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James A. Garfield (Die Gartenlaube 1881/6)

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Textdaten
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Autor: Rudolf Doehn
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Titel: James A. Garfield
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 6, S. 98–103
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1881
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[98]

James Garfield,

der nächste Präsident der Vereinigten Staaten.
Den Deutsch-Amerikanern zum 4. März 1881.

Am 2. November vorigen Jahres hat der erbitterte Wahlkampf, der mehrere Monate hindurch die politischen Leidenschaften des amerikanischen Volkes erregte und auf dem weiten Gebiete der Vereinigten Staaten, von den kanadischen Seen bis zum Golf von Mexico, von den Küsten des Atlantischen Oceans bis zu den Gestaden des Stillen Meeres, mit steigendem Wetteifer geführt wurde, sein Ende erreicht. Die Candidaten der republikanischen Partei, James A. Garfield und Chester A. Arthur, trugen, der erstere für das Amt des Präsidenten, der letztere für das des Vicepräsidenten, über ihre demokratischen Gegner, Winfield S. Hancock und William H. English. den Sieg davon.

Der Mann aber, welcher nunmehr durch die Stimme seines Volkes berufen ist, vom 4. März 1881 an als das den regierenden Häuptern der mächtigsten Nationen gleichgestellte Oberhaupt der großen transatlantischen Republik eine hervorragende Rolle in der Geschichte seines Landes zu spielen, führte noch vor wenig mehr als fünfundzwanzig Jahren als Holzhacker, Farmarbeiter und Bootsmann auf dem Ohio- und Erie-Canal ein äußerst hartes, [99] schwerbedrängtes Leben. Allein schon zu jener Zeit mochte wohl, wie einer seiner Biographen meint, Mancher, der den strebsamen, mit unerschütterlicher Ausdauer und Willenskraft sich emporringenden Jüngling näher kannte, zu der Ueberzeugung gekommen sein, daß in dem eigenthümlich gearteten, pflichttreuen jungen Manne Kräfte schlummerten, die ihn dereinst einem höhern, von dem gewöhnlichen Lebensweg weit abliegenden Ziele entgegenzuführen im Stande wären.

Die äussere Erscheinung, namentlich die Gesichtsbildung, Garfield’s ließ vielleicht ein deutsch-amerikanisches Blatt, das in St. Louis im Staate Missouri erscheint, zu der Annahme gelangen, daß er deutscher Abkunft sei und sein Name ursprünglich Garfelder oder Gerbefelder lautete. Allein dem ist nicht so; Garfield’s Familie stammt aus Neu-England. Der erste seiner Vorfahren in Amerika, welcher Edward hieß, kam um’s Jahr 1630 aus Chester in England nach Massachusetts und ließ sich dort in dem Städtchen Watertown nieder.

Die eigentliche Familiengeschichte unseres Garfield beginnt indessen erst mit dessen Urgroßvater, Solomon Garfield, der im Jahre 1766 die Wittwe Sarah Stimpson heirathete und nach der Stadt Weston in Massachusetts zog. Abraham Garfield, ein Bruder Solomon’s, kämpfte beim Ausbruch des Unabhängigkeitskrieges in dem ruhmreichen Gefechte bei Concord. Als nach dem Revolutionskriege eine starke Auswanderung aus Massachusetts nach den wilden, noch wenig bewohnten Gegenden der mittleren Theile des Staates New-York stattfand, wanderte auch Solomon Garfield dorthin und kaufte bei Worcester in Otsego County ein Stück Land, auf welchem er mit seiner Frau und fünf Kindern, Thomas, Solomon, Hannah, Rebecca und Lucy, die Farmerei betrieb. Der älteste Sohn Thomas, der Großvater des Generals Garfield, wuchs in Worcester auf, führte ein achtbares Mädchen, Asenath Hill, als Gattin heim und ernährte sich und die Seinigen ebenfalls als Farmer. Sein ältester Sohn Abraham, geboren 1799, war ein hochgewachsener, kräftiger, auch höheren Bestrebungen nicht abgeneigter Mann, der, etwas unruhiger Natur, längere Zeit eine Art Wanderleben in den noch wenig bebauten Gegenden seiner Heimath führte, schließlich aber doch die ebenso liebenswürdige, wie fleißige, einer Hugenottenfamilie entsprossene Eliza Ballon heirathete und in Cuyahoga County, im Staate Ohio, wo die ihm verwandte Familie der Boyntons wohnte, in der Nähe von Orange eine Farm erwarb. Hier nun wurde James A. Garfield am 19. November 1831 als das jüngste von vier Kindern geboren. Sein Vater, der sich bei einer Feuersbrunst zu sehr angestrengt hatte und in Folge dessen schwer krank geworden war, starb leider schon im Mai 1833 und ließ seine Familie in sehr bedrängten Verhältnissen zurück. Kurz vor seinem Tode sprach er, auf seine Kinder zeigend, zu seiner Frau:

