Epistel-Postille (Wilhelm Löhe)/Trinitatis 14
« Trinitatis 13 | Wilhelm Löhe Epistel-Postille (Wilhelm Löhe) Register der Sommerpostille |
Trinitatis 15 » | |||
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
| |||||
Für eine seitenweise Ansicht und den Vergleich mit den zugrundegelegten Scans, klicke bitte auf die entsprechende Seitenzahl (in eckigen Klammern).
|
Am vierzehnten Sonntage nach Trinitatis.
- 16. Ich sage aber: Wandelt im Geist, so werdet ihr die Lüste des Fleisches nicht vollbringen. 17. Denn das Fleisch gelüstet wider den Geist, und den Geist wider das Fleisch. Dieselbige sind wider einander, daß ihr nicht thut, was ihr wollet. 18. Regieret euch aber der Geist, so seid ihr nicht unter dem Gesetz. 19. Offenbar sind aber die Werke des Fleisches, als da sind Ehebruch, Hurerei, Unreinigkeit, Unzucht, 20. Abgötterei, Zauberei, Feindschaft, Hader, Neid, Zorn, Zank, Zwietracht, Rotten, Haß, Mord, 21. Saufen, Freßen und dergleichen; von welchen ich euch habe zuvor gesagt und sage noch zuvor, daß, die solches thun, werden das Reich Gottes nicht ererben. 22. Die Frucht aber des Geistes ist Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Gütigkeit, Glaube, Sanftmuth, Keuschheit. 23. Wider solche ist das Gesetz nicht. 24. Welche aber Christo angehören, die kreuzigen ihr Fleisch sammt den Lüsten und Begierden.
VOn den zehen Aussätzigen, deren Heilung, und dem Danke des einen geheilten Samariters handelt das Evangelium; die Epistel aber redet von dem Widerstreit, der in dem Christen ist zwischen Geist und Fleisch, von der doppelten Möglichkeit, Werke des Fleisches zu üben und Früchte des Geistes zu bringen, und von dem Wege, jene zu vermeiden, diese aber zu bringen. Zwischen| beiden Texten ist ein sicherer Vergleichungspunkt, nemlich das Wort Aussatz. Redet das Evangelium von leiblichem Aussatz, so spricht die Epistel wider die Werke des Fleisches, den Aussatz der Seele. Sehen wir dort die Heilung der Leiber, so erkennen wir hier die Befreiung der Seelen von einem Aussatze, der freßender und schädlicher ist als jeder leibliche. Erscheint uns in der Erzählung des heiligen Lucas Schönheit und Preis des Dankes für gefundene Hilfe und Heilung; so eröffnet sich uns im Worte Pauli an die Galater nicht minder eine Aussicht, noch größeren Dank zu üben. Denn wenn die Seele von der Sünden Aussatz frei geworden, aus dem Streite in die Ruhe und den Triumph des ewigen Sabbaths wird eingetreten sein; so wird sie auch danken, ewig danken, und damit auch ewig erfahren, was für ein köstliches Ding es ist, dem HErrn danken für alle Seine Hilfe.
Behalten wir nun, meine Brüder, das Evangelium im Angedenken, verfolgen aber die Epistel und ihren Inhalt. Möge er uns dienen zur Heilung unsrer Seelen und zur Stärkung im harten Strauße zwischen Fleisch und Geist.
