Entstehung der Arten/Vorrede des Verfassers
Entstehung der Arten (1860) von Charles Darwin, übersetzt von Heinrich Georg Bronn |
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[1] Vorrede des Verfassers[1].
Geoffroy Saint-Hilaire vermuthete, wie sein Sohn in dessen Lebens-Beschreibung berichtet, schon ums Jahr 1795, dass unsre sogenannten Species nur Ausartungen eines und des nämlichen Typus seyen. Doch erst im Jahre 1828 veröffentlichte er seine Überzeugung[3], dass sich die Formen nicht in unveränderter Weise seit dem Anfang der Dinge fortgepflanzt haben. Geoffroy scheint die Ursache der Veränderungen hauptsächlich in dem „Monde ambiant“ gesucht zu haben. Doch war er vorsichtig in dieser Beziehung, und sein Sohn sagt: „C'est donc un problème à réserver entièrement à l'avenir, supposé, même, que l'avenir doive avoir prise sur lui“. In England erklärte der Hochwürdige W. Herbert, nachheriger Dechant von Manchester, in seinem Werke über die Amaryllidaceae (1837, S. 1, 19, 339), es seye durch Horticultur-Versuche unwiderlegbar dargethan, dass Pflanzen-Arten nur eine höhere und beständigere Stufe von Varietäten seyen. Er dehnt die nämliche Ansicht auch auf die Thiere aus. Der Dechant ist der Meinung, dass anfangs nur einzelne Arten jeder Sippe von [3] einer sehr bildsamen Beschaffenheit geschaffen worden seyen, und dass diese sodann durch Kreutzung und Abänderung alle unsre jetzigen Arten erzeugt haben. Im Jahre 1843 — 44 hat Professor Haldeman zu Boston in den Vereinten Staaten die Gründe für und gegen die Hypothese der Entwickelung und Umgestaltung der Arten in angemessener Weise zusammengestellt (im Journal of Natural History, vol. IV, p. 468) und scheint sich mehr zur Ansicht für die Veränderlichkeit zu neigen. Die Vestiges of Creation sind zuerst 1844 erschienen. In der letzten oder zehnten und sehr verbesserten Ausgabe (1853, p. 155) sagt der ungenannte Verfasser: »das auf reichliche Erwägung gestützte Ergebniss ist, dass die verschiedenen Reihen beseelter Wesen von den einfachsten und ältesten an bis zu den höchsten und neuesten die unter Gottes Vorsehung gebildeten Erzeugnisse sind: 1) eines den Lebenformen ertheilten Impulses, der sie in abgemessenen Zeiten auf dem Wege der Generation von einer zur anderen Organisations-Stufe bis zu den höchsten Dikotyledonen und Wirbelthieren erhebt, — welche Stufen nur wenige an Zahl und gewöhnlich durch Lücken in der organischen Reihenfolge von einander geschieden sind, die eine praktische Schwierigkeit bei Ermittelung der Verwandtschaften abgeben; — 2) eines andren Impulses, welcher mit den Lebenskräften zusammenhängt und im Laufe der Generationen die organischen Gebilde in Übereinstimmung mit den äusseren Bedingungen, wie Nahrung, Wohnort und meteorische Kräfte, abzuändern strebt; Diess sind die »Anpassungen der Natural-Theologen«. Der Verfasser ist offenbar der Meinung, dass die Organisation sich durch plötzliche Sprünge vervollkommne, die Wirkungen der äusseren Lebens-Bedingungen aber stufenweise seyen. Er folgert mit grossem Nachdruck aus allgemeinen Gründen, dass Arten keine unveränderlichen Produkte seyen. Ich vermag jedoch nicht zu ersehen, wie die unterstellten zwei »Impulse« in einem wissenschaftlichen Sinne Rechenschaft geben können von den zahlreichen und schönen Anpassungen, welche wir allerwärts in der ganzen Natur erblicken; ich vermag nicht zu erkennen, dass wir dadurch zur [4] Einsicht gelangen, wie z. B. die Organisation des Spechtes seiner besondern Lebensweise angepasst worden ist. Das Buch hat sich durch seinen glänzenden und hinreissenden Styl sofort eine sehr weite Verbreitung errungen, obwohl es in seinen früheren Auflagen ungenaue Kenntnisse und einen grossen Mangel an wissenschaftlicher Vorsicht verrieth. Nach meiner Meinung hat es vortreffliche Dienste dadurch geleistet, dass es in unsrem Lande die Aufmerksamkeit auf den Gegenstand lenkte und Vorurtheile beseitigte. Im Jahre 1846 veröffentlichte der Veterane unter den Geologen, d'Omalius d'Halloy, in einem vortrefflichen kurzen Aufsatze (im Bulletin de l'Académie Roy. de Bruxelles, Tome XIII, p. 581) seine Meinung, dass es wahrscheinlicher seye, dass neue Arten durch Descendenz mit Abänderung des alten Charakters hervorgebracht, als einzeln geschaffen worden seyen; er hatte diese Ansicht zuerst im Jahre 1831 aufgestellt. Isidore Geoffroy St.