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Entstehung der Arten/Neuntes Kapitel

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Achtes Kapitel Entstehung der Arten (1860)
von Charles Darwin, übersetzt von Heinrich Georg Bronn
Zehntes Kapitel
[288]
Neuntes Kapitel.


Unvollkommenheit der Geologischen Überlieferungen.


Mangel mittler Varietäten zwischen den heutigen Formen. — Natur der erloschenen Mittel-Varietäten und deren Zahl. — Länge der Zeit-Perioden nach Maasgabe der Ablagerungen und Entblössungen. — Armuth unsrer paläontologischen Sammlungen. — Unterbrechung geologischer Formationen. — Abwesenheit der Mittel-Varietäten in allen Formationen. — Plötzliche Erscheinung von Arten-Gruppen. — Ihr plötzliches Auftreten in den ältesten Fossilien-führenden Schichten.


     Im sechsten Kapitel habe ich die Haupteinreden aufgezählt, welche man gegen die in diesem Bande aufgestellten Ansichten erheben könnte. Die meisten derselben sind jetzt bereits erörtert worden. Darunter ist eine allerdings von handgreiflicher Schwierigkeit: die der Verschiedenheit der Art-Formen ohne wesentliche Verkettung durch zahllose Übergangs-Formen. Ich habe die Ursachen nachgewiesen, warum solche Glieder heutzutage unter den anscheinend für ihr Daseyn günstigsten Umständen, namentlich auf ausgedehnten und zusammenhängenden Flächen mit allmählich abgestuften physikalischen Bedingungen nicht gewöhnlich zu finden sind. Ich versuchte zu zeigen, dass das Leben einer jeden Art noch wesentlicher abhängt von der Anwesenheit gewisser andrer organischer Formen, als vom Klima, und dass daher die wesentlich leitenden Lebens-Bedingungen sich nicht so allmählich abstufen, wie Wärme und Feuchtigkeit. Ich versuchte [289] ferner zu zeigen, dass mittle Varietäten desswegen, weil sie in geringrer Anzahl als die von ihnen verketteten Formen vorkommen, im Verlaufe weitrer Veränderung und Vervollkommnung dieser letzten bald verdrängt werden. Die Hauptursache jedoch, warum nicht in der ganzen Natur jetzt noch zahllose solche Zwischenglieder vorkommen, liegt im Prozesse der Natürlichen Züchtung, wodurch neue Varietäten fortwährend die Stelle der Stamm-Formen einnehmen und dieselben vertilgen. Aber gerade in dem Verhältnisse, wie dieser Prozess der Vertilgung in ungeheurem Maasse thätig gewesen ist, so muss auch die Anzahl der Zwischenvarietäten, welche vordem auf der Erde vorhanden waren, eine wahrhaft ungeheure gewesen seyn. Doch woher kömmt es dann, dass nicht jede Formation und jede Gesteins-Schicht voll von solchen Zwischenformen ist? Die Geologie enthüllt uns sicherlich nicht eine solche fein abgestufte Organismen-Reihe; und Diess ist vielleicht die handgreiflichste und gewichtigste Einrede, die man meiner Theorie entgegenhalten kann. Die Erklärung liegt aber, wie ich glaube, in der äussersten Unvollständigkeit der geologischen Überlieferungen.

     Zuerst muss man sich erinnern, was für Zwischenformen meiner Theorie zufolge vordem bestanden haben müssten. Ich habe es schwierig gefunden, wenn ich irgend welche zwei Arten betrachtete, unmittelbare Zwischenformen zwischen denselben mir in Gedanken auszumalen. Es ist Diess aber auch eine ganz falsche Ansicht; denn man hat sich vielmehr nach Formen umzusehen, welche zwischen jeder der zwei Spezies und einem gemeinsamen aber unbekannten Stammvater das Mittel halten; und dieser Stammvater wird gewöhnlich von allen seinen Nachkommen einigermaassen verschieden gewesen seyn. Ich will Diess mit einem einfachen Beispiele erläutern. Die Pfauen-Taube und der Kröpfer leiten beide ihren Ursprung von der Felstaube (C. livia) her; aber eine unmittelbare Zwischen-Varietät zwischen Pfauen-Taube und Kropf-Taube wird es nicht geben, keine z. B., die einen etwas ausgebreiteteren Schwanz mit einem nur mässig erweiterten Kropfe verbände, worin doch eben die bezeichnenden Merkmale jener zwei Rassen liegen. Diese beiden Rassen sind überdiess [290] so sehr modifizirt worden, dass, wenn wir keinen historischen oder indirekten Beweis über ihren Ursprung hätten, wir unmöglich im Stande gewesen seyn würden durch blosse Vergleichung ihrer Struktur zu bestimmen, ob sie aus der Felstaube oder einer andern ihr verwandten Art, wie z. B. Columba oenas, entstanden seyen.

     So verhält es sich auch mit den natürlichen Arten. Wenn wir uns nach sehr verschiedenen Formen umsehen, wie z. B. Pferd und Tapir, so finden wir keinen Grund zu unterstellen, dass es jemals unmittelbare Zwischenglieder zwischen denselben gegeben habe, wohl aber zwischen jedem von beiden und irgend einem unbekannten Stamm-Vater. Dieser gemeinsame Stamm-Vater wird in seiner ganzen Organisation viele allgemeine Ähnlichkeit mit dem Tapir so wie mit dem Pferde besessen haben; doch in einer und der andern Hinsicht auch von beiden beträchtlich verschieden gewesen seyn, vielleicht in noch höherem Grade, als beide jetzt unter sich sind. Daher wir in allen solchen Fällen nicht im Stande seyn würden, die älterliche Form für irgend welche zwei oder drei sich nahe-stehende Arten auszumitteln, selbst dann nicht, wenn wir den Bau des Stamm-Vaters genau mit dem seiner abgeänderten Nachkommen vergleichen, es seye denn, dass wir eine nahezu vollständige Kette von Zwischengliedern dabei hätten.

     Es wäre nach meiner Theorie allerdings möglich, dass von zwei noch lebenden Formen die eine von der andern abstammte, wie z. B. das Pferd von Tapir, und in diesem Falle müsste es unmittelbare Zwischenglieder zwischen denselben gegeben haben. Ein solcher Fall würde jedoch voraussetzen, dass die eine der zwei Arten (der Tapir) sich eine sehr lange Zeit hindurch unverändert erhalten habe, während ein Theil ihrer Nachkommen sehr ansehnliche Veränderungen erfuhren. Aber das Prinzip der Mitbewerbung zwischen Organismus und Organismus, zwischen Vater und Sohn, wird diesen Fall nur sehr selten aufkommen lassen; denn in allen Fällen streben die neuen und verbesserten Lebens-Formen die alten und unpassendern zu ersetzen.

     Nach der Theorie der Natürlichen Züchtung stehen alle lebenden Arten mit einer Stamm-Art ihrer Sippe in Verbindung durch [291] Charaktere, deren Unterschiede nicht grösser sind, als wir sie heutzutage zwischen Varietäten einer Art sehen; diese jetzt gewöhnlich erloschenen Stamm-Arten waren ihrerseits wieder in ähnlicher Weise mit älteren Arten verkettet; und so immer weiter rückwärts, bis endlich alle in einem gemeinsamen Vorgänger einer ganzen Ordnung oder Klasse zusammentreffen. So muss daher die Anzahl der Zwischen- und Übergangs-Glieder zwischen allen lebenden und erloschenen Arten ganz unbegreiflich gross gewesen seyn. Aber, wenn diese Theorie richtig ist, haben sie gewiss auf dieser Erde gelebt.

     Über die Zeitdauer.) Unabhängig von der aus dem Mangel jener endlosen Anzahl von Zwischengliedern hergenommenen Einrede, könnte man mir ferner entgegenhalten, dass die Zeit nicht hingereicht habe, ein so ungeheures Maass organischer Veränderungen durchzuführen, weil alle Abänderungen nur sehr langsam durch Natürliche Züchtung bewirkt worden seyen. Es würde mir kaum möglich seyn, demjenigen Leser, welcher kein praktischer Geologe ist, alle Thatsachen vorzuführen, welche uns einigermaassen die unermessliche Länge der verflossenen Zeiträume zu erfassen in den Stand setzen. Wer Sir Charles Lyell’s grosses Werk „the Principles of Geology“, welchem spätre Historiker die Anerkennung eine grosse Umwälzung in den Natur-Wissenschaften bewirkt zu haben nicht versagen werden, lesen kann und nicht sofort die unbegreifliche Länge der verflossenen Erd-Perioden zugesteht, der mag dieses Buch nur schliessen. Nicht als ob es genüge die Principles of Geology zu studiren oder die Special-Abhandlungen verschiedner Beobachter über einzelne Formationen zu lesen, deren jeder bestrebt ist einen ungenügenden Begriff von der Entstehungs-Dauer einer jeden Formation oder sogar jeder einzelnen Schicht zu geben. Jeder muss vielmehr erst Jahre lang für sich selbst diese ungeheuren Stösse übereinander gelagerter Schichten untersuchen und die See bei der Arbeit, wie sie alle Gesteins-Schichten unterwühlt und zertrümmert und neue Ablagerungen daraus bildet, beobachtet haben, ehe er hoffen kann, nur einigermaassen die Länge der Zeit zu begreifen, deren Denkmäler wir um uns her erblicken. [292]

