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Franz Liszt und die Frauen

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Textdaten
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Titel: Franz Liszt und die Frauen
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 36, S. 594–595
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1887
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[594] Franz Liszt und die Frauen. Ueber Franz Liszt gehen die Urtheile weit aus einander; jedenfalls aber ist es unrichtig, ihn, wie Max Nordau, für einen psychologisch uninteressanten, unbedeutenden Menschen zu erklären, der für eine überwundene Kulturepoche die bezeichnendste Gestalt sei. In seinen „Ausgewählten Pariser Briefen“ (Leipzig, Wartig’s Verlag) giebt Nordau uns einen Essay über Franz Liszt und die Frauen und spricht darin jene geringschätzige Meinung aus; jeder aber, der den Meister kannte, wird zugestehen, daß er eine geistig bedeutende Persönlichkeit war, reich an schlagkräftigem Witz und mit einem geistigen Horizont, der über die Interessen der Musik hinausging. Daß ihm ein so enthusiastischer und übertriebener Kultus geweiht wurde, daran trägt er ja selbst nicht die Schuld; er ließ ihn sich gefallen, und das würden die meisten andern Sterblichen auch gethan haben. Darin muß man freilich Nordau Recht geben, daß die Blüthezeit dieses Kultus in die vormärzliche Zeit fällt und daß die Gegenwart sich zu so enthusiastischen Huldigungen für einen Meister des Klavierspiels nicht mehr aufzuraffen vermag. Die Schilderung des Sonst und Jetzt wird von Nordau mit feiner Pikanterie ausgeführt. Wenn Liszt in vormärzlicher Zeit in einer Stadt erschien, wurden ihm Triumphbogen errichtet und selbstverständlich die Pferde ausgespannt, die Zeitungen widmeten ihm Leitartikel, Feuilletons, Kunstberichte und Tagesneuigkeiten. Damen der höchsten Aristokratie führten gegen einander diplomatische Feldzüge, ja lieferten sich homerische Schlachten, um das Recht zu erobern, in seinem Koncert die Notenblätter umzuwenden; sie fielen wie Tiger über die Handschuhe her, die er die Gewohnheit hatte, bei seinem Erscheinen auf der Bühne mit einer majestätischen Bewegung unter das Klavier zu werfen, und zerrissen sie in kleine Stückchen, um sie als Reliquien aufzubewahren. Ein Gypsabguß seiner wunderwirkenden Hand war jahrelang in einem Pariser Boulevardschaufenster zu ehrerbietiger Betrachtung ausgestellt, wie ein Heiligenbild auf einem Hochaltar. Sogar Männer wurden von dieser Bewegung mit fortgerissen. Mächtige Herrscher baten ihn ihre Orden anzunehmen; seine ungarischen Landsleute zeichneten ihn wie einen Schlachtengewinner mit einem Ehrensäbel aus, und Vörösmarty, den die Magyaren als einen ihrer größten Dichter verehren, richtete eine Ode an ihn, worin er ihn mit tragischem Ernst beschwört, seine Titanenkraft in den Dienst seines Vaterlandes zu stellen und demselben Freiheit und Unabhängigkeit zu erringen.

