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Ein deutscher Volkstribun und Dichter

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Textdaten
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Autor: Moritz Hartmann
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Titel: Ein deutscher Volkstribun und Dichter
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 20, S. 308–311
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1864
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Ein deutscher Volkstribun und Dichter.
Von Moritz Hartmann.

Die deutsche Volkspartei, und speciell die würtembergische, hat eine bedeutende, eine treue und unermüdliche Kraft verloren: sie hat in Ludwig Seeger einen Mann eingebüßt, der für bessere Zeiten zu einem Volkstribun des Stoffes viel in sich hatte. Die deutsche Wissenschaft verlor in ihm einen jener Wenigen, jener Seltenen in Deutschland, die sie aus Wust und Moder der Studirstube, aus Bücherstaub und Formelkram, trotz ihrer vom Stubenhocken eingeschlafenen Beine in’s frische, freie Leben hinauszuführen verstehen, sie mit Menschen menschlich reden lehren und aus ihr machen, was sie sein soll: eine Lehrerin und Wiederbeleberin des Volkes. Die deutsche Literatur verlor in ihm einen würdigen Schüler Uhland’s und würdigen Schüler der Zeit, einen Fahnenträger, einen von denen, von welchen geschrieben ist: Schlage die Trommel und fürchte Dich nicht! Wir dürften, von Ludwig Seeger sprechend, à la Ludwig Börne anfangen: Ein Eichenbaum ist gestürzt, eine Keule zertrümmert, ein Donner verhallt, ein Stahl zersplittert, eine Schanze gefallen, eine Trompete verklungen, ein Schlachtgesang verstummt, ein Liedeslied verweht. –

Es war ein harter, ein betäubender Schlag, als es am 22. März in Stuttgart hieß: heute Morgen ist Ludwig Seeger gestorben! Dieser Mann, der aussah, als ob man sich hinter ihm verstecken könnte, der im Bewußtsein seiner Lebensfülle immer behauptete, daß er es wohl auf ein Jahrhundert oder nahezu bringen werde, dieses Bild der Kraft, ja der Ueberkraft, dieser derbe kerngesunde Geist, dieser weithin tönende, in Philippiken donnernde oder in Witz lachende Mund, diese vielen und großen Entwürfe – Alles, Alles auf einmal hin. Heimtückisch und boshaft, wie so oft, kam diesmal der Tod, gerade als der Mann in der Fülle seiner Kraft, mit frischem Muthe und neu auflodernder Vaterlandsliebe an neue Unternehmungen und neue Thaten ging. Zu allen Zeiten rüstig, rührig, von außerordentlicher Ausdauer und keine Mühe von sich weisend, übertraf er sich selbst gerade in der letzten Zeit seines Lebens, da er in der Kammer, im Schleswig-Holstein-Comité zu Stuttgart, im Sechsunddreißiger-Ausschuß zu Frankfurt, in den verschiedensten Versammlungen für’s Vaterland wirkte, während er in der Stille seiner Studirstube als Publicist arbeitete und zugleich das ungeheuere Werk, den ganzen Shakespeare in neuem deutschen Gewand der deutschen Nation vorzuführen, mit liebevollem und riesigem Fleiße förderte.

Von der Arbeitsamkeit dieses Lebens hat Niemand eine Vorstellung, dem nicht ein Blick in die geheime Werkstatt desselben vergönnt war. Man weiß, was es bedeutet, den ganzen Aristophanes, den unübersetzbaren Beranger, den fruchtbaren Victor Hugo zu verdolmetschen und zwar so, wie es vor Seeger Keiner gethan; aber Wenige wissen, daß vor wie nach dem März 1848 Ludwig Seeger überall, überall mit thätig war, wo es galt, der kreißenden Mutter Zeit bei neuen Geburten zu helfen. Das kleinste Blättchen, das sich Mühe gab, Ideen der Freiheit und Volksthümlichkeit, in seinem engen Kreise zu verbreiten, war der Hülfe seiner leichtverständlichen, eindringlichen Beredsamkeit eben so sicher, wie die

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Ludwig Seeger.

