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Lessing und die Komödiantenprincipalin

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Textdaten
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Autor: August Diezmann
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Titel: Lessing und die Komödiantenprincipalin
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 43, S. 677-680
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1860
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Weiße und Lessing bei der Neuberin.

[678]

Lessing und die Komödiantenprincipalin.

(Mit Abbildung.)

Spät und langsam – langsamer und später als bei den andern Culturvölkern – entwickelte sich in Deutschland das Drama und die Schauspielkunst. Während, von Italien zu schweigen, Frankreich bereits die Dichtungen Corneille’n und Racine’s, sowie die unvergleichlichen Lustspiele Molière’s besaß; während Shakespeare seiner Nation bereits jene Stücke geschenkt hatte, die, wie Wilhelm Meister sagt, „ein Werk eines himmlischen Genius zu sein scheinen, ja die eigentlich gar keine Gedichte sind, denn man glaubt vor den aufgeschlagenen ungeheuren Büchern des Schicksals selbst zu stehen, in denen der Sturmwind des bewegten Lebens sauset und sie mit Gewalt rasch hin und wieder blättert“ – hatte Deutschland bis zur Mitte des achtzehnten Jahrhunderts zwar auch sogenannte Theaterstücke (Gottsched hat die Titel einer großen Anzahl derselben verzeichnet), aber sie konnten sich mit denen der Nachbarländer nicht im Entferntesten messen.

Allerdings hatte es vor dem dreißigjährigen Kriege in Deutschland eine zum Theil sehr ausgebildete Volksbühne gegeben. Leute aus dem Volke waren da die Schauspieler, und Schauspieler dichteten die Stücke. In Nürnberg baute die Zunft der Meistersänger schon 1550 das erste deutsche Schauspielhaus, und Augsburg folgte diesem Vorgange bald nach. Diese Häuser waren indeß nur für den Sommer und für gutes Wetter eingerichtet. Nur die Bühne war bedacht, der Zuschauerraum blieb unbedeckt. Auch an Decorationen und anderen Apparaten scheint es ganz gefehlt zu haben. In dem langen grauenvollen Kriege erst, der in Deutschland so Vieles zerstörte und auch die deutsche Volksbühne vernichtete, bildeten sich Truppen von Komödianten von Profession.

