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Gesundheit und Städteerweiterung

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Textdaten
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Autor: Fr. Dornblüth
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Titel: Gesundheit und Städteerweiterung
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 22, S. 700–703
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1892
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Deutscher Verein für Öffentliche Gesundheitspflege, GND: https://d-nb.info/gnd/26203-1
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Gesundheit und Städteerweiterung.

Von Dr. Fr. Dornblüth.

Die Choleraepidemie in Hamburg, welche die alte Hansastadt mit so furchtbarer Gewalt, mit so viel Noth im Gefolge heimgesucht hat, stellt die Fragen der öffentlichen Hygieine aufs neue in den Mittelpunkt der allgemeinen Aufmerksamkeit. Durch diese jüngsten traurigen Erfahrungen ist eine Reihe von Punkten aufgedeckt worden, alt denen die bessernde Hand sofort und thatkräftig eingreifen muß. Mit in erster Linie kommt dabei die Sorge für gesunde und räumlich ausreichende Wohnungen in Betracht. Unsere alten Städte haben durch enges Zusammenbauen der Häuser, schmale und enge Straßen und Höfe, licht- und luftarme Wohnungen auf einem durch die Abfälle von Jahrhunderten verunreinigten Boden die beste Entwicklungsstätte für mörderische Seuchen geboten und nicht selten eine fast durchweg sieche Bewohnerschaft erzeugt. Die neuerstandene Sorge für die allgemeine Gesundheit hat diese Uebelstände durch gute Wasserversorgung und Kanalisation, durch Abbrechen alter Häuserhaufen und Durchlegen breiter Straßen, also durch Reinlichkeit, Luft und Licht mit oft glänzenden Erfolgen bekämpft; aber es droht den sich rasch ausdehnenden Hauptstätten industrieller Entwicklung eine ähnliche Gefahr durch die ungeregelte Befriedigung des rasch, fast überstürzt sich einstellenden Wohnungsbedürfnisses. Wenn zahlreiche Städte in zehn bis zwanzig Jahren ihre Einwohnerzahl auf das Doppelte und mehr vergrößern, so geschieht dies hanptsächlich durch den massenhaften Zuzug von Arbeiter, namentlich von ländlichen Arbeitern mit ihren Familien, die außer ihrer Arbeitskraft kein Kapital mitbringen und deshalb auf billige Wohuungen nothwendig angewiesen sind. So sehr die neu entstehenden Prachtbauten der inneren Stadttheile und die anmuthigen Villenvorstädte das Auge erfreuen, so bedenklich müssen wir der wachsenden Höhe der Häuser, der engen Bebauung der Höfe und Gärten, den kasernenhaften Massenquartieren gegenüberstehen, die der Gesundheit und Sittlichkeit ihrer jetzigen und zukünftigen Bewohner schwere Gefahren bereiten.

Vorbereitung zum Appell.
Nach einem Gemälde von Karl Müller.

Die hohen Preise der Bauplätze veranlassen die Hausbesitzer und Bauuuternehmer, auf möglichst engen Räumen möglichst zahlreiche Wohnungen zu erstreben. Hohe thurmartige Gebäude, welche die Straßen zu schmalen Spalten machen und von Höfen und Gärten nichts übrig lassen als enge Luftschächte, sogenannte Lichthöfe, die der reinen Luft und dem Sonnenlicht keinen oder nur spärlichen Zutritt verstatten; Wohnungen vom tiefen Keller bis unter das höchste Dach, mit zahlreichen Dunkelräumen; Wände aus schlechtem Material, dem keine Zeit gelassen wird, gehörig auszutrocknen, bevor die Räume mit Bewohnern vollgestopft werden: das ist die Kehrseite jenes stolz gerühmten Aufblühens der Städte.

Die hiermit gegebenen Wohnungsverhältnisse können durch Zuleitung guten und reichlichen Wassers, sowie durch die Abführung der Unreinigkeiten gebessert, aber nicht unschädlich gemacht werden. Zahlreiche Krankheiten, welche die Kraft und Erwerbsfähigkeit der Bewohner und ihrer Nachkommenschaft beeinträchtigen, und hohe Sterblichkeit bleiben als Folgen bestehen und drohen immer verderblicher zu wirken. Ueberaus lehrreich für diese Verhältnisse sind die Berechnungen des Professors von Pettenkofer, nach denen wie nach anderen zu dem gleichen Ergebniß kommenden Zahlenaufstellungen auf jeden Todesfall in einer Stadt mindestens 30 Erkrankungen treffen, die im Mittel 20 Tage dauern und während dieser Zeit die Erwerbsfähigkeit beeinträchtigen oder ganz aufheben, sowie Kosten für Arzt, Arznei und Pflege veranlassen. Diese Unkosten dürfen auf 2 Mark täglich veranschlagt werden. Wenn nun von 1000 Personen jährlich drei weniger sterben, also die Sterblichkeit von etwa 24 auf 21 vom Tausend sinkt, so bedeutet dies zugleich, daß 3 X 30 = 90 weniger krank sind und 20 X 90 = 1800 Krankheitstage nebst 2 x 1800 = 3600 Mark Unkosten gespart werden. Für eine Stadt von 10000 Einwohnern würde hierdurch eine jährliche Ersparniß von 36000 Mark, für 50 000 Einwohner eine solche von 180 000 Mark gemacht werden, was, zu 4 Prozent berechnet, einem Kapitalwerth von 900 000 bezw. 4 500 000 Mark entspräche.

