Eine Romanbibliothek
[676] Eine Romanbibliothek. Unser Blatt ist so glücklich gewesen, im Laufe der Jahre eine Reihe verschiedenartiger Erzählungen darbieten zu können, die seit ihrem ersten Erscheinen in seinen Spalten zu den werth- und wirkungsvollsten Erzeugnissen deutscher Novellistik gerechnet werden. Es ist Thatsache, daß viele derselben eine ganz ungewöhnliche Aufmerksamkeit und Theilnahme erregt, Berühmtheit erlangt und sich dauernd in der Gunst unzähliger Leser erhalten haben. Der Plan, die besten dieser beliebten, weit und breit als musterhaft anerkannten Schöpfungen in einer leichter zugänglichen Sammlung, einer „Romanbibliothek der ‚Gartenlaube‘“, zu vereinigen, bedarf daher wohl kaum einer besonderen Erklärung und Befürwortung. Wissen wir doch aus eigener Wahrnehmung, daß der Gedanke vom Publicum aus angeregt wurde und die Verlagsfirma mit der Ausführung endlich einem Wunsche, einem oft ihr nahegelegten Verlangen großer deutscher Kreise des In- und Auslandes entgegen kommen will. Die ausgesandte Ankündigung zeigt den Charakter, den Umfang, die Begrenzung des Unternehmens. Dasselbe beschränkt sich auf die mit dem Aufgang Marlitt’s eingeleitete Epoche und konnte nicht bezeichneter eröffnet werden, als durch die Geschichte des blondhaarigen Mädchens, jenes einst so zauberhaft wirkende dichterische Gebilde, das in den beängstigenden Kriegsstürmen des Sommers 1866 plötzlich vor den Augen der Nation aufstieg und überraschendes Entzücken, wohlthuende Erfrischung, einen warmen Strahl erhebender Freude und sänftigenden Friedens in Tausende von Seelen strahlte. Mit „Goldelse“ und dem darauf folgenden „Geheimniß der alten Mamsell“ hat E. Marlitt nicht blos ihren Ruhmesweg, ihre eigene glanzvolle Laufbahn betreten, sondern auch entschieden den Anstoß zu einer neuen Aera des Volks- und Frauenromans gegeben. Sie hat sichtlich Schule gemacht und verwandte Talente erweckt, sodaß sich der Einfluß ihrer stil- und stimmungsvollen, mächtig fesselnden und ergreifenden Schilderungsweise, der anmuthsinnigen Poesie, des volksthümlich-freisinnigen, sittlich edlen Gehalts ihrer Darstellungen in einer Reihe von selbstständig schaffenden Nachfolgerinnen deutlich erkennen läßt.
Mit vollem Rechte werden also die sämmtlichen bereits in einer erheblichen Zahl starker Auflagen verbreiteten und doch unablässig von Neuem begehrten Romane der verehrten Meisterin, von „Goldelse“ bis zu „Amtmanns Magd“ in der neuen Sammlung erscheinen. Ferner wird die Bibliothek die gleichfalls hochgeschätzten, durch scharfe Charakteristik, durch schwungvolle und spannende Kraft ausgezeichneten „Gartenlauben“-Romane E. Werner’s bringen, denen sich als gewiß nicht minder willkommene Collection die interessanten, von jugendfrischer Herzensinnigkeit durchhauchten Gestaltungen W. Heimburg’s anschließen werden. Mannigfaltiges, in einem Wechsel von namhaften Einzelwerken verschiedener Autoren, die den Lesern der „Gartenlaube“ seit lange durch bedeutsame Leistungen rühmlich bekannt und vertraut geworden sind, reiht sich zwischen die Werke der genannten Erzählerinnen; so Amelie Godin’s gemüthvolles und elegant gezeichnetes Familiengemälde „Mutter und Sohn“, Frau von Hillern’s eigenartig geistsprühendes, voll modernen Ideenstürmen bewegtes Lebensbild „Aus eigener Kraft“, ferner die kleineren, durch leidenschaftliche Gluth und düstere Tragik erschütternden Novellen der unglücklichen E. Werber und endlich eine Leistung ganz anderer Art: G. v. Meyern’s eindrucksvoller Roman „Teuerdank’s Brautfahrt“, dieses ebenso großartig gedachte als herrlich ausgeführte Kleinod historisch-poetischer Schilderung, ein Meisterstück des leider zu früh hingegangenen Dichters. Eine hinlängliche Fülle also von erprobter Schönheit, von Geistesglanz und Herzensgenuß für die Hausbibliotheken deutscher Familien und zur Beruhigung der zahlreichen Familienväter, denen unter den heutigen Verhältnissen literarischer Production an einer bildenden, erhebenden, von reinem und edlem Sinne getragenen und doch einem gewissen philiströsen Genre sich fernhaltenden Unterhaltungslectüre für ihre Frauen und Töchter gelegen ist. Die Anschaffung der ganzen Bibliothek ist durch den gestellten Preis und die terminweise Ausgabe der Lieferungen wesentlich erleichtert. Die bereits erschienenen Lieferungen zeigen das handliche Format und die nicht luxuriöse, aber solid elegante Ausstattung der Sammlung.