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’s Wisperl

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Textdaten
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Autor: Arthur Achleitner
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Titel: ’s Wisperl
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aus: Die Gartenlaube, Heft 22, S. 700–703
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1892
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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’s Wisperl.

Von Arthur Achleitner.0 Mit Zeichnungen von Hugo Engl.

Den „Isarwinkel“ nennt man den Landstrich im Isarthale flußaufwärts von Tölz bis Vorderriß, wo die wilde bergfrische Riß sich in die junge Isar ergießt und die Berge immer stolzer in die Höhe streben, wo Fluß und Gebirge sich zu einem der herrlichsten Landschaftsbilder des bayerischen Hochlandes vereinen. In der Tölzer Gegend noch den Charakter des Vorlandes bewahrend, verändert sich das Bild, je weiter isaraufwärts der Wanderer dringt, links auf dem Sträßlein über Lenggries, Hohenburg nach der Vorderriß oder rechts über Wackersberg, Arzbach zu den Felskolossen der Benediktenwand mit dem Kirchstein, der seit dem Jahre 1888 das höchstgelegene Denkmal für Kaiser Wilhelm I., 1686 Meter über dem Meere, trägt. Auf einer Syenitplatte, über welcher der Reichsadler die Kaiserkrone hält, ist in schlichten Versen, aber zum Zeugniß um so besserer Gesinnung mit Goldbuchstaben eingegraben:

0„Zum ewigen Gedächtnisse an Kaiser
 Wilhelm I.,
geb. 22. März 1797, gest. 9. März 1888.

Weil er das Deutsche Reich gebaut,
Wurd’ ihm sein’ Nam’ in Fels gehaut,
Hier auf Kirchsteins hoher Alpenwelt,
Schlafe wohl, Du Kaiser–Held.“

Zwei mächtige bayerische Löwen bewachen des Kirchsteins Schatz. Drüben aber schauen trotzig die Häupter der Karwendelgruppe, der Wetterstein und viele andere Zacken aus der starren Hochlandswildniß hervor, als wollten sie dem Wanderer das Eindringen wehren.

Ein herrlicher Fleck Erde ist dieser Isarwinkel und seine Bewohnerschaft ein urkräftig biederes Volk. Seine Söhne haben immer kraftvolle Flößer, fleißige Bauern und kernige Soldaten geliefert, sauber und nett sind die Dirndln, und sie besitzen noch immer ihre alte rührende Naivität wie die Jachenauerinnen, für die in guter alter Zeit am Thalschluß die Welt aufgehört hat.

Außerm Dorf steht von altersher eine Schmiede, bequem am Sträßlein gelegen, so daß der Fuhrmann den Meister rasch zur Seite hat, wenn der Gaul frischen Beschlag braucht oder der Wagen der Ausbesserung bedarf. Der Bergbach speist das Wasserwerk, welches den Blasebalg treibt, und munter arbeitet der Bergschmied an der glühenden Esse, mit ihm der wackere Geselle, genau so schwarz und fleißig wie der Meister selbst. Der Schmiedflori (Florian) ist trotz seiner Jugend ein achtbarer Mensch, der großes Ansehen genießt rechts und links der Isar. Die Fuhrleute kehren am liebsten bei ihm ein, weil er nicht bloß das Beschlagen so gut los hat, sondern überhaupt viel vom Roß versteht, und das erweckt bei den Fuhrleuten immer starkes Vertrauen. Denn ein einziger Nagel, zu tief in den Huf eingetrieben, macht den Gaul lahm, und zu wenig ist auch vom Uebel. Aber der Flori, der junge Meister, weiß den Nagel auf den Kopf zu treffen und gerade recht in den Huf zu treiben, so daß das Eisen nicht locker sitzt. ’s ist überhaupt ein halber Doktor, der Flori, der sich auch aufs Menschenkurieren versteht, wenn’s nicht schon gar zu weit gekommen und mit der „Sympathie“ und mit dem Wasser noch was zu machen ist. Der Flori hält gar viel auch auf andere Einwirkungen; zuerst macht die Einbildung beim Menschen sehr viel aus, dann das Wasser und die Luft und die Kost, und endlich die guten und bösen Geister. Der Flori sagt’s, also muß es wahr sein, daß grad’ der Isarwinkel genug Geister habe in seinen Bergen. Man darf bloß das richtige Ohr haben, dann kann man beispielsweise an windstillen Tagen ganz deutlich hören, wie es von der Benediktenwand her leise rollt und kugelt, als wenn man Steine abladen wollte. Das sind die Klosterherren von Benediktbeuren, die zum ewigen Kegelschieben verdammt sind, weil sie selbst die besten Almen in Besitz genommen und den armen Leuten den Viehauftrieb und die Weide verweigert haben. Und sogar an heiligen Sonn- und Festtagen sind die geistlichen Herren auf die Wand gestiegen und haben oben ohne Rücksicht auf Gott und die Welt Kegel geschoben. Deshalb sind sie verwünscht worden und müssen ihr Kegelspiel fortsetzen bis zum jüngsten Tag.

