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Epistel-Postille (Wilhelm Löhe)/Trinitatis 15

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Epistel-Postille (Wilhelm Löhe)
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Am fünfzehnten Sonntage nach Trinitatis.

Gal. 5, 25 – 6, 10.
25. So wir im Geist leben, so laßet uns auch im Geist wandeln. 26. Laßet uns nicht eitler Ehre geizig sein, unter einander zu entrüsten und zu haßen. 1. Lieben Brüder, so ein Mensch etwa von einem Fehler übereilet würde, so helfet ihm wieder zurecht mit sanftmüthigem Geist, die ihr geistlich seid. Und siehe auf dich selbst, daß du nicht auch versuchet werdest. 2. Einer trage des andern Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen. 3. So sich aber Jemand läßt dünken, er sei etwas, so er doch nichts ist, der betrügt sich selbst. 4. Ein jeglicher aber prüfe sein selbst Werk; und alsdann wird er an ihm selber Ruhm haben, und nicht an einem andern. 5. Denn ein jeglicher wird seine Last tragen. 6. Der aber unterrichtet wird mit dem Wort, der theile mit allerlei Gutes dem, der ihn unterrichtet. 7. Irret euch nicht, Gott läßt Sich nicht spotten. Denn was der Mensch säet, das wird er ernten. 8. Wer auf sein Fleisch säet, der wird von dem Fleisch das Verderben ernten. Wer aber auf den Geist säet, der wird von dem Geist das ewige Leben ernten. 9. Laßet uns aber Gutes thun, und nicht müde werden; denn zu seiner Zeit werden wir auch ernten ohne Aufhören. 10. Als wir denn nun Zeit haben, so laßet uns Gutes thun an jedermann, allermeist aber an des Glaubens Genossen.

 NIcht zweien Herren, nicht Gott und dem Mammon zugleich dienen wollen – ist der allgemeine, warnende Zuruf des heutigen Evangeliums. Und eine Anwendung, welche der HErr im Evangelium auf das Leben des Einzelnen macht, ist die, daß man also auch für Speise und Kleidung nicht ängstlich sorgen solle, weil auch dies Sorgen nichts anderes ist als Mammonsdienst und allen wahren Gottesdienst tödtet. Das ist im Kurzen die Uebersicht des heutigen evangelischen Textes. Gleichlautend dem Worte des hochgelobten Erlösers ist das Wort des Apostels Paulus. Nicht zweien Herren dienen wollen – ruft der HErr; der Apostel aber, ein getreues Echo, ruft uns zu, nicht dem Geiste und dem Fleische zugleich dienen zu wollen. Gott und Mammon, Geist und Fleisch – das sind Gegensätze, welche einander| nicht bloß verwandt, sondern innerlich ganz dieselben sind. So stimmt also Evangelium und Epistel im Allgemeinen. Sie stimmen aber auch in der besonderen Anwendung. Dem Mammon nicht dienen, also auch nicht der Sorge um Speise und Kleidung, – so ruft der HErr. Der Apostel aber führt die Stimme des HErrn nur weiter aus. Nicht sorgen, sondern im Gegentheil, unbesorgt um das eigene Leben, die eigene Kleidung, das Eigentum, die zeitliche Habe wohl anwenden zum Besten anderer, das ist es ja, was St. Paulus im zweiten Theile des Textes befiehlt. So ist also auch die Wahl der heutigen Texte vollkommen gelungen zu nennen. Bei Verschiedenheit einig und eins, bei aller Harmonie dennoch reich an Eigentümlichkeiten und besonderen Schönheiten erscheinen uns die beiden Lectionen wie zwei reiche, prächtige Teppiche, deren einer durch den andern gehoben und durch Vergleichung verherrlicht wird.

 So steht es mit der Textwahl. Gehen wir nun insonderheit auf die Epistel ein, so zeigt uns der erste Blick, daß die heutige Epistel dicht an die des vorigen Sonntags angrenzt, deren Fortsetzung und mit ihr im innigsten Zusammenhang ist. Hat die vorige Epistel von einem doppelten Wandel geredet, von einem im Fleische und einem andern im Geiste, so redet die heutige von nichts anderem. Der Inhalt im Allgemeinen ist Einer. Doch wird man sagen können, die heutige Epistel führt den allgemeinen Gedanken nach zweien Seiten hin genauer und voller aus. Die vorige Epistel nennt viele einzelne Werke des Fleisches und Früchte des Geistes, aber da sie weniger auslegt als aufzählt, und auch die Aufzählung nur im Dienste der allgemeinen Gedanken geschieht, so ist sie doch ihrem Hauptinhalte nach allgemeiner gehalten als die heutige, welche zwei Gebiete des Lebens eines Christenmenschen eingehend und ausführlich bespricht.

 Um euch die herrliche Epistel nahe zu bringen und euch ihren Inhalt behältlich zu machen, werde ich wohl sagen dürfen, sie könne in drei einzelne Theile getheilt werden, in den ersten Vers (5, 25.), in die darauffolgenden sechs Verse (5, 26 – 6, 5.) und endlich in die fünf letzten Verse (Vers 6–10). Der erste Vers ist wie die Zusammenfaßung der zwei folgenden zu einem allgemeinen Satz, zu Einem Thema: er handelt von dem einem jeden Kinde des Geistes nöthigen Wandel im Geiste. Damit hebt er ja wirklich nur den Hauptgedanken hervor, der die vorige und die heutige Epistel durchdringt. Der darauffolgende zweite Theil des Textes zeigt den Wandel im Geiste in seiner Beziehung auf eigene und fremde Gabe und Sünde, der letzte aber in Beziehung auf das zeitliche Gut und deßen Verwendung. Also wird der allgemeine Gedanke auf zwei Lebensgebiete angewendet, welche groß und reich und wichtig sind, wie irgend andere, – von den Aposteln oftmals betrachtet werden, – und auch unserer oftmaligen Betrachtung würdig sind. Der heilige Geist schenke uns in Gnaden, um Christi willen – Licht, Wollen und Vollbringen für Sein heiliges Wort!