     Es ist gut den See-Küsten entlang zu wandern, welche aus mässig harten Fels-Schichten aufgebaut sind, und den Zerstörungs-Prozess zu beobachten. Die Gezeiten erreichen diese Fels-Wände gewöhnlich nur auf kurze Zeit zweimal im Tage, und die Wogen nagen sie nur aus, wenn sie mit Sand und Geschieben beladen sind; denn es ist leicht zu beweisen, dass reines Wasser Gesteine jeder Art nicht oder nur wenig angreift. Zuletzt wird der Fuss der Fels-Wände unterwaschen, mächtige Massen brechen zusammen, und die nun fest liegen bleiben, werden, Atom um Atom zerrieben, bis sie klein genug geworden, dass die Wellen sie zu rollen und vollends in Geschiebe und Sand und Schlamm zu verarbeiten vermögen. Aber wie oft sehen wir längs dem Fusse sich zurückziehender Klippen gerundete Blöcke liegen, alle dick überzogen mit Meeres-Erzeugnissen, welche beweisen, wie wenig sie durch Abreibung leiden und wie selten sie umhergerollt werden! Überdiess, wenn wir einige Meilen weit eine derartige Küsten-Wand verfolgen, welche der Zerstörung unterliegt, so finden wir, dass es nur hier und da, auf kurze Strecken oder etwa um ein Vorgebirge her der Fall ist, dass die Klippen jetzt leiden. Die Beschaffenheit ihrer Oberfläche und der auf ihnen erscheinende Pflanzen-Wuchs beweisen, dass allenthalben Jahre verflossen sind, seitdem die Wasser deren Fuss gewaschen haben.

     Wer die Thätigkeit des Meeres an unsren Küsten näher studirt hat, der muss einen tiefen Eindruck in sich aufgenommen haben von der Langsamkeit ihrer Zerstörung. Die trefflichen Beobachtungen von Hugh Miller und von Smith von Jordanhill sind vorzugsweise geeignet diese Überzeugung zu gewähren. Von ihr durchdrungen möge Jeder die viele Tausend Fuss mächtigen Konglomerat-Schichten untersuchen, welche, obschon wahrscheinlich in rascherem Verhältnisse als so viele andre Ablagerungen gebildet, doch nun an jedem der zahllosen abgeriebenen und gerundeten Geschiebe, woraus sie bestehen, den Stempel einer langen Zeit tragen und vortrefflich zu zeigen geeignet sind, wie langsam diese Massen zusammengehäuft worden seyn müssen. In den Cordilleren habe ich einen Stoss solcher Konglomerat-Schichten zu zehntausend Fuss Mächtigkeit geschätzt. Nun mag [293] sich der Beobachter der wohl begründeten Bemerkung Lyell’s erinnern, dass die Dicke und Ausdehnung der Sediment-Formationen Ergebniss und Maasstab der Abtragungen sind, welche die Erd-Rinde an andern Stellen erlitten hat. Und was für ungeheure Abtragungen werden durch die Sediment-Ablagerungen mancher Gegenden vorausgesetzt! Professor Ramsay hat mir, meistens nach wirklichen Messungen und geringentheils nach Schätzungen, die Maasse der grössten unsrer Formationen aus verschiedenen Theilen Gross-Britanniens in folgender Weise angegeben:

d. i. beinahe 133/4 Englische Meilen. Einige dieser Formationen, welche in England nur durch dünne Lagen vertreten sind, haben auf dem Kontinente Tausende von Fussen Mächtigkeit. Überdiess sollen nach der Meinung der meisten Geologen zwischen je zwei aufeinander-folgenden Formationen immer unermessliche leere Perioden fallen. Wenn somit selbst jener ungeheure Stoss von Sediment-Schichten in Britannien nur eine unvollkommne Vorstellung von der Zeit gewährt, wie lang muss diese Zeit gewesen seyn! Gute Beobachter haben die Sediment-Ablagerungen des grossen Mississippi-Stromes nur auf 600' Mächtigkeit in 100,000 Jahren berechnet. Diese Berechnung macht keinen Anspruch auf grosse Genauigkeit. Wenn wir aber nun berücksichtigen, wie ausserordentlich weit ganz feine Sedimente von den See-Strömungen fortgetragen werden, so muss der Prozess ihrer Anhäufung über irgend welche Erstreckung des See-Bodens äusserst langsam seyn.

     Doch scheint das Maass der Entblössung, welche die Schichten mancher Gegenden erlitten, unabhängig von dem Verhältnisse der Anhäufung der zertrümmerten Massen, die besten Beweise für die Länge der Zeiten zu liefern. Ich erinnre mich, von dem Beweise der Entblössungen in hohem Grade betroffen gewesen zu seyn, als ich vulkanische Inseln sah, welche rundum von den Wellen so abgewaschen waren, dass sie in 1000-2000' hohen Fels-Wänden senkrecht emporragten, während sich aus dem [294] schwachen Fall-Winkel, mit welchem sich die Lava-Ströme einst in ihrem flüssigen Zustand herabgesenkt, auf den ersten Blick ermessen liess, wie weit einstens die harten Fels-Lagen in den offnen Ozean hinausgereicht haben müssen. Dieselbe Geschichte ergibt sich oft noch deutlicher durch die mächtigen Rücken, jene grossen Gebirgs-Spalten, längs deren die Schichten bis zu Tausenden von Fussen an einer Seite emporgestiegen oder an der andern Seite hinabgesunken sind; denn seit dieser senkrechten Verschiebung ist die Oberfläche des Bodens durch die Thätigkeit des Meeres wieder so vollkommen ausgeebnet worden, dass keine Spur von dieser ungeheuren Verwerfung mehr äusserlich zu erkennen ist.

     So erstreckt sich der Craven-Rücken z. B. 30 Englische Meilen weit, und auf dieser ganzen Strecke sind die von beiden Seiten her zusammenstossenden Schichten um 600'—3000' senkrechter Höhe verworfen. Professor Ramsay hat eine Senkung von 2300' in Anglesea beschrieben und benachrichtigt mich, dass er sich überzeugt halte, dass in Merionetshire eine von 12,000' vorhanden seye. Und doch verräth in diesen Fällen die Oberfläche des Bodens nichts von solchen wunderbaren Bewegungen, indem die ganze anfangs auf der einen Seite höher emporragende Schichten-Reihe bis zur Abebnung der Oberfläche weggespült worden ist. Die Betrachtung dieser Thatsachen macht auf mich denselben Eindruck, wie das vergebliche Ringen des Geistes um den Gedanken der Ewigkeit zu erfassen.

     Ich habe diese wenigen Bemerkungen gemacht, weil es für uns von höchster Wichtigkeit ist, eine wenn auch unvollkommene Vorstellung von der Länge verflossener Erd-Perioden zu haben. Und jedes Jahr während der ganzen Dauer dieser Perioden war die Erd-Oberfläche, waren Land und Wasser von Schaaren lebender Formen bevölkert. Was für eine endlose, dem Geiste unerfassliche Anzahl von Generationen muss, seitdem die Erde bewohnt ist, schon aufeinander gefolgt seyn! Und sieht man nun unsre reichsten geologischen Sammlungen an, — welche armseelige Schaustellung davon!

     Armuth paläontologischer Sammlungen.) Jedermann [295] gibt die ausserordentliche Unvollständigkeit unsrer paläontologischen Sammlungen zu. Überdiess sollte man die Bemerkung des vortrefflichen Paläontologen, des verstorbnen Edward Forbes, nicht vergessen, dass eine Menge unsrer fossilen Arten nur nach einem einzigen oft zerbrochenen Exemplare oder nur wenigen auf einem kleinen Fleck beisammen gefundenen Individuen bekannt und benannt sind. Nur ein kleiner Theil der Erdoberfläche ist geologisch untersucht und noch keiner mit erschöpfender Genauigkeit erforscht, wie die noch jährlich in Europa aufeinanderfolgenden wichtigen Entdeckungen beweisen. Kein ganz weicher Organismus ist Erhaltungs-fähig. Selbst Schaalen und Knochen zerfallen und verschwinden auf dem Boden des Meeres, wo sich keine Sedimente anhäufen. Ich glaube, dass wir beständig in einem grossen Irrthum begriffen sind, wenn wir uns der stillen Ansicht überlassen, dass sich Niederschläge fortwährend auf fast der ganzen Erstreckung des See-Grundes in genügendem Maasse bilden, um die zu Boden sinkenden organischen Stoffe zu umhüllen und zu erhalten. Auf eine ungeheure Ausdehnung des Ozeans spricht die klar blaue Farbe seines Wassers für dessen Reinheit. Die vielen Berichte von mehren in gleichförmiger Lagerung aufeinander-folgenden Formationen, deren keine auch nur Spuren aufrichtender, zerreissender oder abwaschender Thätigkeit an sich trägt, scheinen nur durch die Ansicht erklärbar zu seyn, dass der Boden des Meeres oft eine unermessliche Zeit in völlig unveränderter Lage bleibt. Die Reste, welche in Sand und Kies eingebettet worden, werden gewöhnlich von Kohlensäure-haltigen Tage-Wassern wieder aufgelöst, welche den Boden nach seiner Emporhebung über den Meeres-Spiegel zu durchsinken beginnen.