Der Christ ist in einem innern Widerstreit, der Geist Gottes und die fleischliche Begier liegen in ihm wider einander zu Felde. Vor den Augen der Unverständigen und Unerfahrenen ist dieser Satz eine Art von Widerspruch in sich selbst. Daß der natürliche Mensch eine doppelte Stimme in sich habe, sich in ihm die Gedanken entschuldigen und verklagen, das Gewissen wider das anklebende Böse Zeugnis gibt, das gibt jedermann zu. Dagegen aber glaubt man annehmen zu dürfen, daß durch die Wiedergeburt und Erneuerung, welche der Christ erfährt, der Widerstreit des inwendigen Lebens aufhöre und nur Eine Stimme, Ein Wille, Ein Streben und Trachten herrschend werde. Der Christ scheint vor dem natürlichen Menschen gar nichts vorauszuhaben, wenn auch er voll inneren Widerstreits ist. Und doch ist es nun nicht anders, die heutige Epistel reicht hin, darüber Gewisheit zu geben und alle Zweifel zu zerstören. Im 17. Verse lesen wir geradezu: „Das Fleisch gelüstet wider den Geist, den Geist wider das Fleisch; diese beiden liegen wider einander zu Felde.“ Nach dem ganzen Zusammenhang kann man nicht glauben, daß hier unter den Namen Fleisch und Geist der Gegensatz vorgestellt werde, in welchem der natürliche Mensch gegen sein Gewißen lebt. Fleisch ist ein Ausdruck, welchen die heilige Schrift von dem natürlichen Menschen überhaupt gebraucht, von seinem ganzen Wesen, welches auch das Gewißen mit einschließt; Geist hingegen ist und bleibt der Geist Gottes, der im Christen seine Wohnung und sein Werk hat. Es kann unter Geist nicht der Geist des Menschen verstanden sein in seiner natürlichen Beschaffenheit, weil Vers 22. 23. von Früchten des Geistes die Rede ist, die kein Mensch als Früchte des eigenen Geistes erkennen wird. Ist nun aber in dem Christen selbst die alte Natur in Widerstreit wider den heiligen Geist, so fragt sich, wie sich der Kampf des Christen zu dem des natürlichen Menschen verhalte. Es könnte nemlich der Kampf des natürlichen Menschen für einen völlig andern gehalten werden, und wiederum für einen andern der Kampf zwischen dem natürlichen Menschen und dem Geiste, so daß zweierlei Kampf im Menschen, der Christ heißt, sein – oder einer von beiden durch den Eintritt ins Christentum aufhören müßte. Allein das wird sich leicht entwirren. Wir werden sagen müßen, der Kampf zwischen Fleisch und Geist sei eigentlich kein anderer, als der zwischen dem natürlichen Menschen und seinem Gewißen. Wie der ganze Mensch durch den Eintritt ins Christentum ein anderer werde, so werde eben dadurch sein alter Kampf ein anderer – was seine Verhältnisse anlangt, aber es sei eben doch nur der alte Kampf – in wiedergeborener und verklärter Gestalt, wenn man von einem Kampfe das Bild der Wiedergeburt gebrauchen darf. Der Geist Gottes, wenn er den Menschen in Seinen Einfluß nimmt, wendet sich an ihn mit Erleuchtung seiner Einsicht und damit seines Gewißens, und macht seinem Geiste den Gegensatz, der von Geburt an da ist, recht klar, und recht deutlich alle Feindschaft, welche das Fleisch dem Gewißen gegenüber hat. Das Gewißen von Natur ist unsicher, blind, eine unbestimmte Unruhe, ein Jammer, der nicht weicht, von deßen Tiefe und Umfang man keinen Begriff hat. Durch den Geist Gottes aber lernt des Menschen Gewißen, was wirklich böse ist: der Geist regt sich im Gewißen; der Kampf des Gewißens wird ein Kampf des heiligen Geistes. – Das ist also ein und derselbe Kampf| mit dem des natürlichen Menschen – und ist doch ganz anders, klarer, bewußter, stärker. Man kann sagen, daß der Mensch aus dem Kampfe nicht herauskomme, wenn er in das Christentum eintritt; sondern tiefer und ernster hinein. Ist auch eine Stärke und ein Licht bei