 So wir im Geiste leben, so laßet uns auch im Geiste wandeln.“ Das ist der erste Vers und Theil unsers Textes, der Eingang zum Ganzen. Jedermann sieht, daß in demselben zwei Dinge unterschieden werden, nemlich im Geiste leben und im Geiste wandeln. Sie sind unterschieden, aber sie sind auch in einer Verbindung mit einander; offenbar wird der Wandel im Geiste aus dem Leben im Geiste als nothwendige Folge hergeleitet. Wer nicht im Geiste lebt, kann nicht im Geiste wandeln. Man könnte nicht umgekehrt schließen: so wir im Geiste wandeln, so laßet uns auch im Geiste leben. Indem nun aber ermahnt wird, den Wandel im Geiste aus dem Leben im Geiste folgen zu laßen, ergibt sich, daß zwar der Wandel im Geiste aus dem Leben im Geiste folgt und folgen soll, daß aber die Folgerung nicht auf einer natürlichen Nothwendigkeit beruht, sondern auf dem getreuen Fortschritt des Menschen an der Hand des heiligen Geistes. Es kann jemand im Geiste leben ohne im Geiste zu wandeln. Ich will damit nicht sagen, daß man immer oder für’s ganze Leben einen solchen Widerspruch ertragen könne, im Geiste zu leben und dabei etwa gar gröblich den Weg des Fleisches zu wandeln. Wenn man auch nicht sagen kann und darf, daß sich die sittlichen Fortschritte unserer Seelen nach Art menschlicher Schlüße aus einem wahren Satze ergeben und ereignen, – wenn gleich gar vieles, was nicht zusammenpaßt, im Herzen und Leben des Menschen sich beisammen in gefährlicher Nachbarschaft findet: so ist es doch ein sehr bedenkliches Ding, wißentlich sittliche Widersprüche| in sich zu dulden. – Das Böse, welches man neben dem Guten duldet, wird endlich des Guten Meister, wie die Kinder der Menschen die Kinder Gottes beeinflußten, bis alle Welt ihren Weg verderbt hatte, und wie ein wenig Sauerteig den ganzen Teig verderbt. Lebt daher jemand im Geiste, ohne daß sich ein Wandel im Geiste daraus ergibt, so wird wohl am Ende auch das Leben im Geiste versiegen; aber eine Weile kann der Widerspruch stattfinden, je nach Umständen bei dem einen länger, bei dem andern kürzer, – der Apostel aber will, daß der sittliche Widerspruch aufhöre, und ermahnt daher mit mächtigem Ernste: „So wir im Geiste leben, so laßt uns auch im Geiste wandeln.“ Ist innerlich in dir ein neues Leben, regt und bewegt und treibt dich der Geist, so verharre dabei nicht in Fleischessünden, sondern laß das Licht, welches in dir ist, deine Seele und deinen Leib regieren. Laß die Flamme ausschlagen, sperre sie nicht ein. Gönne ihr Lebensluft, so wird sie wohlthätig wirken. Thust du es nicht, so wird sie ersticken und du mit ihr, oder sie macht sich gewaltsamer Weise Bahn und zerstört, indem sie die Herrschaft sucht, die ihr gebührt. – Die Ermahnung des Apostels ist keine überflüßige, meine lieben Brüder. Man sieht es nicht bloß aus den Worten Pauli, sondern man erfährt es an sich und andern vielfach, wie der Geist inwendig im heiligen Geiste lebt und treibt, und doch das Fleisch träg und in der Trägheit mächtig den Wandel im Geiste hindert. Was ist die größte Pein der Kinder Gottes, die größte Mühe der Seelsorger, die größte Sorge derer, die sich lieb haben? Eben der Mangel an Fortschritt des inwendigen Lebens zum auswendigen Wandel ist es. Da will dann eben Gottes Wort und seine treue Ermahnung helfen, und wie ein Landmann im Frühjahr steht und seinem Waßer den Weg in alle Theile seiner Wiese bereitet, Hindernisse wegnimmt, neue Gräben und Canäle macht; so sucht der heilige Apostel in unserer Epistel und an wie vielen andern Orten das Leben des Geistes in alle Gebiete unsers Lebens zu leiten. Es muß ja ein Wandel im Geiste aus dem Leben im Geiste werden, und das geschieht, wie wir schon aus der vorigen Epistel wißen, nicht anders, als dadurch, daß Gottes heiliges Wort uns immer neu anhaucht und aus der Brunnenstube des Verdienstes JEsu uns immer neue Kraft zu einem heiligen Leben zugeführt wird – sammt Weisheit und Verstand, die Kraft anzuwenden.

 Gehen wir nun einmal an der Hand unsers Textes weiter und sehen, wie der Wandel im Geiste in Beziehung auf eigene und fremde Gabe und Sünde sich gestaltet.

