Ein Tag in Shakespeare’s London
Von Julius Rodenberg.
Obwohl London im 16. Jahrhundert nicht viel mehr Einwohner zählte, als Köln, und nicht ganz so viel, als Hamburg heute besitzt, so galt es doch schon damals für eine der größten Städte in der Christenheit, und unser deutscher Tourist Hentzner, welcher 1598 dort war, berichtet daher mit aufrichtigem Staunen, daß der Umfang dieser Stadt „beinahe eine ganze Meile beträgt“. Damals, wie heute, gab es eine City von London und eine City von Westminster, aber die Vorstädte, deren Häusermassen heute das Stein- und Mörtelmeer von London schwellen, waren damals noch grüne Felder und blumige Wiesen, und die City von Westminster selber war nicht viel mehr als eine Vorstadt von Palästen, der Sitz des Hofes und der Edlen von England. Hier war die damals schon alte Abtei und Kathedrale von Westminster, die Halle des Parlamentes und York-Place, eine prachtvolle Residenz, erbaut von Cardinal Wolsey, aber von Heinrich VIII. seinem ehemaligen Günstling nach dessen Sturz geraubt und darauf „mit ihrem reichen Vorrath von Kostbarkeiten, ihren Tapeten von Gold- und Silberstoff, ihren Tausenden von Stücken feiner holländischer Leinwand und ihren Vorräthen von Silber-, ja sogar schönem Goldgeschirr, welches zwei große Tafeln bedeckte,“ von dem Monarchen in höchsteigenen Gebrauch genommen. Seitdem hieß diese Residenz „Whitehall“, und hier, im Glanze von Englands glorreichsten Tagen, saß Elisabeth, „von Gottes Gnaden Königin von England, Frankreich und Irland, die Beschützerin des Glaubens“, auf dem Throne.
Wo jetzt das Gewirr dunkler Höfe und die übelberüchtigten Seitengassen des „Strand“ bis an die schlammigen Ufer der Themse reichen, da standen damals die Stadthäuser der Bischöfe, der Gesandten und der großen Lords. Schöne Gärten umgaben sie und an
[245]ihren Mauern plätscherte das Wasser der in jenen Tagen noch „silbernen“ Themse dahin. Hier war Bedford-House und Leicester-House und Essex-House – jetzt verschwunden von den Stellen, wo sie gestanden, und nur den Straßen, Plätzen und Quartieren des neuen Londons ihre alten Namen hinterlassend. Hier war auch Durham-House, und da, in einem kleinen Studirzimmer, welches die Themse überblickte, saß Sir Walter Raleigh, der Kriegsheld, der Entdecker ferner Länder, der Gelehrte und der Hofmann. Ein Kranz berühmter Namen schloß sich um den Thron von Elisabeth: es war das Jünglingsalter und die Heldenzeit von England. Philipp von Spanien, welcher aus einem Bewerber um ihre Hand ein Feind Elisabeth’s geworden, hatte England zu vernichten gedroht mit einem furchtbaren Heere von Schiffen, der sogenannten Armada. Aber „Gott blies und sie waren zerstreut.“ Dieses Gottesgericht war der Anfang von Englands Macht zur See. Die Blüthe der Colonien begann, und im Innern, von der Freiheit des Glaubens getragen, regte sich mit dem wachsenden Wohlstand zugleich das geistige Leben der Nation.
Ein massives Steinthor, schwarz vom Ruß der Jahrhunderte, trennt heute den Strand von Fleetstreet, die City vom Westende; damals that es ein Schlagbaum von Holz, frisch bemalt und mit farbigem Tuch behangen, die Tempel-Barre, Temple Bar, genannt, nach der benachbarten [246] Juristeninnung vom Tempel. Hinter Temple Bar begann die City, das eigentliche London jener Tage. Hier, mit ihrem selbstgewählten City-Monarchen, dem Lord-Mayor, welcher seinen Hof und seinen Hofgarten so gut hatte wie die Königin auf der andern Seite der Barre, wohnten alle die guten Bürger von London. Hier hausten die reichen Kaufleute, deren fast fürstlicher Luxus gleichen Schritt hielt mit dem Wachsthum der Colonien, des Handels und der ostindischen Compagnie. Ihre Häuser, aus eichenen Balken gezimmert, mit gothischen Fenstern und Giebeldächern, gaben den Straßen, obgleich sie eng waren, eine malerische Perspective. Nur noch sehr wenige von diesen Elisabeth’schen Häusern sind übrig geblieben in der City von London, um uns einen Begriff zu geben von der reichen Bauart und dem bessern Geschmack jener Zeit. Das große Feuer von 1666 hat sie fast sämmtlich zerstört. Aber damals standen sie noch in all ihrer pittoresken Schönheit, mit ihren geschnitzten Balkenenden und ihren Blumen von Eichenholz über der Thür und an den Fenstern. Ein jedes Haus hatte, ganz ebenso wie zu jener Zeit in Deutschland und heute noch vielfach in den Schweizer Städten, sein besonderes Zeichen, nachdem es hieß; denn Häusernummern gab es dazumal noch nicht. Da waren Zeichen nach den Gewerben und Zünften, und da waren Zeichen, die auf den Handel und die Schifffahrt und die fernen Länder Bezug hatten. Da war ein Mohrenkopf und ein Griechenkopf in seinen natürlichen Farben (oder wenigstens, was man dafür hielt), und da war ein goldener Ball und ein goldenes Kreuz. Dieses Haus hieß „zum schwarzen Bullen“ und jenes Haus hieß „zum rothen Löwen“. Alle diese verschiedenen Marken und Figuren und Kennzeichen mit ihren bunten Farben und starken Vergoldungen waren auf den Straßen zu sehen. Es muß ein sehr fröhlicher Anblick gewesen sein. Und auch die Brücken hatten ihre Häuser auf beiden Seiten, und in der Mitte von London-Bridge stand sogar eine Kirche.