Diese Komödiantenbanden konnten sich in Deutschland leicht rekrutiren (bemerkt Ed. Devrient in seiner Geschichte der deutschen Schauspielkunst). Knaben, Jünglinge und Männer waren durch die Schul-, Universitäts- und Bürgerkomödien geübt, Lust und Talent erweckt, und so fehlte es denn nicht, daß schon in den ersten Jahrzehnten des siebzehnten Jahrhunderts die Wandertruppen sich ansehnlich vermehrt und vervielfacht hatten. Vornehmlich war es die akademische Jugend, die sich, gelockt von dem Beifalle, den sie an Höfen und in Städten fand, gereizt von dem Anscheine eines fessellos poetischen Wanderlebens und dem Zauber der Bühnenthätigkeit, diesen Truppen am schnellsten anschloß. Waren doch die Studenten schon geübt, hatte doch das herumziehende Leben für sie nichts Entwürdigendes, denn die „fahrenden Schüler“ bildeten einen von der Gesellschaft anerkannten Stand. Ja, war es nicht dem eigenthümlichen deutschen Studentenwesen, das sich in phantastischen Zuständen von dem gewöhnlichen Leben abzusondern liebte, ganz und gar angemessen, diese poetisch isolirte Welt im Bühnenleben zu suchen? Gewiß kann es nicht auffallen, daß die am meisten bekannt gewordenen Truppen des siebzehnten Jahrhunderts fast ganz aus Studenten bestanden. Sie wurden von Principalen geführt, welche Besitzer des theatralischen Apparates und Inhaber der nöthigen Privilegien waren, die Thätigkeit im Allgemeinen regelten und deshalb auch Komödiantenmeister genannt wurden. Aber der frische, kecke Sinn der Studententruppen, die, wenn auch roh, doch einen gewissen Schwung sich bewahrten, erhielt sich nicht lange, und die deutschen Komödianten sanken von Stufe zu Stufe tiefer, so daß sie ganz gleich mit Springern, Gauklern und Marktschreiern standen und sich nur aus zusammengelaufenen Leuten allerlei Art rekrutirten, die höchstens ein pedantischer Handwerksgeist zusammenhielt. Zunftgruß und Spruch galt unter ihnen wie bei den Handwerkern, zum Theil bis in die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts. Nach den streng gesonderten Rollenfächern ließ sich Jeder tituliren, z. B. Herr Königsagent, Herr Tyrannenagent, Herr Harlekin. Iffland gibt nach der Tradition, welche ihm selbst noch nahe lag, folgende Schilderung: „Den tragischen Helden mußte der zweite Held zuerst grüßen. Die, welche nur Vertraute spielten, mußten das Haupt entblößen, sowie der erste Held oder Tyrannenspieler sich sehen ließ. An öffentlichen Orten durften die kleinen Lichter den großen sich erst auf herablassende Einladung nähern. Ein Neuling konnte nur durch Dienstjahre das Recht erlangen, in Gegenwart älterer Mitglieder bedeckt zu erscheinen. Ein Wort über das Spiel der Letztern ward für ein Zeichen von Wahnwitz gehalten, und der Tadel eines Stückes galt für ein Verbrechen, das mit Ausstoßung bestraft wurde.“ Die Aufnahme eines neuen Mitgliedes in die Schauspielerzunft geschah unter der größten Umständlichkeit. Bestand er, so richtete der Principal die Frage an den Neuling: „Ist der Herr eines Paares schwarzsammtner Beinkleider mächtig?“ Nur wenn er die Frage zu bejahen vermochte, konnte die Aufnahme wirklich erfolgen. Das Oberhaupt der Bande allein durfte eine mit Gold besetzte Scharlachweste tragen, welche Permissionsweste hieß, weil sie den Besitzer der Privilegien bezeichnete. Jüngere Mitglieder strebten zunächst nach einem Tressenhut, und ihre höchsten Wünsche waren erfüllt, wenn sie Atlasbeinkleider in Rosa oder Carmoisin zu tragen vermochten.

Der gewöhnliche Decorationsbestand war: ein Wald, ein Saal und eine Bauernstube, die zusammen für Alles ausreichen mußten. Was das Costüm anlangt, so hatte man romanische und türkische Kleider für die vorzeitlichen und asiatischen Dramen, während alle mittelalterlichen Stücke in einer phantastischen Tracht gespielt wurden, welcher die damals moderne Kleidung zu Grunde lag. Dieser Tracht durfte bei den Männern ein gesteiftes und beflittertes Röckchen nicht fehlen, sowie auf der gepuderten Frisur ein Helm mit einem Walde gewaltiger Federn. Die Damen behielten unter allen Umständen ihre Frisur, die sie mit Schmuck, Federn und Blumen überluden, verzierten aber ihre ungeheuern modernen Reifröcke in einer Weise, die sie, je wie es paßte, für römisch, türkisch oder mittelalterlich ausgaben. So consequent aber haben wir uns die Behandlung des Costüms bei den Wandertruppen nicht einmal zu denken. Meistentheils lief es bei ihnen nur auf einen barocken Ausputz der täglichen Kleidung hinaus. Bei dem weiblichen Anzug ward mit Federn, Schleiern, Ueberwürfen und Besätzen viel geleistet, und die Buden-Komödiantinnen unterließen nicht sich mit Plunder und Fetzen aller Art und einem verschwenderischen Aufwande von [679] Goldpapier zu bedecken. Selbst bei den bessern Truppen scheint eine Ueberladung mit Putz herrschend gewesen zu sein. Die Markgräfin von Bayreuth hat für übertriebene Toilette immer den Ausdruck: „sie sah aus wie eine deutsche Komödiantin.“ Bedenkt man nun, daß die damalige Rococotracht an sich schon die überladenste war, die es jemals gegeben hat, so können wir uns eine Vorstellung davon machen, wie die deutschen Komödiantinnen ausgesehen haben mögen. Bei dem männlichen Personale blieben namentlich die Unterkleider der herrschenden Mode unantastbar, und darum war allerdings der Besitz schwarzer Sammetbeinkleider für jeden Schauspieler eine Sache von Bedeutung. Mochten römische, assyrische oder mittelalterliche Helden vorgestellt werden, es hatte allemal sein Bewenden mit den kurzen Sammethosen, den weißen Strümpfen und den Schnallenschuhen. Auch der breitschößige Rock und die lange Weste jener Zeit blieben den europäischen Helden aller Zeiten; eine Schärpe darüber, ein Königsmantel um die Schultern vermochten schon viel anzudeuten, und die gepuderte Allongeperrücke, unantastbar unter allen Umständen wie die Sammetbeinkleider, machte sich nicht weniger stattlich unter dem Helme, wie unter dem Federhut. Selbst dem Turbane bequemte sie sich, wenn nur sonst für die orientalischen Stücke fremdartige Oberkleider dazu kamen. Die ersten griechischen und assyrischen Helden gelangten wohl auch zu dem Panzerkleide mit dem beflitterten Reifröckchen und einem federbeladenen Helme; die Schauspieler zweiten Ranges aber mußten freilich zu dem goldpapiernen Behelfe greifen.