     Einige von den vielen Thier-Arten, welche zwischen Ebbe- und Fluth-Stand des Meeres am Strande leben, scheinen sich nur selten fossil zu erhalten. So z. B. überziehen in aller Welt zahllose Chthamalinen (eine Familie[WS 1] der sitzenden Cirripeden) die dort gelegenen Klippen. Alle sind im strengen Sinne litoral, mit Ausnahme einer einzigen mittelmeerischen Art, welche dem tiefen Wasser angehört und auch in Sicilien fossil gefunden worden [296] ist, während man fast noch keine tertiäre Art kennt und aus der Kreide-Zeit noch keine Spur davon vorliegt. Die Mollusken-Sippe Chiton bietet ein theilweise analoges Beispiel dar[1].

     Hinsichtlich der Land-Bewohner, welche in der paläolithischen und sekundären Zeit gelebt, ist es überflüssig darzuthun, dass unsre Kenntnisse höchst fragmentarisch sind. So ist z. B. nicht eine Landschnecke aus einer dieser langen Perioden bekannt, mit Ausnahme der von Sir Ch. Lyell und Dr. Dawson in den Kohlen-Schichten Nord-Amerika’s entdeckten Art, wovon jetzt mehre Exemplare gesammelt sind. Was die Säugthier-Reste betrifft, so ergibt ein Blick auf die Tabelle im Supplement zu Lyell’s Handbuch weit besser, wie zufällig und selten ihre Erhaltung seye, als Seiten-lange Einzelnheiten, und doch kann ihre Seltenheit keine Verwunderung erregen, wenn wir uns erinnern, was für ein grosser Theil der tertiären Reste derselben aus Knochen-Höhlen und Süsswasser-Ablagerungen herrühren, während nicht eine Knochen-Höhle und ächte Süsswasser-Schicht vom Alter unsrer paläolithischen und sekundären Formationen bekannt ist.

     Aber die Unvollständigkeit der geologischen Nachrichten rührt hauptsächlich von einer andren und weit wichtigeren Ursache her, als irgend eine der vorhin angegebenen ist, dass nämlich die verschiedenen Formationen durch lange Zeiträume von einander getrennt sind. Wenn wir die Formationen in wissenschaftlichen Werken in Tabellen geordnet finden, oder wenn wir sie in der Natur verfolgen, so können wir uns nicht wohl der Überzeugung verschliessen, dass sie nicht unmittelbar auf einander gefolgt sind. So wissen wir z. B. aus Sir R. Murchisons grossem Werke über Russland, dass daselbst weite Lücken zwischen den aufeinanderliegenden Formationen bestehen; und so ist es auch in Nord-Amerika und vielen andern Weltgegenden. Und doch würde der beste Geologe, wenn er sich nur mit einem dieser weiten Länder-Gebiete allein beschäftigt hätte, nimmer vermuthet haben, dass während dieser langen Perioden, [297] aus welchen in seiner eignen Gegend kein Denkmal übrig ist, sich grosse Schichten-Stösse voll neuer und eigenthümlicher Lebenformen anderweitig aufeinander gehäuft haben. Und wenn man sich in jeder einzelnen Gegend kaum eine Vorstellung von der Länge der Zwischenzeiten zu machen im Stande ist, so wird man glauben, dass Diess nirgends möglich seye. Die häufigen und grossen Veränderungen in der mineralogischen Zusammensetzung aufeinander-folgender Formationen, welche gewöhnlich auch grosse Veränderungen in der geographischen Beschaffenheit des umgebenden Landes unterstellen lassen, aus welchem das Material zu diesen Niederschlägen entnommen ist, stimmt mit der Annahme langer zwischen den einzelnen Formationen verflossener Zeiträume überein.

     Doch kann man, wie ich glaube, leicht einsehen, warum die geologischen Formationen jeder Gegend fast unabänderlich überall unterbrochen sind, d. h. sich nicht ohne Zwischenpausen abgelagert haben. Kaum hat eine Thatsache bei Untersuchung viele Hundert Meilen langer Strecken der Süd-Amerikanischen Küsten, die in der jetzigen Periode einige Hundert Fuss hoch emporgehoben worden sind, einen lebhafteren Eindruck auf mich gemacht, als die Abwesenheit aller neueren Ablagerungen von hinreichender Entwickelung, um auch nur für eine kurze geologische Periode zu gelten. Längs der ganzen West-Küste, die von einer eigenthümlichen Meeres-Fauna bewohnt wird, sind die Tertiär-Schichten so spärlich entwickelt, dass wahrscheinlich kein Denkmal von verschiedenen aufeinander-folgenden Meeres-Faunen für spätre Zeilen erhalten bleiben wird. Ein wenig Nachdenken erklärt es uns, warum längs der fortwährend höher steigenden West-Küste Süd-Amerikas keine ausgedehnten Formationen mit neuen oder mit tertiären Resten irgendwo zu finden sind, obwohl nach den ungeheuern Abtragungen der Küsten-Wände und den Schlamm-reichen Flüssen zu urtheilen, die sich dort in das Meer ergiessen, die Zuführung von Sedimenten lange Perioden hindurch eine sehr grosse gewesen seyn muss. Die Erklärung liegt ohne Zweifel darin, dass die litoralen und sublitoralen Ablagerungen beständig wieder weggewaschen werden, sobald sie [298] durch die langsame oder stufenweise Hebung des Landes in den Bereich der zerstörenden Brandung gelangen.

     Wir dürfen wohl mit Sicherheit schliessen, dass Sediment in ungeheuer dicken harten und ausgedehnten Massen angehäuft worden seyn müsse, um während der ersten Emporhebung und der späteren Schwankungen des Niveaus der ununterbrochnen Thätigkeit der Wogen zu widerstehen. Solche dicke und ausgedehnte Sediment-Ablagerungen können auf zweierlei Weise gebildet werden; entweder in grossen Tiefen des Meeres, in welchem Falle wir nach den Untersuchungen von E. Forbes annehmen müssen, dass der See-Grund nur von sehr wenigen Thieren bewohnt gewesen seye und die Massen nach ihrer Emporhebung folglich nur eine sehr unvollkommene Vorstellung von den einstens dort vorhandenen Lebenformen gewähren können; — oder die Sedimente werden über einen seichten Grund zu einiger Dicke und Ausdehnung angehäuft, wenn er in langsamer Senkung begriffen ist. In diesem letzten Falle bleibt das Meer so lange seicht und dem Thier-Leben günstig, als Senkung des Bodens und Zufuhr der Niederschläge einander nahezu das Gleichgewicht halten; so dass auf diese Weise eine hinreichend dicke Fossilien-reiche Formation entstehen kann, um bei ihrer spätren Emporhebung jedem Grade von Zerstörung zu widerstehen.

     Ich bin demgemäss überzeugt, dass alle unsre alten Formationen, welche reich an fossilen Resten sind, bei andauernder Senkung abgelagert worden sind. Seitdem ich im Jahr 1845 meine Ansichten in dieser Beziehung bekannt gemacht, habe ich die Fortschritte der Geologie verfolgt und mit Überraschung wahrgenommen, wie ein Schriftsteller nach dem andern bei Beschreibung dieser oder jener grossen Formation zum Schlusse gelangt ist, dass sie sich während der Senkung des Bodens gebildet habe. Ich will hinzufügen, dass die einzige alte Tertiär-Formation an der West-Küste Süd-Amerikas, die mächtig genug war um der bisherigen Zerstörung noch zu widerstehen, aber wohl schwerlich bis zu fernen geologischen Zeiten auszudauern im Stande ist, sich gewiss während der Senkung des Bodens gebildet und so eine ansehnliche Mächtigkeit erlangt hat. [299]

     Alle geologischen Thatsachen zeigen uns deutlich, dass jedes Gebiet der Erd-Oberfläche viele langsame Niveau-Schwankungen durchzumachen hatte, und alle diese Schwankungen sind zweifelsohne von weiter Erstreckung gewesen. Demzufolge müssen Fossilien-reiche und genügend entwickelte Bildungen, um späteren Abtragungen zu widerstehen, während der Senkungs-Perioden über weit-ausgedehnte Flächen entstanden seyn, doch nur so lange, als die Zufuhr von Materialien stark genug war, um die See seicht zu erhalten und die fossilen Reste schnell genug einzuschichten und zu schützen, ehe sie Zeit hatten zu zerfallen. Dagegen konnten sich mächtige Schichten auf seichtem und dem Leben günstigem Grunde so lange nicht bilden, als derselbe stet blieb. Viel weniger konnte Diess während wechselnder Perioden von Hebung und Senkung geschehen, oder, um mich genauer auszudrücken, die Schichten, welche während solcher Senkungen abgelagert wurden, müssen bei nachfolgender Hebung wieder in den Bereich der Brandung versetzt und so zerstört worden seyn.