Und so malerisch wie die Straßen selber war auch das Treiben der Menschen darin. Da war nicht der eiserne Lärm von tausend Rädern in Bewegung: „da war (wie der alte Chronist Stowe sagt) allerweg ein lustiger Lärm von gastlichen Zubereitungen. Die Köche riefen heiße Rippen von geröstetem Rindfleisch, wohlgebackene Pasteten und andere Lebensmittel aus; da war ein Klingen von zinnernen Krügen, von Harfe, von Flöte und Psalter“. Die Namen von Pudding-lane, Weinstraße und Hahn- und Pastetengäßchen im heutigen London erinnern noch an die leckeren Bissen von ehedem. Und so wenig, als an den Häusern, war unsere Monotonie von Braun und Grau in den Trachten jener Zeit. Das war damals Alles phantasie- und farbenreich, angenehm und unterhaltend für das Auge. Es war mehr Individualität und mehr Heiterkeit in der Welt und in den Kleidern. Das Zeitalter, welches die erhabene Pracht der Münster aufzuthürmen und die stattlichen Söller der Edelsitze, die traulichen Erker der Bürgerhäuser zu bauen verstand, das hatte auch eine staunenswerthe Erfindung für das Costüm. Welch’ ein ungeheurer Reichthum von Phantasie ward auf die Schuhe, die Hüte, die Hosen und die Mäntel verschwendet! Auf jene Schuhe, deren Spitzen sich bald aufwärts drehten, wie ein Widderhorn, bald ausbreiteten, wie ein geöffneter Fächer; auf den Kopfputz, welcher variirte von dem Barett bis zu dem Hut mit thurmartiger Spitze; auf die Mäntel, welche sich von dem kurzen normännischen Spenser bis zu dem weiten und faltenreichen spanischen Mantel abstuften. Lustige Cavaliere in Sammet, Seide und feinem Tuch, welches von Gold- und Silberstickerei funkelte, paradirten durch die Straßen, und ebenso wie der Adel, hatte auch der Bürgerstand seine Farbe und seinen Putz, und jede Gilde, jedes Handwerk, jede Profession ihre Wappen und Zeichen. Schwarz war ganz aus der Mode; und inmitten dieses fortwährenden Gepränges von Spitzen und Atlas, von grünen, scharlachen, nelkenrothen oder himmelblauen Röcken, von pflaumenfarbenen Mänteln und gelben Ueberwürfen bezeichnete ein Anzug von dunklem Stoff den Kopfhänger, den Augenverdreher, den Frömmler, den Puritaner. –
In dieses London, so lebenslustig damals, so kräftig in dem Gefühl des nationalen Aufschwunges, so schimmernd von den neuen Reichthümern, so rauschend von den Festen des Hofes, den Aufzügen und Vergnügungen der Bürger, in dieses London kam um das Jahr 1586 William Shakespeare aus seiner ländlichen Heimath in Warwickshire. Er war dreiundzwanzigjährig und hatte daheim eine Frau, welche acht Jahr älter war, als er, und drei Kinder gelassen. Ob er aus Stratford am Avon geflüchtet, der Wilddieberei und der Abfassung eines Spottgedichtes auf den Friedensrichter Sir Thomas Lucy beschuldigt, oder ob er ausgewandert, mit der Absicht, in London sein Glück zu versuchen, das wissen wir so wenig, wie es uns bekannt ist, ob er seine dramatische Laufbahn damit begonnen, vor dem Theater die Pferde zu halten oder auf das Theater die Stühle zu stellen. Aber seht, da ist er; sein Genius hat ihn zur rechten Zeit an den rechten Ort geführt. Aus den Händen der Zünfte und Gewerbe, welche das Drama Jahrhunderte lang, in der Gestalt von Mirakelspielen und Mysterien, auf den Straßen und dem offenen Marktplatze aufgeführt hatten, war es nun endlich in die Hände der Dichter und der Künstler, in den Palast der Königin und die Halle der Edlen gelangt. Die Lust, zu spielen und Schauspieler zu sehen, ward allgemein. Jeder große Lord hatte seine Truppe von Schauspielern, welche sich seine „Komödianten und Diener“ nannten und die Provinzen durchzogen, wenn sie in der Hauptstadt keine Beschäftigung fanden. Das erste öffentliche Theater in London, das Blackfriars-Theater, ward 1576 eröffnet; zu Ende des Jahrhunderts gab es schon siebzehn Theater, auf welchen täglich gespielt ward. Außerdem spielten die Studenten auf den Universitäten, die Juristen in ihren Innungsgebäuden, sogar die Lehrburschen von London spielten, so daß es wahr wurde, was das Sprüchwort sagte und was man später als Inschrift an da Globe-Theater setzte: „Totus mundus agit histrionem“. (Die ganze Welt macht den Schauspieler.) Shakespeare trat in die Truppe von Blackfriars ein, welche, ursprünglich im Dienste des Grafen von Leicester, später von der Königin patronisirt ward und den Namen der „Schauspieler der Königin“ annahm. Dieser Titel hat sich erhalten und es führen ihn gegenwärtig die Schauspieler von Drurylane, welche sich immer noch „Ihrer Majestät Diener“ nennen. Das junge Mitglied der Blackfriarstruppe zeichnete sich sehr bald aus: schon 1589 ward er zum Mitbesitzer, zum „sharer“ des Theaters gemacht, welches, wie es der Zeit nach das erste war, so auch dem Range nach, hinsichtlich seines Werthes, das erste der Hauptstadt blieb. „Shakespeares dramatische Unterhaltungen wurden,“ wie sich ein gleichzeitiger Schriftsteller ausdrückt, „die größte Unterstützung unseres Haupt-, wenn nicht jeden Theaters in London.“ Er hatte noch sein dreißigstes Jahr nicht erreicht, da war „unser freundlicher Willy“, der „honigzungige Shakespeare“, ein populärer und ein berühmter Mann. „Er ist unser Plautus und unser Seneca, der beste Mann in England für das Lustspiel und die Tragödie,“ sagt Francis Meres im Jahre 1598.
Wo aber haben wir ihn zu suchen in diesem London, das für die Begriffe jener Zeit schon so groß war? Nun, es gab drei Plätze in dem damaligen London, wo man sicher sein konnte, im Verlaufe eines bürgerlichen Tages einen jeden Mann, der zur guten Gesellschaft gehörte, wenigstens einmal zu treffen, entweder im St. Pauls-Dome, oder in der Taverne, oder im Theater.