Am Schlusse dieser flüchtigen Skizze stehe hier noch eine Schilderung, die Eckhof gab, der Vater der deutschen Schauspielkunst, welcher den traurigen Zustand der damaligen dramatischen Kunst in Deutschland noch aus eigener Anschauung und Erfahrung kannte, aber auch den Beginn einer bessern Zeit erlebte: „Herumreisende Gauklertruppen, die durch ganz Deutschland von einem Jahrmarkte zum andern laufen, belustigen den Pöbel durch niederträchtige Possen. Der Hauptfehler des deutschen Theaters war der Mangel an guten Stücken; die, welche man aufführte, waren gleich lächerlich vor dem Plane als nach der Darstellung. Eine Komödie, welche man überall am häufigsten spielte, hieß „Adam und Eva, oder der Fall der ersten Menschen“. Sie ist noch nicht völlig verbannt, und ich erinnere mich, daß ich sie in Straßburg habe aufführen sehen. Da sah man denn eine dicke Eva, deren Körper mit schlechter fleischfarbener Leinwand bedeckt war und der man einen kleinen Gürtel von Feigenblättern auf die Haut geleimt hatte. Der gute Adam erschien ebenso lächerlich gekleidet, Gott Vater aber in einem alten Schlafrocke, mit mächtiger Perrücke und einem langen weißen Barte. Die Teufel stellten die Lustigmacher vor. Ein anderer Fehler der alten deutschen Stücke und zwar der meisten ist, daß sie nicht durchgängig niedergeschrieben sind. Die Komödianten besitzen vielmehr gemeiniglich nur den Entwurf davon und spielen Alles aus dem Stegreife. Hanswurst vor allen findet da ein Feld, seinen Einfällen freien Lauf zu lassen. Im Uebrigen war Alles widerwärtig: eine schlechte breterne Bude diente zum Komödienhause; die Verzierungen darin waren jämmerlich; die Acteurs, die in Lumpen gehüllt waren und confiscirte alte Perrücken aufhatten, sahen aus wie in Helden verkleidete Miethkutscher; mit einem Worte, die Komödie war ein Vergnügen nur für den Pöbel. Mitten in dieser Barbarei,“ setzt Eckhof hinzu, „wagte eine liebenswürdige Frau den Vorsatz zu fassen, das deutsche Theater zu reinigen und ihm eine vernünftige Form zu geben.“ Von Sachsen sollte die Reformation auch der Bühne ausgehen, und zwar merkwürdiger Weise durch einen Pedanten und eine Frau – durch Gottsched und die Neuberin. Der Erste entsetzte sich über die liederliche Zügellosigkeit, die in den Stücken herrschte und die er zu beseitigen strebte, während die Zweite Geschmack und Decenz wiederherzustellen sich bemühte. In Leipzig stand die Wiege der neuen deutschen Schauspielkunst.

