckt; auf Kap Sunion wurde der bekannte, weit hinaus ins Meer leuchtende Athenetempel neu untersucht; es zeigte sich, daß ursprünglich ein Tempel aus Poros dagestanden hatte, der aber in der Zeit nach den Perserkriegen (ca. 400) in einen Marmortempel umgebaut worden ist; der Neubau hatte nicht 12, wie man bisher annahm, sondern 13 Säulen an den Langseiten. Im benachbarten Böotien wurde das Heiligtum des ploischen Apollon bei dem Dorf Karditza von den Franzosen ausgegraben und dabei eine große Anzahl von altertümlichen Skulpturen, Bronzen, Inschriften und Vasenscherben gefunden. Bei Theben wurde 1887 das Heiligtum der Kabiren vom Deutschen Institut ausgegraben. Der nach O. gerichtete Tempel zeigte die Spuren mehrfachen Umbaues. In der letzten Zeit bestand er aus einem Pronaos, einer Cella, in der das Bathron des Gottes erhalten ist, und einem dahinterliegenden, von N. und S. zugänglichen Gemach mit einer doppelten Opfergrube; die eine Hälfte war noch ganz mit Knochen gefüllt. Steininschriften und Marmorskulpturen wurden nur in beschränkter Anzahl gefunden, sehr reich dagegen waren die Funde an Werken der Kleinkunst. Dieselben entstammen einer gleichmäßig innerhalb und außerhalb des Tempels abgelagerten alten Schutt- und Aschenschicht, welche von einer Zerstörung des Heiligtums herzurühren scheint. Die Funde sind nicht jünger als das 4. Jahrh., die meisten entstammen diesem und dem vorhergehenden. Von den mehreren tausend bemalter Vasenscherben sind die meisten mit Weinlaub und Epheu, schwarz auf gelblichem Grund, verziert, die figürlichen Darstellungen ebenfalls schwarz auf gelblichem Grund, aber jünger als die gewöhnlichen schwarzfigurigen Vasen, zeigen eine Vorliebe für groteske und komische Darstellungen und beweisen, daß der Kult der Kabiren dem bacchischen verwandt war. Die vielen Tausende von Terrakotten verteilen sich ungefähr gleichmäßig auf Darstellungen von Menschen und Tieren; letztere, Stiere, Schweine, Widder und Böcke, auch Löwen, sind meist von geringem Kunstwert. Erstere zeigen zum Teil die gewöhnlichen böotischen Typen älterer Art, zum Teil in vorzüglichen Exemplaren; vom Stil der feinen tanagräischen Figuren wurde nichts gefunden. Zahlreich sind kleine Anatheme aus Bronze und Blei, von denen mehrere hundert Stiere darstellen. Ein Diskuswerfer von Bronze ist die einzige menschliche Figur darunter. Die größte Anzahl der Bronzetiere, deren durchschnittliche Größe 7 cm beträgt, ist von vorzüglicher Ausführung und Erhaltung und entstammt wohl der ersten Hälfte des 5. Jahrh. Auch von ihnen zeigen viele Weihinschriften, vor allen an den Kabiren (immer im Singular) und seinem Sohn (παῐς). Eine inschriftlich gesicherte Darstellung findet sich auf einer großen Vasenscherbe. In Oropus, dem Heiligtum des Amphiaraus, gruben die Griechen 1886 das Theater und eine anstoßende gedeckte Halle auf. Die Orchestra ist kreisrund, die Proszeniumswand läßt sich völlig wieder rekonstruieren. Das oben erwähnte Theater von Epidaurus und das von Oropus werden noch in der Geschichte des griechischen Theaterbaues, welche Dörpfeld plant, als Zeugen der ursprünglich griechischen Anlage eine Rolle spielen. Ungehobene Schätze ruhen noch in Delphi, dessen Ausgrabung wohl an Wichtigkeit der von Olympia gleichkommen kann. Sie ist längst von Frankreich ins Auge gefaßt, doch sind die Unterhandlungen mit den Griechen bisher gescheitert. Am Nordabhang des Parnaß ist das Musenheiligtum von den Franzosen untersucht worden.