 Nichts ist gewöhnlicher, als daß der Mensch die eigene Gabe über-, die fremde unterschätzt, daß er die eigene Sünde unter-, die fremde überschätzt. Von beidem ist nicht bloß Mangel an Erkenntnis die Ursache, sondern auch der Unwille, klein zu werden, sein Maß einzuhalten, der Hochmuth. Dieses angeerbte Uebel gleicht insofern den Bienen, als es allenthalben und aus allen Dingen seine Nahrung sucht; ja es übertrifft die Bienen und alle Creaturen, indem es alles und jedes zu seiner Nahrung umzuwandeln versteht. Da muß alles der Selbstsucht dienen, und was widerstrebt, was Mühe macht, was sich dem geliebten eigenen Selbst nicht zu Füßen legen will, das wird gehaßt, entweder doch endlich dem bösen Zwecke unterthänig gemacht oder vernichtet. Prüfe sich jeder, ob nicht der Unhold, von dem ich rede, auch in seiner Seele zu finden ist und alles, alle Wege und Stege, alles Thun und Laßen besudelt. Gegenüber diesem Unhold und alten, häßlichen Adam findet sich in dem Christen aber auch ein neuer Mensch, mit anderem, neuem Lichte, mit neuem, guten Willen, mit neuer, heiliger Kraft. An diesen neuen Menschen wendet sich nun St. Paulus im Texte und erweckt ihn durch seinen kräftigen Zuruf zu einem guten Kampfe und zu herrlichem Siege.

 Bei der Vorlegung der apostolischen Ermahnung wollen wir einen Unterschied machen. Wir wollen zuerst das Wort Pauli, welches den Hochmuth auf eigene Gabe und Vortrefflichkeit tödten soll, betrachten, und dann das zweite, welches zum Gegenteil, zur Ergreifung und Uebung christlicher Sanftmuth und Geduld antreibt, uns vorhalten.