Die St. Paulskirche war damals die große und fashionable Promenade von London. Was gegenwärtig der Reitweg Rotten-Row im Hydepark ist und im 17. und 18. Jahrhundert der Mall war, das war im 16. Jahrhundert St. Paul, die alte Metropolitankirche von London, nicht der Platz vor der Kirche, sondern die Kirche selber. Es gingen überhaupt wunderbare Dinge in den Kirchen vor; sie waren die Theater, die Gerichtshöfe, die politischen Kampfplätze und die Lotteriehäuser jener Tage. Das alte Drama, das Mirakelspiel, bevor es auf die Straßen gewandert war, hatte Jahrhunderte lang seinen Sitz in den Kirchen gehabt, und noch aus dem Jahre 1592 hören wir, daß bei einem Besuch der Königin Elisabeth in Oxford der Gottesdienst in der Universitätskapelle nicht so bald vorüber war, als man auch die Kapelle schon in ein Theater für die Vergnügungen des Nachmittags verwandelte. Um dieselbe Zeit verbot die akademische Obrigkeit derselben Universität das Rauchen in den Kirchen „wegen der zu großen Masse des Qualmes“. Die Gemeindewahlen wurden fast überall in den Kirchen vollzogen und sehr häufig, besonders in Zeiten von ansteckenden Krankheiten, wurden auch die Assisen daselbst gehalten. Am Ungenirtesten jedoch benahm man sich in der genannten Metropolitankirche von London, derjenigen, welche, im großen Feuer zerstört, auf derselben Stelle stand, wo jetzt der Dom von St. Paul sich erhebt. Das St. Pauls des heutigen London ist ein Kuppelbau, nach dem Muster der Peterskirche in Rom; St. Paul in Shakespeare’s London war ein gothischer Dom, mit einem schmalen Thurm, der aber durch Feuer im Jahr 1561 halb zerstört war, mit Kreuzgängen und einem Todtentanz an den Außenwänden. Im Innern [247] waren Kapellen und Schreine, welche von kostbaren Steinen und Gold und Silber schimmerten; die Glasmalereien der Fenster warfen ein vielfarbiges Licht auf das prachtvolle Silbergeräth des Hochaltars und den Schrein des heiligen Erkenwald, an welchem ein großer Sapphir funkelte, von dem man glaubte, daß er die Krankheiten der Augen heilte. – So oft Königin Elisabeth mit ihrem noblen Gefolge nach St. Paul kam, um dem Gottesdienste beizuwohnen, wurde sie fast unveränderlich begleitet von „zwei weißen Bären“. Aber dieses war nicht das Aergste. Schon seit der Reformationszeit war das Schiff des Domes ein ganz allgemeiner Durchgang geworden für die Lastknechte mit Bierfässern, Brodkörben, Fisch, Fleisch und Früchten; beladene Maulesel, Pferde und andere Thiere zogen unaufhörlich von der einen Thür zur andern, die Marmormosaiken mit Stroh, Abfall und Schmutz jeder Art bestreuend. Durch die hohen Flügel des Domes klang Rossegewieher und auf den Bänken im Chöre schnarchten die Trunkenbolde. An die Säulen wurden Zettel geschlagen und an der sogenannten „Si quis“-Thür drängten sich die Dienstboten, welche eine Herrschaft suchten. Die Advocaten hatten ihre Stände, an denen sie ihre Clienten empfingen. In den Seitengängen standen die Wucherer, und das Taufbecken ward als Comptoir bei den Zahlungen benutzt. Der Lärm war sehr groß, und während in einem Theil des Domes die Orgel ging und die Predigt gehalten ward, wurde in dem andern geflucht, geschworen und betrogen. Das Mittelschiff aber war für die fashionable Promenade reservirt; es war der Platz für die Neuigkeiten und das tägliche Rendezvous für die geistreichen und galanten Herren der Stadt.
Dieser mittlere Theil der Kirche hieß im Jargon jener Tage „das mittelländische Meer“, oder „Herzog Humphrey’s Promenade“, nach dem Grabmonument des Herzogs Humphrey genannt, welches sich darin befand. „Mit Herzog Humphrey zu Mittag speisen“, hieß in der damaligen Redeweise so viel, als kein Geld haben, um ein Mittagsessen zu bezahlen. Ein Diarist jener Zeit, Francis Osborn, giebt uns folgende Beschreibung: „Es war damals die Mode für die bessern Classen, für Lords und Hofleute und Männer von allen Berufsarten, sich in St. Paul gegen eilf Uhr Morgens zu treffen und in dem Mittelflügel bis zwölf zu promeniren, nach dem Mittagsessen aber von drei bis sechs, während welcher Zeit Einige von Geschäften, Andere von Neuigkeiten sprachen. Nun, in Rücksicht auf den Weltverkehr ereignete sich wenig, was nicht zuerst oder zuletzt hierher gekommen wäre. Und ich, als ich jung war, mischte mich um diese Stunden unter die auserlesenste Gesellschaft, die ich auftreiben konnte.“ Hierher, in diese seltsame Versammlung der Laster, Thorheiten, Moden und Launen des damaligen Londons, ist auch Shakespeare oft genug gekommen. Hier fand er die Modelle für seine Komödien und die Zielscheiben für seinen Witz. Hier fand er Pistol und Bardolph, Junker Tobias von Bleichenwang und Junker Schmächtig. „Hier (in St. Paul) habe ich ihn mir gekauft,“ wie Falstaff von Bardolph sagt. –
Wo aber fand er ihn selber, ihn „den alten, fetten Ritter“, diese Blume aller Kneipgenies? Nun, ich denke der Ort ist nicht zu verfehlen, wo der sich aufhält, dessen Wort ist: „Soll ich meine Bequemlichkeit nicht haben in einem Wirthshaus?“ Die Tavernen „zur Meermaid“, „zur Mitra“, „zum Horn“ oder „zum Eberkopf“ sind nicht weit, und in einer davon werden wir ihn finden, denn, wie es in dem Codex der Modeherren von damals hieß: „sein Essen muß in einer von den berühmten Tavernen sein.“
Aber ehe wir noch diese Stätten fröhlicher Geselligkeit, gefüllter Krüge und sprudelnder Witze erreichen, haben wir noch, grad beim Austritt aus St. Paul, einen merkwürdigen Anblick. Hier, auf dem Kirchhof von St. Paul, um eines jener Straßenkreuze, an welchen das alte London reich war, sitzt eine Versammlung von Andächtigen in freier Luft, und unter dem Kreuz steht ein Mann in Schwarz, welcher predigt. Es ist ein Puritaner, welcher gegen die Sittenlosigkeit der Zeit, gegen ihre Vergnügungen und ihre Theater nicht am wenigsten donnert. Dieser Mann und seine Partei werden auch ihren Tag haben, um die Kirchen zu säubern und die Theater zu schließen!