Auf der Höhe des Kirchsteins haben nach der Sage die Benediktbeurer Herren ihre Namen an die Wand geschrieben und dort, wo jetzt des großen Kaisers Gedenktafel angebracht ist, dort soll die älteste Schrift aus dem Jahre 1548 gestanden haben. – Der Schmiedflori ist ein „Wissender“, der genau Bescheid geben kann über die Sagen und Geistergeschichten seiner bergumrahmten Heimath, die Ueberbleibsel aus einer Zeit, wo noch mehr Wunder geschahen, weil die Menschen sich nicht wie heutzutage selber helfen konnten. Er weiß, daß man zu gewissen Zeiten auf den Klang der Benediktenglocke horchen muß, damit einem die Hexen nicht ankönnen. Das ist eine gar bedeutsame Glocke, bei deren Guß der Prälat und die Klosterherren ganze Hände voll geweihter Silberthaler hineinwarfen. Beim Klostersturm sollte diese Glocke eingeschmolzen werden, aber das wollten die Einwohner nicht, sie sammelten Geld, selbst der ärmste Dienstbote mußte 24 Kreuzer geben, und so brachte man die nöthigen 2000 Gulden zusammen, um die Glocke, die man zu rechter Zeit drei Stunden weit hört, frei zu kaufen.

Die Hohenburger und Lenggrieser Burschen lachen freilich oft den glaubensstarken Flori aus. „’s waar z’dumm,“ meinen sie, „die alten Weiberg’schichten baumfest z’ glauben.“ Aber nachts um zwölf Uhr ginge doch keiner auf den Lenggrieser Friedhof, wo im Jahre 1742 die Panduren unter Oberst Trenck von [701] den Geistern der Verstorbenen in die Flucht geschlagen wurden.

Der Flori weiß jene Geschichte haarklein vom Urgroßvater her – wie die Räuberschar vor dem Dorfe lag und in der Umgegend alles niederbrannte; da kam der Geistliche heraus und lud sie ein, nur vorwärts zu reiten, sie würden Mannschaft so viel finden, wie Körner in eine Metze gingen. An der Kirchhofmauer angelangt, fanden die Panduren den ganzen Friedhof voll Leute, alle weiß. Es waren die Geister der verstorbenen Brüder, die Eltern, Ahnen und Urahnen, die aus den Gräbern gestiegen waren und sich mit Sensen und Hauen zur Wehr setzten. Die Panduren erschraken darob nicht wenig und flohen voll Entsetzen von dannen. Und von seinem Vater selig her kennt der Flori auch die geheimnißvolle Sage vom „Wisperl“, dem seltsamen Geist, der nur an heiligen Zeiten, so an Allerseelen, sich hören läßt, am Wege zwischen Lenggries und Hohenburg wie eine Grille zirpt und bald nah, bald fern scheint. Kommt ein guter Mensch vorbei, so hört er das „Wisperl“, und dessen wundersames Zirpen bringt ihm Glück. Bösewichte aber hören das „Pfeiferl“, scharfe Töne, wie wenn jemand mit aller Kraft durch die Finger pfeift. Manchem Nichtsnutz ist das „Pfeiferl“ als schwarze Riesengestalt von drei Mannslängen erschienen, hat ihm einen heillosen Schrecken eingejagt und böses Unheil verkündigt. –