„Eliza, ich habe vier Schößlinge in diese Wälder gepflanzt; ich muß sie vor der Zeit Deiner Sorge überlassen.“

Und die Wittwe, obschon tief niedergebeugt durch den allzu frühen Verlust ihres Gatten, verlor den Muth nicht; sie arbeitete fleißig im Hause und auf dem Felde, spann Garn und Wolle und wob selbst die Kleider für sich und ihre vier Kinder. Ihr ältester Sohn Thomas, der jetzt in Michigan lebt, stand ihr lange Zeit treu zur Seite, ebenso ihre beiden Töchter, Mehetabel und Mary, die gegenwärtig verheirathet sind und zu Salem in Ohio wohnen. Auch der kleine James mußte, sobald es seine Kräfte erlaubten, die Hände mit anlegen und bei der Bebauung der kleinen Farm helfen; er lernte schon früh den Acker’ pflügen und besäen, das Getreide und das Gras mähen, den Hammer und das Beil schwingen und die Säge führen.

Die Farm der Garfield’s lag sehr einsam; Besuch kam selten, nur die Boynton’s ließen sich öfters sehen und halfen der Wittwe mit ihren Kindern durch Rath und That. Garfield’s Mutter war, ohne einer orthodoxen Richtung anzugehören, eine wahrhaft religiöse Frau; es verging kein Tag, wo sie nicht ihren Kindern passende Stellen aus der Bibel vorlas. Auch der Oheim Boynton, der seine Unterhaltung gern mit Bibelsprüchen schmückte, war ein starker Bibelheld; er trug dieses Buch überall mit sich, auch bei der Arbeit auf dem Felde, und wenn er ermüdet auf der Pflugschar ausruhte, so las er nicht selten zur Stärkung ein Capitel aus der Bibel. Im Norden von Ohio herrschte überhaupt nur diese Zeit ein sehr religiöser Sinn; es gab dort die verschiedensten Secten, worunter die Campbelliten, Anhänger des Schotten Campbell, zahlreich vertreten waren. Diese Seele, der sich auch die Garfield’s anschlossen, verwarf alle Dogmen und Glaubensbekenntnisse; die Bibel war ihre einzige Richtschnur; Gastfreundschaft, Bruderliebe und Wohlwollen gegen Alle, ohne Unterschied des Standes und der Abstammung, erkannten die Campbelliten als ihre leitenden Grundsätze an. Wenn Fremde auf der Garfield’schen Farm vorsprachen, waren es meistens Reiseprediger.

Die Unterhaltung mit den Nachbarn drehte sich in der Regel um Farmarbeiten und religiöse Dinge, während, politische Fragen in zweiter Reihe standen. Der Sinn des jungen James wurde auf diese Weise schon früh auf die Lehren Campbell’s hingelenkt, obschon er der Politik seine Aufmerksamkeit nicht ganz versagte. Als er in seinem siebenten oder achten Lebensjahre einmal gefragt wurde, ob er der Partei der Whigs oder derjenigen der Demokraten angehörte, antwortete er nach einigem Zögern:

„Ich bin ein Whig, aber ich bin noch nicht getauft.“ Der Knabe setzte voraus, daß die politischen Parteinamen mit den religiösen Fragen, von denen er so oft sprechen gehört, in Verbindung ständen.

Den ersten Unterricht genoß James A. Garfield in einer Districtschule. Der kleine James war in der Schule sehr unruhig, lernte aber doch das Lesen sehr schnell, sodass er ein Neues Testament als Belohnung für seinen Fleiß erhielt. Es werden verschiedene Geschichten aus der ersten Schulzeit des späteren Generals und Congreßrepräsentanten erzählt; so soll er ohne Veranlassung selten mit seinen Mitschülern in Streit gerathen sein, durch Neckereien und Beleidigungen wurde er aber leicht in hellen Zorn versetzt, und dann kam es zu harten Kämpfen, aus denen James, der für sein Alter ungewöhnliche Kräfte besaß, meistens als Sieger hervorging.