deutschen Jahrbücher, welche die höchsten und abstractesten Fragen der Menschheit discutirten. Mit Tagesanbruch saß er am Arbeitstische und erhob sich nur, um zu neuer Arbeit in die Kammer zu gehen oder, wie der Geschichtsschreiber Prescott, sich als sein eigener Holzhauer einige Bewegung zu machen, um bald wieder an den Schreibtisch zurückzukehren und bis zum späten Abend auszuharren. Wie oft hat ihn, zur eigenen Beschämung, der Schreiber dieser Zeilen so sitzen sehen, wenn er, von einem Morgen- oder Abendspaziergang heimkehrend, an Seeger’s stiller Wohnung vorüberkam! Ein kurzes Gespräch durch’s Fenster belehrte ihn, daß eben für Schleswig-Holstein, oder für die Judenemancipation, oder an Shakespeare’s Othello gearbeitet würde. Wie gern hätte jeder Staat eine solche Arbeitskraft, solches Wissen, solchen Styl, solche Ueberredungsfähigkeit glänzend bezahlt, aber Ludwig Seeger’s Grundsatz war: „Selbst ist der Mann“. Er wollte auf eigenen Füßen stehen, von seiner Freiheit des Wirkens und Schaffens auch nicht ein Titelchen verkaufen, wie schwer auch der Kampf mit dem Leben war,

„Da er sich auf den Erwerb schlecht, als ein Dichter, verstand.“

Sagen wir es mit einem Worte, zu seiner Ehre, als Beweis, daß er nur wegen der Sache, die ihm lieb und heilig war, sein Leben lang so gewaltig arbeitete, sagen wir es ohne Furcht, eine falsche Scham zu kränken, da es ihm nur zum Ruhme gereicht: Er starb eigentlich als armer Mann; in bestgeordneten, ehrenhaftesten Verhältnissen, aber als armer Mann. Seine beiden Söhne hat er so weit gebracht, daß sie sich ehrenvoll durch’s Leben schlagen und die Stütze der Mutter werden können, allein, außer dem ehrenvollen Andenken des Vaters, hat er ihnen keine andere Erbschaft hinterlassen.

Ludwig Seeger wurde am 30. October 1810 in dem schönen und romantischen Curort Wildbad im Schwarzwald geboren. Dieser Umstand ist auf den künftigen Dichter und den Mann, der für die ganze Welt ein Herz hatte, gewiß nicht ohne Einfluß geblieben. Die herrliche, dabei so tief ernste Natur, die rauschenden Tannenwälder, die wilde Enz, die saftigen Wiesen, die an die Schweizer Matten erinnern, mußten auf ein empfängliches Gemüth einen lebenslang dauernden Eindruck machen. Die Heilquellen versammeln da jeden Sommer Gäste aus allen Weltgegenden, und wie klein auch das Städtchen sei, durch Monate kann man hier jedes Jahr mit Kindern der verschiedensten Länder in Berührung kommen, von ihnen lernen, durch sie einen Blick in die Ferne thun und sich in Berührung und Zusammenhang mit der weiten, weiten Welt fühlen. Dabei sind diese Fremden nicht frivoles, vergnügungssüchtiges, aufgeputztes Gesindel, wie man wohl es in andern Bädern Deutschlands findet, sondern wirkliche und solide Kranke, oft durch Leiden geläuterte Menschen, umgeben von der liebenden Pflege treuer Gatten oder Kinder.

Wie erschreckend auch in Wildbad das Elend gebrechlicher Menschlichkeit auftritt, so ist es doch vom Ernst und von der Poesie des Leidens geadelt und gemildert – und in diesem Rahmen ruhevoller Natur scheint auch die Versöhnung dem Trauerspiele menschlichen Lebens nicht zu fehlen. Dazu kommen in Wildbad die historischen und poetischen Erinnerungen, die eine Gegend erst recht [310] beseelen. Für den Schwaben ist es ein classischer Boden; hat ihn doch sein Nationalheld, Eberhard der Greiner, betreten und haben ihn doch seine besten Dichter besungen. Die schönen Spaziergänge längs der Enz stammen vom Herzog Carl oder, wie man ihn hier nennt, von Carl Herzog, und dieser Name wieder erinnert an Schiller, an Schubart . Und wohin man sich von Wildbad aus wendet, nennen wir z. B. nur Kloster Hirsau, überall schöne, tiefe, ernste Natur, überall Sagen und Erinnerungen, die in romantischem Dämmer weben, überall für ein offenes, anschließendes Gemüth Zusammenhang mit Gott, Natur, Geschichte.