Friederike Karoline Weißenborn war zu Reichenbach im Voigtlande 1692 (oder nach der gewöhnlichen Angabe 1700) geboren, die Tochter eines Doctors beider Rechte und erhielt jedenfalls eine Bildung, welche die des weiblichen Geschlechts in jener Zeit weit übertraf. Diese ungewöhnliche Bildung, verbunden mit lebhafter Phantasie, hob sie über viele Vorurtheile hinweg, die ihren Neigungen sich entgegenstellten, während ihre energische Leidenschaftlichkeit sie zunächst in vielfache Conflicte mit ihrem verwittweten, kränklichen und grämlichen Vater brachte, der sich später als Advocat in Zwickau niedergelassen hatte. Leider ist ihre Jugendgeschichte ganz unbekannt, so daß man nicht weiß, wie der Beruf für die Bühne bei dem gebildeten Mädchen aus angesehener Familie sich kundgegeben hat, und welche Kämpfe sie bestehen mußte. Erzählt wird, daß sie hoch in den Zwanzigen stand, als sie einen besonders heftigen Auftritt mit ihrem Vater hatte, der, von Podagraschmerzen gereizt, die Thür verriegelt haben soll, um der unfügsamen, heftigen Tochter eine körperliche Züchtigung angedeihen zu lassen. Aber entschlossen sei das Mädchen durch das Fenster entsprungen und nur durch eine Gartenhecke vor einem tödtlichen Falle bewahrt worden. Sie liebte einen jungen Mann aus Zwickau, Johann Neuber; mit ihm verließ sie die Heimath, um sich einer Komödiantengesellschaft anzuschließen, welche in Weißenfels spielte. Sie war von bewundernswürdig schönem Wuchs und Gliederbau, blond, mit regelmäßigen Zügen und leidenschaftlichem Ausdruck, allen Angaben nach in vielfacher Hinsicht körperlich und geistig der großen Schröder-Devrient ähnlich. Natürlich wurde sie bald die Frau Neuber’s, der ein fleißiger und verständiger Mensch war, aber keinen Funken von Geist besaß und zeitlebens ein schlechter Schauspieler blieb. Die Frau dagegen that sich bald vor allen ihren Genossen hervor, zumal sie Gelegenheit fand, in Dresden, Braunschweig und Hannover französische Schauspieler zu sehen, denen sie, zuerst unter allen Deutschen, die feierliche Grazie der tragischen Declamation und den Vortrag der Alexandriner ablernte. In der Komödie und in den Stegreifpossen zeigte sie Geist, Gewandtheit und humoristischen Uebermuth. Besonders gern spielte sie in Männerrollen, und wenn sie als flotter Student auftrat, erregte sie jedesmal stürmischen Beifall.

In der Ostermesse 1727 erschien sie mit einer Gesellschaft zum ersten Male in Leipzig, und Gottsched, der sich schon mehrere Jahre die Ausbildung der deutschen Sprache und Dichtkunst hatte angelegen sein lassen, glaubte mit Hülfe der ausgezeichneten Schauspielerin seine Pläne sehr wirksam fördern zu können. Die Aufgabe, die er sich stellte und in welche die Neuber bereitwillig und energisch einging, war freilich eine riesengroße und so schwierige, wie wir sie uns jetzt kaum ausreichend vorstellen können. Es handelte sich um nichts Geringeres, als von der Regellosigkeit und der bunten Willkür der damaligen deutschen Schauspiele zu dem steifen Regelzwang der französischen Dramen und Tragödien, also aus einem Extrem zu dem andern überzugehen, und nicht nur das Publicum, welches an das erste gewöhnt und mit demselben zufrieden war, für das zweite zu gewinnen, sondern auch die Schauspieler dafür auszubilden. Vor Allem mußte für geeignete Stücke gesorgt werden, an denen es so gut als ganz fehlte. Selbstschaffende Talente gab es nicht, man übersetzte also fleißig, namentlich französische Tragödien und Komödien, freilich in einer so steifen Ungelenkigkeit, daß man jetzt kaum begreift, wie das damalige Publicum solches Deutsch und solche Verse anhören konnte. So fleißig aber auch die Freunde Gottsched’s waren, so konnten sie doch nicht schnell genug ein allen Anforderungen genügendes Repertoir zusammenbringen, so daß die Schauspieler, um nur ihre Existenz zu sichern, auch gelegentlich wieder Vorstellungen mit allerlei Possen geben mußten. Und das war nicht ihre einzige Noth, wie man aus einem Briefe erkennt, den Neuber an Gottsched aus Nürnberg schrieb und in dem er erzählt: „Bei den Meisten habe es im Anfange gar nichts heißen wollen, wenn gesagt werde: eine Komödie von lauter Versen.“ Indessen konnte er doch auch bald berichten: „Unsere Komödien und Tragödien haben noch so ziemlich Zuschauer. Die Mühe, die zur Verbesserung des Geschmacks angewendet wird, scheint doch nicht gar vergebens zu sein. Es finden sich verschiedene bekehrte Herzen. Leute, denen man es fast nicht hätte zutrauen sollen, sind Liebhaber der Poesie geworden und Viele finden an den ordentlich gesetzten Stücken gutes Belieben.“