Der Winter steht wieder vor der Thür; aus den Wellen der Isar steigen die dicken schweren Nebel auf, grau lagern die Wolken auf den Bergen, leise raschelt das welke Laub auf der erstarrenden Erde. Das Fest Allerheiligen ist gekommen, an dem die Lebenden unter Gebet die Gräber ihrer Toten schmücken. Auch Flori ist mit einem Kranz von späten Bergblumen zum Kirchhof gewandert und hat ihn auf seiner Eltern Grab gelegt, ihrer in inniger Dankbarkeit gedenkend. Die Schwermuth dieses düsteren Novembertages in der Natur erfaßt auch ihn, und wie er so an dem schlichten Hügel steht, überkommt ihn ein banges Gefühl der Verlassenheit. Aber wie er dann still über den Rain wandert, seiner Schmiede zu, wo heute das Wasserrad still steht und der Bergbach ohne Frondienst geschwätzig zur Isar schießt, da wird ihm so eigen ums Herz, es klingt ihm in den Ohren wie geheimnißvolles Flüstern, und ein seliges Ahnen durchzieht seine Brust. Und wie sein Blick sich erhebt, dorthin, wo des wuchtigen Karwendels starre Felsriesen sich aufthürmen, da öffnet sich das Nebelmeer, es blaut verheißend herab aus lichter Himmelshöhe und wie vergoldet erstrahlen die Zinnen und Zacken.

Wenige Tage nach Allerheiligen findet im benachbarten Tölz die „Leonhardsfahrt“ statt, ein kirchliches, mit dem üblichen naiv derben Pomp gefeiertes Fest. Die Berge tragen den ersten Neuschnee, der Hochwald ist in die schimmernden Tinten des Spätherbstes getaucht, auf Flur und Feld die Arbeit vollendet, von den Tennen ertönt der gleichmäßige Takt der Drescher: das ist die Zeit der Leonhardsfahrt, wo man sich einen „Guten Lienhard“ wünscht, auf daß des Freundes und Nachbars Viehstand gesund bleibe bis übers Jahr.

Von jeher ist das germanische Volk zäh gewesen im Festhalten am Alten, und seine uralten heidnischen Bräuche sind, in ein christliches Gewand gekleidet, vielfach bis auf den heutigen Tag lebendig geblieben. Jahrhunderte hindurch hat es im Allvater den Beschützer muthiger Rosse verehrt und seine Behausungen mit Pferdeköpfen am Giebel geschmückt. Im Christenthum ist dann St. Leonhard an Wotans Stelle getreten und hat die Obhut über die Rosse und über das Vieh im allgemeinen übernommen, wie er auch Patron der Hammerleute geworden ist. Im Lande, wo viel Viehzucht getrieben wird, mußte dieser Heilige naturgemäß ein großer Herr werden; er ist der erste, den man zu Hilfe ruft, wenn Seuchen auftreten und Schaden für die Viehzucht droht. Man opfert St. Leonhard gläubigen Sinnes die Hufeisen der kranken Pferde, die er heilen soll; an die Gitter der Gnadenkapellen hängt der Altbayer eiserne und wächserne Rosse zum Dank für rechtzeitig eingetretene Hilfe und an seinem um den Leib geschnürten Ledergurt trägt er mit Vorliebe ein beinernes oder gesticktes weißes Roß. Viele Kapellen sind auch mit Pferdeketten umspannt „aus Dankbarkeit“.