     So muss denn nothwendig der Geologische Schöpfungs-Bericht überall unterbrochen erscheinen. Ich setze um so grössres Vertrauen in die Wahrheit dieser Ansichten, als sie mit den von Sir Ch. Lyell eindringlich gelehrten Prinzipien genau übereinstimmen, und auch Edw. Forbes davon unabhängig zu einem ähnlichen Ergebnisse gelangt ist.

     Eine Bemerkung ist hier noch der Erwähnung werth. Während der Erhebungs-Zeiten wird die Ausdehnung des Landes und der angrenzenden seichten Meeres-Strecken vergrössert, und werden oft neue Arten von Wohnorten gebildet. Alles für die Bildung neuer Arten und Varietäten, wie früher bemerkt worden, günstige Umstände; aber gerade während diesen Perioden bleiben Lücken im geologischen Berichte. Während der Senkung dagegen nimmt die bewohnbare Fläche und die Anzahl der Bewohner ab (die der Küsten-Bewohner etwa in dem Falle ausgenommen, dass ein Kontinent in Insel-Gruppen zerfällt wird), daher während der Senkung nicht nur mehr Arten erlöschen, sondern auch wenige Varietäten und Arten entstehen; und gerade [300] während solcher Senkungs-Zeiten sind unsre grossen Fossilien-reichen Schichten-Massen abgelagert worden. Man möchte sagen, die Natur habe die häufige Entdeckung der Übergangs- und verkettenden Formen erschweren wollen.

     Nach den vorangehenden Betrachtungen ist es nicht zu bezweifeln, dass der geologische Schöpfungs-Bericht im Ganzen genommen ausserordentlich unvollständig ist; wenn wir aber dann unsre Aufmerksamkeit auf irgend eine einzelne Formation beschränken, so ist es noch schwerer zu begreifen, warum wir nicht enge aneinander-gereihete Abstufungen zwischen denjenigen Arten finden, welche am Anfang und am Ende ihrer Bildung gelebt haben. Es wird zwar von einigen Fällen berichtet, wo eine Art in andern Varietäten in den obern als in den untern Theilen derselben Formation auftritt; doch mögen sie hier übergangen werden, da ihrer nur wenige sind. Obwohl nun jede Formation ohne allen Zweifel eine lange Reihe von Jahren zu ihrer Ablagerung bedurft hat, so glaube ich doch verschiedene Gründe zu erkennen, warum sich solche Stufen-Reihen zwischen den zuerst und den zuletzt lebenden Arten nicht darin vorfinden; doch kann ich kaum hoffen den folgenden Betrachtungen die ihnen gebührende Berücksichtigung zuzuwenden.

     Obwohl jede Formation einer sehr langen Reihe von Jahren entspricht, so ist doch jede kurz im Vergleiche mit der zur Umänderung einer Art in die andre erforderlichen Zeit. Nun weiss ich wohl, dass zwei Paläontologen, deren Meinungen wohl der Beachtung werth sind, nämlich Bronn[2] und Woodward, zum Schlusse gelangt sind, dass die mittle Dauer einer jeden Formation zwei- bis drei-mal so lang, als die mittle Dauer einer Art-Form ist. Indessen hindern uns, wie mir scheint unübersteigliche Schwierigkeiten in dieser Hinsicht zu einem richtigen Schlusse zu gelangen. Wenn wir eine Art in der Mitte einer Formation zum ersten Male auftreten sehen, so würde es äusserst übereilt seyn zu schliessen, dass sie nicht irgendwo anders [301] schon länger existirt haben könne. Eben so, wenn wir eine Art schon vor den letzten Schichten einer Formation verschwinden sehen, würde es übereilt seyn anzunehmen, dass sie schon völlig erloschen seye. Wir vergessen, wie klein die Ausdehnung Europa’s im Vergleich zur übrigen Welt ist; auch sind die verschiedenen Stöcke der einzelnen Formationen noch nicht durch ganz Europa mit vollkommener Genauigkeit parallelisirt worden.

     Bei allen Sorten von Seethieren können wir getrost annehmen, dass in Folge von klimatischen u. a. Veränderungen massenhafte und ausgedehnte Wanderungen stattgefunden haben; und wenn wir eine Art zum ersten Male in einer Formation auftreten sehen, so liegt die Wahrscheinlichkeit vor, dass sie eben da erst von einer andern Gegend her eingewandert seye. So ist es z. B. wohl bekannt, dass einige Thier-Arten in den paläolithischen Bildungen Nord-Amerika’s etwas früher als in den Europäischen auftreten, indem sie zweifelsohne Zeit nöthig hatten, um die Wanderung von Amerika nach Europa zu machen. Bei Untersuchungen der neuesten Ablagerungen in verschiedenen Weltgegenden ist überall die Wahrnehmung gemacht worden, dass einige wenige noch lebende Arten in diesen Ablagerungen häufig, aber in den unmittelbar umgebenden Meeren verschwunden sind, oder dass umgekehrt einige jetzt in den benachbarten Meeren häufige Arten und jener Ablagerungen noch selten oder gar nicht zu finden sind. Es ist sehr lehrreich über den erwiesenen Umfang der Wanderungen Europäischer Thiere während der Eis-Zeit nachzudenken, welche doch nur einen kleinen Theil der ganzen geologischen Zeitdauer ausmacht, so wie die grosser Niveau-Veränderungen, die aussergewöhnlich grossen Klima-Wechsel, die unermessliche Länge der Zeiträume in Erwägung zu ziehen, welche alle mit dieser Eis-Periode zusammen fallen. Dann dürfte zu bezweifeln seyn, dass sich in irgend einem Theile der Welt Sediment-Ablagerungen, welche fossile Reste enthalten, auf dem gleichen Gebiete während der ganzen Dauer dieser Periode abgelagert haben. So ist es z. B. nicht wahrscheinlich, dass während der ganzen Dauer der Eis-Periode Sediment-Schichten an der Mündung des Mississippi innerhalb [302] derjenigen Tiefe, worin Thiere noch reichlich leben können, abgelagert worden seyen; denn wir wissen, was für ausgedehnte geographische Veränderungen während dieser Zeit in andern Theilen von Amerika erfolgt sind. Würden solche während der Eis-Periode in seichtem Wasser an der Mississippi-Mündung abgelagerte Schichten einmal über den See-Spiegel gehoben werden, so würden organische Reste wahrscheinlich in verschiedenen Niveaus derselben zuerst erscheinen und wieder verschwinden, je nach den stattgefundenen Wanderungen der Arten und den geographischen Veränderungen des Landes. Und wenn in ferner Zukunft ein Geologe diese Schichten untersuchte, so möchte er zu schliessen geneigt seyn, dass die mittle Lebens-Dauer der dort eingebetteten Organismen-Arten kürzer als die Eis-Periode gewesen seye, obwohl sie in der That viel länger war, indem sie vor dieser begonnen und bis in unsre Tage gewährt hat.

     Um nun eine vollständige Stufen-Reihe zwischen zwei Formen in den untern und obern Theilen einer Formation darbieten zu können, müsste deren Ablagerung sehr lange Zeit fortgedauert haben, um dem langsamen Prozess der Variation Zeit zu lassen; die Schichten-Masse müsste daher von sehr ansehnlicher Mächtigkeit seyn; die in Abänderung begriffenen Spezies müssten während der ganzen Zeit da gelebt haben. Wir haben jedoch gesehen, dass die organische Reste enthaltenden Schichten sich nur während einer Periode der Senkung ansammeln; damit nun die Tiefe sich nahezu gleich bleibe und dieselben Thiere fortdauernd an derselben Stelle wohnen können, wäre ferner nothwendig, dass die Zufuhr von Sedimenten die Senkung fortwährend wieder ausgleiche. Aber eben diese senkende Bewegung wird oft auch die Nachbargegend mit berühren, aus welcher jene Zufuhr erfolgt, und eben dadurch die Zufuhr selbst vermindern. Eine solche nahezu genaue Ausgleichung zwischen der Stärke der stattfindenden Senkung und dem Betrag der zugeführten Sedimente mag in der That nur selten vorkommen; denn mehr als ein Paläontologe hat beobachtet, dass sehr dicke Ablagerungen ausser an ihren oberen und unteren Grenzen gewöhnlich leer an Versteinerungen sind. [303]