 Bei Bekämpfung unsers Hochmuths geht Paulus den Weg von dem äußern Verhalten einwärts bis zum innerlichsten Geschäfte der Tödtung des alten Adams. Weil alles Böse wie alles Gute seine Wurzel im Innern hat, so wollen manche auch keinen Weg der Heiligung, ja der seelsorgerischen Behandlung eingehalten wißen und gelten laßen, als den| einen von innen nach außen. Allein was richtig ist nach dem Gedanken, ist nicht immer gerade so im Leben aneinandergereiht, und weise Seelsorger gehen oft den Weg von außen nach innen, so wenig ihnen verborgen ist, daß der Zweck nicht erreicht ist, bevor das Innere geheiligt ist und JEsu Eigentum geworden. So wendet sich denn der heilige Apostel zuerst gegen das äußere Hervorbrechen des Hochmuths in den Worten des zweiten Verses in unserm Texte (5, 26.): „Laßet uns nicht eiteler Ehre geizig sein, unter einander zu entrüsten und zu haßen.“ So lauten seine Worte nach Martin Luthers Uebersetzung. Es gibt eine Anerkennung, eine Ehre, welche einer dem andern nach Gottes Wort schuldig ist, die kann sich auch jeder wünschen, wie er sie gerne gibt und gewährt. Es ist ein trauriges, gedrücktes, leicht entmuthigendes Leben, wenn einer beständig mit Misdeutung seiner Wege, mit Mißverstand seiner Absichten, mit Verachtung zu kämpfen hat. Allein diese Anerkennung wird oft den treuesten Kindern Gottes entzogen, und es ist zuweilen das Loos der Redlichen, ohne Ende im Nebel böser Gerüchte, Vorurtheile und Verwerfungsurtheile zu gehen. Wem dies gefährliche, aber recht verstanden dennoch köstliche Loos beschieden ist, der darf sich gegen den hervortretenden göttlichen Willen und die Zulassung des allerhöchsten Vaters nicht selbstsüchtig wehren und nach Anerkennung geizen, um Ehre buhlen, – zumal wenn die Ehre selbst nur eine eitle, leere, vergängliche ist, wie es meistens der Fall ist, nicht um Gottes willen gegönnt und gegeben wird. Der Christ folgt dem Zuge des Geistes, wenn ihm Unrecht geschieht, – er wehrt sich nicht, ringt, strebt und geizt nicht nach Ehre. Er folgt dem Apostel, welcher ermahnt: „Laßet uns nicht eitler Ehre geizig sein.“ – Der Apostel setzt zu der allgemeinen Warnung, welche wir eben vernommen haben, noch zwei andere hinzu: „uns einander zu entrüsten und zu haßen“, oder uns einander herauszufordern, wie es wörtlich heißt, und zu neiden. Tritt, wenn dir die gebührende Ehre verweigert wird, als Vertheidiger derselben auf, sag nichts, als was wahr ist, von dir selbst, vor den Ohren derer, welche dir nicht geneigt sind, so wirst du sie schon damit herausfordern, entrüsten, ihren Neid entflammen, ihren Haß anschüren. Bist du aber vollends eitler Ehre geizig, verlangst du Ehre, wo dir keine gebührt, erkennt man deinen Hochmuth, deine maßlosen Ansprüche aus deinen Reden, so sieh zu, wie du dann herausforderst, Neid und Unmuth reizest und dir und andern das Leben vergällst. Die Demuth bewahrt sich im Frieden und andere nicht minder, sie vermeidet eigene und verhütet fremde Sünde, sie ist friedfertig und hält Frieden; der Hochmuth, der auf eigne Gabe und Herrlichkeit pocht, hat und hält, stiftet und findet keinen Frieden. Aus dem hochmüthigen Suchen eitler Ehre folgt das was wir sahen und dem Apostel nachsagten, Entrüstung, Haß und Neid. Und das soll nach des Apostels Mahnung sterben. – Von dieser äußern, todeswürdigen Erscheinung des Hochmuths geht aber des Apostels Wort auch auf das innere Wesen des Hochmuths über, indem er im Verlauf des Textes sagt: „So sich jemand läßt dünken, er sei etwas, so er doch nichts ist, der betrügt sich selbst.“ Das hochmüthige Gebaren des Menschen, welcher eitler Ehre geizig ist, beruht in dem innerlichen Dünkel, selbst etwas zu sein. Wer nicht eine hohe Meinung von sich selbst in sich trägt, wird nach außen hin keine geltend machen, keinen Wiederspruch seines Ausspruchs erleiden, unangefochten und im Frieden bleiben. Wer aber von sich selbst hoch denkt, der wird das Gegentheil erfahren. Er wird, innerlich betrogen und auf einem Abweg in Beurtheilung seiner selbst, andere mit seinem eitlen Selbstbetrug anstecken wollen. Diese werden sich dagegen sträuben, er wird nicht erreichen, was er wünscht, – und es wird ihm nichts übrig bleiben, als entweder sich eigensinnig in seinem Irrtum zu verhärten, oder ihn wegzuwerfen. Das Letztere muß St. Paulus wünschen. Deshalb leitet er die Christen (Cap. 6, 4. 5.) zum innerlichen Werke der Selbstertödtung an. „Ein jeglicher prüfe sein selbst Werk, und alsdann wird er an ihm selber Ruhm haben, und nicht an einem andern.“ Prüfe deine Werke, – prüfe sie nach Gottes Geboten, – halte sie vor den reinen Spiegel Seines Wortes, bring sie ans Licht Seiner Rede, so wird der Mangel, der Fehl, die Untugend so klar hervortreten, daß dir der eitle Ruhm vergeht. Wer von dem äußerlichen, hochmüthigen Gebaren und von dem innerlichen eitlen Dünkel frei werden will, der übe treu und redlich das Selbstgericht. Er vergleiche sich aber nicht mit andern und suche seinen Ruhm| nicht an andern und im Vergleich mit andern, sondern er vergleiche sich mit dem, was er selbst, in seinen Verhältnissen sein soll, mit dem göttlichen Bild von ihm selbst, welches ihm seine Berufung zu Christo vorhält, welches er in Gottes Wort und Christi Beispiel findet; dann wird er, wenn je ein Ruhm vorhanden sein sollte, ihn nicht so in sich finden, auch nicht so aussprechen, daß andere herausgefordert, entrüstet und zu Neid und Haß entflammt werden, sondern er wird den Ruhm an ihm selbst haben und im Vergleich mit sich selbst. Das wird dann keinem andern Aergernis geben. Wahrscheinlich aber wird es mit dem Ruhm überhaupt nicht viel werden. Das Selbstgericht wird zur Selbst-, d. i. zur Sündenerkenntnis führen, – es wird ihm gehen, wie es im Texte heißt: „Ein jeder wird seine Last tragen“, er wird seine Last, seine Unvollkommenheit, seinen bösen Hang, sein Verderben finden, – er wird es tragen als Last, und in Buße und Weh beweinen, daß er nicht ist, wie er könnte, geschweige wie er sollte.

 So führt der heilige Apostel die Galater zum Leben im Geist. So weiß er in ihnen den bösen hochmüthigen Trieb zu tödten, und bis zur Quelle des Bösen im Innern seine Seelsorge zu erstrecken. Allein, meine lieben Brüder, es ist ein wunderliches Ding mit unserm innern Leben und unserer Heiligung. Es geht meist neben einer Thätigkeit eine zweite her. So wie unser ganzer Leib zweitheilig ist und unsre Glieder sich zwiefach finden, so wie wir mit zwei Augen sehen, mit zwei Ohren hören, mit zwei Händen arbeiten, mit zwei Füßen gehen: so gibt es für alle unsre innern geistlichen Regungen und Bewegungen entsprechende zweite, eine zweite für jede, ihr beigeordnet, wie dem ebräischen Psalmenvers seine parallele zweite Hälfte. Nehmt zum Beispiel unsern Text. Der Apostel will die Galater heilen von allem Hochmuth. Da lehrt er sie den Hochmuth an sich und in sich bekämpfen, aber zugleich auch das Gegentheil an andern üben. Man könnte sagen: wer selbst von Hochmuth und Sünde nicht frei ist, kann andern nicht dienen, daß sie frei werden: man könnte sich auf das Wort Christi berufen vom Splitter und Balken. Allein es wäre doch damit nur oberflächlich der Schrift entsprochen: schriftmäßig im eigentlichen Sinne ist es für sich und andere sorgen, für sich, indem man auch für andere, für andere, indem man auch für sich sorgt. Richte den Splitter nicht, bevor du die Arbeit an deinem Balken begonnen hast. Aber wenn du deinen Balken zu entfernen alles Ernstes trachtest, wenn dir deine Heiligung Ernst ist, dann darfst du nicht bloß, dann sollst du auch für andere sorgen. Die Heiligung ist bei keinem fertig, so lang er hier ist, – sie ist ein Werden. Wer andern zur Heiligung dienen wollte, wenn er selbst mit seiner Heiligung fertig wäre, müßte es ganz unterlaßen. Daher soll man wohl bedenken, was man thut, – nach eigener und fremder Vollendung gleichzeitig ringen. So soll nun, wer den eigenen Hochmuth tödten will, nach unserm Texte Sanftmuth an andern üben. Hochmuth tödten, das ist unsre Demuth; – Demuth und Sanftmuth sind nun zwar nicht Eins, – aber sie sind ein Paar, – sie gehen Hand in Hand. Wo Demuth, da soll auch Sanftmuth geübt werden. Versäume Sanftmuth, so geräth keine Demuth. Uebe Sanftmuth, so gibst du deiner Demuth Sonnenschein und Wachstum. Da laßt uns nun also sehen, was der Text von der Uebung unsrer Sanftmuth sagt.