Kaum daß der Leonhardstag graut, herrscht in den Gehöften bewegtes Leben, die Pferde werden zierlich geschmückt mit farbigen Bändern und Blumensträußchen in Mähne und Schweif, aus der Scheune wird der das Jahr über sorgsam verwahrte Lienhardswagen hervorgezogen, eine oft namentlich mit Landschaften bemalte große vierräderige Truhe für zehn bis vierzehn Personen, und mit Tannengrün, Moos und Flitter geziert; die Dirndln tragen den höchsten Feiertagsstaat, das reichverschnürte Mieder, große silberne Halsketten, farbige Seidentücher auf der Brust, und auf den reichen Flechten thront keck das zierliche goldverschnürte Hütchen mit dem weißen Adlerflaum. Die Burschen erscheinen trotz der oft schon recht empfindlichen Kälte in dem kleidsamen „Berglerg’wandl“ mit nackten Knien und haben sich wie die Mädchen Sträußlein an Rock und Hut gesteckt. Die Pferde werden mit dem nur für den Lienhardstag bestimmten reichen und sauber geputzten Geschirr angespannt, immer vier prächtige Gäule vor jeden Wagen.

[702] Die ganze Bewohnerschaft des Gehöftes, vom kleinsten fingerlutschenden Bübchen oder Mädchen bis zur Ahne und dem Großvater, der nur noch zitternd die „Beterln“, den Rosenkranz, zu halten vermag, alles nimmt im Festwagen Platz; nur die jungen Burschen geben ihm zu Pferde das Geleit. So geht es unter lautem Hallo in raschem Trabe vom Hause weg, der Leonhardskapelle zu, oft auf stundenweitem Weg. In einer langen Straße zu Tölz nimmt der Zug seine Aufstellung. Dutzende von Wagen, unter deren Besatzung bei großer Kälte die Enzianflasche zur Erwärmung des Magens kreist, reihen sich mit ihrer Geleitsmannschaft aneinander, voran der Vorreiter mit einem, was das Alter anlangt, hochinteressanten Cylinderhute, dann ein sinnig geschmückter Wagen mit der Geistlichkeit, dem Meßner und den Ministranten. Es folgt ein mit Tannenreisig geputzter Leiterwagen mit den Musikanten, die aus Leibeskräften lustige Märsche blasen, während die Theilnehmer des Zuges laute Gebete in den frischen Morgen schreien. Der Einfluß der Schnitzerkunst zeigt sich unverkennbar in den mitgeführten Dekorationen. Da wird das Modell der Leonhardskapelle bei Tölz mitgeführt, aus Holz und Pappe künstlerisch hergestellt, oft thront auf einem farbenprächtigen Wagen eine vorzügliche Leonha[rd]sstatue, vor der ein Jubelpaar in der Tracht des vorigen [Jah]rhunderts seine Andacht verrichtet, unbekümmert um den auf d en Dorfstraßen herrschenden Lärm. In gutem Glauben treibt man aus manchen Orten auch das Vieh herbei, damit es durch die Betheiligung an der Lienhardsfahrt gefeit werde gegen alle Krankheiten. So reihen sich oft an fünfzig Wagen aneinander, und langsam geht die Fahrt den Berg hinan zur Kapelle.

In vollem Ornat steht die Priesterschaft an der Eingangspforte der St. Leonhard geweihten, mit langer Eisenkette umspannten Kapelle, der greise Pfarrer segnet jeden einzelnen Lienhardswagen, und wenn alle fertig sind, dann beginnt die feierliche Messe. Das kleine Kirchlein kann die Menge nicht fassen, die Gläubigen stehen draußen im Kreise entblößten Hauptes ungeachtet des scharfen Nordostes, der den Berg umtost. – Helle Kinderstimmen, brausende Orgeltöne erschallen. Jetzt ist die Messe aus, rasch werden der hungrigen Jugend heiße Würstel und Schwarzbrot in den Wagen geworfen, welche Atzung die Bauern den fliegenden Kaufbuden und Schänken entnommen haben, dann ertönt eine Fanfare, die Musikkapelle setzt mit einem markerschütternden Marschlied ein, der Zug setzt sich in Bewegung, es beginnt in raschem Tempo die Rundfahrt um die Leonhardskapelle. Hier zeigt sich, wer ein Meisterfahrer ist; wer es nicht ist, der wirft wohl an der äußerst scharfen Krümmung den Wagen mit seinem Menscheninhalt die steile Böschung in den Föhrenstand hinab, eine Gefahr, die dem Städter den Angstschweiß auf die Stirn treibt.