Zeitungen und Tagesblätter gab es in dem Garfield’schen Haushalte lange Zeit nicht; das erste Blatt dieser Art, auf welches, wie der General sich entsinnt, seine Mutter abonnirte, war die religiöse Wochenschrift „Der Protestantische Unionist“, der in Pittsburg erschien. Die wenigen Bücher, welche er zu Hause fand oder von den Nachbarn erhalten konnte, las James mit dem größten Eifer und wußte sie fast auswendig, da er mit einem sehr guten Gedächtniß begabt war. Den kleinen „Robinson Crusoe“ las er so oft, bis das Buch in Stücke zerfiel. Außerdem studirte er, so weit seine Feld- und häuslichen Arbeiten es zuließen, Kirkhain’s Grammatik, die Rechenbücher von Pike und Adam und Woodbridge’s Geographiebuch. Spielsachen und Bilder fand man in der Familie Garfield’s nicht; seine Mutter war zu arm, um solche Dinge zu kaufen. Im Uebrigen würde man mit der Annahme irren, daß die Garfield’s viel ärmer gewesen seien als die meisten ihrer Landsleute. Zu der Zeit, von welcher hier die Rede ist, befanden sich fast alle Farmerfamilien im nördlichen Ohio in mehr oder weniger ärmlichen Verhältnissen; bei den Garfield’s war dies nur in etwas höherem Grade der Fall, weil das Haupt der Familie so frühzeitig gestorben war. Auch besserte sich die Lage der Mutter, als die Söhne erwachsen waren. Im Uebrigen galt Armuth für keine Schande, und der Reichere sah nicht stolz und übermüthig auf den Aermeren herab, wie dies dort vielleicht in der Gegenwart der Fall sein mag. In Garfield’s Jugend entehrten, wie er selbst bestätigt, wohl Faulheit, Unmüßigkeit und unsittlicher Lebenswandel in seiner Heimath den Menschen; jegliche Art von ehrlicher Arbeit stand dagegen in hoher Achtung und fand überall die vollste Anerkennung.

Als Garfield das sechszehnte Lebensjahr erreicht hatte, ging er in benachbarte Landbezirke und verdiente sich durch Farmarbeit und Holzfällen eine runde Summe Geldes, mit der er seine Mutter unterstützte. Der lebhafte Schiffsverkehr auf dem Eriesee weckte in ihm die Lust, Seemann zu werden, und so brach er denn nach Cleveland auf und arbeitete um’s Jahr 1848 als Bootsmann auf einem Canalboote, welches Kohlen und Eisen nach Pittsburg brachte. Allein dieses Leben konnte er trotz seiner kräftigen Körperconstitution nicht recht vertragen; was er im Sommer verdient hatte, ging während des Winters für Medicin und ärztlichen Beistand wieder hin. Seine Mutter, welche niemals seine Neigung zum Schiffs- und Seeleben gebilligt hatte, bekämpfte diese Leidenschaft ihres Sohnes durch eine andere, und zwar durch den Trieb nach Wissen. Hier kam ihr ein ausgezeichneter Districtslehrer, Namens Samuel D. Bates, zu Hülfe. Man stellte dem lernbegierigen Jünglinge vor, wie es viel lohnender sei, durch wissenschaftliche Kenntnisse zu Ehre und Ansehen zu gelangen, als [100] durch harte körperliche Arbeit. So geschah es denn, daß Garfield im Frühjahr 1849 die sogenannte Geauga Akademie in der Stadt Chester mit 17 Dollars in der Tasche bezog, eine Summe, die er von seiner Mutter und seinem Bruder Thomas erhielt. Dieses Lehrinstitut stand unter der Obhut eines gewissen Daniel Branch, dessen Frau die Abtheilung für weibliche Schüler leitete; und hier war es, wo Garfield seine spätere Frau, Lucretia Rudolph, die nur wenig jünger als er war, kennen lernte. Die Geauga Akademie hatte eine kleine Bibliothek von nahezu zweihundert Büchern, die Garfield mit Eifer benutzte. Obschon er mit dem größten Fleiße seinen Studien oblag, so war er doch, um sich Kost und Wohnung zu verdienen, bald gezwungen, dem Zimmermann Heman Woodworth bei dessen Berufsarbeiten am Sonnabend und in den sonstigen Freistunden hülfreiche Hand zu leisten, aber für die Sommermonate, wo Ferien waren, kehrte er zu seiner Mutter zurück und unterstützte dieselbe durch Farmarbeiten, wo und wie er nur konnte. Nach zwei Jahren verließ er die Geauga Akademie und trat im August 1851 in eine höhere Schule ein, die erst kürzlich in dem Städtchen Hiram in Portage County gegründet war, und nun wollte es der Zufall, daß er hier abermals mit Lucretia Rudolph zusammentraf, da deren Eltern nach Hiram gezogen waren. Gegenseitige Neigung verband bald die beiden jungen Herzen, und sie beschlossen, ein Paar zu werden, sobald Garfield das College absolvirt, das Examen bestanden und einen festen Lebensberuf ergriffen habe.