     Wahrscheinlich ist die Bildung einer jeden einzelnen Formation gewöhnlich eben so wie die der ganzen Formationen-Reihe einer Gegend mit Unterbrechungen vor sich gegangen. Wenn wir, wie es oft der Fall, eine Formation aus Schichten von verschiedener Mineral-Beschaffenheit zusammengesetzt sehen, so müssen wir vernünftiger Weise vermuthen, dass der Ablagerungs-Prozess sehr unterbrochen gewesen seye, indem eine Veränderung in den See-Strömungen und eine Änderung in der Beschaffenheit der zugeführten Sedimente gewöhnlich von geographischen Bewegungen, welche viele Zeit kosten, veranlasst worden seyn mag. Nun wird auch die genaueste Untersuchung einer Formation keinen Maassstab liefern, um die Länge der Zeit zu messen, welche über ihrer Ablagerung vergangen ist. Man könnte viele Beispiele anführen, wo eine einzelne nur wenige Fuss dicke Schicht eine ganze Formation vertritt, die in andren Gegenden Tausende von Fussen mächtig ist und mithin eine ungeheure Länge der Zeit zu ihrer Bildung bedurft hat; und doch würde Niemand, der Diess nicht weiss, auch nur geahnt haben, welch’ eine unermessliche Zeit über der Entstehung jener dünnen Schicht verflossen ist. So liessen sich auch viele Fälle anführen, wo die untern Schichten einer Formation emporgehoben, entblösst, wieder versenkt und dann von den obern Schichten der nämlichen Formation bedeckt worden sind, Thatsachen, welche beweisen, dass weite leicht zu übersehende Zwischenräume während der Ablagerung vorhanden gewesen sind. In andern Fällen liefert uns eine Anzahl grosser fossilisirter und noch auf ihrem natürlichen Boden aufrecht stehender Bäume den klaren Beweis von mehren langen Pausen und wiederholten Höhen-Wechseln während des Ablagerungs-Prozesses, wie man sie ausserdem nie hätte vermuthen können. So fanden Lyell und Dawson in einem 1400' mächtigen Kohlen-Gebirge Neu-Schottlands noch alle von Baum-Wurzeln durchzogenen Boden-Schichten, eine über der andern in nicht weniger als 68 verschiedenen Höhen. Wenn daher die nämliche Art unten, mitten und oben in der Formation vorkommt, so ist Wahrscheinlichkeit vorhanden, dass sie nicht während der ganzen Ablagerungs-Zeit immer an [304] dieser Stelle gelebt hat, sondern während derselben, vielleicht mehrmals, dort verschwunden und wieder erschienen ist. Wenn daher eine solche Spezies im Verlaufe einer geologischen Periode beträchtliche Umänderungen erfahren, so würde ein Durchschnitt durch jene Schichten-Reihe wahrscheinlich nicht alle die feinen Abstufungen zu Tage fördern, welche nach meiner Theorie die Anfangs- mit der End-Form jener Art verkettet haben müssen; man würde vielmehr sprungweise, wenn auch vielleicht nur kleine, Veränderungen zu sehen bekommen.

     Es ist nun äusserst wichtig sich zu erinnern, dass die Naturforscher keine goldene Regel haben, um mit deren Hilfe Arten von Varietäten zu unterscheiden. Sie gestehen jeder Art einige Veränderlichkeit zu; wenn sie aber etwas grössre Unterschiede zwischen zwei Formen wahrnehmen, so machen sie Arten daraus, wofern sie nicht etwa im Stande sind dieselben durch Zwischenstufen miteinander zu verketten. Und diese dürfen wir nach den zuletzt angegebenen Gründen selten hoffen, in einem geologischen Durchschnitte zu finden. Nehmen wir an, B und C seyen zwei Arten, und eine dritte A werde in einer tieferliegenden Schicht gefunden. Hielte nun A genau das Mittel zwischen B und C, so würde man sie wohl einfach als eine weitere dritte Art ansehen, wenn nicht ihre Verkettung mit einer von beiden oder mit beiden andern durch Zwischenglieder nachgewiesen werden kann. Nun muss man nicht vergessen, dass, wie vorhin erläutert worden, wenn A auch der wirkliche Stamm-Vater von B und C ist, derselbe doch nicht in allen Punkten der Organisation nothwendig das Mittel zwischen beiden halten muss. So könnten wir denn sowohl die Stammart als auch die von ihr durch Umwandlung abgeleiteten Formen aus den untern und obern Schichten einer Formation erhalten und doch vielleicht in Ermangelung zahlreicher Übergangs-Stufen ihre Beziehungen zu einander nicht erkennen, sondern alle für eigenthümliche Arten ansehen.

     Es ist eine bekannte Sache, auf was für äusserst kleine Unterschiede manche Paläontologen ihre Arten gründen, und sie können Diess auch um so leichter thun, wenn ihre wenig verschiedenen [305] Exemplare aus verschiedenen Stöcken einer Formation herrühren. Einige erfahrene Paläontologen setzen jetzt viele von den schönen Arten d'Orbigny’s u. A. zum Rang blosser Varietäten herunter, und darin finden wir eine Art von Beweis für die Abänderungs-Weise, welche nach meiner Theorie stattfinden muss. Wenn wir überdiess grössere Zeit-Unterschiede, wie die aufeinander folgenden Stöcke einer nämlichen grossen Formation berücksichtigen, so finden wir, dass die ihnen angehörigen Fossil-Reste, wenn auch gewöhnlich allgemein als verschiedene Arten betrachtet, doch immerhin näher mit einander verwandt zu seyn pflegen, als die in weit getrennten Formationen enthaltenen Arten; doch werde ich auf diesen Gegenstand im folgenden Abschnitte zurückkommen.

     So ist auch noch eine andre schon früher gemachte Bemerkung zu berücksichtigen, dass nämlich die Varietäten von Pflanzen wie von Thieren, welche sich rasch vervielfältigen, aber ihre Stelle nicht viel ändern können, anfangs gewöhnlich lokal seyn werden, und dass solche örtliche Varietäten sich nicht weit verbreiten und ihre Stamm-Formen erst ersetzen, wenn sie sich in einem etwas grösseren Maasse verändert und vervollkommnet haben. Nach dieser Annahme ist die Aussicht, die früheren Übergangs-Stufen zwischen irgend welchen zwei Arten einer Formation auf einer Stelle in übereinander-folgenden Schichten zu finden nur klein, weil vorauszusetzen ist, dass die einzelnen Übergangs-Stufen als Lokalformen je eine andre örtliche Verbreitung gehabt haben. Die meisten Seethiere besitzen eine weite Verbreitung; und da wir gesehen, dass diejenigen Arten unter den Pflanzen, welche am weitesten verbreitet sind, auch am öftesten Varietäten darbieten, so wird es sich mit Mollusken u. a. See-Thieren wohl ähnlich verhalten, und es werden diejenigen unter ihnen, welche sich vordem am weitesten bis über die Grenzen Europa’s hinaus erstreckten, auch am öftesten die Bildung neuer anfangs lokaler Varietäten und später Arten veranlasst haben. Auch dadurch muss die Wahrscheinlichkeit in irgend welcher Formation die Reihenfolge der Übergangs-Stufen aufzufinden ausserordentlich vermindert werden. [306]

     Man muss nicht vergessen, dass man heutigen Tages, selbst wenn man vollständige Exemplare vor sich hat, selten zwei Varietäten durch Zwischenstufen verbinden und so deren Zusammengehörigkeit zu einer Art beweisen kann, bis man viele Exemplare von mancherlei Örtlichkeiten zusammengebracht hat; und bei fossilen Arten ist der Paläontologe selten im Stande Diess zu thun. Man wird vielleicht am besten begreifen, wie wenig wir in der Lage seyn können, Arten durch zahllose feine fossil-gefundene Zwischenglieder zu verketten, wenn wir uns selbst fragen, ob z. B. Paläontologen spätrer Zeiten im Stande seyn würden zu beweisen, dass unsre verschiednen Rinds-, Schaafe-, Pferde- und Hunde-Rassen von einem oder von mehren Stämmen herkommen, — oder ob gewisse See-Konchylien der Nord-Amerikanischen Küsten, welche von einigen Konchyliologen als von ihren Europäischen Vertretern abweichende Arten und von andern Konchyliologen als blosse Varietäten angesehen werden, nur wirkliche Varietäten oder sogenannte eigne Arten sind. Diess könnte künftigen Geologen nur gelingen, wenn sie viele fossile Zwischenstufen entdeckten, was jedoch im höchsten Grade unwahrscheinlich ist.

     Wenn geologische Forschungen auch eine Menge von Arten aus lebenden und erloschenen Sippen zu unsrer Kenntniss gebracht und manche Lücken zwischen einigen Lebenformen kleiner gemacht, so haben sie doch kaum etwas dazu beigetragen, Unterschiede zwischen den Arten durch Einschiebung zahlreicher und fein abgestufter Zwischenglieder zu verringern; und dass sie Diess nicht bewirkt haben, ist zweifelsohne einer der ersten und gewichtigsten Einwände, die man gegen meine Ansichten vorbringen mag. Daher wird es angemessen seyn, die vorangehenden Bemerkungen zur Erläuterung eines ersonnenen Falles zusammenzulassen. Der Malayische Archipel ist etwa von der Grösse Europas vom Nord-Kap bis zum Mittelmeere und von Britannien bis Russland, entspricht mithin der Ausdehnung desjenigen Theiles der Erd-Oberfläche, auf welchem, Nord-Amerika ausgenommen, alle geologischen Formationen am sorgfältigsten und zusammenhängendsten untersucht worden sind. Ich stimme [307] mit Hrn. Godwin-Austen in der Meinung vollkommen überein, dass der jetzige Zustand des Malayischen Archipels mit seinen zahlreichen durch breite und seichte Meeres-Arme getrennten Inseln wahrscheinlich der früheren Beschaffenheit Europas, während noch die meisten unsrer Formationen in Ablagerung begriffen waren, entspricht. Der Malayische Archipel ist eine der an Organismen reichsten Gegenden der ganzen Erd-Oberfläche; aber wenn man auch alle Arten sammelte, welche jemals da gelebt haben, wie unvollständig würden sie die Naturgeschichte der ganzen Erd-Oberfläche vertreten!

