Für den Journaltisch des Hauses
[668] Für den Journaltisch des Hauses. Zu der literarischen Hinterlassenschaft Ernst Keil’s und zu den Unternehmungen, denen er seinen thatkräftigen Schutz und eine besondere Fürsorge angedeihen ließ, gehört auch die Zeitschrift „Europa“. Zwar hat er dieses Blatt nicht begründet und auch an der Redaction desselben nicht speciell sich betheiligt, ihm aber andauernd und in der alleruneigenützigsten Weise Bestand, freie Bewegung und Fortgang gesichert, seitdem er es vor länger als zwölf Jahren aus drohendem Schiffbruch gerettet und in die Reihe seiner Verlagsartikel gestellt. Unter der vortrefflichen Redaction Friedrich Steger’s, und nach dem leider vorzeitigen Tode dieses rüstigen Publicisten unter der fleißigen geschmack- und umsichtsvollen Leitung Hermann Kleinsteuber’s hat denn auch die „Europa“ immer mehr der ihr von ihrem Verleger gegebenen Bestimmung entsprochen: ein sogenanntes literarisch-kritisches Journal nicht blos für Literaten und Gelehrte, sondern zugleich auch für möglichst weite Kreise der gebildeteren, geistig angeregten und bildungsbedürftigen Laienwelt zu sein. Wenn dies jetzt auch die Feuilletons der politischen Zeitungen leisten wollen, so reichen sie doch wegen der Beschränktheit ihres Raumes und ihrer meistens unmethodischen Art für alle Diejenigen nicht aus, denen es um einen regelmäßigen und lebendigeren Zusammenhang mit dem allgemeinen Culturgang und um eine vollständige und rechtzeitige Kenntniß seiner vielseitigen Ereignisse und Erscheinungen zu thun ist. Wer in dieser Hinsicht stets auf dem Laufenden erhalten und möglichst lückenlos unterrichtet sein will, dem muß dafür ein eigens zu diesem Zwecke hergestelltes Organ geboten sein. Das ist die Aufgabe, welche die „Europa“ sich gestellt hat und die sie bisher mit so viel Geschick und Emsigkeit zu lösen suchte, daß sie weit und breit in Deutschland einem zahlreichen Stamme treuer Leser eine unentbehrliche Lectüre geworden ist und namentlich vielen Freunden der „Gartenlaube“ als eine willkommene Ergänzung von Specialitäten gilt, welche diese, ihrer volksthümlichen Tedenz gemäß, von ihrem Programm ausschließen muß. Trotzdem wissen Manche, die eine solche Gabe zu schätzen wüßten, von der Existenz derselben noch nichts, und darum erscheint es uns als eine Pflicht, daß hier einmal ausdrücklich an das Vorhandensein, und ungestörte Forterscheinen dieser achtungswerthen Leistung erinnert werde.
Auf drei Bogen oder achtundvierzig Spalten bietet die „Europa“ in jeder Woche einen ungemein reichen und mannigfaltigen Inhalt. In Originalartikeln, sowie vielfach in sorgfältig gewählten und gut verarbeiteten Auszügen aus neuen Werken, auf welche dadurch zugleich die Aufmerksamkeit gelenkt werden soll, bietet der erste Haupttheil der Zeitschrift eine ganze Reihe von mehr oder weniger ausführlichen Schilderungen und Darlegungen aus allen Gebieten der Wissenschaft, der Kunst und des öffentlichen Lebens, besonders der Geschichte und Naturbeschreibung, der Länder- und Völkerkunde, der Literatur-, Cultur- und Sittengeschichte, dies Alles meist im Hinblicke auf die Zeitströmungen und immer in ansprechend-eleganten und anregend-unterhaltenden Formen. Der fernere Raum ist sodann der in der literarischen Welt hinlänglich bekannten „Europa-Chronik“ gewidmet, die unter den vier Rubriken „Literatur“, „Bildende Kunst“, „Musik“ und „Theater“ stets eine Fülle von Mittheilungen über die neuesten Erscheinungen und Vorgänge auf allen diesen Gebieten nebst kritischen Besprechungen des Geleisteten in wohlgeordneter Uebersicht vorüberführt. Namhafte Mitarbeiter wenden dem einen wie dem anderen Theile regelmäßig eine fleißige Thätigkeit zu, und man braucht nur einige Nummern anzusehen, um sich zu überzeugen, daß dieses Ganze mit derartiger Promptheit nur an einem Mittelpunkte des Buchhandels und literarische Verkehrs geschaffen werden kann, wie es Leipzig ist.
Daß es bei einem solchen Unternehmen nicht aus Erzielung geschäftlichen Gewinnes abgesehen ist, wird jeder irgend Sachkundige leicht ermessen können. Freilich kann aber auch bei dem erforderlichen Umfange des Blattes und der Begrenztheit seines Absatzes der Abonnementspreis kein so geringer sein, wie die auf große Kreise berechneten Blätter ihn zu stellen vermögen. Wo jedoch dieser Umstand hinderlich ist, da können doch Minderbemittelte zu einem gemeinsamen Abonnement sich vereinigen, wie dies in der That schon hier und dort geschieht.
Zur Sache sei schließlich noch Folgendes bemerkt: Unstreitig ist das Publicum berechtigt, eine Hinweisung auf Bestrebungen zu fordern, die seinem geistigen Bedürfniß entgegenkommen. Ebenso unbedingt aber hat das Publicum auch die Pflicht, diesen seinen Bildungsinteresse, seinem edleren Nutzen und Genuß dienenden Bestrebungen nicht fern und fremd zu bleiben, sondern ihnen durch ermunternde Theilnahme einen fortschreitenden Aufschwung zu erleichtern. Neben andern beliebten Journalen sollte auch ein gemeinverständliches literarisches Blatt wie die „Europa“ auf allen Lesetischen gebildeter deutscher Familien zu finden sein und zwar auch als Geistesnahrung für Frauen und Töchter.