Dahin mußten sich Dichter gezogen fühlen, von dorther mußte ein Dichter kommen. Seeger’s Vater war Reallehrer in Wildbad. Da seit Generationen immer ein Seeger Geistlicher war und weil diese Laufbahn, Dank dem Tübinger Stifte, in Würtemberg die billigste ist, sollte wieder einer der vier Söhne des Lehrers diesem Stande gewidmet werden, und die Wahl fiel auf Ludwig. Mit zwölf Jahren wurde er in das lieblich gelegene, heute durch seinen Gewerbfleiß aufblühende Städtchen Calw, in der Nähe von Hirsau, auf die lateinische Schule und 1824 in das evangelische Seminar nach Schönthal geschickt. An beiden Orten zeigte er schon einen widerspenstigen, revolutionären Geist, der sich gegen die hergebrachte Pedanterie und die eingerosteten Formeln, gegen den todten Buchstaben auflehnte. Trotz dieses deutlichen Fingerzeigs, trotz dieses Protestes seiner Natur mußte er aus dem Regen in die Traufe, aus dem Fegefeuer in die Hölle, aus dem Seminar in das Tübinger Stift, aus der frischen, lebendigen Welt, mit einem achtzehnjährigen, um sich greifenden, suchenden, strebenden, lebendigen Geiste in dieses Stück verrotteten Mittelalters, in dieses Nest officieller, formulirter, kopfhängerischer, am tödtlichen Wort klebender Orthodoxie.

Trösten wir uns im Angesicht solcher Anstalten mit der Frage: ob an dem, der in ihnen zu Grunde geht, auch viel verloren ist? ob die Springfedern eines lebendigen Geistes dadurch, daß man sie zusammendrückt, nicht gekräftigt werden? ob in solchem Dunkel nicht die natürlichen Farben, in solcher Kellerluft nicht die Frische der Säfte erhalten wird? Aus dem Tübinger geisttödtenden Stifte sind hervorgegangen: Hegel, Schelling, David Strauß, Hölderlin, Zeller, Bauer, Vischer, Reinhard, Waiblinger, W. Hauff, Schwegler, Gustav Schwab, Mörike, Herwegh, Hermann Kurtz, wahrlich Stiftler, von denen man nicht sagen kann, daß sie in der Stickluft verkommen sind. Es sind Geister unter ihnen, die zu den freiesten nicht nur der Nation, sondern der Welt gehören, obwohl die Meisten wohl einen oder den andern Ring der Kette, die sie zerrissen, ihr Leben lang nachgeschleppt haben mochten. Wie der Wald der Axt, die ihn umhauen soll, den Stiel liefert, so liefern derartige Verfinsterungsinstitute die Mineure, die ihre tiefsten Grundlagen durchwühlen. Diese haben die Sclaverei des Geistes und ihre Schmerzen kennen gelernt. Jene Mineure sind aus dem Kloster des Tübinger Stiftes hervorgegangen, wie Schiller aus der Kaserne der Carlsschule hervorging, wie Luther aus der Augustinerzelle. Haben nicht auch Lamennais und Renan ihre Jugend in Seminaren verbracht? – Ich erinnere mich bei dieser Gelegenheit eines Nachtessens bei der Gräfin d’Agoult, der unter dem Namen Daniel Stern bekannten Schriftstellerin und Verfasserin der Geschichte der Revolution von 1848. Viele Berühmtheiten von Paris waren geladen, doch schweben mir nur noch die Namen Frelon’s, des republikanischen Ministers, Ponsards, des Dichters der „Lucretia“, der „Charlotte Corday“, von „Ehre und Geld“ etc., und Jules Simon’s des Philosophen, Verfassers der „Pflicht“, der „Gewissensfreiheit“ etc. und jetzigen republikanischen Mitgliedes des gesetzgebenden Körpers, vor. Man sprach von den Jesuiten, die damals, nach dem Staatsstreich, in Frankreich wieder mächtig wurden, und von der Infamie ihrer Erziehungssysteme. Jeder hatte etwas darüber zu sagen und einige Erfahrungen über diesen Punkt mitzutheilen – und im Laufe des Gesprächs stellte es sich zur allgemeinen Heiterkeit heraus, daß beinahe alle Mitglieder dieser hier versammelten jesuitenfeindlichen, nichts weniger als kirchlich und rechtgläubig gesinnten Gesellschaft von den Jesuiten erzogen worden.

