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MKL1888:Archīv

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Archīv“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 17 (Supplement, 1890), Seite 4849
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Archīv. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 17, Seite 48–49. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Arch%C4%ABv (Version vom 12.09.2022)

[48]  Archīv[WS 1] (griech. archeion, d. h. sicheres Gebäude, lat. archium, achivum, chartarium, tabularium) ist eine Sammelstätte auf amtlichem Weg erwachsener und in amtlichem Interesse aufbewahrter Schriftstücke, welche als Zeugnisse der Vergangenheit zugleich Quellen der Geschichtswissenschaft sind. Man unterscheidet Staatsarchive, Stadt-, Gemeinde-, Kirchenarchive, Archive von Korporationen und in übertragenem Sinn Archive von Privaten (Familienarchive). Ältere Kulturvölker verwahrten ihre Archive mit den Heiligtümern in den Tempeln. In dem Metroon zu Athen wurden die Originalbeschlüsse der athenischen Volksversammlung hinterlegt, während man Kopien in Stein, Bronze oder Marmor auf der Burg oder auf dem Markt aufstellte. Die ersten Spuren eines päpstlichen Archivs führen auf Papst Damasus (366–384) zurück. Das A. der Päpste des frühern Mittelalters ist bis auf wenige Reste zu Grunde gegangen. Von Innocenz III. (1198–1216) an sind Abschriften der von der römischen Kurie ausgegangenen Schreiben in den Originalregestenbänden erhalten. Durch Erlaß Papst Leos XIII. an den Archivar Kardinal Hergenröther vom 15. Mai 1884 wurde das vatikanische A. zu freierer Benutzung eröffnet. Karl d. Gr. und seine nächsten Nachfolger bewahrten das A. in der Kapelle der Pfalz zu Aachen, später begleitete das Reichsarchiv die Kaiser auf ihren Zügen; nach dem Tod König Heinrichs VII. (1313) blieben Teile des deutschen Reichsarchivs in Turin und namentlich in Pisa zurück; vom Erzbischof Berthold von Mainz rührt die älteste erhaltene Ordnung der deutschen Reichskanzlei aus dem Jahr 1494 her. In Wien befinden sich das ehemalige Mainzer reichserzkanzlerische A. und das A. des Reichshofrats; den größten Teil der Akten des frühern Reichskammergerichts umfaßt das Staatsarchiv zu Wetzlar. Besondere Sorgfalt wandten von jeher die geistlichen Korporationen ihren Archiven zu. Erhalten sind ein Wegweiser über das A. der Patriarchen von Aquileja aus dem Jahr 1376 und der Entwurf einer Ordnung des Stadt- und Landesarchivs zu Udine aus dem 14. Jahrh. Das Bild eines mittelalterlichen Stadtarchivs gewährt noch jetzt das A. über der Ratskapelle in der Marienkirche zu Lübeck. In Köln ist ein Repertorium des Ratsarchivs etwa aus dem Jahr 1415 erhalten.

Als wichtiger Zweig der Staatsverwaltung ist das Archivwesen in mehreren Staaten neu organisiert worden. Frankreich bildet in der École de chartes seine Archivbeamten heran und hat in den Inventaires sommaires Übersichten über den Inhalt der Departementalarchive veröffentlicht, welche wie die Gemeinde- und Hospitalarchive nach einem bestimmten Schema geordnet sind. Nach dem Règlement général über die Benutzung des Archivs der auswärtigen Angelegenheiten zu Paris vom 6. April 1880 werden alle Schriftstücke vor dem 14. Sept. 1791, dem Tag der Eidesleistung Ludwigs XVI., zu freier Benutzung, spätere unter gewissen Einschränkungen vorgelegt. In Italien wurden die Staatsarchive durch Gesetz vom 27. Mai 1875 dem Minister des Innern unterstellt, Fachprüfungen eingeführt und eine Urkundenschule in Florenz begründet. In Rußland dient dem gleichen Zweck das Archäologische Institut zu Petersburg seit 1877, in Österreich das Institut für österreichische Geschichtsforschung zu Wien. Im Deutschen Reich hat nur Bayern seit 20 Jahren eine Archivschule bei dem allgemeinen Reichsarchiv zu München aufzuweisen; dort ist eine praktische Fachprüfung nach dreijährigem Vorbereitungsdienst vorgeschrieben (Verordnung vom 3. März 1882). In Preußen sind die 17 Staatsarchive (Geheimes Staatsarchiv zu Berlin, Staatsarchive zu Aurich, Breslau, Koblenz, Düsseldorf, Hannover, Königsberg i. Pr., Magdeburg, Marburg, Münster, Osnabrück, Posen, Schleswig, Sigmaringen, Stettin, Wetzlar, Wiesbaden) dem Präsidenten des königlichen Staatsministeriums unterstellt; die Erlaubnis zur Benutzung erteilt in den Provinzen der Oberpräsident, in Berlin der Direktor der Staatsarchive, für Ausländer der Chef der Archivverwaltung. Von dem Ministerium des königlichen Hauses ressortiert das königliche Hausarchiv zu Berlin. Die königlich bayrischen Archive sind: das Allgemeine Reichsarchiv, das Geheime Hausarchiv und das Geheime Staatsarchiv zu München und die Kreisarchive zu Amberg, Bamberg, Landshut, München, Neuburg a. d. Donau, Nürnberg, Speier und Würzburg. Die Staatsarchive der übrigen deutschen Staaten haben bis auf wenige Ausnahmen ihren Sitz in den Hauptstädten. Sorgfältige Nachweise über die Benutzungsvorschriften, Bestandteile, Litteratur und Personalien von nicht weniger als 1133 Archiven in Deutschland, Luxemburg, Österreich-Ungarn, den russischen Ostsee-Provinzen und der deutschen Schweiz enthält das sehr verdienstliche „Hand- und Adreßbuch der deutschen Archive“ von C. A. H. Burkhardt (2. Aufl., Lpz. 1887).