Man sagt, daß Shakespeare die Bekanntschaft von Sir John Oldcastle (denn so hieß das Original unseres bewunderten Freundes Sir John Falstaff) in einer Taverne von Eastcheap, im „Eberkopf“ gemacht habe. Diese Taverne erfreute sich noch sehr lange eines großen Ruhms in der Nachbarschaft des Fischmarktes von Billingsgate, bis zu Anfang des vorigen Jahrhunderts der damalige Besitzer, vielleicht aus Reue über die Sünden seiner Vorgänger und Vorgängerinnen, diesen Aufenthalt der „Dame Hurtig“ der Kirche vom heiligen Michael vermachte, um einen Kaplan aus dem Einkommen zu unterhalten. Aber der Eber wollte unter dem Kirchenregiment nicht recht mehr floriren; zu Anfang unseres Jahrhunderts wurde das alte Nest zwischen einem Barbier und einem Flintenschmied getheilt, über deren aneinanderstoßenden Läden bis zum Jahre 1831 noch der in Stein gehauene Eberkopf zu sehen war. Da aber wurden auch diese letzten Insassen des Eberkopfs expropriirt, das Haus wurde niedergerissen, um Raum für die neue London Bridge zu machen, und genau auf der Stelle, wo der „alte Jack“ gezecht und, als er seine Schulden nicht bezahlen konnte, mit einem Schwur auf seinen vergoldeten Becher der Wirthin die Ehe versprochen, steht nun die Bildsäule eines Mannes, der seiner Zeit nicht weniger corpulent, aber viel weniger witzig war: die Reiterstatue Wilhelm’s IV.
Die Taverne, welche Shakespeare meistens frequentirte und wo er mit seinen Freunden die längsten und berühmtesten Sitzungen hielt, war die Taverne „zur Meermaid“, deren heitere Zechstube unsere Abbildung zeigt. Sie stand in Breadstreet, einer Nebengasse von Cheapside, zwischen der heutigen Southwark-Bridge und London-Bridge. Das Haus, wie fast das ganze Shakespeare’sche London, wurde von dem großen Feuer hinweggenommen; indessen zeigt man noch heute den Platz, wo es gestanden, und eine gute Reihe von Traditionen hat sich erhalten. Der Name des Wirthes war Dun. Seine Gäste versammelten sich entweder zum Mittagsessen, welches gleich nach zwölf eingenommen wurde, oder zum Abendbecher, gegen sechs, wenn das Theater aus war. Speisezettel gab es damals allerdings nicht. Aber doch haben sich einige Kochbücher aus jener Zeit erhalten. Vielleicht interessirt es die Leserinnen, zu erfahren, was Mr. Dun’s Küche für Shakespeare und seine Freunde thun konnte. Hier sind einige Delicatessen: gekochte Tulpenstengel; marinirter Puter, in Weißwein und Essig gesotten und mit Fenchelsauce servirt; gepökelte Gans mit Nelken und Ingwer; Gelée von Kleeblumen und Omeletten von Malvenstengeln mit Rosenwasser.
Aber wir glauben, daß der feiste Herr am obern Ende der Tafel, der, welcher von sich zu sagen scheint: „Du siehst, ich habe mehr Fleisch als andere Menschen und also auch mehr Schwachheit,“ – wir glauben, daß der es mit dem „Roast-beef von Alt-England“ gehalten, und daß er mehr Sect als Rosenwasser zu sich genommen. „Ich wollte den fetten Jack nicht für die Hälfte der großen Männer in den Chroniken aufgeben!“ ruft Washington Irving aus. „Was haben sie für mich oder meinesgleichen gethan? Sie haben Länder erobert, von denen ich keine Hand breit besitze; oder sie haben Lorbeeren errungen, von denen ich kein Blatt geerbt; oder sie haben Thaten verrichtet, welche ich ihnen nachzumachen weder die Kühnheit noch die Gelegenheit habe. Aber der alte Jack Falstaff! – der freundliche Jack Falstaff! – der süße Jack Falstaff! – hat die Grenzen des menschlichen Vergnügens erweitert; er hat große Gebiete des Witzes und der Laune hinzugefügt, in welchen der ärmste Mann sich ergötzen mag, und er hat eine unfehlbare Erbschaft von fröhlichem Gelächter hinterlassen, um die Menschheit lustiger und besser zu machen bis in das späteste Geschlecht.“ – Darum Heil dem edlen Sir John Falstaff! Und Heil dem edlen Sir John Oldcastle, der des vortrefflichen Bildes vortreffliches Original gewesen!
Zwischen dem Essen und Trinken wurde scharf gedampft, denn seit Sir Walter Raleigh den ersten Beutel voll Tabak aus Westindien mitgebracht, war das Rauchen in den exclusiven Kreisen jener Tage Mode geworden. Shakespeare’s Collegen vom Globe- und Blackfriars-Theater, Lawrence Fletcher und John Taylor und Richard Burbage, die Originaldarsteller von Hamlet, Lear und Othello, rauchten. Shakespeare selber scheint der neuen Mode nicht gehuldigt zu haben, da er derselben in keinem seiner Stücke Erwähnung thut; aber Ben Jonson muß ein Freund von dem „ Schnepfenkopf“ gewesen sein, wie man die Pfeife damals nannte. In seinen Komödien ist sehr oft die Rede davon. Richard Burbage war der erste Schauspieler seiner Zeit. „Der wird für keinen Gentleman gerechnet, der Dick Burbage nicht kennt; es giebt kein Landmädchen, das nicht von Dick Burbage sprechen könnte,“ heißt es in „Rückkehr vom Parnaß“, einem Schauspiel aus dem Jahre 1602. Richard Burbage muß auch ein sehr schöner Mann gewesen sein. Einmal, als er Richard III. gespielt [248] hatte, verliebte sich eine schöne Bürgerin von London so sehr in ihn, daß sie ihm ein Rendez-vous unter der Parole „Richard III.“ bewilligte. Der Dichter des Trauerspiels, Shakespeare, hörte die Verabredung und beschloß, das Abenteuer selber zu bestehen, ging und fand unter der ausgemachten Parole wirklich Einlaß. Später kam Burbage. „Richard III. ist vor der Thür!“ ließ er hinaufsagen. „William der Eroberer war vor Richard III.,“ ließ William Shakespeare hinuntersagen und behauptete das Feld.