     Indessen haben wir alle Ursache zu glauben, dass die Überreste der Landbewohner dieses Archipels nur äusserst unvollständig in die Formationen übergehen dürften, die unsrer Annahme gemäss sich dort noch ablagern werden. Ich vermuthe selbst, dass nicht viele der eigentlichen Küsten-Bewohner und der auf kahlen untermeerischen Felsen wohnenden Thiere in die neuen Schichten eingeschlossen werden würden; und die etwa in Kies und Sand eingeschlossenen dürften keiner späten Nachwelt überliefert werden. Da wo sich aber keine Niederschläge auf dem Meeres-Boden bildeten oder sich nicht in genügender Masse anhäuften, um organische Einflüsse gegen Zerstörung zu schützen, da würden auch gar keine organischen Überreste erhalten werden können.

     Ich glaube, dass Fossilien-führende Formationen, hinreichend mächtig um bis zu einer eben so weit in der Zukunft entfernten Zeit zu reichen, als die Sekundär-Formationen bereits hinter uns liegen, nur während Perioden der Senkung in dem Archipel entstehen könnten. Diese Perioden würden dann durch unermessliche Zwischenzeiten der Hebung oder Ruhe von einander getrennt werden; denn während der Hebung würden alle Fossilien-führenden Formationen in dem Maasse, als sie entstünden, durch die ununterbrochene Thätigkeit der Brandung wieder zerstört werden, wie wir es jetzt an den Küsten Süd-Amerikas gesehen haben. Während der Senkungs-Zeiten würden viele Lebenformen zu Grunde gehen, während der Hebungs-Perioden dagegen sich die Formen am meisten durch Abänderung entfalten, aber die geologischen [308] Denkmäler würden der Folgezeit wenig Nachricht davon überliefern.

     Es wäre zu bezweifeln, dass die Dauer irgend einer grossen Periode über den ganzen Archipel sich erstreckender Senkung und entsprechender gleichzeitiger Sediment-Ablagerung die mittle Dauer der alsdann vorhandnen spezifischen Formen übertreffen würde; und doch würde diese Bedingung unerlässlich nothwendig seyn für die Erhaltung aller Übergangs-Stufen zwischen irgend welchen zwei oder mehr von einander abstammenden Arten. Wo diese Zwischenstufen aber nicht vollständig erhalten sind, da werden die durch sie verkettet gewesenen Varietäten als eben so viele verschiedene Spezies erscheinen. Es ist jedoch wahrscheinlich, dass während so langer Senkungs-Perioden auch wieder Höhen-Schwankungen eintreten und kleine klimatische Veränderungen erfolgen werden, welche die Bewohner des Archipels zu Wanderungen veranlassen, so dass kein genau zusammenhängender Bericht über deren Abänderungs-Gang in einer der dortigen Formationen niedergelegt werden kann.

     Sehr viele der jetzigen Meeres-Bewohner jenes Archipels wohnen gegenwärtig noch Tausende von Englischen Meilen weit über seine Grenzen hinaus, und die Analogie veranlasst mich zu glauben, dass diese weit-verbreiteten Arten hauptsächlich zur Erzeugung neuer Varietäten geeignet seyn würden. Diese Varietäten dürften anfangs gewöhnlich nur eine örtliche Verbreitung besitzen, jedoch, wenn sie als solche irgend einen Vortheil voraus haben, oder wenn sie erst noch weiter abgeändert und verbessert sind, sich allmählich ausbreiten und ihre Stamm-Ältern ersetzen. Kehrte dann eine solche Varietät in ihre alte Heimath zurück, so würde sie, vielleicht zwar nur wenig, aber doch einförmig von ihrer früheren Beschaffenheit abweichend, nach den Grundsätzen der meisten Paläontologen als eine neue und verschiedene Art aufgeführt werden müssen.

     Wenn daher diese Bemerkungen einiger Maassen begründet sind, so sind wir nicht berechtigt zu erwarten, dass wir in unseren geologischen Formationen eine endlose Anzahl solcher feinen Übergangs-Formen finden werden, welche nach meiner [309] Betrachtungs-Weise sicher einmal alle früheren und jetzigen Arten einer Gruppe zu einer langen und verzweigten Kette von Lebenformen verbunden haben. Wir werden nur erwarten dürfen einige wenige Zwischenglieder zu sehen, von welchen die einen fester und die andren loser mit einander vereinigt sind; und diese Glieder, grenzten sie auch noch so nahe an einander, werden von den meisten Paläontologen für verschiedene Arten erklärt werden, sobald sie in verschiedene Stöcke einer Formation vertheilt sind. Jedoch gestehe ich ein, dass ich nie geglaubt haben würde, welch’ dürftige Nachricht von der Veränderung der einstigen Lebenformen uns auch das beste geologische Profil gewähre, hätte nicht die Schwierigkeit, die zahllosen Mittelglieder zwischen den zu Anfang und am Ende einer Formation vorhandenen Arten aufzufinden, meine Theorie so sehr ins Gedränge gebracht.

     Plötzliches Auftreten ganzer Gruppen verwandter Arten.) Das plötzliche Erscheinen ganzer Gruppen neuer Arten in gewissen Formationen ist von mehren Paläontologen, wie Agassiz, Pictet und am eindringlichsten von Sedgwick zur Widerlegung des Glaubens an eine allmähliche Umgestaltung der Arten hervorgehoben worden. Wären wirklich viele Arten von einerlei Sippe oder Familie auf einmal plötzlich ins Leben getreten, so müsste Diess freilich meiner Theorie einer langsamen Abänderung durch Natürliche Züchtung verderblich werden. Denn die Entwickelung einer Gruppe von Formen, die alle von einem Stamm-Vater herrühren, muss nicht nur selbst ein sehr langsamer Prozess gewesen seyn, sondern auch die Stamm-Form muss schon sehr lange vor ihren abgeänderten Nachkommen existirt haben. Aber wir überschätzen fortwährend die Vollständigkeit der geologischen Berichte und unterstellen irrthümlich dass, weil gewisse Sippen oder Familien noch nicht unterhalb einer gewissen geologischen Gesichtsebene gefunden worden, sie auch tiefer noch nicht existirt haben. Wir vergessen fortwährend, wie gross die Welt der kleinen Fläche gegenüber ist, über die sich unsre genauere Untersuchung geologischer Formationen erstreckt; wir vergessen, dass Arten-Gruppen anderwärts [310] schon lange vertreten gewesen seyn und sich langsam vervielfältigt haben können, bevor sie in die alten Archipele Europas und der Vereinten Staaten eingedrungen. Wir bringen die Länge der Zeiträume nicht genug in Anschlag, welche wahrscheinlich zwischen der Ablagerung unsrer unmittelbar aufeinander-gelagerten Formationen verflossen und vermuthlich meistens länger als diejenigen gewesen sind, die zur Ablagerung einer Formation erforderlich waren. Diese Zwischenräume waren lange genug für die Vervielfältigung der Arten von einer oder von einigen wenigen Stamm-Formen aus, so dass dann solche Arten in der jedesmal nachfolgenden Formation auftreten konnten, als ob sie erst plötzlich und gleichzeitig geschaffen worden seyen.

     Ich will hier an eine schon früher gemachte Bemerkung erinnern, dass nämlich wohl eine ganze Reihe von Welt-Perioden dazu gehören dürfte, bis ein Organismus sich einer ganz neuen Lebens-Weise anpasse, wie z. B. durch die Luft zu fliegen; dass aber, wenn Diess einmal geschehen ist und nur einmal eine geringe Anzahl hiedurch einen grossen Vortheil vor andern Organismen erworben hat, nur noch eine verhältnissmässig kurze Zeit dazu erforderlich ist, um viele auseinander-weichende Formen hervorzubringen, welche dann geeignet sind sich schnell und weit über die Erd-Oberfläche zu verbreiten.

