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MKL1888:Aufklärung

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Aufklärung“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 2 (1885), Seite 5960
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Aufklärung. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 2, Seite 59–60. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Aufkl%C3%A4rung (Version vom 05.08.2022)

[59] Aufklärung kommt mit Unterricht (s. d.) darin überein, daß sie, wie dieser, richtige oder doch für richtig gehaltene Begriffe zu verbreiten sucht, unterscheidet sich aber von demselben dadurch, daß sie nicht, wie dieser, dieselben dort erzeugt, wo überhaupt keine, sondern dort, wo (ihrer Meinung nach) unrichtige Begriffe vorhanden sind. Dieselbe tritt daher nicht, wie der Unterricht, der vor sich tabula rasa findet, von vornherein belehrend, sondern in erster Reihe bisheriges Fürwahrhalten zerstörend (negativ, kritisch) und erst in zweiter Reihe aufbauend (positiv, konstruktiv), d. h. Neues an die Stelle des bisher Fürwahrgehaltenen setzend, auf. Je nachdem die Begriffe, welche die A. zu beseitigen trachtet, wirklich unrichtig, diejenigen, die sie an deren Stelle zu setzen sich bemüht, wirklich richtig sind oder das Gegenteil, unterscheidet man wahre und falsche A.; je nachdem sowohl die Beseitigung des Alten als die Einführung des Neuen wissenschaftlich begründet oder das eine wie das andre durch andre als wissenschaftliche Motive unterstützt wird, unterscheidet man wirkliche (wissenschaftliche) und seichte (populäre) A.; je nachdem bloß schädliche Irrtümer (Wahn und Aberglaube) um ihrer schädlichen Folgen willen entfernt oder auch harmlose, ja wohlthätige Illusionen (Märchen, Volksglaube) um des Scheins der Aufgeklärtheit willen beseitigt werden, unterscheidet man notwendige und überflüssige A. („Aufkläricht“). Insofern die A. bisher Fürwahrgehaltenes angreift, hat sie diejenigen, welche daran festhalten (Konservative), und zwar sowohl die Gläubigen (aus Überzeugung) als die Gewohnheitsmenschen (aus Trägheit) und die Stabilitätsmenschen (aus Achtung für den Bestand) zu natürlichen, aber, wenn die A. die wahre ist, nicht zu fürchtenden Gegnern, dagegen alle diejenigen, welche dasselbe verneinen, ohne ein andres an dessen Stelle zu setzen (Radikale), also sowohl die Skeptiker (aus Überzeugung von der Unmöglichkeit der Erkenntnis der Wahrheit) als die Indifferentisten (aus Gleichgültigkeit gegen die Wahrheit) und die Nihilisten (aus Überzeugung vom Nichtbestand einer Wahrheit), zu ebensolchen, aber, weil sie nicht bloß den Glauben an das Bisherige, sondern auch den an [60] das künftig Herbeizuführende vernichten, gefährlichen Bundesgenossen. Repräsentantin der A. ist im allgemeinen die Wissenschaft, insofern sie an die Stelle mehr oder weniger verworrener, ganz oder teilweise eingebildeter Vorstellungen von den Dingen auf Anschauung und Erfahrung gegründete Begriffe, unter den Wissenschaften selbst aber insbesondere die Philosophie, insofern sie durch Bearbeitung dieser an die Stelle undenkbarer oder nur in beschränktem Kreis gültiger notwendig und allgemein als wahr zu denkende Begriffe setzt. Je nach dem Gegenstand der wirklichen oder vermeintlichen Irrtümer, welche entwurzelt, und der (gleichfalls wirklichen oder nur vermeintlichen) Erkenntnisse, welche statt derer zur Herrschaft gebracht werden sollen, unterscheidet man religiöse, moralische, politische, naturwissenschaftliche, geschichtliche etc. A. Zur Verbreitung derselben haben in neuerer Zeit vornehmlich die sogen. Deisten und Locke in England, die Herausgeber der „Encyklopädie“, Voltaire und Rousseau in Frankreich, die rationalistischen Philosophen und Theologen der Leibniz-Wolfschen und die Führer der sogen. „Popularphilosophie“, welche für sich den Namen „Aufklärungsphilosophie“ in Anspruch nahm, Mendelssohn und Nicolai, sowie im höhern und höchsten Sinn Lessing und Kant in Deutschland, endlich die „Philosophen auf dem Thron“, Friedrich d. Gr., Joseph II. und Katharina II., beigetragen, daher deren Zeitalter und das 18. Jahrh. überhaupt als das Zeitalter der A. bezeichnet zu werden pflegt. Vgl. Kant, Was ist die A.? (im 4. Bd. der Werke, hrsg. von Hartenstein, Leipz. 1867); Lecky, Geschichte des Ursprunges und Einflusses der A. in Europa (a. d. Engl. von Jolowicz, 2. Aufl., das. 1873, 2 Bde.); Reuter, Geschichte der religiösen A. im Mittelalter (Berl. 1875–1877, 2 Bde.).