Aber diese Banern kennen Pferd und Fahrkunst, haarscharf nehmen sie die Kurve, und unter lustigem Peitschellgeknall geht es die Straße wieder hinab. Wohl beten die Wageninsassen auch jetzt noch, aber an Stelle der Andacht ist eigentlich doch die Neugier getreten, zu sehen, ob „der Vater“ auch heuer seine Fahrkunst beweisen oder umwerfen wird, was eine unauslöschliche Schande für die Familie und den Bauernhof bedeuten würde. Es flattern die Bänder und Fähnlein, die Laubgewinde schwanken unter der Erschütterung des ungefederten Wagens, die muthigen Rosse wiehern in die scharfe Morgenluft, als ahnten sie, welche Rolle sie am Leonhardstage spielen. Gruß und Witzwort fliegt hin und her, die Bauernburschen sprengen auf ungesatteltem Pferde vorbei, und wenn einer recht keck ist, dann stößt er dem Gaul wohl die schwergenagelten Bergschuhe kraftvoll in die Weichen, daß das erschrockene Thier kerzengerade in die Luft steigt. Den Pferderücken darf der Bursche freilich in solchem Augenblick nicht verlassen, er wäre blamiert sein Leben lang.

Immer flotter wird die Fahrt, bis an der Kirche zu Mühlfeld bei Tölz der dortige Geistliche nochmals Mann und Roß segnet. Dann wird gewendet, die „Brettelhupfer“, welche auf einem am Ende jedes Wagens befeftigten Brette stehen, beginnen mit ungeheuer langen Lederriemen an kurzen Stielen ein nervenerschütterndes Peitschengeknall, das regelrecht im Takt durchgeführt wird, bis der Zug vor den Gasthäusern angelangt ist; hier springt der „Brettelhupfer“ ab und reicht mit ländlicher Galanterie den mit einem Satz über Bord springenden Mädchen die hilfreiche Hand. Nun folgt des Festes zweiter, weltlicher Theil bei Mahl und Tanz. –

Einer der schönsten Lienhardswagen war der des reichen Huberbauern von Wackersberg. Für den Lienhardstag war dem alten Bauern nichts zu kostspielig, er wollte seinen Reichthum zeigen auf jede Weise. „Wir haben ’s ja,“ pflegte der Bauer in seinem Uebermuth zu sagen. Mit seinen vier Gäulen überholte er alle anderen Fuhrwerke, zurückbleiben oder gar umwerfen hätte den Huberbauern um den Verstand gebracht. Aber so reich er war, der rechte Segen war nicht in seinem Hause zu finden, denn es fehlte der Friede drin. Mit seiner schmucken Tochter, der blondzopfigen Liesel, lebte der Huberer in stetem Streit, weil das Mädel zum Mann nicht den Leitnerbauernsohn von Arzbach nehmen wollte, der an Reichthum dem Huberer nicht nachstand.

So brav die Liesel immer war, in dieser Angelegenheit zeigte sie sich gerade so bockbeinig wie der alte Bauer, und von Nachgeben war bei ihr keine Rede. Wohl donnerte der Alte viel vom Zwingen, vom gewaltsamen Hinschleifen zum Altar, aber die Liesel lachte ihm ins Gesicht und meinte: „Oho! Eine Huberische zwingt man nicht!“