In Hiram war es auch, wo Garfield im Jahre 1850 sich taufen ließ, doch ohne sich einer bestimmten Secte anzuschließen. Er bewahrte sich seine freie religiöse Meinung und blieb im Wesentlichen den Campbelliten, in deren Kirchen er später wiederholt Vorträge hielt, getreu. Während Garfield fleißig weiter studirte und im Winter, wo auf der Lehranstalt in Hiram kein Unterricht gegeben wurde, zu Warrensville für achtzehn Dollars den Monat als Schulmeister fungirte, hatte seine Braut Lucretia in Cleveland eine Anstellung als Lehrerin gefunden.

Endlich, im Jahre 1854, war Garfield in seinem Wissen so weit fortgeschritten, daß er das Williams-College in Neu-England, an dessen Spitze Dr. Hopkins stand, besuchen konnte. Er hatte sich durch den Unterricht, den er in Warrensville ertheilt, eine kleine Summe erspart und erhielt durch die Verpfändung der Police einer Lebensversicherung, in die er sich mit Hülfe seines Bruders und eines gewissen Dr. Robinson eingekauft hatte, eine weitere Summe, sodaß er den Cursus auf dem Williams-College, ohne zu sehr in Noth zu gerathen, bei weiser Sparsamkeit zu absolviren im Stande war.

In: August 1856 bestand er mit Auszeichnung sein Examen. Er hatte die alten Sprachen, das Lateinische und Griechische, ziemlich gut inne, auch konnte er sich im Deutschen gewandt ausdrücken und war wohlbewandert in Goethe’s und Schiller’s Werken, während er von den englischen Schriftstellern, außer Shakespeare, vornehmlich Dickens, Thackeray und Tennyson liebte. Geschichte gehörte zu seinen Lieblingsfächern, und bei den Debattirübungen, die häufig auf dem College vorgenommen wurden, zählte er zu den gefürchtetsten Gegnern. In der letzten Zeit seines Aufenthaltes auf dem Williams-College gewann er auch ein lebhaftes Interesse für politische Fragen; er war ein begeisterter Anhänger von John C. Fremont, dem ersten Präsidentschafts-Candidaten der republikanischen Partei, zu der ihn vornehmlich sein Haß gegen das Institut der Negersclaverei hinzog.

In die Heimath zurückgekehrt, wurde Garfield von seinen Freunden und Bekannten mit großer Liebe empfangen. Man war dort seit einiger Zeit bemüht gewesen, eine höhere Lehranstalt unter dem Namen „Hiram Eclectic Institute“ zu errichten, in der eine mehr classische Bildung auf religiöser Grundlage zu möglichst niedrigen Preisen gewonnen werden könnte, und so war es natürlich, daß man seine Aufmerksamkeit auf den mit guten Zeugnissen von einem renommirten College des Osten heimkehrenden Landsmann lenkte und denselben für die neue Anstalt zu gewinnen suchte. In der That erhielt der fünfundzwanzigjährige Garfield eine Anstellung an dem erwähnten Institut als Lehrer der lateinischen und griechischen Sprache, und da er sich in dieser Stellung rühmlichst hervorthat, so wurde er schon nach einem Jahre zum Präsidenten der Anstalt gewählt. Diese für einen so jungen Mann seltene Auszeichnung war nun Garfield bemüht durch verdoppelten Fleiß und gewissenhafte Amtsführung zu verdienen, und er hatte das Glück, die seiner Leitung anvertraute Schule kräftig emporblühen zu sehen. Allein seine umfassende Lehrerthätigkeit hinderte ihn nicht, sich eifrig juristischen Studien hinzugeben; denn es war schon zu der Zeit, wo er sich mit Lucretia Rudolph, verlobte, sein Lieblingswunsch gewesen, dereinst ein tüchtiger Rechtsanwalt zu werden. Seine Stellung als Präsident des Hiram-Instituts hatte es ihm unterdessen ermöglicht, seine Braut als Gattin heimzuführen, und diese ist ihm stets eine verständnißvolle Begleiterin und eine treue Stütze in seinem vielbewegten Leben gewesen.