ihm, von welchem der Weltmensch nichts weiß; so erwacht doch an dem Widerstande des heiligen Geistes auch das Fleisch desto mehr, und es erfährt mancher Christ alle Tage die unumstößliche Wahrheit, daß kein natürlicher Mensch so angefochten und erregt ist wie die Kinder des Geistes Gottes und JEsu. Wer das nicht einsieht, hat wenig Einsicht. Wer es aber einsieht, läßt sich auch von dem Befremden und Unwillen derer nicht abwendig machen, die ungeschickter Weise von dem Christen einen ununterbrochenen, stätigen, allezeit sieghaften Gang zur Heiligkeit und in der Heiligung verlangen.Steht nun der Christ in einem Kampfe zwischen Fleisch und Geist, so steht er eben damit auch in der Möglichkeit eines zweifachen Sieges: denn es kann in diesem Kampfe zwar der Geist siegen, aber auch das Fleisch. – Man könnte bei Vergleichung der Gegner in diesem Kampfe den Sieg des Fleisches für um so unnatürlicher und verwunderlicher finden, weil ja oben ausdrücklich gesagt ist, nicht bloß der eigene Geist des Menschen, sondern der Geist Gottes kämpfe gegen das Fleisch. Soll denn der allmächtige Geist, so könnte man fragen, das todte Fleisch nicht überwältigen? Allein hier geht es eben ganz so her, wie es sein muß, wenn dem Menschen ein Rest eigenen, freien Willens zugeschrieben und zugeeignet bleiben soll. Der Allmächtige hat verschiedene Creaturen, solche, über die Er ohne Schranken waltet, und solche, in Anbetracht welcher Er sich von Anfang nach der Freiheit seines schöpferischen Willens Schranken gesetzt hat. Was für ein großer Körper ist die Erde, auf der wir wohnen, dennoch beherrscht sie unwiderstehlich das Machtwort Gottes. Dagegen, wie winzig klein ist ihr gegenüber der Mensch; dennoch erleidet er keinen Zwang im sittlichen Leben. Gott hat nicht bloß Dinge, sondern auch Personen geschaffen, Wesen mit freier Selbstbestimmung, denen er von Anfang an die Macht eingeräumt hat, sich Seinem heiligen Willen anzuschließen oder auch nicht. Die größte Ehre des Schöpfers ist es, außer sich selbst freie Creaturen ins Dasein gerufen zu haben. Zu dieser Classe von Creaturen gehört auch der Mensch. Er ist gefallen, damit ist sein Wille umgarnt und unfrei geworden, daß er von selbst etwas Gutes gar nicht mehr thun kann, ja auch nicht will. Sein Verderben ist unaussprechlich groß. Dennoch aber ist sein Wille auch so nicht bedeutungslos. Er kann das Gute zwar nicht ergreifen, aber er kann es von sich stoßen, wenn es ihn ergreifen will. Gutes kann er nicht thun, aber Böses. Leben kann er nicht verdienen, aber Tod. Je nachdem sich sein böser Wille wider den Geist Gottes erregt oder nicht erregt, je nachdem sinkt oder steigt für ihn die Aussicht auf ein ewiges Leben. So verhält sich sein Wille zum göttlichen Willen und der Kraft des heiligen Geistes bei der Bekehrung, so aber auch in dem gesammten Kampfe seiner Heiligung. Das Fleisch gelüstet wider den Geist, der Geist wider das Fleisch: der Kampf wogt hin und her: wann wird der Geist siegen? Wenn der persönliche Wille des Menschen, wenn das Gewißen im Menschen, wenn die in Christo JEsu erneute Persönlichkeit mit dem Geiste Gottes sich irgendwie verbinden und verbünden läßt, – wenn das Widerstreben gegen das Gute nicht zu stark wird, nicht boshaft, sondern der Geist des HErrn es überwältigen kann nach Seinem heiligen Grundsatz, nur die zu überwinden, welche nicht boshaft widerstreben. Es ist dabei allerdings doch ein Unterschied zwischen dem Menschen in der Bekehrung und dem bekehrten Christen und seinem täglichen Kampf. Denn der bekehrte Christ ist nicht auf ein pures Sich-thun-laßen angewiesen. Sein zuvor todter Wille ist ja zu einem neuen Leben und Dasein gerufen, in der Erziehung