Shakespeare war der liebenswürdigste und eleganteste Gesellschafter; etwas schwerer und schwerfälliger war Ben Jonson. Ben Jonson, nach Shakespeare der berühmteste Dramatiker jener Zeit, hatte ein sehr abenteuerliches Leben geführt. Zuerst hatte er studirt, dann war er Soldat gewesen, ferner Schauspieler geworden, darauf hatte er einen seiner Collegen erschossen und war zu lebenslänglichem Gefängniß verurtheilt worden. Aber er wurde begnadigt und benutzte den Rest seines Lebens, um für die Bühne zu schreiben. Eine gute Cameradschaft, nur ein- oder zweimal durch Eifersüchteleien vorübergehend getrübt, verband ihn mit Shakespeare. Beide waren witzig, Beide waren geistreich und erfahren in den Dingen der Welt. Ihr Gespräch belebte die Unterhaltungen in der Meermaid und ihre Witz- und Wortspiele wurden in London colportirt. –
Aber es schlägt zwei Uhr von der Bow-Kirche, und nun müssen wir die Sitzung aufheben, „wir müssen uns über die See begeben,“ wie es in der Sprache jener Zeit heißt, d. h. ein Boot nehmen und uns nach einem der Theater rudern lassen, welche diesseits oder jenseits der Themse dicht am Ufer liegen. Denn Schlag drei Uhr Nachmittags beginnt die Vorstellung.
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Der Stutzer und der Mann von gutem Ton, der zu Elisabeth’s Zeit seine Morgenpromenade in St. Paul macht, kennt bereits die Titel der Stücke, welche heut in den Theatern von London aufgeführt werden: denn unter den andern gottesfürchtigen Ankündigungen an den Wänden dieser Kathedralkirche befinden sich auch die Theaterzettel. Für die profane Menge jedoch und das Publicum im Großen werden sie an die Pfähle geschlagen, welche man hier und da in den Straßen errichtet hat, um die Pferde daranzubinden. An ihnen erblicken wir die sieben Theaterzettel der sieben Haupttheater von London: der Rose, des Schwans, des rothen Ochsen und des Vorhangs, wahrscheinlich nach einem Bilde, ferner des Globus, der Fortuna und der Hoffnung, wahrscheinlich nach einer Figur so genannt, welche an einer besonders sichtbaren Stelle dieser Gebäude als das „Zeichen“ derselben angebracht war. Die Theaterzettel damaliger Zeit enthielten nur die Namen des Stücks, des Dichters, der Truppe und ihres Patrons; aber kein Personenverzeichniß. Leider besitzen wir kein Original eines solchen Zettels mehr; jedoch geben uns die Titelblätter zu den ersten Ausgaben Shakespeare’scher Stücke vielleicht eine Idee von dem Styl, in welchem jene abgefaßt wurden. Hier ist ein Beispiel:
Eine sehr amüsante und ausgezeichnet erfundene Komödie,
genannt:
Syr John Falstaff und die lustigen Weiber von Windsor,
Syr Hugh, eines wälschen Ritters, des Friedensrichters Schaaf, und seines weisen Cousins,
Herrn Schmächtig, nebst den Aufschneidereien des alten Pistol und Corporals Nym
Wm. Shakespeare,
Sehr Ehrenwerthen, des Mylord Oberkammerherrn Dienern
sowohl vor Ihrer Majestät als anderweit.
Shakespeare’s Truppe, die vornehmste und bedeutendste jener Zeit, hatte zwei Theater: ein Wintertheater, Blackfriars genannt, und ein Sommertheater, den Globe. Das Blackfriarstheater, das älteste in London, und das erste, in welchem überhaupt je gespielt worden ist (seit dem Jahr 1576), stand in der Nähe der heutigen Blackfriarsbrücke. Genau da, wo jetzt die vier kolossalsten Schnellpressen von London arbeiten und finstere Speicherthüren unausgesetzt die bedruckten Zeitungsballen der „Times“ ausspeien, da spielte einst Shakespeare den Geist von Hamlet’s Vater. Das Blackfriarstheater war ein sogenanntes Privat-Theater, d. h. es war kleiner, als die andern, welche im Gegensatz dazu die öffentlichen Theater hießen, hatte ein vollständiges Dach, hatte Sitze
[261]im Parterre (pit), und man spielte darin vor einem gewählteren Publicum und bei Kerzenlicht, indem man das Tageslicht künstlich ausschloß. Das Globetheater dagegen, das Sommertheater der Compagnie, war ein öffentliches; es lag schräg gegenüber, auf der andern Seite der Themse, und um es zu erreichen, mußte man daher eine der Brücken kreuzen, oder man mußte sich „ein paar Ruder“ miethen. Kutschen gab es im damaligen London nur erst ganz vereinzelt. Sie waren zugleich mit dem Tabakrauchen aufgekommen und wurden zugleich damit verspottet. Die Herren vom Hofe und die Cavaliere ritten in das Theater, begleitet von ihren irischen Pferdejungen, welche neben ihnen herliefen, und von ihren französischen Pagen, welche ihnen zu Pferde folgten. Die Mehrzahl der Zuschauer aber kam zu Wasser, in kleinen Ruderbooten. Dieses Mittel, sich von einem Punkt der Stadt an den andern zu begeben, war das beliebteste. Das damalige London, die City, lag fast ganz am Wasser und hatte weniger Brücken, als das heutige. Mehr als 40.000 Menschen lebten von ihrem Ruder und Fahrzeug und zwischen 3 und 4000 Personen ließen sich täglich allein zu den Theatern fahren, welche sämmtlich sich entweder auf dieser oder auf jener Seite des Stroms dicht am Wasser befanden.
Aber das Theater hatte auch seine Feinde. Schon haben wir unter dem Kreuz von St. Paul jenen Mann gesehen, jenen Geistlichen, den Ehrwürdigen John Stockwood, welcher vor seiner Gemeinde von Puritanern gegen diesen neuen Mißbrauch der Zeit eifert. „Ich sage Nichts,“ ruft er, „von verschiedenen andern Sünden, welche Tausende mit sich fortreißen und zuletzt in dem Strome der Eitelkeit ertränken. Aber seht auf die öffentlichen Schauspiele in London und seht auf die Menschenmenge, die ihnen zuströmt und die ihnen nachläuft. Betrachtet die prachtvollen Theatergebäude, ein beständiges Denkmal für Londons Verschwendung und Thorheit.“ Dann, nachdem der Prediger die Schrecken der Schauspielaufführungen in feurigen Worten geschildert, bringt er die Krankheit, welche fast jedes Jahr wüthete, damit in Verbindung und schließt mit der Behauptung: „Die Ursache der Pest ist die Sünde, [262] und die Ursachen der Sünden sind die Schauspiele; daher sind die Ursachen der Pest die Schauspiele.“
Der Magistrat von London, Lord-Mayor und Aldermen, nahmen dieses Argument auf. In einem sehr gelehrten Actenstück dieser Körperschaft wird versichert, daß während der Pest zu spielen Ansteckung verbreite, und daß außer der Pest zu spielen die Pest erzeuge. Es ward demgemäß angeordnet, daß die Schauspieler – mit Ausnahme derjenigen, welche in Ihrer Majestät Diensten ständen – nur dann Erlaubniß haben sollen, zu spielen, wenn „die Stadt gesund sei“, d. h. wenn während dreier Wochen nacheinander nicht mehr als 50 Leute in der Woche gestorben wären. Dann sollte am Sonntag überhaupt nicht und an den Wochentagen nicht später gespielt werden, „als daß ein Jeder von den Zuschauern in seiner Wohnung vor Sonnenuntergang oder wenigstens vor Dunkelwerden zurück sein kann.“ – Diese sehr weisen Verordnungen eines hochlöblichen Magistrats hatten keinen andern Effect, als daß die Schauspielhäuser nicht in der City, sondern an den Außenrändern derselben, meistens am Wasser gebaut wurden, und daß Ihre Majestät und Ihrer Majestät große Lords die armen verfolgten Schauspieler in ihren „Dienst“ nahmen und mit ihrer Schärpe gegen die Weisheit und Vorsicht der Väter der Stadt deckten. In dieser ihrer Eigenschaft trugen die Schauspieler jener Zeit, gleich den andern Dienstleuten derselben, die Wappen und die Farben ihrer Patrone; wer sich nun an ihnen vergriff, der bekam es mit den Lords von Ihrer Majestät Haushalt zu thun! Die Mitglieder von Shakespeare’s Truppe und Shakespeare selber trugen als „Diener Ihrer Majestät“ scharlachfarbene Mäntel mit Sammtaufschlägen.