Aber ist es gleich ein Trost, daß im Sumpfe auch die Heilpflanze gegen das Sumpffieber wächst, daß man durch die Unterdrückung zur Freiheit, durch Nacht zum Licht gelangt; mag es vom größten Nutzen für die Menschheit sein, daß aus einem „Stift“ Menschen wie Hegel und Strauß und der ganze Bankospiegel ihrer unendlichen Nachfolger hervorgeht – für diejenigen, welche die trostlose Disciplin durchzumachen haben, ist und bleibt sie im Momente schrecklich, niederschlagend, im Hinblick auf ihre Zukunft voll Beängstigung. Wir haben Ludwig Seeger oft die Plagen seiner Stiftzeit schildern hören; er war dann unerschöpflich und noch in der Erinnerung graute ihm vor jenen Prüfungen. Oft meldete er sich krank, nur um während der Tischzeit das Glück der Einsamkeit genießen zu können, und in der Nacht ließ er sich am Seile zum Fenster hinuntergleiten und durchwanderte die öden Straßen Tübingens, um sich, wenn auch verlassen und in der Wüste, der verbotenen Freiheit zu freuen, sich selbst zu gehören. Länger als zwei Jahre konnte er es nicht ertragen; er verließ das Stift, wenn er auch die Theologie nicht verlassen durfte. Nunmehr konnte er doch neben dieser sein sollenden Wissenschaft wirkliches und lebendiges Wissen sammeln, er durfte mit Menschen menschlich leben, studiren wie es ihm gefiel und seine Lehrer wählen. Damals hörte er Uhland, der die Begabung seines Schülers bald erkannte und liebevoll den jungen Dichter aufmunterte. Indessen hatte er noch eine ähnliche Prüfungszeit wie im Stift durchzumachen, denn einmal Theologe mußte er auch die Laufbahn antreten, und drei Jahre lang quälte er sich als Pfarrvicar in einem kleinem Städtchen. Aber nunmehr war er in jeder Beziehung mündig, und entschlossen, lieber Jahre zu verlieren als ein ganzes Leben, lieber ein Stück Laufbahn drein zu geben, als eine ehrenhafte, freie, seinem ganzen Denken angemessene Wirksamkeit, warf er den Zwang ab und den Stand, für den sein grader, wahrhaftiger Sinn nicht geschaffen war. Schon ein Mann, begann er ein neues Leben und betrat er einen neuen Weg. Er ging nach Stuttgart und studirte, um gleich praktisch mit der lebenden Welt anzuknüpfen, zu den alten Sprachen, deren er Herr war, die neuen, während er, um ein kümmerliches Leben zu fristen, Lectionen gab. Eine Hauslehrerstelle rief ihn in die Schweiz, wo er bald an das Realgymnasium von Bern als Lehrer der alten Sprachen gezogen wurde. Zugleich las er an der Universität als Docent über alte und neue Literatur. So viel er auch in der Schweiz lehren mochte, so lernte er doch noch mehr als er lehrte. Er lernte ein Volk kennen, das sich zum Theil mit größter Freiheit selbst regierte und das zum Theil noch damit beschäftigt war – es war in den dreißiger Jahren – seinen alten Regierungen den Zopf abzuschneiden, die letzten Reste von Privilegien, Ständeunterschieden, Bevormundungen mit der Wurzel auszurotten; er lernte, wie man ruhig, mit dem Gesetze in der Hand, mit Wort, Ueberzeugung und Belehrung daran geht, Verbesserungen einzuführen, friedliche Reformen durchzusetzen – und wie man, wo sich trotz dieser Mittel der Vernunft die Unvernunft und die brutale Gewalt entgegenstellt, als Mann die Waffen ergreift und für seine Freiheit einsteht.