„Das allerwichtigste Resultat,“ sagt Devrient, „der Neuber’schen Bestrebungen und des Gottsched’schen Einflusses war, daß die ersten bestimmten künstlerischen Grundsätze, daß Regeln und Mustergültigkeit in die Schauspielkunst kam und dadurch eine Uebereinstimmung, ein Styl, kurz die erste Schule, die man denn die Leipziger nennt, sowie daß literarischer Einfluß auf die Bühne endlich wieder sich geltend machen konnte.“

Das Glück freilich begünstigte die Neuber in ihrer Unternehmung nicht, aben die muthige Frau ließ sich nicht abhalten, auf dem für richtig erkannten Wege fortzuschreiten, ja sie entschloß sich, durch eine öffentliche Kundgebung der Welt zu zeigen, daß an eine Umkehr nicht zu denken sei. Gottsched, dem die Abschaffung [680] der Stegreifstücke zu langsam ging, hielt die lustige Person, den Hanswurst, für den Mittelpunkt des ganzen alten Komödiantenwesens und war der Meinung, daß die Willkür auf der Bühne nur mit der Vertreibung des Spaßmachers von derselben enden werde. Die Neuber war auch darin mit ihm einverstanden und so nahm sie sich vor, den wichtigen Schritt unter einer feierlichen theatralischen Demonstration zu thun.

Es war in der Michaelismesse (im Oktober) 1737, in ihrer Theaterbude vor Bosens Garten der jetzigen Königsstraße zu Leipzig, als sie ein von ihr selbst verfaßtes kleines Stück aufführen ließ, in welchem dem Hanswurst wegen seines theatralischen Unfugs der Proceß in aller Form gemacht, dann eine Puppe in dem buntfarbigen Hanswurstkleide auf einem Scheiterhaufen feierlich verbrannt und sein Name für immer von der Bühne verbannt wurde. Damit übernahm die Neuber zugleich die moralische Verpflichtung, den Hanswurst auf ihrer Bühne nie wieder erscheinen zu lassen, und sie hat getreulich Wort gehalten. Somit war aber auch der Anfang gemacht zur Beseitigung aller herkömmlicher stehender Masken, welche die Bühne beherrschten, und zugleich die Möglichkeit gegeben, dem frischen vollen Leben der Wirklichkeit Eingang zu verschaffen.

So groß nun, so bedeutungsvoll und ruhmreich alles dies für die ausgezeichnete Frau war, so ist doch das Wichtigste aus ihrem Leben noch zu erwähnen: die Neuberin war es auch, welche den großen Mann in das theatralische Leben einführen sollte, den das Schicksal ausersehen hatte, der eigentliche Begründer der deutschen Literatur und der deutschen Bühne zu werden, und beide unzertrennlich miteinander zu verbinden – Gotthold Ephraim Lessing.

Als siebenzehnjähriger Student war Lessing - am 20. September 1746 – nach Leipzig gekommen, ein schlanker, aber kräftiger Jüngling mit regelmäßigen Zügen, geistvollen, blitzenden, lachenden Augen und einem Munde, der kecke frische Lebenslust ausdrückte und um den Anmuth und Schalkhaftigkeit spielten.

