Zum Inhalt springen

Falstaff in der Sage, Geschichte und Dichtung

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor:
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Falstaff in der Sage, Geschichte und Dichtung
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 40, S. 660–661, 667–668
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1878
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[660–661]

„Falstaff’s Recruten-Musterung“ von Eduard Grützner.
Nach einer Photographie von der „Photographischen Gesellschaft“ in Berlin.

[667] Falstaff in der Sage, Geschichte und Dichtung. (Vergl. den Artikel „Unser Falstaff-Maler“ S. 659 nebst Bildern.) Der dicke Schlemmer und Bramarbas, dem man, trotz all seiner Schelmenstücke, nie gram sein kann, ist ein strammes Kind des Shakespeare ’schen Humors, eine Bühnenfigur von solcher Unverwüstlichkeit, daß selbst schwache Mimen sie nicht völlig ruiniren können, während Meister, wie Devrient und Döring, sie zu Cabinetsstücken ihrer Kunst auszuarbeiten für werth hielten. Da Shakespeare auf der deutschen Bühne längst Heimathsrecht erworben hat, wie unwiderleglich sein dreihundertjähriges Jubiläum bewies, das in Deutschland mit mindestens nicht geringerer Theilnahme, als in England, gefeiert worden ist, und da ebendeshalb sein Falstaff auch zu den deutschen Bühnen-Lieblingen gehört, so widmen wir ihm hiermit die ihm gebührende Aufmerksamkeit. Jenes Jubiläum (1864) feierte die „Gartenlaube“, indem sie zwei von Paul Thumann illustrirte Artikel aus der Feder Julius Rodenberg’s „Ein Tag in Shakespeares London“ (Nr. 16 und 17) zur Ehre des Festes darbrachte. Daß Oldcastle dort als eine Gestalt aus des Dichters Zeit die Gruppe schmückt, geschah in künstlerischer Freiheit.

Die Falstaffiade beruht, wie unser schwäbischer Dichter und Shakespeare-Kenner Hermann Kurz[1] darlegt, ihrem ersten Ursprunge nach „auf einer der wunderlichsten Verquickungen unverbürgter Sage und entstellter Geschichte“. Es wird nämlich sagenhafter Ueberlieferung nacherzählt, daß Heinrich der Fünfte als Kronprinz (Prinz Heinz) ein wüstes, ausschweifendes Leben geführt habe, wenn nun selbst Shakespeare diesen Helden der Sage poetischer fand, als den der Geschichte, die, nach unserm Kurz, „den Prinzen im Dienste seines Vaters und Königs als einen so rechtschaffenen und rauhen Soldaten zeigt, wie alle Helden seiner Zeit es waren“, so mußte doch Alles, was der Böswilligkeit der Verleumdung und der Leichtgläubigkeit des Volks möglich war, geleistet werden, um den Sir John Oldcastle, der des jungen Prinzen sehr ernster Freund war, in den Falstaff der Sage und der Dichtung zu verwandeln.

Oldcastle war das Haupt der Wicleffiten oder englischen Lollarden und suchte den Prinzen Heinrich für seine Partei auch dadurch zu gewinnen, daß er auf die Bereicherung der Krone durch Einziehung der Kirchengüter hinwies. Vom Hofe Heinrich’s des Fünften verbannt, suchte er sein Ziel mit Gewalt zu erreichen. Wie aber schon Heinrich’s Vater, um die Gunst des Clerus sich zu erhalten, die Wiceleffiten verfolgt hatte, so geschah dies nun auch von Heinrich dem Fünften, der so weit ging, den Freund seiner Jugend (1417) dem Ketzertode zu überliefern.