Der Präsidentschaft-Candidat der republikanischen Partei John C. Fremont war zwar bei der Präsidentenwahl im Jahre 1856 seinem demokratischen Gegner James Buchanan gegenüber unterlegen, aber der „unabwendbare Conflict“, der zwischen dem Norden und Süden der Union, zwischen den beiden Arbeitssystemen, dem der freien Arbeit und dem der Sclavenarbeit, bestand und in seinen Folgen bis in die neueste Zeit fortgedauert hat, hatte seine Lösung nicht gefunden. Die blutigen Kansas-Nebraskawirren warfen dunkle Schatten auf die sociale und staatliche Fortentwickelung der Vereinigten Staaten, und der Sclavenaufstand des alten John Brown, des „Helden von Osawatomie“, erregte die Gemüther aller denkenden Bürger in der nordamerikanischen Union. In der Gebirgsschlucht von Harper’s Ferry ertönten am 17. Oktober 1859 einige Musketensalven, denen bald der laute Donner des Secessionsgewitters antworten sollte. John Brown unterlag bei seinem Befreiungsversuche und erlitt am 2. December den Tod eines Verbrechers am Galgen. Sein Tod erlöste den Norden der Vereinigten Staaten von dem verderblichen, aber leider mächtigen politischen Zauber, womit die herrschsüchtigen Sclavenhalter des Südens den sonst so klaren Sinn der nördlichen Unionsbürger nur zu lange gefangen gehalten hatten. Die Trauer, welche durch das erschütternde Ende des alten Freiheitskämpfers in den verschiedensten Bevölkerungsschichten wachgerufen wurde, verwandelte sich bald in Begeisterung für die Sache, für die er sich zum Opfer gebracht hatte, und das schlichte, aber ergreifende Lied:

„Im Grabe modert John Brown’s Leib;
Sein Geist geht uns voran –“

führte nach zwei kurzen Jahren Tausende und aber Tausende in den blutigen Entscheidungskampf, welcher die Macht des rebellischen Südens brach und die Negersclaverei vernichtete.

Auch James A. Garfield konnte sich der eben geschilderten Bewegung nicht entziehen. Während der Jahre 1857 und 1858 nahm er lebhaften Antheil an allen politischen Fragen des Tages, sodaß sein Ansehen stieg, und im Jahre 1859 wurde er in den Senat der Gesetzgebung von Ohio gewählt. Hier zählte er bald zu den einflußreichsten Vorkämpfern für die nationale Einheit und Freiheit der Union, und als der Sturm des Secessionskrieges losbrach, griff auch er zu den Waffen. Freiwillige eilten massenhaft, sich einreihen zu lassen in die Schaaren der Kämpfer gegen die südlichen Rebellen, und in Hiram bildete sich eine Compagnie, die fast ausschließlich aus Schülern Garfield’s bestand; er selbst wurde zum Obersten eines Freiwilligen-Regiments erwählt und im December 1861 nach dem östlichen Kentucky commandirt. Wir müssen darauf verzichten, seine Soldatenlaufbahn hier genauer zu verfolgen, so ruhmreich sie auch für ihn war. Sein Sieg über den Rebellenführer Humphrey Marshall bei Piketon und Prestenburg verschaffte ihm den Rang eines Brigadier-Generals; er kämpfte mit unter Grant bei Pittsburg Landing, nahm Theil an der Belagerung von Corinth an der Grenze der Staaten Tennessee und Alabama, und war Mitglied des Kriegsgerichts, das über den General Fitz John Porter urtheilte. Im Januar 1868 wurde er vom Präsidenten Lincoln zum Stabschef der Cumberland-Armee ernannt, die unter dem Befehl des Generals Rosecranz stand, zu dessen intimsten Freunden und Rathgebern er gehörte, und in der äußerst blutigen, aber für die Unions-Armee nicht gerade glücklichen Schlacht bei Chickamauga zeichnete er sich so sehr aus, daß er zum Generalmajor befördert wurde.