Er bezog – was auf sein ganzes Leben entscheidend einwirkte – eine Universität, wo man, wie er selbst in der Lebensbeschreibung eines seiner Freunde sagt, nichts so zeitig lernte als – ein Schriftsteller zu werden. Und es wurde nicht nur ein Schriftsteller aus ihm, er brachte den Schriftstellerstand zu Ehren. In Leipzig herrschte damals unter den jungen Leuten ein sehr reges geistiges Leben. Gottsched’s literarische Betriebsamkeit nicht nur zog einen Kreis junger Männer an; es rührten sich bereits in seiner Nähe Gegner, die seine pedantische Geschmackstyrannei zu bekämpfen anfingen und sich zu diesem Zwecke eng an einander schlossen. So die Gesellschaft, welche die „Bremer Beiträge“ herausgab und zu der Klopstock, welcher wenige Monate vor Lessing nach Leipzig gekommen war, Zachariä, der Verfasser des „Renommisten“, Cramer und die beiden Schlegel gehörten. Ferner der Kreis, der sich um den damals ebenfalls noch jugendlichen, durch seine beißenden Epigramme bekannten Professor Kästner sammelte, welcher mathematische und philosophische Vorträge hielt. Gottsched konnte seiner Natur nach Lessing unmöglich zusagen; die Gesellschaft der „Bremer Beiträger“, wie sie hieß, war ihm als Anstalt zu gegenseitiger Beräucherung zuwider, dagegen sprach ihn der geistreiche, scharf denkende, mathematisch geschulte Kästner an, dem er sich denn vorzugsweise anschloß und bei dem er einen gewissen Mylius kennen lernte, der bereits eine populär-naturwissenschaftliche Zeitschrift, „der Naturforscher“, herausgab, für das Theater kleine Stücke geschrieben hatte, mit Schauspielern viel verkehrte und auch seinen jungen Freund in die Gesellschaft derselben einführte. Lessing besuchte in der That nicht nur die Vorstellungen der Neuber’schen Truppe sehr fleißig, sondern machte auch bald Besuche hinter den Coulissen, besonders da eine junge Schauspielerin, die Lorenz, sein Herz gewann, um deren willen er beinahe selbst die Breter betreten hätte. Die Vorliebe für das Theater führte ihn ferner mit Christian Felix Weiße zusammen, der später durch seinen Kinderfreund sich so berühmt machen sollte und auf der Schule schon ein Lustspiel entworfen hatte. Da nun Beide nichts weniger als Ueberfluß an Geld besaßen, so übersetzten sie in Gemeinschaft verschiedene französische Stücke, welche die Neuberin aufführen ließ und den jungen Autoren mit einem Freibillet lohnte. Diese Beschäftigung Lessing’s mit dem Theater sagte freilich Manchen nicht zu, namentlich seinem Stubenburschen Jos. Fr. Fischer, der später Rector der Thomasschule in Leipzig wurde und dem bekannten Rochlitz, als derselbe von der Schule abging, seinen ehemaligen Jugendfreund in einer donnernden Rede als warnendes Beispiel vorführte. Rochlitz hatte nämlich in dem schrecklichen Verdacht gestanden, deutsche Bücher zu lesen und sogar deutsche Gedichte zu machen, und der Rector sagte zu ihm: „Laß Er sich retten vom Verderben, denn dahin führt’s doch, und das dauert mich um so mehr, weil ich bei solchen Vergehungen allemal an ein Exempel denken muß, an ein Exempel aus meiner Jugend, das mir noch heute durch die Seele geht. Wie ich nämlich von Coburg hierher auf die Universität kam, da zog ich mit Einem zusammen, der guter Leute Kind war, ein Predigersohn aus der Lausitz. Wir wohnten in der Burgstraße drüben in der alten Baderei. Was hatte Gott dem Menschen für Gaben verliehen! Wie konnte der Griechisch und Lateinisch! Was hätte aus dem werden können! Aber er hatte auch so einen Hang. Er hatte schon vorher viel deutsch gelesen, nun gewöhnte er sich auch deutsch zu schreiben und machte deutsche Verse. Nun ging’s immer weiter und war kein Haltens mehr. Er war mein bester Freund, er war mein einziger auf der ganzen Universität, aber – ich zog von ihm, denn ich konnt’s nicht mit ansehen. Er fing sogar an Komödien zu schreiben. Und nun – nun wurde er nach und nach – ach! ich mag’s gar nicht sagen! Frag’ Er nur die Leute, die ’s verstehen. Der Kerl hieß – Lessing.“