des Wortes und Sacramentes gewinnt er jugendliche Kraft und immer größere Macht, das Gute nicht bloß in sich thun zu laßen, sondern mitzuthun und zu ergreifen. Er wird ein Mitarbeiter des heiligen Geistes bei jedem Werke, – und wo ers nun wird, wo die heilige Treue der anvertrauten Kräfte waltet, da kommt es zu einem Siege des Geistes, den Gottes Engel feiern. Es liegt also im Zustande des bekehrten Menschen noch mehr als in dem desjenigen, der in der Bekehrung begriffen ist, alles Gelingen an der Entscheidung des Menschen. Widerstrebe, der du| zum Leben berufen wirst, widerstrebe boshaft und bewußt Dem, der dich bekehren will: so bleibst du, was du bist und wirst es immer mehr. Wehr dich nicht, laß Ihn walten, und ER überwindet dich. Und du, erneute Seele, sei träg im Gebrauch der neugeschenkten Kraft, und der Sieg geht verloren. Erwecke die Gabe, die in dir ist, laß sie erwecken, und der Sieg kommt, ja Sieg auf Sieg, Fertigkeit in Sieg und Tugend. – Daher kommt es, daß der Apostel ermahnt: „Wandelt im Geist“; und Vers 25: „So wir im Geiste leben, so laßet uns auch im Geiste wandeln.“ Er würde so die Christen, die Galater, nicht anreden, wenn sie nicht im Geiste wandeln könnten, wenn kein neuer Wille in ihnen wäre, und keine göttliche Kraft. Es ist etwas anderes, wenn, wie die vorige Sonntagsepistel sagt, das Gesetz bei denen, die nicht in Christo JEsu sind, zwischeneinkommt, damit die Sünde recht sündig werde, – und was anderes, wenn die Kinder Gottes zur Ausübung ihres königlichen Vorrechts, das Böse zu meiden und das Gute zu thun, ermahnt werden.
Wenn man nun den Christen sich in den lebenslänglichen Kampf zu denken hat, so muß man noch überdies den Kampf sich als sehr schwer und gefährlich denken. Schon oben wurde beiläufig erwähnt, daß bei dem Hervortreten ernsterer Regungen des heiligen Geistes auch die Regungen des Fleisches mächtiger wirken, daß die stärkere Bewegung der guten Kräfte auch alle bösen mächtig aufruft. Daß diese beiläufige Bemerkung richtig und schriftmäßig ist, erkennt man schon aus dem zweiten Verse des Textes. Die beiden, heißt es da, nemlich Fleisch und Geist liegen wider einander zu Felde, „auf daß ihr das nicht thut, was ihr wollet.“ Kann man auch diese Worte vielleicht nicht so nehmen, als schilderten sie die Absicht des harten Kampfes, nemlich die Absicht deßen, der im Kampfe mit ist, wie Gott, und sich eindrängt, wie auch die heiligen Engel; so liegt doch sicher die gewöhnliche Folge und Gestalt des Kampfes ausgesprochen. Wenn auch der Wille der heiligen Kämpfer das gute Ziel festhält, so geht er doch nicht so in die That über, wie es sein sollte, – die Schwachheit des armen Menschen ist nicht minder groß, als die Nöthen des Angriffs; da welkt denn oft die arme Kraft dahin vor der Hitze der Anfechtung und die That geräth übel, da man anfangs doch ganz anders dachte. Wie viele Tage eines Christenmenschen gehen wohl ohne diese Erfahrung dahin? Wer kennt sie nicht, diese Erfahrungen voll niederschlagender Kraft? Der Wille, die innere Begier der Seele geht dahin, daß man dem guten Weingärtner süße Trauben trage, – und siehe, was reicht, was bringt man ihm? Arme Heerlinge und böse Früchte, deren man sich schämt, Werke des Fleisches statt Früchte des Geistes. Da muß denn Sinn und Begier desto mächtiger sich nach einem Mittel ausstrecken, welches helfe und Kraft verleihe, das Böse zu meiden und das Gute zu thun. Dies Mittel sagt uns wohl der Text, aber es erscheint schwer und fast nicht handzuhaben. Es klingt eben so, wie wenn ein Mensch fragen wollte, wie er eine schwere Last von sich wegbringen könne, und die Antwort empfienge: dadurch daß er sie trage. Ihr erinnert euch, daß gesagt wurde, es seien im Christen zweierlei Bewegungen, eine des heiligen Geistes, eine andere des Fleisches. Da nun das Fleisch den Willen des Menschen so gerne, ach oft so leicht gefangen nimmt, so fragt man, wie man das vermeiden könne, und empfängt darauf statt Trostes und Rathes in der Epistel den Befehl: „Wandelt im Geist und ihr werdet die Lüste des Fleisches nicht vollbringen“ – und dazu die Bemerkung: „Regiert euch der Geist, so seid ihr nicht unter dem Gesetz.