Während aber Garfield sich als Soldat ruhmreiche Lorbeeren pflückte, vergaßen ihn seine Landsleute in der Heimath nicht. Derselbe Congreßdistrict, welcher so oft den edlen Freiheitsvertheidiger Joshua R. Giddings, den Freund des früheren Präsidenten John Quincy Adams, in die Bundesgesetzgebung gesandt, wählte im Sommer 1862 James A. Garfield zu seinem Vertreter im Repräsentantenhause des Congresses. Lange Zeit schwankte Garfield, ob er bis zum Ende des Krieges in der Armee bleiben oder dem [102] ehrenvollen Rufe, als Gesetzgeber in die Bundeslegislatur einzutreten, Gehör geben sollte. Schließlich entschied er sich jedoch für das Letztere, erfüllte aber seine militärischen Pflichten bis zum December 1863, wo er seinen Sitz im Repräsentantenhause zu Washington City einnahm, den er durch die Wahl seiner Mitbürger bis auf diesen Augenblick mit Ehren behauptete. Garfield zählt eben zu den von Gott begnadeten Menschen, die, ohne sich vorzudrängen, überall, wo sie erscheinen und thätig eingreifen, sich Liebe, Achtung und Ansehen zu erwerben verstehen. So geschah es auch im Congreß. Er wurde bald in die wichtigsten Ausschüsse gewählt und vertheidigte als Redner seine Ansichten im Plenum in so sachlicher Weise und mit solcher logischen Schärfe, daß er sehr bald zu den wirksamsten Congreßrednern gehörte. Fast bei jeder Debatte von Bedeutung fand seine Meinung Gehör und achtungsvolle Berücksichtigung. Das Gesetz, welches ein nationales Erziehungsbureau in’s Leben rief, wurde von ihm in Vorschlag gebracht und durchgesetzt. Seine Reden über die in alle staatlichen und socialen Verhältnisse so tief eingreifende Finanzfrage gewannen ihm den Ruf eines der gründlichsten Kenner der finanziellen Zustände der Union. Die von ihm im Jahre 1868 gehaltene Rede über Silber- und Papiergeld fand auch ihren Weg nach Europa und trug nicht wenig dazu bei, den Nationalcredit der Vereinigten Staaten diesseits des Atlantischen Oceans zu stärken und aufrecht zu erhalten. In England wurde diese Rede so beifällig begrüßt, daß der bekannte Cobden-Club den Beschluß faßte, Garfield ihretwegen zum Ehrenmitglied zu ernennen, eine Auszeichnung, die bis dahin nur wenigen amerikanischen Congreßleuten, z. B. dem verstorbenen Bundessenator Charles Sumner, zu Theil geworden ist. In fast allen wesentlichen Fragen ist Garfield ein warmer Unterstützer der Reformpolitik des Präsidenten Rutherford B. Hayes gewesen. Als James G. Blaine, Vertreter des Staates Maine im Congresse, im Jahre 1877 in den Senat gewählt wurde, übernahm Garfield auf einstimmigen Wunsch seiner Parteigenossen die Führerschaft derselben im Repräsentantenhause, und im Januar 1880 wurde er von der Legislatur des Staates Ohio an Stelle des Demokraten Allen G. Thurman zum Mitglied des Bundessenats gewählt, in den er am 4. März 1881 eingetreten sein würde, wenn er nicht in der letzten Präsidentenwahl zum Oberhaupt der Vereinigten Staaten berufen worden wäre. Auf die Geschichte seiner Nomination zum Bannerträger der republikanischen Partei in dem vorjährigen Präsidentenwahlkampfe hier näher einzugehen, ersparen wir uns, weil wir darüber bereits in einer früheren Nummer dieses Blattes (Nr. 30 von 1880) berichteten.

