Zum Inhalt springen

Litterarische Skizzen/Pater Leo Alischan

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Raphael Patkanian Litterarische Skizzen
von Arthur Leist
Mkrtitsch Beschiktaschlian
{{{ANMERKUNG}}}
  Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

[41] 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000


III.
Pater Leo Alischan.



000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000

000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000

[43]Notre role historique n’était pas grand, mais nous avons participé à tout,“ sagte einmal Alischan bei Gelegenheit einer Prüfungsfeierlichkeit, als er noch Direktor der armenischen Muradjan-Schule in Paris war. Seine Worte lassen sich auf die bisherige wissenschaftlich-litterarische Thätigkeit der Armenier anwenden. Ihre Wirksamkeit in Wissenschaft und Litteratur ist bis heute noch keine glänzende, aber sie berührt alles und bildet ein kleines „Ganzes“, das, wenn es sich so wie bisher weiter entwickelt, ein „Grosses“ werden kann. Der beste Anhaltspunkt für eine solche Voraussetzung ist die litterarische Thätigkeit Alischans selbst.

[44] Dieser Dichter und Schriftsteller wurde vor mehr als einem halben Jahrhundert in Erserum geboren, also gerade im Herzen seines Heimatlandes, inmitten desjenigen Teiles seines weit zerstreuten Volkes, der noch nationale Eigenart und Sitte bis auf den heutigen Tag in unversehrter Reinheit bewahrt hat. Die Eindrücke, die er in den Kinderjahren in seiner Heimat empfangen, begleiteten ihn bis weit in die Fremde und verliessen ihn auch dann nicht, als der reich begabte Mann inmitten der europäischen Zivilisation von ungleich glänzenderen Bildern umgeben war als es die seiner fernen Heimat sind. Wie viele andere vom Triebe zu wissenschaftlich-litterarischer Thätigkeit beseelte Armenier trat auch Alischan in den Mechitaristen-Orden ein und fand so als Mönch genügende Musse zu seinen Studien und Arbeiten. Seine edle, zarte und empfängliche Natur verwelkte jedoch nicht in der Zelle des Klosters, nein, sie blieb frisch und entwickelte sich. Allerdings ist es augenscheinlich, dass Alischan ein weit grösserer Dichter geworden wäre, wenn er [45] mitten im Wogenschlag des Lebens geblieben und nicht die Klosterzelle betreten hätte. Trotzdem ist er ein bedeutender, empfindungsreicher[WS 1] Dichter, dessen Lieder zu den schönsten Zierden des neuarmenischen Schrifttums gehören.

Der Hauptzug seiner Lyrik ist eine weihevolle, edle Heimatliebe und die Bilder der Heimat, ihre Natur, ihr Lenz, ihr Himmel und ihre Sonne, ihre Erinnerungen, Freuden und Leiden, malt und besingt, betrauert und beklagt er in seinen Dichtungen mit immer neuen Farben und Klängen. Von der Königin der Adria, wo auf der Insel San Lazara sein Kloster steht, entschwebt seine Phantasie ins Morgenland, in seine Heimat, wo er die Kindertage verlebt und er schaut all die Pracht des wonnigen Südens, den Schneeschimmer des Ararat und sie begeistert ihn und entlockt seiner Laute die feierlichsten Sehnsuchtslieder. Als Gefühlsmensch liebt Alischan die Natur und er liebt sie wie sie nur der gläubige Christ lieben kann, der alle ihre Pracht als eine Gnadengabe des Schöpfers entgegen nimmt. Sein Verhältnis zur Natur ist innig, herzlich, [46] er hält Zwiegespräche mit dem Bache, dem Vogel, dem Winde, dem Monde und den Sternen. Dabei durchschleichen seinen Geist Gedanken über das Schalten und Walten der Menschheit, über die Flut des Lebens und die Nichtigkeit alles Irdischen, aber stets verharrt er bei diesen Betrachtungen in den Grenzen, die ihm sein Glaube zieht.

Auch die Vergangenheit Armeniens besingt Alischan mit Begeisterung und gern wandelt er beim Mondschein auf den Gefilden seiner Heimat umher und erinnert sich der Glanztage seines Volkes und der Kämpfe, die dieses in vergangenen Jahrhunderten mit den Bekennern des Islam zu bestehen hatte. Alle Helden der armenischen Vorzeit stehen verklärt in seinen Liedern auf und mit weihevollem Ernste besingt er seine Thaten. Besonders erhaben und feierlich ist sein Gedicht, das er dem von der armenischen Kirche als Märtyrer gefeierten Wartan Mamikonian widmet. Wartan fiel im Kampfe gegen die Perser in der Schlacht bei Awarairi, aber durch seinen Tod verhalf er den Seinigen zum Siege und [47] befreite sie vom Perserjoche. Das hierauf bezügliche Gedicht heisst „Die Nachtigall (sochak) von Awarairi“ und beginnt mit folgender Einleitung:

„Was ziehest du, o Mond, so still dahin
Und giesst des Silberlichtes matte Strahlen
Auf Berg und Flur und dunkler Wälder Grün,
Und mich, den Greis, der ich allein, von Allen
Verlassen hier zu mitternächt’ger Zeit
Herumirr’ auf dem Awarairgefilde,
Wo unsre Väter sich dem Tod geweiht,
Wo Persiens Lanze brach an unserm Schilde!
Wo sie, die Unvergleichlichen gefallen,
Um ruhmumglänzt dann wieder aufzustehn.
Kommst du hierher aus deinen Himmelshallen,
Aus deinen ewig azurblauen Höh’n,
Um über diese heiligen Gebeine
Hier auszubreiten einen Trauerflor,
In Gold gewebt aus deinem Strahlenscheine?
Ziehst aus den Wolken du vielleicht hervor,
Um mit dem hier so reich vergoss’nen Blute
Zu röten deinen hellen Strahlenkranz?
Bist du betroffen heute noch vom Mute?
Mit dem einst Wartan hier, umflort von Glanz,
Als Held in der Entscheidungsschlacht gefallen,
Als er in Feindesherzen trug den Tod
Und seine Seele liess zum Himmel wallen,
Wo er nun thront als Heiliger bei Gott?
Auch du Tygmut,[1] du lispelst still und bange
Und windst dich klagend durch das Schilfgefild,

[48]

Und ein, o Wind, der du so still und bange
Herniederwehst vom Makufels, wo wild
Der Giessbach brauset oder ziehst du nieder
Vom heilgen greisen Berge Ararat?
Ach, zitternd, bebend ziehst du immer wieder
Hier über diese wüste Kampfesstatt
Und säuselst stille hin von Thal zu Thalen
Und trägst des bangen Herzens Seufzer hin
Zu meinen weit zerstreuten Brüdern allen,
Um in ihr Herz als Schmerzlied einzuziehn!
Ach du, o treuer Freund gequälter Herzen,
O Nachtigall, du Kind der Blumennacht,
Du Rosenseele, lindre meine Schmerzen,
Besinge laut die heilge Heldenschlacht,
Besing mit meiner Seele eng verbunden,
Wie der Armenierheld den Tod gefunden!“

Die gegenwärtige Lage seines Volkes bietet Alischan wenig Trost, aber er schaut mit Hoffnung in die Zukunft und besonders schön spricht er diese Hoffnung in einem längeren Gedichte aus, in welchem er den grossen und den kleinen Massis (Ararat) über die Vergangenheit und Zukunft seines Volkes reden lässt. „Der Baum besteht durch seine Wurzeln, das Haus durch seine Grundmauern, alte Wurzeln geben neue Zweige, alte Zweige neue Knospen,“ sagt er in einem andern Gedichte „Das armenische Ländchen“.

[49] Seine Sprache ist durchweg sanft, weihevoll und selbst, wenn sie den Schmerz berührt, ohne Bitterkeit. „Liebend lass mich erwachen, liebend leben und atmen und liebend sterben!“ sagte er in einem Gebete.

Alle dichterischen Werke Alischans umfassen fünf starke Bände, in welchen sich ausser den Originalgedichten auch Übersetzungen aus Byron und deutschen Dichtern befinden. Hervorzuheben ist besonders seine Übersetzung von Schillers „Lied von der Glocke“. Er ist der erste der Venediger Mechitaristen, der sich mit Übertragungen aus dem Deutschen beschäftigt.

Als ihm mit dem vorrückenden Alter die dichterische Begeisterung schwand, widmete sich Alischan fast ausschliesslich seinen wissenschaftlichen Arbeiten, die allsamt der Vergangenheit oder dem heutigen Zustande seines Heimatlandes gelten. Wie er früher die Ruinen, Gräber und Schlachtfelder Armeniens in Liedern besungen, widmete er jetzt seine ganze Geisteskraft, seinen Fleiss der sachlich strengen Beschreibung derselben, wobei er sich jedoch [50] nicht als trockener, ohne Gefühl schaffender Grübler zeigt, sondern als ein Gelehrter, der mit Liebe und Begeisterung seinem Gegenstände ergeben ist.

In französischer Sprache verfasste er zwei wertvolle Werke: „La Physiographie de l’Arménie“ und „Haik et sa période“, eine Studie über die Urgeschichte Armeniens. Vorzüglicher und bedeutungsvoller sind jedoch die Werke, die er in armenischer Sprache geschrieben hat. Unter diesen ist besonders hervorzuheben „Schirak“, eine etnographisch-geographisch-archäologische Beschreibung des heutigen Gebietes von Alexandropol, welches einst den nördlichsten Teil des alten Armeniens bildete. Für dieses Buch wurde ihm der von einem Legate herstammende Ismirianpreis zuerkannt. Sein letztes und grösstes wissenschaftliches Werk ist „Cilicien“, ein mit vorzüglichen Zeichnungen versehenes umfangreiches Buch, in welchem er nach geschichtlichen Beweisstücken, Inschriften und Ruinen von Kirchen, Klöstern und Schlössern die armenische Epoche dieser Provinz Kleinasiens schildert.

[51] Hohen litterarischen Wert hat auch sein Studium über den armenischen Kirchenvater Narses Schnorhali, einen bedeutenden religiösen Dichter und Theologen aus dem zwölften Jahrhunderte.

Die schriftstellerische Thätigkeit Alischans ist, wie aus dem Gesagten ersichtlich, eine umfangreiche und fruchtbare. Neben anderem hier nicht Erwähnten hat er auch eine Sammlung armenischer Volkslieder mit englischer Übersetzung herausgegeben und gilt zudem für einen tüchtigen Geographen.




  1. Tygmut, der Name eines Flusses.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: empfidungsreicher