     Ich will nun einige wenige Beispiele zur Erläuterung dieser Bemerkungen und insbesondre zum Nachweis darüber mittheilen, wie leicht wir uns in der Meinung, dass ganze Arten-Gruppen auf einmal geschaffen worden seyen, irren können. Ich will zuerst an die wohl-bekannte Thatsache erinnern, dass nach den noch vor wenigen Jahren erschienenen Lehrbüchern der Geologie die grosse Klasse der Säugthiere ganz plötzlich am Anfange der Tertiär Periode aufgetreten seyn sollte. Und nun zeigt sich eine der, im Verhältniss ihrer Dicke, reichsten Lagerstätten fossiler Säugthier-Reste mitten in der Sekundär-Reihe, und ein ächtes Säugthier ist in den ältesten Schichten des New red Sandstone entdeckt worden. Cuvier pflegte Nachdruck darauf zu legen, dass noch kein Affe in irgend einer Tertiär-Schicht gefunden worden seye; jetzt aber kennt man fossile Arten von Vierhändern in [311] Ostindien, in Süd-Amerika und selbst in Europa, sogar schon aus der eocänen Periode. Hätte uns nicht ein seltener Zufall die zahlreichen Fährten im New red Sandstone der Vereinten Staaten aufbewahrt, wie würden wir anzunehmen gewagt haben, dass ausser Reptilien auch schon nicht weniger als dreissig Vogel-Arten von riesiger Grösse in so früher Zeit existirt hätten, zumal noch nicht ein Stückchen Knochen in jenen Schichten gefunden worden ist. Obwohl nun die Anzahl der Füsse, Zehen und verschiedenen Zehen-Glieder in jenen fossilen Eindrücken vollkommen mit denen unsrer jetzigen Vögel übereinstimmen, so zweifeln doch noch einige Schriftsteller daran, ob jene Fährten wirklich von Vögeln herrühren. So konnten also bis vor ganz kurzer Zeit dieselben Autoren behaupten und haben einige derselben wirklich behauptet, dass die ganze Klasse der Vögel plötzlich erst im Anfang der Tertiär-Periode aufgetreten seye; doch können wir uns jetzt auf die Versicherung Professor Owen’s (in Lyell’s »Manual«) berufen, dass ein Vogel gewiss schon zur Zeit gelebt habe, als der obre Grünsand sich ablagerte.

     Ich will als ein andres Beispiel anführen, was mir in einer Abhandlung über fossile sitzende Cirripeden selber passirt ist. Nachdem ich nachgewiesen, dass es eine Menge von lebenden und von erloschenen tertiären Arten gebe, so schloss ich aus dem ausserordentlichen Reichthume vieler Balaniden-Arten an Individuen, aus ihrer Verbreitung über die ganze Erde von den arktischen Regionen an bis zum Äquator und von der obren Fluth-Grenze an bis zu 50 Faden Tiefe hinab, aus der vollkommenen Erhaltungs-Weise ihrer Reste in den ältesten Tertiär-Schichten, aus der Leichtigkeit selbst einzelne Klappen zu erkennen und zu bestimmen: aus allen diesen Umständen schloss ich dass, wenn es in der sekundären Periode sitzende Cirripeden gegeben hätte, solche gewiss erhalten und wieder entdeckt worden seyn würden; da jedoch noch keine Schaale einer Spezies in Schichten dieses Alters gefunden worden seye, so müsse sich diese grosse Gruppe erst im Beginne der Tertiär-Zeit plötzlich entwickelt haben. Es war eine grosse Verlegenheit für mich, selbst noch ein weitres Beispiel vom plötzlichen Auftreten einer grossen [312] Arten-Gruppe bestätigen zu müssen. Kaum war jedoch mein Werk erschienen, als ein bewährter Paläontologe, Hr. Bosquet, mir eine Zeichnung von einem vollständigen Exemplare eines unverkennbaren Balaniden sandte, welchen er selbst aus dem Belgischen Kreide-Gebirge entnommen hatte. Und um den Fall so treffend als möglich zu machen, so ist der entdeckte Balanide ein Chthamalus, eine sehr gemeine und überall weit-verbreitete Sippe, wovon sogar in tertiären Schichten bis jetzt noch keine Spur gefunden worden war. Wir wissen daher jetzt mit Sicherheit, dass es auch in der Sekundär-Zeit schon sitzende Cirripeden gegeben, welche möglicher Weise die Stamm-Ältern unsrer vielen tertiären und noch lebenden Arten gewesen seyn können.

     Der Fall von plötzlichem Auftreten einer ganzen Arten-Gruppe, worauf sich die Paläontologen am öftesten berufen, ist die Erscheinung der ächten Knochenfische oder Teleostier erst in den unteren Schichten der Kreide-Periode. Diese Gruppe enthält bei weitem die grösste Anzahl der jetzigen Fische. Inzwischen hat Professor Pictet neuerlich ihre erste Erscheinung schon wieder um einen Stock tiefer nachgewiesen und glauben andre Paläontologen, dass viele ältre Fische, deren Verwandtschaften bis jetzt noch nicht genau bekannt, wirkliche Teleostier seyen. Nähme man mit Agassiz an, dass deren ganze Gruppe wirklich erst zu Anfang der Kreide-Zeit erschienen seye, so wäre diese Thatsache freilich höchst merkwürdig; aber auch in ihr vermöchte ich noch keine unübersteigliche Schwierigkeit für meine Theorie zu erkennen, bis auch erwiesen wäre, dass in der That die Arten dieser Gruppe auf der ganzen Erde gleichzeitig in jener Frist aufgetreten seyen. Es ist fast überflüssig zu bemerken, dass ja noch kaum ein fossiler Fisch von der Süd-Seite des Äquators bekannt ist und nach Pictet’s Paläontologie selbst in einigen Gegenden Europas erst sehr wenige Arten gefunden worden sind. Einige wenige Fisch-Familien haben jetzt enge Verbreitungs-Grenzen, und so könnte es auch mit den Teleostiern der Fall gewesen seyn, dass sie erst dann, nachdem sie sich in diesem oder jenem Meere sehr vervielfältigt, [313] sich weit verbreitet hätten. Auch sind wir nicht anzunehmen berechtigt, dass die Welt-Meere von Norden nach Süden allezeit so offen wie jetzt gewesen seyen. Selbst heutigen Tages könnte der tropische Theil des Indischen Ozeans durch eine Hebung des Malayischen Archipels über den Meeres-Spiegel in ein grosses geschlossenes Becken verwandelt werden, worin sich irgend welche grosse Seethier-Gruppen zu entwickeln und vervielfältigen vermöchten; und da würde sie dann eingeschlossen bleiben, bis einige der Arten für ein kühleres Klima geeignet und in Stand gesetzt worden wären, die Süd-Cap’s in Afrika und Australien zu umwandern und so in andre ferne Meere zu gelangen.

     Aus diesen und ähnlichen Betrachtungen, aber hauptsächlich in Berücksichtigung unsrer Unkunde über die geologischen Verhältnisse andrer Welt-Gegenden ausserhalb Europa und Nord-Amerika, endlich nach dem Umschwung, welchen unsre paläontologischen Vorstellungen durch die Entdeckungen während des letzten Jahrzehenten erlitten, glaube ich folgern zu dürfen, dass wir eben so übereilt handeln würden, die bei uns bekannt gewordene Art der Aufeinanderfolge der Organismen auf die ganze Erd-Oberfläche zu übertragen, als ein Naturforscher thäte, welcher nach einer Landung von fünf Minuten an irgend einer armen Küste Australiens auf die Zahl und Verbreitung seiner Organismen schliessen wollte.

     Plötzliches Erscheinen ganzer Gruppen verwandter Arten in den untersten Fossilien-führenden Schichten.) Grösser ist eine andre Schwierigkeit; ich meine das plötzliche Auftreten vieler Arten einer Gruppe in den untersten Fossilien-führenden Gebirgen. Die meisten der Gründe, welche mich zur Überzeugung geführt, dass alle lebenden Arten einer Gruppe von einem gemeinsamen Urvater herrühren, sind mit fast gleicher Stärke auch auf die ältesten fossilen Arten anwendbar. So kann ich z. B. nicht daran zweifeln, dass alle silurischen Trilobiten von irgend einem Kruster herkommen, welcher von allen jetzt lebenden Krustern sehr verschieden war. Einige der ältesten silurischen Thiere sind zwar nicht [314] sehr von noch jetzt lebenden Arten verschieden, wie Lingula, Nautilus u. a., und man kann nach meiner Theorie nicht annehmen, dass diese alten Arten die Erzeuger aller Arten der Ordnungen gewesen seyen, wozu sie gehören, indem sie in keiner Weise Mittelformen zwischen denselben darbieten. Und wären sie deren Stamm-Ältern gewesen, so würden sie jetzt gewiss längst durch ihre vervollkommneten Nachfolger ersetzt und ausgetilgt seyn.

     Wenn meine Theorie richtig, so müssten unbestreitbar schon vor Ablagerung der ältesten silurischen Schichten eben so lange oder noch längere Zeiträume, wie nachher, verflossen, und müsste die Erd-Oberfläche während dieser ganz unbekannten Zeiträume von lebenden Geschöpfen bewohnt gewesen seyn.

