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Die gegenwärtigen Handfertigkeits-Bestrebungen

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Titel: Die gegenwärtigen Handfertigkeits-Bestrebungen
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 6, S. 103
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1881
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[103] Die gegenwärtigen Handfertigkeits-Bestrebungen. In unserer Nr. 4 von 1880 brachten wir von Karl Biedermann einen Aufsatz „Die Erziehung zur Arbeit, eine Forderung des Lebens an die Schule“. Es wurde darin an der Hand der geschichtlichen Entwickelung nachgewiesen, daß in der Bildungsgeschichte des deutschen Volkes die Forderung, den Menschen nicht nur zum Wissen, sondern auch zum Können zu erziehen, schon seit Jahrhunderten, wenn auch mit abwechselndem Erfolge, hervortrete, sowie daß solche neuerdings sich wieder Geltung zu verschaffen suche. Der Aufsatz schloß mit dem Wunsche, daß die mit dem Thema „Erziehung zur Arbeit“ jetzt von Neuem auf die Tagesordnung gesetzte Frage hoffentlich nicht wieder von ihr verschwinden werde, ohne greifbare und bleibende Resultate hinterlassen zu haben. Diese Hoffnung scheint in der That ihrer Erfüllung entgegenzugehen. Eine Anzahl rühriger und zielbewußter Männer hat, ohne bislang unter einander in Verbindung zu stehen, diese Sache an verschiedenen Orten Deutschlands bereits derart weiter gefördert, daß man ihr schon heute den Charakter einer beginnenden Bewegung beilegen darf. In dem Nachstehenden geben wir im Anschluß an unsere früheren Artikel einen Gesammtüberblick über die jüngste Entwickelung dieser wichtigen Angelegenheit.

Im Herbst vorigen Jahres hielt der bekannte dänische Rittmeister von Clauson-Kaas einen Lehrerunterrichtscursus in Emden, an welchem mehr als sechszig Personen Theil nahmen, die meist von Schulbehörden, Communen oder Vereinen abgesandt waren. Fast alle deutschen Gaue von Königsberg in Preußen bis Zabern im Elsaß waren hier vertreten. Die in dem Cursus Ausgebildeten wirken gegenwärtig als eifrige Pioniere in ihren Heimathsgauen, und wir werden demnächst in der Lage sein, diejenigen Orte zusammenzustellen, in welchen, vornehmlich in Folge der von Emden ausgegangenen Anregung, weitere Arbeitsschulen errichtet worden sind: heute seien nur erwähnt: Königsberg in Preußen, Eisenach, Meißen, Rochlitz, Dresden, Zittau, Chemnitz, Plauen, Emden, Osnabrück, Waldenburg in Schlesien, Dörnhau, Görlitz, Liegnitz, Augsburg, Würzburg und Zabern.

In Leipzig war es die „Gemeinnützige Gesellschaft“, welche sich des Gedankens der Arbeitsschule annahm: sie beauftragte zunächst eines ihrer Mitglieder mit der Abfassung einer Denkschrift, welche den Werth und die Ziele einer praktischen Beschäftigung der Jugend darlegen sollte; darauf errichtete man eine Arbeitsschule und sucht nun durch Vorträge an anderen Orten das Interesse für diesen Gegenstand weiter wachzurufen.

In Schlesien ist der Stadtrath von Schenckendorff zu Görlitz für die Entwickelung dieser Volkswohlfahrtsfrage zunächst eingetreten, indem er die Vorstände der Görlitzer Corporationen, Behörden und Vereine dafür gewann, mit ihm gemeinsam der preußischen Unterrichtsverwaltung eine Denkschrift zu überreichen, in welcher einerseits der Werth und die Bedeutung des Handfertigkeitsunterrichts dargelegt war und andererseits das Ministerium gebeten wurde, durch Entsendung von Commissarien nach Dänemark und Schweden eine eingehende Prüfung der in den skandinavischen Ländern schon mehr entwickelten Handfertigkeitsanstalten bewirken zu lassen; sollte diese Prüfung zu einem guten Resultate führen, so möchte, wie die Denkschrift weiter ausführt, auch der Staat eine fördernde Stellung zu dieser Sache einnehmen. Der Grundgedanke der Denkschrift ging dahin, daß Volk und Staat gemeinsam an die Lösung dieser ebenso wichtigen wie schwierigen Frage herantreten sollten. Die Stellungnahme des Ministeriums, welches schon früher die Berliner Arbeitsschule unterstützt hatte und in neuester Zeit der Waldenburger Arbeitsschule den namhaften einmaligen Betrag von 2000 Mark zuwendete, zu dem gedachten Antrage war eine durchaus wohlwollende, und in der That sandte dasselbe zu Anfang November vorigen Jahres eine aus acht Mitgliedern bestehende Commission nach Dänemark und Schweden ab. Aus der Sitzung des preußischen Abgeordnetenhauses vom 15. December vorigen Jahres ist bekannt, in welcher Weise sich das der Stellung nach älteste Mitglied der Commission, der geheime Regierungsrath Schneider, über das Resultat dieser Besichtigung geäußert hat. Schneider sagte, daß er auf dieser Reise gesehen habe, wie die Sache im großen Stile möglich und ausführbar sei; er glaube, daß, wenn sie richtig betrieben würde, die allgemeine (formale) Bildung gewiß gefördert werden könne, und gestände zu, daß diese Sache Seiten habe, mit welchen man sich durchaus befreunden müsse. Er neige daher, wiewohl er sich nicht gerade für eine obligatorische Einführung des Handfertigkeits-Unterrichts aussprechen könne, doch zu der Annahme, daß es wünschenswerth erscheine, allen freiwillig von Privaten oder Gemeinden gemachten Versuchen Seitens der Unterrichtsverwaltung nicht nur eine entschieden wohlwollende Beachtung, sondern auch eine thatsächliche Förderung entgegenzubringen.