Garfield verfügt über eine so außerordentliche Arbeitskraft, daß er neben seiner Thätigkeit als Gesetzgeber und Lehrer auch noch Zeit fand, seinen juristischen Studien mit Erfolg obzuliegen. Im Jahre 1861 wurde er von dem Obergerichte des Staates Ohio zur Rechtspraxis zugelassen, und fünf Jahre später erwarb er die Berechtigung, auch vor dem höchsten Gerichtshöfe der Vereinigten Staaten zu prakticiren. Er hat bei verschiedenen Gelegenheiten eine anerkennenswerthe Unabhängigkeit seiner Ueberzeugung an den Tag gelegt, und als Congreßrepräsentant und Rechtsanwalt Maßregeln, die er für recht erkannte, unterstützt, selbst wenn dieselben sich nicht der Billigung der Majorität seiner Parteigenossen erfreuten. Auch auf literarischem Gebiete hat er sich mit Glück versucht. Unter seinen Schriften verdienen besonders die Essays über den „Amerikanischen Census“, über „College-Erziehung“ und die „Zukunft der Republik“ hervorgehoben zu werden. Eine Reise, die er im Jahre 1867 nach Europa unternahm, hat nur dazu beigetragen, seinen geistigen Blick zu erweitern. Er ist wohlbewandert in der englischen, deutschen und französischen Literatur, und seine Vorliebe für das Deutschthum hat er wiederholt in Wort und That bekundet, so z. B. in der trefflichen, von einem tiefen Geschichtsstudium zeugenden Rede, die er am 17. Februar 1880 im Repräsentantenhause zu Washington City zu Ehren des verstorbenen deutsch-amerikanischen Abgeordneten Schleicher von Texas hielt.

Nicht weniger aber leuchtet seine Anerkennung deutschen Wesens und deutscher Culturarbeit auch aus den Worten hervor, die er am 18. Oktober 1880 an eine große Anzahl deutscher Bürger aus Cleveland richtete, die ihm eine Ovation darbrachten. Er sagte unter Anderem:

„Sie sind die Vertreter alter und beachtenswerther Ueberlieferungen Ihres alten Heimathslandes, und ich weiß, Ihre Herzen schlugen höher bei der Kunde eines Ereignisses, das erst vor wenigen Tagen an Ihrem schönen Rheinstrome stattgefunden hat, als der gewaltige Kölner Dom, an dem 630 Jahre lang gebaut worden, vollendet und dem Frieden geweiht wurde. Dieser Dom hat Herrschergeschlechter, alle Wandelungen auf religiösem Gebiete, jeden Wechsel in der Herrschaft und unzählige Kriege überdauert, um schließlich vom Kaiser Wilhelm dem Frieden und den ruhmreichen Erinnerungen des deutschen Volkes geweiht zu werden. Es ist für Sie unzweifelhaft eine wundervolle Sache, daran Theil zu haben aber, Mitbürger, ich vertraue, daß Sie in dieses Land gekommen sind, um auch uns an dem Aufbau eines großartigen Tempels zu helfen, nicht eines gothischen Bauwerkes, das aus dem Gestein von den Ufern des Rheines aufgeschichtet wird, sondern eines Bauwerkes, das aufgerichtet wird aus den Herzen und dem Leben, dem Streben und Hoffen Aller, die in diese Republik gekommen sind, um sie zu ihrer Heimath zu machen und hier Einrichtungen auszubauen, die nicht, ich vertraue darauf, in 600 Jahren von heute an ihr Ende erreicht haben werden, sondern in ihrer großartigen Anlage immer weiter in die Hohe streben werden, deren Grundlagen sich immer mehr vertiefen, deren Dom stets in die Höhe wachsen und für Alte offen stehen wird, die in dieses Land kommen, um Amerikaner zu sein und ihre Geschicke mit den unserigen zu verflechten. Zu allen diesen Leuten spricht der Genius Amerikas mit den Worten eines deutschen Dichters – ich meine Novalis:

,Gieb treulich mir die Hände,
Sei Bruder mir und wende
Den Blick vor deinem Ende
Nicht wieder weg von mir!
Ein Tempel, wo wir knieen.
Ein Ort, wohin wir ziehen,
Ein Glück, für das wir glühen.
Ein Himmel mir und dir!“’