Die Königin Elisabeth war eine große Freundin und Beschützerin des Schauspiels. Sie und ihr Hof hielten es für keine Sünde, nachdem sie am Vormittag ihren gehörigen Kirchgang gehabt, die Sonntage in einer Komödie zu beschließen, und in ihrer Sorge für das Vergnügen der niedrigern Classen ermunterte sie dieselben, ihrem Beispiele zu folgen. Damals war der Sonntag noch nicht jene Wüste von Scheinheiligkeit und Langeweile, die der heutigen Bevölkerung von London nach der Woche Last und Mühe keine andere Erholung gönnt, als die Kirche und das Ginhaus. Damals war der Sonntag der beste Tag für die Theater in London, und das Volk strömte hinein, um Shakespeare zu sehen und Shakespeare zu hören. – Die Königin für ihre Person ging zwar niemals in die Theater, aber in ihren Palästen zu Whitehall, in Richmond und in Windsor fanden beständig Vorstellungen statt, und einige von Shakespeare’s Stücken wurden zuerst vor Ihrer Majestät aufgeführt. Eine ziemlich glaubwürdige Anekdote versichert uns, daß wir „die lustigen Weiber von Windsor“ nur dem Wunsche der Königin zu verdanken hätten. Sie, die, wie alle Welt damals, eine große Bewunderung und Freundschaft hegte für Sir John Falstaff, wäre sehr neugierig gewesen, das Benehmen des „feisten Ritters“, nachdem sie ihn immer nur unter Männern, beim Becher und in der Schlacht gesehen, nun auch einmal in einem Liebesverhältniß und bei Damen kennen zu lernen. Dieses war eine Aufgabe für Shakespeare’s Humor! Man sagt, daß er nicht länger als vierzehn Tage gebraucht habe, um sie auszuführen. Und so ging, kurz vor Elisabeth’s Tode, Ende des Jahres 1602, die neue Komödie in Scene, wahrscheinlich im Schlosse von Windsor, in welchem die Königin damals vorzugsweise residirte und nach welchem auch der Dichter mit feiner Courtoisie sein Stück nannte. Eine freilich weniger glaubwürdige Anekdote fügt hinzu, die Königin habe über die Streiche der lustigen Weiber und das Mißgeschick ihres ritterlichen Galans, der unter einem Haufen schmutziger Wäsche in die Themse geworfen wird, so stark gelacht, daß sich in Folge davon ein Krampf und ein Husten einstellte, der tödtlich für sie geworden sei.
Aber noch steht die Sonne hoch und unser Schifflein schwimmt auf der Themsewoge. Dort auf dem rechten Ufer ist Bankside, in Shakespeare’s London der Sitz des Vergnügens, bunt von Wirthshausschildern und lustig von Musik. Dort ist der Bärengarten und dort sind fünf von den sieben Theatern Londons. Da, wo hinter Southwark-Bridge in unserm London ein gigantisches Heer von Schornsteinen Tag und Nacht schwarzen Qualm ausstößt, welcher die Atmosphäre verfinstert, wo ein immerwährendes Dröhnen ist von Frachtkarren und ein beständiger Geruch von Hopfen und Malz und wo an rußbedeckter Mauer ein Bret die Inschrift trägt: „Barclay’s und Perkins’s Brauhaus“ – an derselben Stelle, dreihundert Jahre früher und unter dem blauen Himmel von Shakespeares London steht sein Theater, welches den Herkules mit der Erdkugel zum Zeichen hat und nach demselben das Globe-Theater heißt. Es ist ein sechseckiges Gebäude von Holz, fast wie ein Belagerungsthurm mit vielen Fenstern ringsum, die wie Schießscharten aussehen, mit zwei Breterhäuschen oben und einer Flaggenstange. Aus dem einen Breterhäuschen tritt jetzt, wo die Glocken von London dreiviertel drei schlagen, ein phantastisch gekleideter Mann mit einer Trompete, um das erste Signal zu geben. Von allen Theatern in der Runde schmettern die gleichen Töne, die sich in der Luft begegnen und die Schiffe, von denen der Themsespiegel bedeckt ist, und die Reiter, welche sich über die Brücken bewegen, zu größerer Eile treiben. Aber bis es drei Uhr ist, wird der Trompeter noch zweimal blasen, und dann mit dem Vollschlag und dem letzten Tusch wird die Vorstellung beginnen und an dem Flaggenstock wird ein rothseidenes Bannertuch erscheinen.
Inzwischen hat Boot um Boot am Ufer angelegt, das Gewieher und Getrappel zahlreicher Rosse ist rings um das Theater, und Alles drängt dem Eingang und der Casse zu – der junge Cavalier mit Degen und Federhut, der gravitätische Citymann, die sittig-schöne Bürgerin, der Gelehrte und der Bücherwurm von Klein-Britannien, der Raufbold aus den Schlupfwinkeln des Strandes, der Jurist vom Tempel, der Land-Gentleman, dessen Halle daheim voll ist von Falken und Dachshunden, der Lehrjunge, der Werkstatt entlaufen, und der Matrose, frisch noch vom Theer- und Seegeruch: sie Alle sind Shakespeare’s Publicum.