Vom diesmaligen Lienhardstag erhoffte der Huberbauer eine Einwirkung auf seine eigenwillige Tochter. Er hatte den Leitnerbauern wissen lassen, wo sie nach der Fahrt in Tölz einkehren würden„ und bei guter Tafel und fröhlichem Tanz werde wohl sein Mädel mit sich reden lassen. Schon während der Fahrt nach Tölz war der Bauer fuchsteufelswild geworden, denn mehrere Male hörte er hinter seinem Wagen ein Pfeifen, gleichsam als gebe einer ein Zeichen, daß er vorfahren wolle. Der Huberer aber einen vorfahren lassen, das gab’s nicht! Und wie rasend hatte er auf die Gäule eingehauen, daß sie dampfend und keuchend an der Lienhardskapelle ankamen. Während der Fahrt in Tölz hatte er den Leitnersohn nicht zu Gesicht bekommen, was den Bauern abermals grimmig ärgerte. Dann hätte er um ein Haar die Kurve oben bei der Kapelle zu weit genommen, ein Hinterrad hing schon in der Luft. Das war sofort von den übrigen Bauern bemerkt worden und an Stichelrufen fehlte es nicht. Springgiftig war der Bauer endlich beim Wirthshaus angekommen, so recht in der Stimmung, just das Gegentheil von dem zu thun, was andere Leute meinten. Das fing gleich beim Bestellen des Getränkes an, weil einer der lustigen Burschen das Schnaderhüpfl sang:

„Gehst du ins Wirthshaus ’nein,
Trink an Tirolerwein,
Aber koan süaßen –
Sonst mußt es büaßen.“

Natürlich regalierte der Hitzkopf jetzt erst recht seine Eh’halten (Hausgesinde) mit süßem Weine, daß die Gesellschaft, des schweren Getränkes ungewohnt, rasch rothe Köpfe bekam. Getreu der alten Sitte bei der Leonhardsfahrt mußte aufgetragen werden, daß sich die Tische bogen. Wer wissen will, was ein Bauernmagen leistet und verträgt, der finde sich am Lienhardstag im Gebirge ein. Da ißt jeder drei- und viermal, denn an diesem Tage zahlt der Bauer die gesammte Zeche, und alles, was zum Hof gehört, ist sein Gast. Das kostet viele harte Kronenthaler, und wohl aus diesem Grunde ist die Betheiligung an der Lienhardsfahrt in den letzten Jahren etwas zurückgegangen.

Der Huberer ühertrumpfte heute alle anderen Bauern durch die Massenbestellungen von Speise und Trank, er lud jeden ein, der ihm zu Gesicht stand, und wie der schwere Wein seine Wirkung that, durften sich auch Burschen an den Tisch setzen, die der Bauer sonst nicht in seiner Gesellschaft geduldet hätte. Er brauchte Leute zum Hänseln, und um die „noblichte Zeche“ gaben sich genug arme Schlucker zum Stichblatt der bäuerlichen Spottsucht her.

Die Liesel hatte die qualmerfüllte Stube verlassen, als das Gespräch der erhitzten Bauern anfing, ein Heidenlärm zu werden. Das Mädel schämte sich, daß mit dem Reichthum so geprotzt wurde. Wie sie das Gärtchen oben am Bräukeller aufsuchen wollte, von wo man eibeb gar hübschen Ausblick auf die grüne Isar und ins Gebirge hatte, da trat auch der Schmiedflori ins behäbige Bräuhaus, und sein Falkenblick sah sofort die Gestalt des Prachtmädels. Im Nu war der Bursche die lange Stiege hinaufgesprungen, er wußte selbst nicht, wie es so schnell ging. Die Huberer-Liesel kannte er von einem Besuch auf dem Hofe des Bauern her, wohin er als „halber Thierarz!“ (Kurschmied) geholt worden war. Er sah das schmucke Mädel gern, aber weitere Gedanken hatte er sich nie gemacht, die hätt’ ihm auch der Bauer nicht [703] übel ausgetrieben. Bei einem richtigen Protzenbauern sind ja selbst Gedanken nicht zollfrei, denken dürfen bloß Leute, die ’was haben. Der Flori war bescheiden genug, den Abstand nicht zu vergessen, der zwischen ihm und dem reichen Huberer lag, und so unterließ er jede Annäherung, wiewohl das Benehmen der Bauerntochter durchaus nicht abweisend war.