Die Veranlassung, die Lessing vermocht haben soll, ein eigenes Stück auf die Bühne zu bringen, erzählt man in folgender Weise: Es hatte ein Stück aus der Gottsched’schen Schule sehr gefallen oder war doch wenigstens höchlich gerühmt worden. Nur der junge Lessing wußte viel daran auszusetzen. Da entgegnete man ihm, wie gewöhnlich, tadeln sei leichter als besser machen, und sofort nahm Lessing den Entwurf eines Lustspiels vor, an dem er bereits auf der Schule in Meißen gearbeitet hatte, vollendete dasselbe, legte das Stück dem Professor Kästner vor, ging es mit seinen Freunden Mylius und Weiße durch und begab sich dann mit dem Letztern zu seiner Gönnerin, der Principalin Neuber, um es auch ihr vorzulegen und ihr Urtheil einzuholen. Die erfahrene Frau erkannte sofort in dem Dichter des „jungen Gelehrten“ – denn dieses Erstlingswerk Lessing’s war es – den ungewöhnlich begabten Geist. Sie begrüßte ihn als theatralisches Genie und nannte ihn prophetisch die aufgehende Sonne der Nationalbühne. Diese Scene ist es, welche unser Künstler im vorstehenden Bilde dargestellt hat. Im Januar des Jahres 1748 wurde das Stück in Leipzig zum ersten Male aufgeführt und es fand mit Recht den größten Beifall. War es doch – und man bedenke, daß der Dichter erst neunzehn Jahre zählte! – das erste echt deutsche Lustspiel, ein Bild aus dem frischen Leben, mit scharfgezeichneten, treu durchgeführten Charakteren und einem geistvollen, pointirten Dialoge, wie man ihn bis dahin auf der Bühne nicht gehört hatte. Daß ihm noch Spuren der Zopfzeit anhängen, daß es Mängel mancher Art hat, wer wollte es leugnen? Gewiß und unbestritten ist es aber das erste moderne deutsche Lustspiel, das allen nachfolgenden die Bahn vorgezeichnet hat.

Dem Dichter sollte indeß der glänzende Sieg zunächst sehr bittere Früchte tragen. Seine Eltern hatten schon von seinem Theaterbesuche, ja von seinem Umgange mit Komödianten gehört und sie kamen in große Besorgniß um das körperliche und Seelenheil des Sohnes, den sie am liebsten so bald als möglich auf der Kanzel gesehen hätten. Um sich von der Wahrheit oder Unwahrheit der Gerüchte zu überzeugen, gaben sie einem die Leipziger Neujahrsmesse von 1748 besuchenden Kamenzer Kaufmann einen Weihnachtsstollen für ihren Ephraim, aber auch die Weisung mit, sich über dessen Leben genau zu unterrichten und ihnen Bericht zu erstatten. Der gute Mann mußte nun allerdings melden, daß der junge Lessing nicht nur eine Komödie geschrieben habe, nicht nur mit Komödianten umgehe, sondern sogar den ihm gesandten Weihnachtsstollen in Ausgelassenheit mit denselben verzehrt habe. Das war für die frommen Eltern zu viel. Der Vater ließ alsbald einen Brief abgehen, in dem er den Sohn aufforderte, augenblicklich nach Hause zu kommen. Lessing that es, blieb bis Ostern in der Heimath und söhnte sich mit den Eltern aus, wenn er auch nicht Prediger, nicht Professor geworden ist. Und daß er dies nicht geworden, ist ein Glück für Deutschland gewesen, das viel ausgezeichnete Prediger und Professoren, aber nur einen Lessing zählt.

Diezmann.