 Lieben Brüder, so ein Mensch etwa von einem Fehl übereilet würde, so helfet ihm wieder zurecht mit sanftmüthigem Geiste, die ihr geistlich seid. Und sieh auf dich selbst, daß du nicht auch versucht werdest.“ Hier Uebung unserer Sanftmuth! Paßt der Spruch auf uns, oder nicht? Nicht wahr, wenn unsre Art und Weise geschildert werden soll, da paßt er nicht; aber wenn er uns zeigen soll, wie wir zwar sein und handeln sollten, aber weder sind noch handeln, da paßt er ganz und gar. Wenn ein Mensch gute Werke wirkt, wie thut ihr? Ihr zieht sie in den Staub; ihr zweifelt die gute Absicht an, ihr erdichtet boshafte Gesinnung und suchet den Kern der Frucht zu tödten, damit ihr desto leichter beweisen könnet, sie sei ganz und gar faul und todt. Und wenn ein Mensch umgekehrt von einem Fehl übereilt wird, wie macht ihrs dann? Dann zieht ihr euch von ihm zurück, schämt euch seiner, glaubt alles Böse, weil er Ein böses Ding gethan hat, nennet ihn einen Heuchler, werdet irre an seiner ganzen Lebensrichtung, an allen Christen, nur nicht an euch. Damit thut ihr das grade Gegentheil von dem, was St. Paulus lehrt; denn er behauptet, man solle einen solchen| Menschen – nicht wegwerfen, nicht hineinstoßen in Verzweiflung und Sündenschlamm, sondern „wieder zurecht bringen“ und zwar „mit sanftmüthigem Geiste.“ Ihr merkt wohl, daß ich im Tone des Vorwurfes und der Strafe rede. Ich habe aber Ursache, und zwar nicht eine kleine und vereinzelte. Die groben, harten, starren Sünder, die entschiedenen Kinder dieser Welt schätzen manche unter euch, gehen mit ihnen um, als wäre kein Makel an ihnen, ehren sie im Leben und im Tode. Wenn aber ein erklärter Christ von einem Fehl übereilt, oder von einer Sünde umgarnt wird, und Gott hilft ihm zur Buße, dann helft ihr ihm nicht wieder und nehmet die Sünder nicht an, wie JEsus, von dem die ganze Kirche singt: „JEsus nimmt die Sünder an“, sondern ihr seid schadenfroh und verlanget auch von eurem Hirten und Seelsorger, daß er es machen soll wie ihr. Wenn er wie JEsus, wie Paulus, wie alle Heiligen Gottes dem reumüthigen Sünder mit sanftmüthigem Geiste zurecht hilft, so sagt ihr, er behandle die Sünder ungleich, nicht einen wie den andern; ja, euer unverschämtes Urtheil ergeht sich über ihn, daß ihr sprechet, er behandle die Sünder sanftmüthig, weil er ihres Gleichen sei. Tritt die Zucht da, wo sie muß, mit Schärfe auf, so lästert ihr, und lästert nicht weniger, wenn sie durch die Buße des Sünders in der Gestalt der Mildigkeit und Sanftmuth aufzutreten berufen ist. So seid ihr wider alles Gottes Werk und bleibet euch gleich in Unverstand und Bosheit. Und warum? „Weil ihr nicht geistlich seid, und nicht auf euch selbst sehet, damit ihr nicht auch versucht werdet.“ Nicht geistlich seid ihr, weil euch der Geist Gottes nicht regiert in euerm Urtheil, in der Begier euers Herzens, in der Begegnung gegen andere, im ganzen Leben und Benehmen. Wer vom Geiste Gottes regiert wird, der ist gegen eigene Sünde scharf, gegen die Sünde bußfertiger Sünder milde. Ja, man kann es gradezu als ein Zeichen wahrhaft geistlicher Menschen benennen, mild gegen Fehlende zu sein und das achte Gebot in großer Weitschaft zu üben. Ein Heide meinte, er könne scharf im Urtheil gegen andere sein, weil er es gegen sich selbst sei. Aber sein Grundsatz schmeckt wohl nach der philosophischen Schule, der er angehörte, während er mit Christo JEsu nichts gemein hat. Wahre Christen geben keinen so leicht auf, der noch zu Christo kommt. Sie kennen sich, sie wißen, wie leicht ein Mensch fallen kann, wie leicht sie selbst fallen können. Die eigene geistliche Hinfälligkeit macht sie geneigt, andern das Benehmen und Verfahren, diejenige Behandlung angedeihen zu laßen, welche sie sich selbst wünschen.