Warum er jetzt so jäh auf sie losstürzte, wußte er wirklich selber nicht, es mußte eine innere Gewalt sein, die ihn herauftrieb.

Anfänglich erstaunt über das Ungestüm des Burschen, mußte Liesel doch lächeln, als der Flori in höchster Verlegenheit vor ihr stand und kein Wort sagen konnte, wie wenn er den Mund voll Krapfen hätte. „Es hat Dir wohl die Red’ verschlagen,“ meinte sie ermunternd.

„Ja!“ Das war alles, was der Flori herausbrachte. Dann standen beide schweigend beieinander, das Mädel in leichter Verwirrung, der Bursche verlegen und ärgerlich, daß ihm just jetzt die Sprache fehlte. Aber plötzlich löste sich der Bann, und anfangs stotternd vor innerer Aufregung, bald aber übersprudelnd vor Eifer erzählte er dem Dirndl, wie er „’s Wisperl“ gehört habe am Allerheiligentage, und das bringe Glück. Und ’s Glück sei auch schon da, weil er d’ Liesi vor sich habe und sie so gar kein’ Stolz habe gegen ihn.

„Wüßt net, warum i an Stolz haben sollt’!“ entgegnete Liesel. „Du bist a braver Bua, sunst hättest Du ‚’s Wisperl‘ net g’hört.“

Da ward die Unterhaltung der beiden jäh durch den Bauern gestört, der nachschauen kam, wo denn seine Tochter so lange stecke. Mit einem Fluch stapfte er auf den Flori zu und hieß den „Haderlumpen“ weiter gehen. Schon hatte der Bursche eine scharfe Antwort auf der Zunge, aber er unterdrückte sie bei dem bittenden Blick des Mädchens. So meinte er nur, der Bauer solle aufpassen, daß er den „Haderlumpen“ nicht einmal nothwendig brauche.

„In dem Leben net,“ lautete die protzige Antwort, dann nahm der Bauer sein Mädel beim Arm und führte es in die heiße Wirthsstube zurück.

Rasch verflog die Zeit bei Tanz und Trank, der Abend brach früh herein, und der Huberer mußte aufbrechen, wenn er nicht in die Nacht hineinfahren wollte. So ward denn eingespannt, das Gesinde kletterte voll Uebermuth in den Wagen, der Bauer ergriff die Zügel, und in rasendem Galopp jagten die vier Gäule, von wuchtigen Peitschenhieben getrieben, das hügelige Sträßlein hinan. Dem Bauern schien es trotzdem noch zu langsam zu gehen, er gönnte den Thieren kein Verschnaufen, und wie der „Moar“ (Oberknecht) etwas Vorsicht empfahl, weil der Weg abschüssig werde und der Lienhardswagen keine Schleifen (Bremse) habe, da hieb der erregte Bauer nur noch wüthender auf die Pferde ein und fluchte dabei ganz lästerlich. Und wieder ertönten grelle Pfiffe, daß die Eh’halten ganz erschrocken aufhorchten. Aber immer toller wird das Jagen durch die Nacht, kein Sternlein erhellt den dunklen wolkenverhängten Himmel, dumpf braust der Bergwind über das Land und ächzend biegen sich die Bäume an dem Sträßlein. Die Pferde werden immer unruhiger, das Zerren am Zügel macht sie völlig rebellisch, der Handgaul scheut, springt seitwärts, ihm nach die andern Gäule – ein Krach, der Wagen stürzt und kollert den Hang hinab, ein wüstes Durcheinander.

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Auf dem Hubererhof ist’s still geworden seit jener unheilvollen Nacht. Der Bauer liegt mit arg verschundenen Beinen zu Bett, mehrere der Eh’halten haben Verletzungen davongetragen, nur die Liefel ist mit leichten Schürfungen davongekommen. Von Tölz kommt der Bader zweimal die Woche heraus und sieht nach den Kranken. Von der Lienhardsnacht darf er aber bei Leibe nicht reden, da kann der Bauer ganz toll werden, zumal er keine Ausrede für sein Umwerfen findet.