Die Eintrittspreise sind sehr verschieden. Die billigsten Plätze, damals wie jetzt, sind auf der Gallerie: sie kosten nach unserm Geld etwa einen Silbergroschen. Die eigentliche Masse des Publicums drückt sich im Parterre zusammen, welches im Globe wie in den übrigen öffentlichen Theatern der „Hof“ (yard) heißt. Der „Hof“ hat kein Dach und keine Sitzplätze: hier herrscht unbegrenzte Freiheit. Regen und Sonnenschein kommen nach Belieben, und für zwei Silbergroschen hat jeder britische Unterthan die Befugniß, hier zu sehen, zu drängen und sich drängen zu lassen, Aepfel zu essen, Nüsse zu knacken, Bier zu trinken, Karte zu spielen und das Schauspiel auszuzischen. In dieser Beziehung, wenn auch in keiner andern, standen die „Gründlinge“ in großem Ansehen: ihr Beifallsklatschen entschied über den Erfolg der Stücke. Aber sonst galten sie weder für respectabel, noch für kritisch zurechnungsfähig, und der eigentlich gebildete Theaterbesucher nahm sich wohl in Acht, unter sie zu gerathen. Für etwa 10–20 Silbergroschen nahm er seinen Sitz in einem von den „Zimmern“, wie die Logen in Shakespeare’s Theater hießen. Zuweilen miethete er sein „Zimmer“ für die ganze Saison und hatte den Schlüssel in seiner eigenen Tasche.
An Taschendieben war auch in den damaligen Schauspielhäusern kein Mangel; aber die Art ihrer Bestrafung war originell: wenn man sie auf frischer That ergriff, so wurden sie ohne Weiteres auf die Bühne gebracht und an einen Pfahl gebunden, und dort boten sie sowohl dem Spotte als den Nußschalen der „Gründlinge“ ein würdiges Ziel. Ueberhaupt war damals die Bühne weit mehr als in unsern Tagen für das Mitspiel des Publicums berechnet. Sie war nur zum kleinsten Theil für die Schauspieler bestimmt; mehr als die Hälfte diente den Dandies, den Schöngeistern und den Männern von Fach und Bildung zur Schaustellung ihrer eigenen Person oder ihrer weißen Hand oder ihrer seidenen Mantel. Für ein kleines Trinkgeld hatten sie hier ihren dreibeinigen Stuhl oder sie warfen sich, so lang sie waren, auf den mit Binsen bestreuten Boden. Der vollendete Stutzer erschien niemals, bevor die Trompete zum dritten Male geblasen, dann, wie ein Zeitgenosse beschreibt, „schritt er sogleich zu dem Thron der Bühne, ich meine nicht in die Herren-Zimmer (die Logen), welche Nichts mehr sind, als die Vorstädte der Bühne, sondern direct auf die Binsen, auf welchen die Komödie spielen soll.“ Die Zeichen des Beifalls und des Mißfallens waren in Shakespeare’s Theater wie in den unsern. Das erste Beispiel des Hervorrufs freilich sollte erst mehr als hundert Jahre später und Einem begegnen, der es sich herausnahm, Shakespeare mit einem „betrunkenen Wilden“ zu vergleichen, nämlich dem „Herrn von Voltaire“ bei der ersten Ausführung seiner „Merope“ im Jahre 1743.
In Shakespeare’s Theater gab es weder einen Hervorruf, noch eine Kritik, der unmittelbare Beifall entschied Alles. Zwar hatten die Modeherren, welche auf der Bühne saßen, ihre Notizbücher, [263] „Tafeln“ genannt, in welche sie während der Vorstellung eifrig nachschrieben, aber nur die Witze, die ihnen am besten gefielen, um sie hernach bei Hof und in der Taverne nachzuerzählen, oder gelegentlich in das Gespräch zu mischen. Solch’ ein Buch bei sich zu haben und mit dem Beginn des Schauspiels hervorzuziehen, galt für ein Zeichen literarischer Bildung und guten Geschmacks. Außerdem hatte der galante Mann jener Zeit sein Spiel Karten, seine Pfeife und seine drei Sorten Tabak bei sich, von denen „der wirkliche Trinidado“ am meisten geschätzt wurde. Sich die Pfeife zu stopfen, war das Erste, was der Cavalier that, nachdem er seinen dreibeinigen Stuhl auf der Bühne eingenommen; dann zündete er sie an, wobei er die brennende Lunte auf der Spitze seines Degens umherreichte oder von seinem Nachbar sich ausbat. Das Rauchen war damals eine vollkommene Kunst; man nahm Unterricht im Rauchen, wie man heute Unterricht im Tanzen nimmt, man hatte die verschiedensten Manieren, um den Dampf zu „nehmen“ und wieder auszublasen, nämlich den „Whiff“ und den „Sniff“ und den „Euripus“, und für den besten Ort, um zu zeigen, was man bei seinem Professor gelernt, hielt man die Bühne.
Dies also war Shakespeare’s Theater, von dem die nach authentischen Vorlagen aus jener Zeit entworfene Abbildung eine deutliche Vorstellung giebt; eine Bühne, 53 Fuß breit und 271/2 Fuß tief; ein Raum von 121/2 Fuß Breite rings um den Rest des Gebäudes für Logen, Galerien, Garderobe und Gänge, so daß der eingeschlossene „Hof“ etwas wie 55 Fuß zu 40 maß, die Wände von Holz und Tünche gegen 32 Fuß hoch – Alles voll von rauchenden, lärmenden, trinkenden, essenden, liegenden, sitzenden und stehenden Menschen und über ihnen des Himmels Dach, blau und sonnig heute, trüb und regnerisch morgen.
Nur die Bühne war gegen den Wechsel der Witterung durch ein Strohdach geschützt, und der Raum auf derselben, wo gespielt werden sollte, von demjenigen Raum, welchen die Stutzer und Schöngeister einnahmen, durch eine Gardine von gewirktem Stoff getrennt. Sie hing, wie jede andere Gardine, in Ringen an einer Stange und ward in der Mitte nach beiden Seiten auseinandergezogen. –
Jetzt schlägt es drei, und der dritte Trompetentusch erschallt von oben. Sogleich bewegt und theilt sich der Vorhang. Der Prolog tritt auf: in einem schwarzen Mantel und ein Lorbeerreis um die Stirn geschlungen. Er liest seinen poetischen Gruß an die Zuhörer, mit dem er sie gleichsam bewillkommt und zu dem Schauspiel vorbereitet, von einem Blatt ab, welches er in der Hand hält. Sobald er geendet hat und abgetreten ist, beginnt das Spiel. Nach dem Ende desselben erscheint der Epilog, gewöhnlich (in Shakespeare’s Stücken fast regelmäßig) eine von den Personen des Drama’s, welche die Zuschauer einlädt, mit dem Beifall nicht zu kargen. „Nun gute Nacht,“ sagt der Epilog des „Sommernachtstraums“,– Das Spiel zu enden,
Begrüßt uns mit gewognen Händen!