Nach seinen Hauptbeständen zerfällt jedes A. in ein Urkunden- und Aktenarchiv. Für die Ordnung und Extrahierung (Regestierung) der Urkunden bietet die chronologische Reihenfolge den natürlichen Rahmen, bei größern Archiven innerhalb der historisch gegebenen Abteilungen, Fürstentümer, Stifter, Städte etc. Neben den Originalen sind die namentlich in den Kopialbüchern überlieferten Urkundenabschriften zu verzeichnen. Orts- und Personennamen werden in Registern zusammengestellt. Die Ordnung der Akten wird in jedem A. eine andre sein. In Staatsarchiven gliedern sich die Akten naturgemäß nach den Zentral- und Provinzialbehörden, bei welchen sie erwachsen sind. Auch bei Stadtarchiven und bei kleinern Archiven empfiehlt es sich, die Spuren früherer Ordnung zu verfolgen und, wenn möglich, die alten Bestände wiederherzustellen. Dagegen wäre es verkehrt, nach Art von Bibliothekskatalogen das sachlich Verwandte aus verschiedenen Registraturen [49] zusammenzubringen oder etwa alte Bestände zu zerreißen, um die Materialien zur Geschichte einzelner Orte oder Familien äußerlich zu vereinigen. Spezialrepertorien und Sachregister erleichtern die Nutzbarmachung der Archivalien nach verschiedenen Richtungen hin. Dienen die Staatsarchive in erster Linie zur Unterstützung der Landesregierung bei Aufhellung früherer und historischer Begründung gegenwärtiger Verhältnisse, so sind sie mit dem Wachsen des historischen Sinnes immer mehr zu Pflegestätten historischer Wissenschaft geworden, zumal in den meisten Staaten eine liberale Auffassung in betreff der Benutzung zur Geltung gelangt, in einigen auch die Versendung von Archivalien an Bibliotheken und Behörden gestattet ist. Nach mehrfachen Anläufen behauptet sich als Fachorgan v. Löhers „Archivalische Zeitschrift“, neuerdings ihr zur Seite die unten angegebene Zeitschrift der badischen historischen Kommission. Mit der Veröffentlichung von Repertorien gehen die Archive von Köln und Frankfurt a. M. voran. Auf Veranlassung und mit Unterstützung der preußischen Archivverwaltung sind in den seit 1878 im Verlag von Hirzel in Leipzig erscheinenden „Publikationen aus den königlich preußischen Staatsarchiven“ (bis jetzt 40 Bde.) zahlreiche Quellen zur deutschen, preußischen und Provinzialgeschichte aus den verschiedensten Zeiten der Forschung zugänglich gemacht worden. Durch geregelte Kontrolle der Aktenkassation bei den Staatsbehörden, durch Erwerbung von Archivalien aus Privatbesitz, durch eine gewisse Aufsicht über die Kommunalarchive sorgen manche Staaten für einen Zuwachs ihrer Archive und für die Erhaltung der schriftlichen Denkmäler. Oft haben Städte es vorgezogen, ihr A. unter Vorbehalt des Eigentums an das nächste Staatsarchiv abzugeben.

Vgl. Wattenbach, Das Schriftwesen im Mittelalter (2. Aufl., Leipz. 1875); Breßlau, Handbuch der Urkundenlehre für Deutschland und Italien (das. 1889, Bd. 1); Burkhardt, Hand- und Adreßbuch der deutschen Archive (2. Aufl., das. 1887); „Zeitschrift für Archivkunde, Diplomatik und Geschichte“ (hrsg. von Höfer, Erhard und v. Medem, Hamb. 1834–36, 2 Bde.); „Zeitschrift für die Archive Deutschlands“ (hrsg. von Friedemann, Hamb. u. Gotha 1846–53, 2 Bde.); „Archivalische Zeitschrift“ (hrsg. von F. v. Löher, Stuttg., später Münch. 1876–88, 13 Bde.); „Korrespondenzblatt der deutschen Archive“ (hrsg. von Burkhardt, Leipz. 1878–1880, Bd. 1–3); Holtzinger, Katechismus der Registratur- und Archivkunde (das. 1883); (v. Lancizolle) „Denkschrift über die preußischen Staatsarchive“ (Berl. 1855); Gollmert, Die preußischen Staatsarchive (das. 1857); v. Weber, Über das Hauptstaatsarchiv zu Dresden (im „A. für sächsische Geschichte“, Bd. 2); K. Menzel, Über Ordnung und Einrichtung der Archive (in Sybels „Historischer Zeitschrift“, Bd. 22); Baumgarten, Archive und Bibliotheken in Frankreich und Deutschland („Preußische Jahrbücher“, Bd. 36); Pfannenschmid, Das Archivwesen in Elsaß-Lothringen (Kolmar 1875); „Mitteilungen aus dem Stadtarchiv von Köln“ (hrsg. von Konst. Höhlbaum, Köln 1882 ff.); „Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins“ (hrsg. von der badischen historischen Kommission, neue Folge, Freib. i. Br. 1886 ff.); „Inventare des Frankfurter Stadtarchivs“ (Frankf. 1888, Bd. 1.); Österley, Wegweiser durch die Litteratur der Urkundensammlungen (Berl. 1885–86, 2 Tle.); Bordier, Les archives de la France (Par. 1855); „Le cabinet historique“ (neue Folge von U. Robert, das. 1882 ff.); Richou, Traité théorique et pratique des archives publiques (das. 1883).

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vgl. Archiv in Band 1