Und diesen so grausam Geopferten mußte das noch grausamere Loos treffen, bei der Nachwelt als „dicker Taugenichts, grauer Sünder und Verführer der Jugend zu allen nichtsnutzigen Streichen“ fort zu leben. Offenbar ist dies nur aus der Macht des Fanatismus und des die blinde Menge für ihren Haß mißbrauchenden Klerus zu erklären. Die Sage hatte die neue Gestalt fertig gemacht und die dramatische Dichtung benutzte sie schon vor Shakespeare in einem Stücke, dessen Held der „jovial-heroische“ Heinrich der Fünfte war. Dieses Stück gehört noch den rohesten Erzeugnissen jener Zeit an, welche die Kraft in der plumpsten Derbheit suchten und den Prinzen so arm an Geist hinstellten, wie seinen dicken Ritter Oldcastle.

So fand Shakespeare diese Bühnengestalt vor, und wenn er sie auch, wie seinen Prinz Heinz, mit seinem Geiste erfüllte und zu dem Originale eines immer mit Lust begrüßten alten Nichtsnutz erhob, wie nur er es vermochte, so setzte er doch anfangs auch das alte Unrecht fort, ihm den Namen des Oldcastle zu belassen, bis endlich der vollständige Sieg des Protestantismus in England das Märtyrerthum des Todten zu Ehren brachte und den Dichter zwang, den Träger dieser Rolle umzutaufen. Aber auch bei dieser Umtaufe spielte dem Dichter sein Glaube an die Wahrhaftigkeit des von ihm benutzten Chronisten einen schlimmen Streich, indem er nach dem Namen des von diesem schwer verunglimpften Siegers in der berühmten „Häringsschlacht“ (12. Februar 1429), Sir John Fastolfs, seinen alten Schelm – Falstaff nannte.

Auf diesen wunderlichen Irrwegen ist aus Sage und Geschichte der Falstaff der Dichtung entstanden. – Doch nun zu unseren Grützner’schen Falstaff-Bildern! Wie Shakespeare gleich in der ersten Scene, in welcher Falstaff und der Prinz auftreten („König Heinrich der Vierte“, erster Theil, zweiter Auftritt des ersten Aufzugs), den Falstaff hinstellt, wie er ist und ohne weitere Entwickelungsmöglichkeit bleibt, so kann der „feistwitzige Hans“ lange Schatten auf künftige Scenen vorauswerfen, ehe wir sie selbst sehen. Er verräth uns sein System bei der Recruten-Aushebung schon im vierten Aufzug des ersten Theils von „Heinrich dem Vierten“ mit den Worten (nach Heinrich Viehoff’s Uebersetzung): „Wenn ich mich nicht meiner Soldaten schäme, will ich ein ranziger Häring sein. Ich habe das Aushebungspatent des Königs schmählich mißbraucht. – Ich fahndete nur auf verlobte Junggesellen etc., auf so eine Sorte von Ofenhütern, die eben so gern den Teufel wie eine Trommel hören etc., ich hob Niemand aus, als solche geröstete Butterbemmen, mit Herzen im Leibe, nicht größer als Stecknadelköpfe. Die haben sich vom Kriegsdienst freigekauft, und nun besteht meine ganze Mannschaft aus – einem Gesindel so abgerissen, wie Lazarus in Tapetengemälden, wo ihm des reichen Prassers Hunde die Schwäre lecken etc., aus Kerlen etc., zehnmal niederträchtiger zerlumpt, als eine alte geflickte Fahne.“ – Treten wir nun nach diesem Geständniß Falstaff’s vor die Aushebungsscene („Heinrich der Vierte“, zweiter Theil, dritter Act, zweiter Auftritt) selbst, so finden wir, daß der alte Hans seinem System allezeit treu bleibt.