“ Wie kann ich den Sieg des Geistes gegen mein Fleisch gewinnen, heißt die Frage, und die Antwort: „Wandle im Geist, laß dich vom Geiste regieren.“ Was mir so schwer wird, daß ich nicht weiß, ob ich es je kann, das soll ich eben thun, damit ichs kann! Ist das nicht ein unmöglicher Rath, eben wie wenn einer um die Tugend verlegen wäre und dann den Rath bekäme, er solle sie üben? Wäre denn da nicht beßer, zu ermahnen, daß man um eine größere, die Natur bewältigendere Ausgießung des heiligen Geistes bete, auf daß leicht würde, was schwer ist? Einen Augenblick möchte sich der Rath empfehlen; aber schnell wird sich zeigen, daß er nicht leichter ist, als der, den der Apostel gibt, ja, daß er am Ende gar schwieriger ist. Ist denn das so leicht, zu beten? Und wenn du nicht weißst, wie oft, wie sehr, wie viel du beten sollst, oder, sofern du’s| wüßtest, du Rath und Kraft dazu nicht hättest? Es ist nichts leichter, als alles, wofür man nicht zu rathen weiß, in’s Gebet zu weisen, ohne daß man doch sicher angeben kann, wie und in welchem Maße man beten soll. Wie, wenn der apostolische Rath der beste wäre? Wie, wenn er nur so gebieterisch aussähe, ohne es zu sein? Wie, wenn er gar nichts Gesetzliches in sich hätte, sondern im Gegentheil Kraft und Hilfe in sich schlöße! Denket nur einmal daran, daß es sich ja gar nicht drum handelt, den heiligen Geist herbeizubringen, in welchem man wandeln soll, und die Kraft, sich ihm hinzugeben, erst zu verleihen. Der Galater, an welchen der Brief von Paulo geschrieben ist, der Christ, hat ja den Geist. Hat er aber den Geist, so hat er ja damit auch den Trieb, die Kraft zum Guten. Es wird ja nicht verlangt, daß einer aus eigener Kraft das Gute thun solle, sondern nur daß er den Geist solle walten laßen, ihm nicht widerstreben. Dazu hat ja ein Christ einen erneuten Willen, eine Gabe und Kraft, welche er anwenden kann, die er „erwecken“ und erwecken laßen kann, um das Eine zu thun, was nöthig und förderlich ist, nemlich den Widerstand einzustellen und sich lauterlich dem Geiste zu überliefern. Auch ist es ja gewis, daß zwar der Mensch ohne Geist umsonst zum Guten aufgefordert wird, keinerlei Erfolg hat, dagegen aber der Christ, der Mensch, dem Gottes Geist und Gabe geworden, durch ernste Mahnung aufgerufen wird, zu thun, was er vermöge der göttlichen Gabe thun kann. Für den Christen haben apostolische Ermahnungen nicht bloß die Kraft von Erinnerungen an heilige Pflichten, sondern auch die Kraft belebender Winde, erwärmenden Feuers. Sie wecken ihn auf, sie treiben ihn an, sie helfen ihm fort, es ist ein Segen in ihnen, und ich denke, es werden euch allen bestätigende Erfahrungen zu Gebote stehen, so wie die Worte Pauli es ausdrücklich sagen. Also wohlan, wenn dir die heilige Pflicht schwer werden will, wenn du es für außerordentlich schwer hältst, dich dem Geiste und Seinem Triebe zu überlaßen; so begib dich zur Predigt, so laß dich von deinem Seelsorger und andern Brüdern ermahnen, aufrufen, aufmuntern, den empfangenen neuen Willen und die edle Gabe wecken und die Zusprache, das zündende, das lebendige, frische Wort wird dir leichter machen, was dir in Anbetracht deiner Schwachheit schwer wird.