Gegenüber diesen glänzenden Bildern aus den Ehrentagen des jugendlichen Liszt stellt nun Max Nordau eine Schilderung des Eindrucks, [595] welchen der greise Meister machte, als im April 1868 seine Graner Messe in der Kirche von Saint-Eustache in Paris in seiner Anwesenheit aufgeführt wurde. „Das Schauspiel hielt nicht ganz, was ich mir davon versprochen hatte, Franz Liszt selbst zwar und die vornehmen Damen, die seinen Hofstaat bildeten, waren durchaus auf der Höhe ihrer Aufgabe und befriedigten alle Erwartungen. Allein das Publikum, welches die Kirchenschiffe füllte, ließ zu wünschen übrig und störte die Einheitlichkeit des Bildes. Franz Liszt war in Ruhe und Bewegung herrlich zu schauen; er trug ein kühn, aber glücklich erfundenes Phantasiekostüm, in welchem sich die wichtigsten Elemente des Priestertalars, des bekannten vom persischen Schah auf seinen europäischen Reisen getragenen brillantenbesetzten Waffenrockes und der Rokoko-Tanzmeistertracht klug vereinigten. Die in Kniehöschen, feinen Strümpfen und grausam zugespitzten helllackirten Schnallenschuhen steckenden Beine und Füße waren entschieden die eines Tanzmeisters. Seine Länge und die würdige Faltung der wallenden Schöße nahm der Rock vom Priestergewande; durch die mit sechsundvierzig edelsteinbesetzten Ordenssternen und Kreuzen behangene Brust (ernste Geschichtschreiber des großen Ereignisses haben sie gezählt) suchte derselbe dem Staatskleide des Schah zu gleichen. Als Liszt in die Kirche trat, empfingen ihn die Musiker mit Fanfaren und Orgelklängen. Eine Schar meist überreifer, doch kunstvoll und prächtig geschminkter Damen, keine weniger als Gräfin, stürmten ihm entgegen und bemächtigten sich seiner Hände, die er ihnen mit gnädigem Lächeln zum Handkuß überließ. Dann reichte er den beiden reichsten und am gediegensten geschmückten Damen (vielleicht sind es auch die vornehmsten gewesen) je einen Arm und schritt mit ihnen äußerst langsam und feierlich auf einen für ihn neben dem Hochaltar errichteten Thronsessel zu, während hellebardenbewaffnete Kirchendiener in Feldmarschalluniformen ihm voranzogen, die Kadenz ihrer Schritte durch Aufstoßen der Hellebarde auf das dröhnende Estrich markirend, und die Damenschar mit Verzückung in Blick und Miene ihm folgte. Liszt nickte der Menge wohlwollend zu und ließ von Zeit zu Zeit ein Wort, ohne Zweifel eine Offenbarung, zu seinen Begleiterinnen niederfallen, die zu ihm mit einem Augenaufschlag emporsahen – nein, diesen Augenaufschlag kann ich nicht schildern. Da müßte ein genialer Stift oder Pinsel der Feder zu Hilfe kommen. Der unvergleichliche Oberländer hatte vor einiger Zeit in den ‚Fliegenden Blättern‘ eine Zeichnung, die einen vegetarischen Dichter inmitten einer Versammlung gerührter Hausthiere darstellt. Die Pferde, Kühe, Schafe etc. blicken zu dem milden Sänger, der die unblutige Pflanzenkost feiert, so innig seelenvoll, so gedankentief und schwärmerisch auf, daß selbst ein Großinquisitor hierüber bis zu Thränen lachen müßte. Diesen ganz einzigen Augenaufschlag der Oberländer’schen Hausthiere habe ich bei den aristokratischen Damen in der Saint-Eustache-Kirche wiedergefunden.“

Der sarkastische Schilderer meint indeß, die Kundgebungen der unbegrenzten Verehrung hätten nicht den Eindruck der Aufrichtigkeit gemacht; jene Damen hätten auch an den Reporter hinter dem Pfeiler gedacht und an den Bericht in den Boulevardblättern. Die übrige nichtbetheiligte Menge habe die köstlichste Unabhängigkeit der Gesinnung, ein lustiges oder spöttisches Lächeln gezeigt; es seien kritische und zweifelsüchtige Kinder der zweiten Hälfte dieses rasch auskühlenden Jahrhunderts gewesen.

Wenn auch jeder übertriebene Kultus eine satirische Geißelung verdient, so ist doch die Satire zurückzuweisen, so weit sie sich gegen Liszt selbst richtet. Die Bedeutung dieses jedenfalls interessanten und geistreichen Mannes ist mit seinem Klaviervirtuosenthum nicht erschöpft; er hat auf die neueste Entwickelung der ganzen deutschen Musik einen maßgebenden Einfluß ausgeübt, edlen Sinnes neidlos für Andere gewirkt und geschafft, mit seinem Feuereifer in Wort und Schrift die Theilnahme für schöpferische Geister in tonangebenden Kreisen entzündet.