 Dieselbe Lehre, welche der heilige Paulus in dem ersten Verse des sechsten Kapitels an die Galater vorlegte, liegt auch im zweiten Verse ausgesprochen. „Einer trage des andern Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen.“ Vielleicht ist der Ausdruck Last etwas weiter als oben der Ausdruck „Fehl“; vielleicht deutet er auf alles, was dem einen am andern beschwerlich fallen kann, es sei Fehl und Sünde, oder irgend eine andere Eigenheit; vielleicht könnte man von diesem Ausdrucke aus auch alles das, was man Antipathieen nennt, als zu tragende Last, zu überwindendes Hindernis darstellen. Wenn es aber auch nicht sein sollte, wenn wirklich nur Sünde und Sündliches gemeint sein sollte, immerhin bliebe Empfehlung der sanftmüthigen Verträglichkeit genug vorhanden, und dazu eine Verheißung, welche Muth und Willen auch der Schwachen stählen könnte. Wer die Lasten friedlich trägt, der wird das Gesetz Christi erfüllen. Abermals eine Erwähnung des Gesetzes Christi, also eines Gesetzes im Neuen Testamente, nicht eines Gesetzes zum Tode, gegeben um Zorn anzurichten, sondern einer heiligen Lebensregel, wie sie in Christi Worten und heiligem Beispiele offenbart ist. Des Gesetzes Summa und Gipfel ist fröhliches Ertragen der Fehler und alles deßen, was die Brüder an einander schwer empfinden. Sich nicht wund und scheu zurückziehen in die Einsamkeit, nicht selbstgenügsam sich abschließen, sondern es wagen mit der Gemeinde gleichgesinnter, nach Heiligung jagender, aber dennoch schwacher Menschen, nicht irre werden an der Gemeinde der Heiligen, wenn sich’s noch alle Tage zeigt, wie viel man innerhalb ihrer zu tragen hat, sondern den heiligen Beruf erkennen, alle zu tragen, wie man von allen getragen wird, das ist ein Triumph des geistlichen Lebens über das Fleisch, von dem man viel reden und rühmen könnte, wenn man nur Zeit hätte.


 Uns mahnt jedoch die Zeit, zum letzten Theile des Textes überzugehen, welcher uns das Leben des| Geistes in Bezug auf die zeitlichen Güter und deren Verwendung zeigt. Der Mensch liebt sich selbst, an sich selbst voran die eigene Ehre und die Meinung, welche er von sich hat. Neben sich liebt er sein zeitliches Gut, und zwar wie oft über alles, selbst über Weib und Kind, über Seelenheil und Gewißensfrieden. Wenn daher das Walten des heiligen Geistes im Herzen des Christen vor allem Demuth und in der Demuth Sanftmuth wirkt, so muß es auch alsbald Freiheit von den Banden des zeitlichen Besitzes wirken und den Menschen geneigt machen, mit dem Seinen so umzugehen, daß es Christo gefalle, der ein HErr ist aller Güter. Würde ein Mensch frei von eitlem Ehrgeiz werden und Sanftmuth lernen, nebenher aber dem zeitlichen Gute und dem Geldgeiz fröhnen, so würde er doch nur in den schimpflicheren Feßeln hängen bleiben, und der Geldgeiz, diese Wurzel aller Uebel würde am Ende auch nur wieder der Sanftmuth Tod und des herrschenden Hochmuths Auferstehung werden. Es ist viel Widersprechendes im Herzen und Leben des Menschen, aber wenn der Geldgeiz und die Habsucht irdischer Güter irgendwo ihren Thron aufschlagen, da muß Gottes großes Wunder geschehen, wenn irgend ein geistliches Leben soll bleiben können. Darum ist es auch dem heiligen Paulus so großer Ernst, die Galater und in ihnen alle Christen so anzuleiten, daß der Zweck des heiligen Geistes und das Ziel des geistlichen Lebens erreicht werden könne.

 In seiner Rede findet sich, wie mir scheint, ein Stufengang. Zuerst werden uns die Personen zu nennen sein, auf welche sich die christliche Verwendung des zeitlichen Gutes zu erstrecken hat. Dann trägt der Apostel die Verheißung und Drohung vor, welche auf dem Gehorsam der Christen rücksichtlich des zeitlichen Gutes ruht. Endlich aber bekommt die Drohung einen mächtigen Nachdruck durch ein Wort Pauli, welches ich, weil es das stärkste zu sein scheint, euch und euren durch viele Predigt hart und taub gewordenen Ohren, behältlich ans Ende dieses Vortrags stellen möchte.