Besserung der Gesundheitsverhältnisse ist also mit sehr erheblichen Ersparungen an baren Ausgaben verbunden. Diese treffen freilich zunächst nur die Einzelnen, aber das Wohl des Ganzen beruht doch auf dem Wohle seiner Glieder, und wo diese in ihrem materiellen Fortkommen geschädigt werden, muß auch das Gemeinwohl leiden. Außerdem haben viele der Krankheiten, die in ungesunden Wohnungen gleichsam gezüchtet werden, die Eigenschaft, daß sie früher oder später über ihren ursprünglichen Sitz hinausgreifen und nicht nur mittelbar, was in mehrfacher Beziehung immer der Fall ist, sondern auch unmittelbar die unter anderen, günstigeren Verhältnissen lebenden Mitbewohner gefährden und schädigen.

In England stehen den Gesundheitsbehörden sehr kräftige Eingriffe in die Rechte der Besitzer von ungesunden Wohnungen zu: diese können zur Ausführung der ihnen auferlegten Verbesserungen streng angehalten werden, Miethswohnungen können geschlossen, nicht [705] mehr zu sanierende Häuser zum Abbruch verurtheilt werden. In Deutschland geht man, soviel ich weiß, höchstens soweit, bestehende Mietverträge aufzulösen und die Wiedervermiethung erst nach erfolgter Abhilfe zu gestatten, ein Abbrechen ungesunder Häuser und Stadttheile, Durchlegen neuer Straßen etc. erfordert Zustimmung der Hausbesitzer oder schwierige, oft sehr langwierige Verhandlungen über Enteignung und Entschädigung. Die Mängel und Verschiedenheiten der bestehenden Gesetze und Ordnungen müßten vor allem durch ein Reichsgesetz über diese Verhältnisse gehoben werden.

Besser schon ist auch in Deutschland für gesundheitsgemäße Neubauten gesorgt, aber auch in diesem Punkte herrschen in den Einzelstaaten sehr verschiedene, meistens ganz unzureichende Bestimmungen. Und doch ist es bei dem riesigen Wachsthum der Städte durchaus nothwendig, daß erträgliche Verhältnisse wenigstens hierbei gesichert werden und daß die Reichsgesetzgebung mindestens die Grundbestimmungen feststelle. Trockenheit und Reinheit des Baugrundes, gute Beschaffenheit des Baumaterials, frische Luft und unmittelbares Licht für alle zum dauernden Aufenthalt von Menschen benutzten Räume, also für Wohn- und Schlafzimmer, Arbeitsräume, Küchen etc., genügendes Austrocknen vor dem Beziehen, gehöriges Verhältniß der Häuserhöhe zur Breite der Straßen und Weite der Höfe, Anschluß an bestehende Wasserzu- und Wasserableitungen, sowie Schutz gegen Luft-, Wasser- und Bodenverunreinigungen, das müßten jene Grundbestimmungen der Bauordnung für Einzelhäuser festzustellen haben, während gleichzeitig gesetzliche Fürsorge dafür zu treffen wäre, daß an sich gesunde Wohnräume nicht durch Uebervölkerung oder andere Umstände gesundheitsschädlich gemacht werden dürfen.

Der Deutsche Verein für öffentliche Gesundheitspflege hat sich seit zwanzig Jahren vielfach mit diesen Angelegenheiten beschäftigt und unter Mitwirkung der berufensten Aerzte, Gemeindeverwalter und Bauverständigen Grundsätze für Städteerweiterungen, Bauordnungen und Wohnungspolizei aufgestellt, die bei voller Rücksichtnahme auf Grund- und Hausbesitzer und Bauunternehmer, auf Verkehrs- und Schönheitsinteressen den gesundheitlichen Verhältnissen ihr Recht zutheil werden lassen.

Diese Arbeiten des Vereins haben auf die Einführung und den Inhalt der Bauordnungen in manchen Einzelstaaten, sowie auf die Erweiterungspläne vieler Städte bedeutenden, theilweise geradezu maßgebenden Einfluß geübt; sie haben Anregung und Förderung gegeben bei zahlreichen hygieinischen Einrichtungen, namentlich wo es sich um Wasserversorgung, Entwässerung und Reinigung der Städte handelte, also um Maßnahmen von unbestreitbarem Einfluß auf die Verminderung der Sterblichkeit und die Fernhaltung von Volksseuchen. Aber bei der ganzen Frage hat sich mehr und mehr das Bedürfniß einer reichsgesetzlichen Grundlage für alle derartigen gesundheitlichen Verbesserungen herausgestellt, und dieses Bedürfniß ist durch die Choleraepidemie in Hamburg zu einer geradezu unabweisbaren Angelegenheit des öffentlichen Wohls geworden. Hoffen wir, daß diese gesetzliche Regelung rasch erfolgt und vor allem auf die hygieinischen Anforderungen an die Wohnungsverhältnisse der Städte jede gebotene Rücksicht nimmt!