Auf den Inseln wurde 1884 in Kreta eine lange, außerordentlich wichtige archaische Inschrift von Fabricius entdeckt; sie enthält ein eingehendes Erbrecht und Heiratsrecht von Gortyn und hat schon eine reiche Litteratur hervorgerufen. Zahlreiche andre alte Inschriften wurden vom Italiener Halbherr später veröffentlicht. Im Idagebirge, ungefähr in der Mitte der Insel, ist auf der Hochebene 1885 die idäische Zeusgrotte gefunden worden, die Stätte, wo Zeus als Kind von Nymphen und Kureten gepflegt und behütet worden sein soll. Zahlreiche hochaltertümliche Weihgeschenke wurden dabei entdeckt. Auf Delos graben die Franzosen schon mehrere Jahre und geben in ihrem „Bulletin de correspondance hellénique“ jeweilige Rechenschaft. Ungemein zahlreich sind die gefundenen Inschriften, sehr bedeutend aber auch die Funde hochaltertümlicher Statuen chiotischer Kunst; besonders wichtig ist die geflügelte Nike, welche eine höchst wahrscheinlich zugehörige Inschrift dem Mikkiades und Archermos zuweist. Unter den spätern Skulpturen ragt als Prachtstück ein jetzt in Athen befindlicher Krieger etwa pergamenischer Zeit hervor. Auf Samos wurde ein Werk der Alten aufgedeckt, welches auch wohl den heute Lebenden wieder zu gute kommen wird. Herodot erzählt in Ausdrücken der höchsten Bewunderung von einem Tunnel von 7 Stadien Länge, welcher eine Wasserleitung durch einen hohen Berg nach der Stadt hinführe. Dieser Bau des Architekten Eupalinos, zur Zeit des Polykrates, ist aufgefunden worden und dient vielleicht nach einigen Reinigungsarbeiten schon jetzt wieder seinem alten Zweck. Besonders merkwürdig war die Beobachtung, daß die Arbeiten gleichzeitig von beiden Enden aus begonnen worden sind und in der Mitte des Bergs nach kurzem Verfehlen sich getroffen haben. Genau untersucht hat den Bau im Auftrag des Deutschen Archäologischen Instituts Fabricius. Vom Quellhaus bis zum Eingang des Tunnels sind 835 m Röhrenleitung, der Tunnel selbst ist etwas über 1000 m, in gerader Linie führend, lang.

Ausgrabungen in Italien.

In Italien ist die Kultur im ganzen eine jüngere als in Griechenland, also können weit hinaufreichende Funde nicht gemacht werden. Fort und fort wird systematisch an den längst bekannten Fundstätten gegraben und gefunden; in Pompeji, in Etrurien (Toscana), in Ostia, namentlich aber in Rom. Hier fördern die Grundgrabungen für neue Stadtviertel, die Uferbauten zur Regelung des Tiber alljährlich Inschriften, Statuen, Ruinen zu Tage; unter anderm sind in den letzten Jahren zwei völlig intakte überlebensgroße Bronzestatuen gefunden worden; da Bronzedenkmäler sehr selten sich erhalten haben, so ist der Fund doppelt wichtig. Bedeutend sind namentlich die Resultate für die Topographie von Rom; wir erwähnen nur den einen Umstand, daß in der Zeit des Augustus eine von Agrippa erbaute Brücke das Marsfeld mit dem heutigen Trastevere verband. Sie ist später abgetragen und etwas stromabwärts durch den bekannten Ponte Sisto ersetzt worden. Bieten uns also die Ausgrabungen in Griechenland gerade heute völlig neue Perspektiven in die älteste Geschichte Europas, so liefern die Ausgrabungen in Italien zumeist nur Ergänzungen zu bekannten Dingen. Vgl. O. Richter, Topographie von Rom (Nördl. 1889).