Diese Aeußerungen sind hochbeachtenswerth und stimmen im Großen und Ganzen, soweit uns bekannt, auch mit den Ansichten der übrigen Commissionsmitglieder überein. Gewiß denkt aber Niemand in Deutschland daran, den Handfertigkeits-Unterricht schon jetzt als einen obligatorischen Lehrgegenstand in den Schulen einzuführen; es hieße das sicherlich nichts anderes, als mit dem voraussichtlichen Ende beginnen wollen. Soll die Sache gedeihen, so müssen auf dem Wege der freien Entwickelung zunächst die weitesten Kreise des Volkes dafür interessirt werden: hat sie dann in den allgemein verbreiteten Arbeitsschulen Boden gefaßt und hier den Beweis erbracht, daß durch die Anleitung zu Handfertigkeiten die Volkswohlfahrt in der That wesentlich gefördert wird, so kann dann die endgültige Lösung der Frage kaum irgend welchen Schwierigkeiten mehr begegnen.

Schenckendorff legte ferner der königlichen Regierung zu Oppeln in einem Promemoria den Werth dar, welchen die Arbeitsschulen für die sittliche Erziehung der Bevölkerung in den oberschlesischen Nothstandsdistricten haben dürften. Die Oppelner Regierung, welche diese Anregung durchaus sympathisch aufnahm, hat in Folge dessen zu Kobier eine Arbeitsschule in’s Leben gerufen. Hoffentlich geht die genannte Regierung, welcher jetzt so namhafte Staatsmittel für die Schulen in Oberschlesien zur Verfügung gestellt sind, energisch weiter nach dieser Richtung vor.

In Baiern hat sich der „Volkserziehungs-Verein zu München“ dieser Angelegenheit, und zwar auf breitester Grundlage angenommen; Lorenz Illing sagt darüber: „Der Volkserziehungs-Verein zu München will, vor der Hand auf dem Wege der Privatthätigkeit, mehrere Schulwerkstätten in verschiedenen Stadttheilen errichten, sodann einen Bildungscursus für Arbeitslehrer, wenn möglich eine Bildungsanstalt für männlichen Arbeitsunterricht in’s Leben rufen und die auf diesem Gebiete speciell gesammelten Erfahrungen bei der anzustrebenden Durchführung und Einführung von Schülerwerkstätten den Behörden etc. zur Verfügung stellen. Dabei rechnet er auf die Mitwirkung des Gewerbe- und Lehrerstandes, der Behörden und der Staatsregierung und des Comités zur Hebung des baierischen Gewerbes in Stadt und Land, weil es sich nicht blos um thatsächliche Verbesserung der Volksschule, die Bildung, Erziehung und den Unterricht des Volkes, sondern auch um Förderung der Industrie und des Gewerbes in seinen elementarsten Erscheinungen handelt.“[1]

So möge denn diese beginnende Bewegung sich mehr und mehr über unser Vaterland ausbreiten und in den weitesten Schichten des Volkes Wurzel fassen. Große Aufgaben stellt unsere Zeit; sollen wir ihnen ganz und dauernd genügen, so muß vor Allem die Erziehung hierin mitwirken; sie muß nicht nur, wie jetzt, das Gemüth und den Verstand bilden, sondern auch die praktische Veranlagung des Menschen in ihr Bereich ziehen. Ein frischer Hauch wird dann den jugendlichen Geist beleben, und gesunder an Leib und Seele wird der Mensch dem Leben zugeführt werden, aber auch ein erweitertes Lebensglück des Einzelnen, eine erhöhte Leistungsfähigkeit der Nation und eine segensreiche Gewöhnung des Menschen von Jugend auf an die Arbeit werden die weiteren schönen Früchte einer solchen Erziehuug sein. Aus vollem Herzen rufen wir daher hinaus in unser Vaterland: Volksfreunde aller Orten, rafft Euch auf zur Erreichung dieses schönen Zieles!




  1. Lorenz Illing, „Wesen und Werth der Schulwerkstätten, ein Beitrag zur Hebung des baierischen Gewerbes“ (Franz, München 1880. 34 S.). Außerdem erwähnen wir noch folgende Fachschriften: Th. Raydt, „Arbeitsschulen und Hausfleißvereine“ (v. d. Velde-Veldmann, Lingen an der Ems 1880. 22 S.). Dr. phil. Woldemar Götze, „Die Ergänzung des Schulunterrichts durch praktische Beschäftignng“ (Heinrich Mattheis, Leipzig 1880. 34 S.). Emil von Schenckendorff, „Der praktische Unterricht, eine Forderung der Zeit an die Schule, sein erziehlicher, volkswirthschaftlicher und socialer Werth“ (Ferdinand Hirt, Breslau 1880. 84 S.).