Man darf sich auch die Sache nicht losgetrennt von dem Heilbrunnen Christi denken. Derselbe Apostel, welcher gebietend und ermahnend den besten Rath ertheilt, erklärt ihn im letzten Verse der Epistel in den Worten: „Welche Christo angehören, die kreuzigen ihr Fleisch mit den Lüsten und Begierden.“ Indem von einer Angehörigkeit Christi geredet wird, wird auch von einer Kreuzigung des Fleisches geredet. Es zeigt sich hier, daß die Kreuzigung des Fleisches eine Nachfolge der Kreuzigung Christi ist, daß diese Nachfolge aus der Angehörigkeit an Christum, also aus Liebe und Andacht zu Ihm hervorwächst, daß die Betrachtung und gläubige Erfaßung Seiner Leiden, die Bewunderung Seiner Hingebung für uns und unsre Erlösung den dauernden Entschluß erwecken kann, Ihm zu Lieb und Ehre Fleisch und Fleischeslust und fleischliche Begier zu opfern. Es wird also nur nöthig sein, daß der Christ sich in der Andacht Christi, in der gläubigen Betrachtung seiner Leiden, seiner erlösenden Liebe und Aufopferung übe; so wird er wie von selbst zu dem Geheimnis kommen, seine Gabe zu wecken und sich zur Hingabe an den Trieb des Geistes zu ermuntern und ermuntern zu laßen. Es liegt in den Worten des Apostels von der Kreuzigung des Fleisches die Anweisung, wie man den Ruf zur Heiligung am kräftigsten unterstützen und am meisten zum Guten reizen kann, sich und andern am besten predigen. Die Darlegung aller Tugend als Nachfolge JEsu, als Dank und Liebesthat für Sein Versöhnen, als Andacht und Glaubensfrucht, – die Predigt von dem Kreuze JEsu als dem mächtigsten Beweggrunde zu allem Guten wird dem armen schwachen Christen am besten und am öftesten zum Siege verhelfen, ihn am besten zur Vollendung führen. Je mehr der Mensch im Andenken und in der gläubigen Betrachtung der Leiden JEsu lebt, desto leichter, desto süßer wird ihm im schweren Kampf sein Sieg, seine Heiligung, seine Tugend. Der evangelischeste Weg ist also der beste, und es wäre nur zu wünschen, daß ihn recht viele beträten und die selige Erfahrung machten.
Aber hier stehe ich nun eben bei der ernstesten Wendung meines Vortrags. Ich sehe euch vor mir, eine Schaar von getauften Christen, welche sämmtlich,| so elend und verkommen auch das Leben sein möge, doch den heiligen Geist, Seinen Einfluß und Seine Einwirkung haben und genießen, und dennoch sehr häufig schlechten Kampf kämpfen, – arm an guten Früchten, reich an Werken des Fleisches sind. Wenn euch der Kampf geschildert ist, den auch ihr zu kämpfen habet, – kämpfet ihr ihn deshalb? Sind nicht die meisten unter euch träge, ohne Muth, ohne Lust, ohne Ausdauer? Wie viele unter euch mögen wohl vollends verzweifeln an der Heiligung und an dem Siege des Menschen über sein Fleisch? Wie viele unter euch widerstreben dem heiligen Geiste selbst und geben durch ihr Urtheil, ihre Reden, ihre Schadenfreude über jeden Fall zu erkennen, für wie unmöglich sie es halten, den guten Kampf zur Ehre Christi zu kämpfen!