Doch mit der Heilung wollte es gar nicht vorwärts gehen, und ein über das andere Mal schimpfte der Bauer den Bader einen schauerlichen „Patzer“, aber den Arzt ließ er trotzdem nicht holen. Der Bader hatte gethan, was er konnte, allein es fehlte an der richtigen Verschienung. Je näher es auf Weihnachten zuging, desto „schlechter“ wurde der Bauer, und das lange Krankenlager fing an, ihn mürbe zu machen. Dazu kam noch, daß unter seinen Pferden die Milbenräude ausbrach, was den Bauer bald noch mehr schmerzte als sein eigenes Krankenlager. Für sich ließ er den Arzt nicht holen, aber dem Rath, den Schmiedflori kommen zu lassen wegen der Pferde, zeigte er sich zugänglich.

Richtig kam der Flori auf den Hof und fing gleich mit seiner Salzwasserkur bei den Pferden an. Er blieb auch auf des Bauern Wunsch ganz auf dem Hof, und seinen Bemühungen gelang es, in nicht ganz drei Wochen die Pferde, die ein großes Kapital für den stolzen Bauern bedeuteten, wieder herzustellen. Das flößte Vertrauen ein, und wie die Liefel meinte, vielleicht könnte der Flori auch dem Vater helfen, überließ sich der Bauer wirklich der Behandlung des Kurschmiedes.

Flori merkte richtig, wo der Fehler saß, legte einen besseren Verband an und am Heiligen Abend konnte der hocherfreute Bauer zum ersten Mal wieder aus dem Bett.

Daß Flori und die Liesel sich einander genähert, hatte der Bauer von seinem Lager aus wohl beobachtet. Unter anderen Umständen wäre er mit einem gehörigen Donnerwetter dreingefahren, aber so hatte er still liegen müssen und dabei Zeit genug gehabt zum Sinnieren. So kam er denn zu dem Ergebniß, daß der Flori doch eigentlich ein recht geschickter Bursche sei, der seine Sach’ verstehe. Dazu war die heilige Weihnachtszeit da, die selbst den herbsten Bauersmann mit ihrem Zauber ergreift und milde stimmt.

So saß der Huberer am Heiligen Abend seelenvergnügt über die glückliche Menschen- und Pferdekur in der Wohnstube, das Pfeiflein schmeckte ihm wieder, die Weihnachtskrapfen auch, welche die Liesel so schön gelb gebacken hatte. Und da fragte er auf einmal ganz unvermuthet, ob der Flori wohl Lust hätte, ganz auf dem Hubererhof zu bleibeu und die Schmiede drüben zu verkaufen. Dem Flori ward ganz schwarz vor den Augen und wie am Lienhardstage bei der Liesel versagte ihm auch jetzt die Sprache. Aber um so resoluter war das Mädel, das kurzweg sagte: Ja, Vater, mit Verlaub – als Hochzeiter.“

Da schmunzelte der Bauer, während der Flori wie im Gebete flüsterte. „O Du mein liab’s ‚Wisperl‘!“

„Larifari!“ meinte der Huberer dazu. „Du wirst ein ordentlicher Bauer, und wennst mein Lieserl net ordentlich halt’st, nachher komm i Dir mit ’m Wisperl, aber mit einem hoanbuchenen.“

„Is net nöthig!“ rief der Flori, „denn wann i mei Weib net ordentlich halten wollt, hernach könnt aus dem ‚Wisperl‘ no ‚’s Pfeiferl‘ wern, und dös – na, Bauer, nur koa Angst!“

Zur Christmette ging das junge Paar durch die glitzernde heilige Nacht, als Verspruchsleute, und mit besonderer Andacht beteten sie: „Ehre sei Gott in der Höhe!“

Die Sage vom Wisperl ist ziemlich vergessen worden im Laufe der Zeit, die Jugend glaubt solche Sachen nimmer.