Geschichte der französischen Literatur von ihren Anfängen bis auf die neueste Zeit
[2] Geschichte der französischen Literatur von ihren Anfängen bis auf die neueste Zeit von Eduard Engel (Leipzig, Wilhelm Friedrich). Eine einheitliche und umfangreiche Geschichte des französischen Schriftthums hatte die deutsche Literatur bisher noch nicht aufzuweisen. Eduard Engel entspricht also mit dieser Publication einem wirklichen Bedürfnisse, und er entspricht ihm nicht obenhin, sondern gründlich und erschöpfend, voll und ganz. Sein Buch orientirt den Leser über das Gesammgebiet der französischen Literatur von den „Straßburger Eidschwüren“ und dem „Eulalialied“ an bis zu Dandet’s und Zola’s Werken; es beschränkt sich nicht darauf, den Entwickelungsgang der franzosischen Literatur in allgemeinen Zügen darzulegen, sondern vertieft sich zugleich in die einzelnen Dichter-Charaktere, und zwar mit jener Liebe, welche ihre Aufgabe nicht als eine nüchterne Verstandesarbeit, sondern als eine Art Mission betrachtet. Mit Hingebung und Feuer, mit Schärfe und Feinsinn zeichnet der Verfasser uns die Koryphäen der Dichtung unserer westlichen Nachbarn in ihrer geistigen Eigenart und bewährt viel plastisches Gefühl in der Art, wie er ihre Gestalten charakteristisch und eindrucksvoll von dem betreffenden Zeithintergrunde abzuheben weiß, viel geistiges Unterscheidungsvermögen in der Methode, wie er sie classificirt, gruppirt und contrastirt. Die Charakteristiken, die er von Rabelais, Rousseau, Diderot, Voltaire, Beaumarchais und Anderen entwirft, verrathen ein tiefes Vertrautsein mit den Erzeugnissen dieser Hauptträger der franzosischen Literatur. Nicht immer einverstanden sind wir dagegen mit dem Verfasser bezüglich seiner Urtheile über die neuesten Vertreter des Pariser Parnasses, wie wir z. B. über Zola eine etwas abweichende Meinung haben. Aber das ist Nebensächliches. Mit voller Ueberzeugung dürfen wir dem ebenso fleißig wie einsichtsvoll entworfenen und abgearbeiteten Werke, das den ersten Band einer von verschiedenen Autoren zu verfassenden und in demselben Verlage zu publicirenden „Geschichte der Weltliteratur“ bildet, den allgemeinsten Eingang in die deutsche Gesellschaft aller Stände wünschen. Es kann uns Deutsche nur ehren, wenn wir die uns hier gebotene Gelegenheit eifrig ergreifen, uns mit der Literatur der Franzosen vertraut zu machen, die noch immer eine höchst verkehrte und sonderbare Nationalpflicht darin erblicken, mit Geringschätzung auf uns herabzusehen.