-Hilaire spricht in seinen im Jahre 1850 gehaltenen Vorlesungen (von welchen ein Auszug in Revue et Magazin de Zoologie 1851, Jan. erschien) seine Meinung über Arten-Charaktere kürzlich dahin aus, dass sie »für jede Art feststehen, so lange als sich dieselbe in Mitten der nämlichen Verhältnisse fortpflanze, dass sie aber abändern, sobald die äusseren Lebens-Bedingungen wechseln«. Im Ganzen »zeigt die Beobachtung der wilden Thiere schon die beschränkte Veränderlichkeit der Arten. Die Versuche mit gezähmten wilden Thieren und mit verwilderten Hausthieren zeigen Diess noch deutlicher. Dieselben Versuche beweisen auch, dass die hervorgebrachten Verschiedenheiten vom Werthe derjenigen seyn können, durch welche wir Sippen unterscheiden«. Herbert Spencer hat in einem Versuche (welcher zuerst im Leader vom März 1852 und später in Spencer's Essays 1858 erschien) die Theorie der Schöpfung und die der Entwickelung organischer Wesen in vorzüglich geschickter und wirksamer Weise einander gegenübergestellt. Er folgert aus der Analogie mit den Züchtungs-Erzeugnissen, aus den Veränderungen welchen die Embryonen vieler Arten unterliegen, aus der Schwierigkeit Arten und Varietäten zu unterscheiden, so wie endlich aus dem [5] Prinzip einer allgemeinen Stufenfolge in der Natur, dass Arten abgeändert worden sind, und schreibt diese Abänderung dem Wechsel der Umstände zu. Derselbe Verfasser hat 1855 die Psychologie nach dem Prinzip einer nothwendig stufenweisen Erwerbung jeder geistigen Kraft und Fähigkeit bearbeitet. Im Jahre 1852 hat Naudin, ein ausgezeichneter Botaniker[4] (in der Revue horticole, p. 102) ausdrücklich erklärt, dass nach seiner Ansicht Arten in analoger Weise von der Natur, wie Varietäten durch die Kultur, gebildet worden seyen. Er zeigt aber nicht, wie die Züchtung in der Natur wirkt. Er nimmt wie Dechant Herbert an, dass die Arten anfangs bildsamer waren als jetzt, legt Gewicht auf sein sogenanntes Prinzip der Finalilät. eine unbestimmte geheimnissvolle Kraft, gleichbedeutend mit blinder Vorbestimmung für die Einen, mit Wille der Vorsehung für die Andern, durch deren unausgesetzten Einfluss auf die lebenden Wesen in allen Weltallern die Form, der Umfang und die Dauer eines jeden derselben je nach seiner Bestimmung in der Ordnung der Dinge, wozu es gehört, bedingt wird. Es ist diese Kraft, welche jedes Glied mit dem Ganzen in Harmonie bringt, indem sie dasselbe der Verrichtung anpasst, welche es im Gesammt-Organismus der Natur zu übernehmen hat, einer Verrichtung, welche für dasselbe Grund des Daseyns ist. Im Jahre 1853 hat ein berühmter Geologe, Graf Keyserling (im Bulletin de la Soctiété géologique, tome X. p. 357) die Meinung vorgebracht, dass zu verschiedenen Zeiten eine Art Seuche durch irgend welches Miasma veranlasst, sich über die Erde verbreitet und auf die Keime der bereits vorhandenen Arten chemisch eingewirkt habe, indem sie dieselben mit irgend welchen Molecülen von besonderer Natur umgab und hiedurch die Entstehung neuer Formen veranlasste! Die »Philosophie der Schöpfung« ist 1855 in bewundernswürdiger Weise durch den Hochwürdigen Baden-Powell (in seinen Essays on the Unity of Worlds) behandelt worden. Er zeigt auf die triftigste Weise, dass die Einführung neuer Arten »eine [6] regelmässige und nicht eine zufällige Erscheinung« oder, wie Sir John Herschel es ausdrückt, »eine Natur- im Gegensatze einer Wunder-Erscheinung« ist. Ich glaube, dass das genannte Werk nicht verfehlt haben kann einen grossen Eindruck auf jeden philosophischen Geist zu machen. Aufsätze von Herrn Wallace und mir selbst im dritten Theile des Journal of the Linnean Society (August 1858) stellen zuerst, wie in der Einleitung zu diesem Band gesagt wird, die Theorie der Natürlichen Züchtung auf. Im Jahre 1859 hielt Professor Huxley einen Vortrag vor der Royal Institution über den bleibenden Typus des Thier - Lebens. In Bezug auf derartige Fälle bemerkt er: »Es ist schwierig die Bedeutung solcher Thatsachen zu begreifen, wenn wir voraussetzen, dass jede Pflanzen- und Thier-Art oder jeder grosse Organisations-Typus nach langen Zwischenzeiten durch je einen besondren Akt der Schöpfungs-Kraft gebildet und auf die Erd-Oberfläche versetzt worden seye; und man muss nicht vergessen, dass eine solche Annahme weder in der Tradition noch in der Offenbarung eine Stütze findet, wie sie denn auch der allgemeinen Analogie in der Natur zuwider ist. Betrachten wir anderseits die »persistenten Typen« in Bezug auf die Hypothese, wornach die zu irgend einer Zeit vorhandenen Wesen das Ergebniss allmählicher Abänderung schon früherer Wesen sind — eine Hypothese, welche, wenn auch unerwiesen und auf klägliche Weise von einigen ihrer Anhänger verkümmert, doch die einzige ist, der die Physiologie einigen Halt verleiht — so scheint das Daseyn dieser Typen zu zeigen, dass der Betrag von Abänderung, welche lebende Wesen während der geologischen Zeit erfahren haben, sehr gering ist im Vergleich zu der ganzen Reihe von Veränderungen, welchen sie ausgesetzt gewesen sind.« Im November 1859 ist die erste Ausgabe dieses Werkes erschienen. Im Dezember 1839 veröffentlichte Dr. Hooker seine bewundernswürdige Einleitung in die Tasmanische Flora, in deren erstem Theile er die Entstehung der Arten durch Abkommenschaft und Umänderung von andern zugesteht und diese Lehre durch viele schätzbare Original-Beobachtungen unterstützt.
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