 Was zuerst die Personen betrifft, auf welche sich die Verwendung des zeitlichen Gutes zu erstrecken hat, so werden genannt die Lehrer des göttlichen Wortes, die Glaubensgenoßen und zuletzt alle Menschen. Die eigenen Angehörigen eines jeden werden nicht genannt. Daß diese versorgt werden, wird vorausgesetzt; wer seine Hausgenoßen, seine Familie sammt seinen Dienern und Sclaven nicht versorgt, ist ärger denn ein Heide. Und wer Eltern und Ahnen hat, der muß ihnen nach des Apostels Befehl Gleiches vergelten. Viele aber können das tägliche Bedürfnis bestreiten und behalten übrig. Da fragt sich dann, was mit dem Uebrigen anzufangen ist. Von zurücklegen und zusammenhäufen weiß die Schrift nichts; es ist nichts sicheres im irdischen Besitz, er ist eitel und muß, wenn er nicht unnütz bleiben und werden soll, gewisser Maßen immer in Fluß und in Bewegung sein. Was also thut ein Mann mit dem, was er für sich und die Seinigen zum täglichen Leben nicht bedarf? Er wendet es an, die Lehrer zu unterstützen; – bleibt ihm ferner übrig, so bedenkt er die Glaubensgenoßen, – und endlich sucht er die Gegenstände seiner Wohlthaten auch außerhalb der Kirche. Es ist nicht nöthig, den Lehrern, den Glaubensgenossen, den Nächsten allen zu geben, wenn sie nichts bedürfen. Es handelt sich nicht davon, daß die Gemeinden sich auf das Geben, die Lehrer auf das Nehmen verlegen, – reiche Glaubensgenoßen oder gar andere, z. B. reiche Juden oder Heiden noch reicher gemacht werden sollen. Den Lehrern, die arm sind, den Glaubensgenoßen und andern Nächsten, welche dürftig sind, streckt sich die gebende Hand entgegen. Die Lehrer lebten in den ersten Zeiten von den Gaben der Gemeinde, welche auf die Altäre Christi niedergelegt wurden, und man sagt, daß sie nie weniger Mangel gelitten hätten, als in jener Zeit, wo es weder Stiftungen noch Dotationen und Stolgebühren gab; die Lehrer schämten sich nicht zu nehmen, die Gemeinden freuten sich zu geben, – jene nahmen, diese gaben mit Dank und Demuth, – keiner von beiden Theilen sammelte und speicherte auf, – alle lebten durch Christi Gnade von Tag zu Tag dem ewigen Leben entgegen. – Eben so war es mit den Glaubensgenoßen. Der Schöpfer hat Arme und Reiche gemacht, seitdem die Menschheit in ihrem Falle lebt; aber der Erlöser und Sein Geist heben die Unterschiede auf, welche in der Schöpfung liegen. Die mit einander zu Einem Altare und zu Einem ewigen Vaterhause wandern, können es auch nicht dulden, hier so verschieden zu sein. Die Armuth wird durch brüderliche Liebe aufgehoben.| Der Arme nimmt, der Reiche gibt mit Demuth und Dank. Jeder hält und erkennt seinen Beruf – heiße er Geben oder Nehmen – für göttlich, und so geht man Hand in Hand, Christi Willen vollziehend, vorwärts – und die Bestätigung der christlichen Gemeinschaft durch Aufhebung aller Armuth macht die Kirche zu einem Augenmerk der Menschen und Engel, ja auch der Welt, deren Kinder selbst noch von den Brosamen und dem Ueberblieb des Tisches der Gotteskinder genährt werden, und mit erfahren, welch’ ein Segen es ist, daß es in der geizigen, mitleidlosen Welt noch eine Kirche gibt, die kein zeitlich Gut für sich, sondern nur für Christum und Seine Armen besitzt. – Noch habe ich, meine Brüder, die Gottesworte nicht genannt, in welchen sich dieser Sinn ausspricht; aber so wie ich sie nenne, werdet ihr mir zugeben, daß ich keine falsche Lehre oder Vermahnung vortrug. „Der unterrichtet wird mit dem Wort, der theile mit allerlei Gutes dem, der ihn unterrichtet.“ – „Laßet uns Gutes thun an Jedermann, allermeist aber an des Glaubens Genossen.“ Worte, die alles in sich schließen, was ich sagte, – deutlich redend, aus denen sich für das praktische Leben unzählige Folgerungen ziehen laßen.

 Für den Gehorsam gegen diese Gebote Christi setzt der heilige Apostel noch Verheißung und Drohung hinzu. Um diese Verheißung und Drohung zu verstehen, muß man vor allen Dingen über zwei Ausdrücke Licht bekommen, welche unser Text enthält, nemlich über die Ausdrücke „auf das Fleisch säen, auf den Geist säen.“ Säen heißt beide Male nichts anderes, als Geben, das Zeitliche verwenden; es kann nach dem Zusammenhange nichts anderes heißen. Für eine doppelte Saat ist nun ein gedoppelter Acker genannt, Fleisch und Geist. Fleisch und Geist sind als Saat- und Aerntefelder dargestellt. Sein Zeitliches auf das Fleisch säen kann nichts anderes heißen, als das Zeitliche auf das Fleisch, also auf die Sünde verwenden. Es auf den Geist säen kann umgekehrt nichts anderes heißen, als es auf das verwenden, was des Geistes ist; scharf am Text zu verbleiben: auf Unterstützung armer Lehrer des göttlichen Wortes, armer Glaubensgenoßen und anderer Nothleidenden. Es ist ein außerordentlich fürnehmer und herrlicher Titel für die Barmherzigkeit, wenn sie eine Saat auf den Geist genannt wird; aber so ist es eben und wir können aus dem Ausdruck lernen, wie hochgeschätzt bei Gott die gebende Barmherzigkeit sei. – Wer nun sein zeitlich Gut auf das Fleisch, auf zeitliche Zwecke verwendet, was wird der ärnten? „der wird vom Fleische Verderben, Fäulnis ärnten.“ Der Same wird verderben, wie eine Frucht in der Erde. Kein Ertrag wird werden, auch die Saat wird verloren sein. Was wird hingegen die Saat ertragen, welche auf den Geist gesäet wird, – was wird die Verwendung des zeitlichen Gutes auf Zwecke des heiligen Geistes hervorbringen, auf Unterstützung von Lehrern, Glaubensgenoßen und Ungläubigen? Ewiges Leben, denn das sagt unser Text. Nicht daß wir ewiges Leben für uns damit verdienten, aber daß wir bei andern ewiges Leben fördern. Wer den Lehrer des Evangeliums unterstützt, unterstützt das Evangelium selbst, das ohne Prediger nicht erschallen kann; wer aber das Evangelium unterstützt, der verbreitet Vergebung der Sünden, Leben und Seligkeit. Wer die armen Glaubensgenoßen unterstützt, unterstützt die Kirche, die der Lehrer und des Evangeliums Leuchter ist; er läßt das milde Licht der Liebe leuchten, an dem sich die Kirche freut und welches die Weltkinder zur Kirche, zum Leben lockt. Und wer endlich die armen Ungläubigen mit Barmherzigkeit heimsucht, der ist ihnen wie ein Johannes, der auf Christum weist. Er zeigt ihnen Den, von dem alles barmherzige Lieben Seiner Gläubigen stammt und ladet sie kräftig ein, zu Ihm zu kommen, als zum Quell des Lebens. So verwächst die Barmherzigkeit mit dem Reiche Gottes und seiner Förderung, und es ist also, wie für’s Fleisch eine schreckliche Drohung, so für den Geist eine glänzende Verheißung gegeben.