Da stehen sie vor dem Hause des Friedensrichters Schaal in Glostershire, der Herr Hauptmann Sir John Falstaff mit seinem lachenden Pagen, hinter ihm Bartolph, neben ihm die beiden Friedensrichter Schaal und Stille und vor ihnen der flehende Schimmelig, der sich um vierzig Schillinge loskaufen will. Zur Seite aber harren die Tapferen: Schatte, Warze, Bullenkalb und das kleine Frauenschneiderlein Schwächlich. – Man täuscht sich aber wiederum, wenn man annimmt, daß wenigstens diese Vier für des Königs Armee erhalten blieben, denn schließlich spricht

[668]
Bartolph:

„Herr, auf ein Wörtchen! – (Beiseit) Von Schimmelig und Bullenkalb hab’ ich drei Pfund, um sie loszulassen.“

Und Falstaff:

„Genug, gut! – – Lebt wohl, Ihr herrlichen Herren! – Vorwärts, Bartolph, marschire mit den Leuten ab!“

Unser zweites Bild führt uns in eine Straße Londons, wo (in der zweiten Scene des ersten Aufzugs von „Heinrich der Vierte“, zweiter Theil) Falstaff mit einem Pagen aufritt, der ihm Degen und Schild trägt. – Ueber das Größen-Verhältniß Beider spricht sich Falstaff so aus:

Da wand’re ich hier vor Dir her, wie ein Mutterschwein, das seinen ganzen Wurf aufgefressen hat bis auf eins. Ich will nicht meine Sinne beisammen haben, wenn Dich der Prinz in einer anderen Absicht bei mir in Dienst gab, als um recht abzustechen gegen mich. Du verwittertes Alräunchen, es wäre passender, ich steckte Dich an meine Mütze, als daß Du hinter meinen Fersen hertrippelst. Ich – – gedenke Dich Deinem Herrn wieder zuzuschicken, Dich Juwelchen dem Jüngelchen, dem Prinzen, dessen Kinn noch nicht flügge geworden. Ich sehe mir eher einen Bart aus der flachen Hand wachsen, als er einen auf die Backe kriegt, und doch hat er die Keckheit zu sagen, sein Gesicht sei ein Königskronengesicht. Nun, Gott kann’s fertig machen, wenn’s ihm beliebt etc. etc. –

Endlich kam die Zeit, wo dem Heinz doch der Bart gewachsen und das Königskronengesicht fertig war. Da kam der tragikomische Schluß der Herrlichkeit des alten Hans. Vergeblich rief er dem gekrönt einziehenden König Heinrich in alter traulicher Weise zu:

„Heil Dir, mein Heinz! Mein königlicher Heinz!
Gott schirm’ Dich, Herzensjunge!
Mein Herr! mein Zeus! Dich ruf ich an, mein Heinz!“

Der König aber sprach:

„Ich kenne Dich nicht, alter Mann! Geh’ beten!
Wie schlecht steht Possenreißern weißes Haar! – – –
Gieb auf Dein wüstes Schlemmerleben! Wisse,
Das Grab gähnt dreimal weiter Dir als Andern.
Antworte nicht mit einem Narrenscherz
Und denke nicht, ich sei, was ich gewesen!“ – –

Der alte Camerad wird aus zehn Meilen im Umkreis von London verbannt und mit seinen Gesellen auf so lange Zeit eingesperrt –

„Bis sie in Red’ und Handeln vor der Welt
Sich weiser und geziemender benehmen.“

Welche Zumuthung für einen Sir John Falstaff! Er sollte sich bessern, anders werden. – Shakespeare selbst konnte nicht an die Möglichkeit solcher Wandlung seines alten John glauben, und darum erlöste er ihn von dem unbilligen Zwang und versetzte ihn, kraft der poetischen Gerechtigkeit, nach Windsor, wo er mit den lustigen Weibern fortlebt – für alle Zeiten.

F. H.
  1. Wenigstens in einer Anmerkung müssen wir hier eines andern Falstaff-Darstellers gedenken! Paul Konewka’s, dessen „Falstaff und seine Gesellen“ (Straßburg, M. Schauenburg) Hermann Kurz mit einem Text begleitet hat, dem wir manche unserer obigen Angaben verdanken. Konewka, der, erst einunddreißig Jahre alt, 1871 gestorben ist, war Meister in der Silhouette; die herrlichsten Meisterstücke seiner schwarzen Kunst schmücken dieses Werk, das an Bild und Wort des Ergötzlichen und Belehrenden viel bietet.