Dazu findet sich bei euch, wie allenthalben, nichts gewöhnlicher, als eine frevelige Anwendung des Blutes JEsu und der Vergebung der Sünden, welche Er mit Seinem Blute erworben hat. Ihr leistet nichts und glaubet an keine Leistung anderer; ihr haltet alle für eures Gleichen, zieht jedes Beispiel in Euern eigenen Staub und Schmutz, lüget und verleumdet, – und laßet euch träumen, daß Christus und Sein Blut für eine solche Heerde verzweifelter, der Sünde in aller Trägheit ergebener, lasterhafter Schafe Trost und Rettung sei. Ihr habt einen Glauben, der, von Heiligung losgetrennt, rein in einem fleischlichen Vertrauen auf den Erlösungstod Christi bestehend, dennoch euer Hinterhalt im Leben und euer letzter Trost für eure Sterbestunde ist. Damit aber werdet ihr euch fürchterlich betrügen, und eure Enttäuschung wird mit Heulen und Zähneklappen geschehen. Es sei ferne von mir, einem bußfertigen Sünder, welche Sünden er begangen habe, Trost, Absolution und Sacrament zu versagen. Die Buße ist ein Magnet, – wo sie sich findet, zieht sie mächtig alle Gnade Christi an. Aber den frechen, unbußfertigen, feigen Lasterknechten, deren unter euch so viele sind, gehört kein Trost, sondern ihnen wird die größte, ihnen zupassendste Wohlthat mit dem gewaltigsten, ernstesten, strafendsten Worte erzeigt.
Wohlan denn, ihr kampfmüden, feigen, abfälligen Christen, welche den Geist nicht walten laßen, sondern dem Fleische ungestört die Zügel in die Fäuste legen wollen, – euch habe ich aus dem heutigen Texte Hammerschläge vorbehalten, Worte alles Vorwurfs voll, mächtig aus euren Faulbetten euch aufzurufen. – Höret zuerst und schämet euch, wenn es möglich ist, vor dem heiligen Apostel, der da redet: „Die Frucht des Geistes ist Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Gütigkeit, Glaube, Sanftmuth, Keuschheit.“ Neun Früchte des Geistes statt einer, allesammt möglich, allesammt wirklich und vorhanden in der Kirche, – eine jede, weil ihr sie nicht tragt, mit ihrem Namen eine Schuldforderung an euch im Namen des Weingärtners, der euch nicht umsonst in eurer Taufe Saft und Kraft Seines heiligen Geistes verliehen hat. Die neun Früchte, welche die wenigsten unter euch haben, bringen, pflegen und wollen, sind beliebt bei Gott, und der Apostel sagt: „Wider solche ist das Gesetz nicht.“ Ganz recht, wahrhaftig, wider solche ist das Gesetz nicht. Aber wohl ist das Gesetz wider die Werke des Fleisches. Höret die Werke des Fleisches, d. i. die Werke der meisten unter euch selbst, Werke, an denen wenige Grauen haben, welche viele lieben, üben, andern nachsagen und die ganze Menschheit damit bedecken möchten. „Die Werke des Fleisches sind, sagt St. Paulus,
- Ehebruch, Hurerei, Unreinigkeit, Unzucht;
- Abgötterei, Zauberei;
- Feindschaft, Hader, Neid, Zorn, Zank, Zwietracht, Rotten (oder Sectengeist und Ketzerei);
- Haß, Mord;
- Saufen, Freßen u. dergl.“
Aber, o HErr, hilft auch mein Eifern? Wie lange eifere, wie lange zeuge und rufe ich schon! Hilf Du Deinem Worte, Deiner Wahrheit und schaff in uns Buße, Glauben, Heiligung und rechtschaffenen Kampf gegen das Fleisch und seine Lust, hellen Sieg Deines Geistes und Seiner seligen Regung! Amen.
« Trinitatis 13 | Wilhelm Löhe Epistel-Postille (Wilhelm Löhe) |
Trinitatis 15 » | |||
Für eine seitenweise Ansicht und den Vergleich mit den zugrundegelegten Scans, klicke bitte auf die entsprechende Seitenzahl (in eckigen Klammern).
|