 Die Verheißung gehört jedoch nur denen, welche dem Gesetze Christi, von dem der Apostel redet, treulich gehorsam sind. Barmherzigkeit im angegebenen Sinne muß Zustand, nicht vorübergehende oder gar seltene Stimmung sein. Ein Christ erkennt seinen lebenslänglichen, seinen unaufhörlichen Beruf in der Barmherzigkeit. „Als wir denn nun Zeit haben“, d. i. so lange wir Zeit, die Lebenszeit haben, laßet uns das Gute an Lehrern, Glaubensgenoßen und allen Menschen thun. „Laßet uns Gutes thun, heißt es, und nicht müde werden; denn zu seiner| Zeit werden wir auch ärnten ohne Aufhören, oder wie andere nicht minder wahrscheinlich übersetzen, – so wir nicht ablaßen“. Dem treuen Arbeiter wird hier und dort der Gnadenlohn. Nur der Beständige kann hoffen, daß seine Gabe und seine Barmherzigkeitsübung die vollen Früchte für andere trage und für ihn selbst. Denn auch für ihn blüht jenseits mancher Gnadenlohn, wie der Text zu vermuthen und zu verstehen gibt. Es wird sich der Barmherzige freuen mit Denen, an welchen er Barmherzigkeit that. – Schöne Aussicht für den, der seine Seele vom Geize befreien läßt und aufhören kann, es für Verlust zu achten, wenn er für andere entbehrt und opfert. Reiche Belohnung für fröhliches Geben, ja für das Verarmen im Dienste und in der Liebe JEsu.

 Allein es ist auch der Drohung im Texte ein mächtiger Nachdruck gegeben, – ein Nachdruck, den ich an’s Ende stellen muß. Ich muß mich befleißigen, meine Vorträge mit Ernst und Nachdruck abzulegen, und dazu gehört es, daß der Schluß ernst und nachdrücklich sei. Wir reden und handeln schon zu lange mit einander, als daß nicht jede meiner Reden mehr die Natur des bloßen Vortrags zur Ausfüllung der Zeit verlieren und die Kraft eines Vaterwortes gewinnen sollte. Darum habe ich das Wort, das ich meine, für’s Ende verspart. Es soll ein gellender Schrei in eure schlafenden Ohren sein. Die Worte, die mir ein Schrei in’s Ohr zu sein scheinen, heißen: „Irret euch nicht; Gott läßt Sich nicht spotten.“ Was wollen diese Worte? Sie stehen unmittelbar nach den Worten, welche zur Mildthätigkeit gegen die Diener des Wortes ermahnen. Es ist, wie wenn der Apostel, der übrigens wie bekannt selbst gar keinen Sold nahm, sondern vom Ertrag seiner, oft nächtlichen Händearbeit lebte, auf den Zügen der Galater, denen sein Brief gelesen werden sollte, einen Spott vorausgesehen hätte, – wie wenn er geahnt hätte, als würden die Galater die Ermahnung zur Mildthätigkeit gegen die Diener des Worts übel ausdeuten. Dagegen ergreift ihn großer Ernst und seine Feder schreibt die scharfen Worte vom Selbstbetruge derer, welche glauben, die Lehrer, die Glaubensgenoßen, die Armen vergeßen und doch Christen sein zu können. Nein, nein! Der HErr verlangt von den Seinen Gehorsam. Ungehorsam gegen das Gebot der gebotenen Mildigkeit, namentlich gegen die Diener am Worte und die Glaubensgenoßen, ist Gottesspott, – Spott gegen Den, der sich nicht spotten läßt.

 Hier schweigt meine Rede.

 Wandelt im Geist – seid demüthig, sanftmüthig, barmherzig. Das ist der kurze Sinn des Ganzen,

 Ihr Glücklichen, wenn ihr erwacht und euch den Geist treiben und ziehen laßet!

 Ihr Unglücklichen, wenn ihr dem HErrn widerstrebet! „Irret euch nicht, ER läßt sich nicht spotten.“ HErr JEsu, errette uns von Ungehorsam!

Amen.




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