     Was nun die Frage betrifft, warum wir aus diesen weiten Primordial-Perioden keine Denkmäler mehr finden, so kann ich darauf keine genügende Antwort geben. Mehre der ausgezeichnetesten Geologen mit Sir R. Murchison an der Spitze sind überzeugt, in diesen untersten Silur-Schichten die Wiege des Lebens auf unsrem Planeten zu erblicken. Andre hoch-bewährte Beurtheiler, wie Ch. Lyell und der verstorbene Edw. Forbes bestreiten diese Behauptung. Und wir müssen nicht vergessen, dass nur ein geringer Theil unsrer Erd-Oberfläche mit einiger Genauigkeit erforscht ist. Erst unlängst hat Hr. Barrande dem silurischen Systeme noch einen anderen älteren Stock angefügt, der reich ist an neuen und eigenthümlichen Arten. Spuren einstigen Lebens sind auch noch in den Longmynd-Schichten entdeckt worden unterhalb Barrande’s sogenannter Primordial-Zone. Die Anwesenheit Phosphate-haltiger Nieren und bituminöser Materien in einigen der untersten azoischen Schichten deutet wahrscheinlich auf ein ehemaliges noch früheres Leben hin. Aber dann ist die Schwierigkeit noch grösser, das gänzliche Fehlen der mächtigen Stösse Fossilien-führender Schichten zu begreifen, die meiner Theorie zufolge sich gewiss irgendwo aufgehäuft hatten. Wären diese ältesten Schichten durch Entblössungen ganz und gar weggewaschen oder durch Metamorphismus ganz und gar unkenntlich gemacht worden, so würden wir wohl auch nur noch [315] ganz kleine Überreste der nächst-jüngeren Formationen entdecken, und diese müssten sich meistens in einem metamorphischen Zustande befinden. Aber die Beschreibungen, welche wir jetzt von den silurischen Ablagerungen in den unermesslichen Länder-Gebieten in Russland und Nord-Amerika besitzen, sind nicht zu Gunsten der Meinung dass, je älter eine Formation, desto mehr sie durch Entblössung und Metamorphismus gelitten haben müsse.

     Diese Thatsache muss fürerst unerklärt bleiben und wird mit Recht als eine wesentliche Einrede gegen die hier entwickelten Ansichten hervorgehoben werden. Ich will jedoch folgende Hypothese aufstellen, um zu zeigen, dass doch vielleicht einige Erklärung möglich ist. Aus der Natur der in den verschiedenen Formationen Europa’s und der Vereinten Staaten vertretenen organischen Wesen, welche keine grossen Tiefen bewohnt zu haben scheinen, und aus der ungeheuren Masse der Meilen-dicken Niederschläge, woraus diese Formationen bestehen, können wir zwar schliessen, dass von Anfang bis zu Ende grosse Inseln oder Landstriche, aus welchen die Sedimente herbeigeführt worden, in der Nähe der jetzigen Kontinente von Europa und Nord-Amerika existirt haben müssen. Aber vom Zustande der Dinge in den langen Perioden, welche zwischen der Bildung dieser Formationen verflossen sind, wissen wir nichts; wir vermögen nicht zu sagen, ob während derselben Europa und die Vereinten Staaten als trockne Länder-Strecken oder als untermeerische Küsten-Flächen, auf welchen inzwischen keine Ablagerungen erfolgten, oder endlich als unergründlicher Meeres-Boden eines offnen und unergründlichen Ozeans vorhanden waren.

     Betrachten wir die jetzigen Weltmeere, welche dreimal so viel Fläche als das trockne Land einnehmen, so finden wir sie mit zahlreichen Inseln besäet, von welchen aber auch nicht eine bis jetzt einen Überrest von paläolithischen und sekundären Formationen geliefert hat. Man kann daraus vielleicht schliessen, dass während der paläolithischen und Sekundär-Zeit weder Kontinente noch kontinentale Inseln da existirt haben, wo sich jetzt der Ozean ausdehnt; denn wären solche vorhanden gewesen, so [316] würden sich nach aller Wahrscheinlichkeit aus dem von ihnen herbei-geführten Schutte auch paläolithische und sekundäre Schichten gebildet haben, und es würden dann in Folge der Niveau-Schwankungen, welche während dieser ungeheuer langen Zeiträume jedenfalls stattgefunden haben müssen, wenigstens theilweise Emporhebungen trocknen Landes haben erfolgen können. Wenn wir also aus diesen Thatsachen irgend einen Schluss ziehen wollen, so können wir sagen, dass da, wo sich jetzt unsre Weltmeere ausdehnen, solche schon seit den ältesten Zeiten, von denen wir Kunde besitzen, bestanden haben, und dass da wo jetzt Kontinente sind, grosse Landstrecken existirt haben, welche von der frühesten Silur-Zeit an zweifelsohne grossem Niveau-Wechsel unterworfen gewesen sind. Die kolorirte Karte, welche meinem Werke über die Korallen-Riffe beigegeben ist, führte mich zum Schluss, dass die grossen Weltmeere noch jetzt hauptsächlich Senkungs-Felder, die grossen Archipele noch jetzt schwankende Gebiete und die Kontinente noch jetzt in Hebung begriffen seyen. Aber haben wir ein Recht anzunehmen, dass diese Dinge sich seit dem Beginne dieser Welt gleich geblieben sind? Unsre Festländer scheinen hauptsächlich durch vorherrschende Hebung während vielfacher Höhen-Schwankungen entstanden zu seyn. Aber können nicht die Felder vorwaltender Hebungen und Senkungen ihre Rollen vor noch längrer Zeit umgetauscht haben? In einer unermesslich früheren Zeit vor der silurischen Periode können Kontinente da existirt haben, wo sich jetzt die Weltmeere ausbreiten, und können offne Weltmeere gewesen seyn, wo jetzt die Festländer emporragen. Und doch würde man noch nicht anzunehmen berechtigt seyn, dass z. B. das Bette des Stillen Ozeans, wenn es jetzt in ein Festland verwandelt würde, uns ältre als silurische Schichten darbieten müsse, vorausgesetzt selbst dass sich solche einstens dort gebildet haben; denn es wäre möglich, dass Schichten, welche dem Mittelpunkt der Erde um einige Meilen näher gerückt und von dem ungeheuren Gewichte darüber stehender Wasser zusammengedrückt gewesen, stärkere metamorphische Einwirkungen erfahren habe als jene, welche näher an der Oberfläche verweilten. Die [317] in einigen Welt-Gegenden wie z. B. in Süd-Amerika vorhandenen unermesslichen Strecken blos metamorphischen Gebirges, welche hohen Graden von Druck und Hitze ausgesetzt gewesen seyn müssen, haben mir einer besonderen Erklärung zu bedürfen geschienen; und vielleicht darf man annehmen, dass sie uns die zahlreichen schon lange vor der silurischen Zeit abgesetzten Formationen in einem völlig metamorphischen Zustande darbieten.

     Die mancherlei hier erörterten Schwierigkeiten, welche namentlich daraus entspringen, dass wir in der Reihe der aufeinander-folgenden Formationen die unzähligen Zwischenglieder zwischen den vielen früheren und jetzigen Arten nicht finden, — dass ganze Gruppen verwandter Arten in unsren Europäischen Formationen oft plötzlich zum Vorschein kommen, — dass, so viel bis jetzt bekannt, ältre Fossilien-führende Formationen noch unter den silurischen Schichten gänzlich fehlen, — alle diese Schwierigkeiten sind zweifelsohne von grösstem Gewichte. Wir ersehen Diess am deutlichsten aus der Thatsaehe, dass die ausgezeichnetesten Paläontologen, wie Cuvier, Agassiz, Barrande, Falconer, Edw. Forbes und andere, sowie unsre grössten Geologen, Lyell, Murchison, Sedgwick etc. die Unveränderlichkeit der Arten einstimmig und oft mit grosser Heftigkeit vertheidigt haben. Inzwischen habe ich Grund anzunehmen, dass eine grosse Autorität, Sir Ch. Lyell, in Folge fernerer Erwägungen sehr zweifelhaft in dieser Beziehung geworden ist. Ich fühle wohl, wie bedenklich es ist, von diesen Gewährsmännern, denen wir mit Andern alle unsre Kenntnisse verdanken, abzuweichen. Alle, die den geologischen Schöpfüngs-Bericht für einigermaassen vollständig halten und nicht viel Gewicht auf andre in diesem Bande mitgetheilten Thatsachen und Schlussfolgerungen legen, werden zweifelsohne meine ganze Theorie auf einmal verwerfen. Ich für meinen Theil betrachte (um Lyell’s bildlichen Ausdruck durchzuführen) den Natürlichen Schöpfüngs-Bericht als eine Geschichte der Erde, unvollständig erhalten und in wechselnden Dialekten geschrieben, — wovon aber nur der letzte bloss auf einige Theile der Erd-Oberfläche sich beziehende Band bis auf uns gekommen ist. Doch auch von diesem Bande ist nun hier und [318] da ein kurzes Kapitel erhalten, und von jeder Seite sind nur da und dort einige Zeilen übrig. Jedes Wort der langsam wechselnden Sprache dieser Beschreibung, mehr und weniger verschieden in der unterbrochenen Reihenfolge der einzelnen Abschnitte, mag den anscheinend plötzlich wechselnden Lebenformen entsprechen, welche in den unmittelbar aufeinander-liegenden Schichten unsrer weit von einander getrennten Formationen begraben liegen.


  1. Doch kennt man über zwei Dutzend fossile Arten von der Kohlen-Formation an bis in die obersten Tertiär-Schichten.     D. Übs.
  2. Meine Meinung ist die, dass nur wenige Arten eine unsrer angenommenen Perioden überdauern, viele aber schon in 0,1—0,2—0,5 dieser Zeit zu Grunde gehen     Br.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Im englischen Original „Chthamalinæ (a subfamily of sessile cirripedes)“


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