Es dürfte bekannt sein, daß Garfield in den letzten Jahren außer seinen politischen und geschichtlichen Studien sich sehr viel mit nationalökonomischen Arbeiten beschäftigte, aber weniger bekannt ist es wohl, daß er sich zu Zeiten eifrig mit den alten Classikern zu thun machte. Eines Tages besuchte ihn ein Freund in seiner Wohnung zu Washington City und fand ihn unter lateinischen Büchern vergraben. Auf die Frage, was denn dies zu bedeuten habe, erwiderte Garfield: „Ich fühle mich durch die beständigen politischen Tagesfragen und Kämpfe so ermüdet und überarbeitet, daß ich eine Erholung haben mußte, und da habe ich mir aus unserer Congreßbibliothek alle Bücher zusammengesucht, die über den Horaz handeln. Ich lese die Gedichte des alten Römers, komme dadurch auf andere Gedanken und habe Erholung und geistigen Gewinn zugleich.“

Während des Präsidentenwahlkampfes wurde Garfield von den Demokraten gar häufig der Vorwurf gemacht, daß er sich in unsauberer Weise mit dem amerikanischen Credit Mobilier eingelassen habe. Dies wurde zwar von republikanischer Seite gründlich widerlegt, aber auch verschiedene Aussprüche seiner erbittertsten politischen Gegner sprechen für die Reinheit seines Charakters. So erklärte z. B. der Exgouverneur Hendricks von Indiana, einer der hervorragendsten und talentvollsten Führer der demokratischen Partei, einmal mehreren seiner Gesinnungsgenossen kurz vor dem letzten Präsidentenwahlkampfe: „Ich will Ihnen sagen, wen meiner Ansicht nach die Republikaner für das Präsidentenamt nominiren sollten und wen ich als ihren stärksten Mann betrachte. Er ist ein echter Mann, ein Mann von Grundsätzen, ein ehrlicher Mann und würde einen guten Präsidenten für uns Alle abgeben. Persönlich halte ich ihn für den besten Mann, der für das Präsidentenamt ernannt werden könnte. Ich meine James A. Garfield von Ohio.“

Aehnlich äußerte sich auch Henry Watterson aus Kentucky, bekannt als Politiker, Redner und Journalist, über Garfield, indem er sagte: „Garfield würde nicht im Stande sein, eine unehrliche Handlung zu begehen.“

Solchen Zeugnissen über Garfield’s reinen Charakter schließen sich die Aussprüche anderer bedeutender Demokraten an, z. B. des Senators Thurman, des Congreßrepräsentanten Payne (Ohio), des früheren Vicepräsidenten der südlichen Conföderation, Alexander Stephens und des Richters Black von Kentucky, des Busenfreundes Hancock’s.

In den letzten Jahren pflegte Garfield zur Zeit der Congreßsitzungen mit seiner Familie in einem ihm gehörigen Hause [103] in Washington-City zu leben, das angenehm und wohnlich, wenn auch nicht prachtvoll und splendid eingerichtet ist; denn Garfield gebietet nur über ein mäßiges Vermögen. Wenn der Congreß nicht Sitzung hatte, zog er gern auf eine kleine Farm in der Ortschaft Mentor, in Lake-County im Staate Ohio. Seine Mutter ist noch am Leben und weilt gewöhnlich bei ihrem geliebten Sohne James. Von den fünf Kindern Garfield’s besuchen die beiden ältesten Söhne, Harry und James, eine Schule in New-Hampshire, während seine Tochter Mary oder Molly, wie sie gewöhnlich genannt wird, mit ihren beiden jüngeren Brüdern Irwin und Abraham im elterlichen Hause lebt.

Was schließlich noch die äußere Erscheinung Garfield’s betrifft, so ist er sechs Fuß hoch und stark und kräftig gebaut. Auf seinen breiten Schultern thront ein mächtiger Kopf; aus seinen blauen Augen leuchtet ein milder Ernst, und seine hohe Stirn verräth Gedankenfülle und Festigkeit des Charakters. Ein Vollbart umrahmt ihm Kinn und Wangen, und sein hellbraunes Haar fängt an zu ergrauen. Das ist die äußere Erscheinung des Mannes, der nunmehr das Präsidentenamt der Vereinigten Staaten übernehmen und, wenn nicht alle Anzeichen trügen, ein würdiger Nachfolger seines Landsmannes Hayes von Ohio sein wird.

Rudolf Doehn.