Nach dem Epilog kam der „Jig“ ein Quodlibet von Rede, Gesang und Tanz, zugleich Couplet und Ballet, voll von Anspielungen auf Ereignisse und Persönlichkeiten des Tages, ausgeführt von den „Clowns“ der Gesellschaft und begleitet von Musik. Der Schluß der ganzen Vorstellung wurde damit gemacht, daß alle Mitglieder der Truppe noch einmal erschienen, vorn am Rand der Bühne niederknieten und ein Gebet für die Königin sprachen – eine Sitte, die sich im heutigen England erhalten hat, wo man kein Schauspiel, keine Oper und kein Concert verläßt, ohne daß vorher die Nationalhymne angestimmt würde.
Wie aber sah es nun auf Shakespeare’s Bühne während der Vorstellung aus? Sehr primitiv, die Leser können sich darauf verlassen! Da war keine Decoration und keine Scenerie, da war Nichts als ein großes Bret im Hintergrund, mit der Inschrift: „France“, wenn die Scene in Frankreich lag, oder „Venetia“ und „Verona“, wenn der Dichter uns in das Land versetzen will, wo Othello sein Weib aus Eifersucht erwürgt, wo Romeo und Julia geliebt haben und gestorben sind um ihrer Liebe willen. So rasch wie dieses Bret gewechselt wird, wechselt auch der Schauplatz: Puck selber kann nicht schneller fliegen; in einem Act sind wir zuweilen an sechs verschiedenen Ecken und Enden der Welt, und Alles durch ein Bret! Dieses daher, in Shakespeare’s Sinne, sind „die Breter, die die Welt bedeuten.“ – Wie in jedem guten Hause damaliger Zeit ist auch der Boden der Bühne mit Binsen bestreut, die Wände sind mit Teppichen behängt, ein Balcon ist da und mehrere Vorhänge im Hintergrund. Der Balcon ist für die Belagerungen, wenn die Bürger „auf den Mauern“, oder die Soldaten „auf den Thürmen“ erscheinen; die Vorhänge, „Traversen“ genannt, sind für die Herstellung eines zweiten Zimmers auf der Bühne, wo es erfordert wird, oder wo, wie in „Hamlet“, ein Spiel im Spiele vorkommt. Man half sich in Allem so gut es anging. In einem Stücke soll ein muselmännischer Held begraben werden; das Einzige, was der Dichter thut, um der Einbildungskraft des Zuschauers zu Hülfe zu kommen, ist die Notiz: „Man stelle sich den Tempel Mahomet’s vor.“ In einem andern Stücke soll ein Bauer seinen Nachbarn einladen; um die Zuschauer zu unterrichten, daß die Einladung angenommen sei und daß die Beiden in die Hütte treten, lautet die Bühnennotiz: „Hier bellt ein Hund,“ und der scenische Effect ward dem Schauspieler überlassen, welcher am besten bellen konnte. Zuweilen war auch nicht einmal so viel gethan, um das Publicum über das Wo? und Wie? der Handlung zu unterrichten. Aber doch war das Shakespeare-Theater nicht ganz ohne Vorrichtungen für eine bescheidene Art der Effecte. Es hatte z. B. Fallthüren, welche die Stelle unserer Versenkungen einnahmen. Der Hexenkessel in „Macbeth“ versank durch eine solche Fallthür. In einem andern Stücke heißt es: „Die Magier schlagen mit ihren Stäben auf den Grund und von unten herauf kommt ein braver Baum.“ Es gab auch Mittel, die Figuren nach oben entschweben zu lassen; aber diese waren von einer etwas derberen Substanz, als die unsichtbaren Drähte unserer Zauberstücke. So heißt es in einem Stücke jener Zeit: „Venus geht ab; oder, wenn man es einrichten kann, lasse man von oben eine Kette herab und ziehe sie herauf.“ –
Von Shakespeare’s Theatern stand das in Blackfriars eine lange Zeit, bis es vor Altersschwäche in sich zusammenstürzte; aber der Globe hatte nur ein kurzes Leben. An einem Abend, im Jahre 1613, als Shakespeare’s „Heinrich VIII.“ aufgeführt ward, fiel ein brennender Spahn auf die ausnahmsweise mit einer Strohmatte bedeckte Bühne. Die Flammen griffen reißend um sich in dem hölzernen Gebäude, und es war bald zu Asche verbrannt.
Drei Jahre darauf starb auch Shakespeare; die Asche des Globe-Theaters sollte symbolisch werden für das Schicksal seiner Dichtungen. Denn nun kam der Tag, welchen der Puritaner am Kreuz von St. Paul vorhergesagt – Carl I. ward enthauptet und Cromwell’s eisernes Regiment begann. „Jene Flaggen des Trotzes gegen Gott“, welche von den Theatern geweht hatten, wurden eingezogen; „jene Trompeten, die geblasen worden waren, um die Leute zur Sünde zu rufen“, verstummten. Ein langer Bußtag wurde verkündet, und England saß in Sack und Asche. Die Schauspieler wanderten aus und die Theater wurden geschlossen.
Als diese in dem tollen und kurzen Fasching der letzten Stuarts wieder geöffnet wurden, da waren es andere Theater – Theater, die Shakespeare nicht mehr kannten. Lustige Tänzer und Musikanten aus Italien, schöne Schauspielerinnen und bunte Decorationen aus Frankreich kamen mit dem zweiten Carl aus der Verbannung; aber Shakespeare war vergessen.
Und er blieb es, wohl an die hundert Jahr, bis unser Lessing kam und ihn der Welt zurückgab, bis Schiller und Goethe kamen, die ihn den Unseren nannten, und Schlegel und Tieck, die ihn zu dem Unseren machten. Und so, als den Unsern, wollen wir ihn feiern, dankbar dem Lande, das ihn uns gegeben, aber vor Allen auch denen, die ihn aus hundertjähriger Vergessenheit wieder emporgehoben und dem Gold seiner Dichtung die Zeichen deutscher Arbeit, deutschen Ernstes und deutscher Geisteskeuschheit aufgeprägt haben!