Wir haben es in neuerer Zeit erlebt, wie selbst ein König, der verstorbene König von Dänemark, es aussprach: er habe seine Jugend in der Schweiz verlebt und er wisse, welch’ gutes Ding es um die Republik sei. Wir wissen ferner, daß ein anderer König, der Landesvater Seeger’s selbst, als er vor nicht gar langer Zeit aus der Schweiz in sein Land zurückkehrte, in einem Zeitungsartikel die Schweizer Republikaner seinen Unterthanen als Muster anrühmte – wie hätte Ludwig Seeger, ein geborener Republikaner, nicht die Segnungen der Republik erkennen sollen? Mit ganzer Seele betheiligte er sich an den damaligen vielfachen politischen Vorgängen der Schweiz. Indessen - die Freiheit ist ein göttlicher Schatz, man liebt sie überall, man kann in jeder Fremde für sie bluten und sterben, – aber die Heimath ersetzt sie nicht ganz, und hat man ihre Süße gekostet, strebt man noch eifriger als zuvor, sie auch dem Vaterlande zu erringen. Als das Jahr 1848 herankam, das Jahr, das sie durch ein Decennium zu verleumden strebten und das trotz alledem und alledem Samen ausgestreut hat, die früher oder später aufgehen und über ihre Häupter zusammenschlagen werden, – als dieser große Moment herankam, fand er in Ludwig Seeger keinen Sohn eines schwachen Geschlechtes. Nach zwölfjährigem Aufenthalt in der Schweiz gab er seine gesicherte Stellung auf, brach, obwohl er sich indessen verheirathet und Kinder bekommen hatte, sein Haus ab, und eilte aus seinem ruhigen Hafen herbei mitten in den Sturm, aus gesicherter Häuslichkeit mitten in’s Ungewisse, nur um beim Kampfe für Freiheit und Vaterland nicht zu fehlen. Mögen sie verleumden! Solcher unbekannter Opfer wurden damals viele gebracht, wenn sie die Geschichte auch nicht in ihre Bücher aufgezeichnet hat. Sie sind um so größer und heiliger.

Ludwig Seeger entfaltete jetzt im Vaterlande eine große [311] Rührigkeit. Als Redacteur der „Ulmer Schnellpost“ wurde er bald eine im ganzen Lande bekannte Persönlichkeit, und seine geschriebenen Reden für Freiheit und Einheit Deutschlands wußte bald jedes Kind an der ihnen eigenen Kraft, Kernhaftigkeit, Schärfe und Ueberzeugungswärme herauszufinden, auch wenn sie nicht gezeichnet waren. Es gereicht Ludwig Seeger zur besonderen Ehre, daß sich die Reaction vermittelst ihres Helfershelfers Römer zuerst an ihm vergriff und daß er zwei Mal auf den Asperg wandern mußte in das Gefängniß Schubart’s, das auch Schiller bestimmt war. Dafür wurde er vom Volke im Jahre 1849 in die Landesversammlung geschickt und seitdem zu wiederholten Malen zum Abgeordneten gewählt. Auch in diesem neuen Berufe wankte und wich er bis zu seinem Tode nicht einen Finger breit von dem Wege ab, den ihm seine demokratische Ueberzeugung, oder vielleicht besser seine demokratische Natur vorzeichnete. In der Kammer war er von unschätzbarem Werthe. Aus einem octroyirten Wahlgesetze hervorgegangen, unter der schweren Atmosphäre der allgemeinen Reaction, war sie nur zu sehr geneigt, einzuschlafen und die Dinge gehen zu lassen, wie sie gingen. Da fuhr Ludwig Seeger wie ein Gewitter darein, reinigte die schwüle Luft und weckte die Betäubten. Hatte er als Mitglied einer schwach vertretenen Partei auch nicht die Macht, von Ministern, Prälaten und Standesherren protegirte Gesetze abzuschaffen, so ließ er sich doch nicht einschüchtern, sagte wenigstens im Angesichte des Landes die Wahrheit und that das Seinige, daß die Principien der Freiheit nicht vergessen wurden. Und zur Erfüllung dieser Pflicht hatte er immer das rechte Wort bereit und den rechten Muth. Es war natürlich, daß ein solcher Mann sofort auf dem Kampfplatze erschien, als es sich um die vaterländische Sache von Schleswig-Holstein handelte. Er wurde sogleich in das Stuttgarter Comité gewählt und nach seinem Auftreten im Frankfurter Saalbau, das die Gartenlaube geschildert hat, auch in den Sechsunddreißiger-Ausschuß des Abgeordnetentages. Und so kann man sagen, daß er überhäuft mit jenen Ehren starb, die er allein erstrebt, und die er, als vom Vaterlande und nicht von Fürsten kommend, allein als Ehren betrachtete.

Dies in kurzen Umrissen das Leben Ludwig Seeger’s, ein Leben voll Kampf und Arbeit und Entsagung – und doch fleckenlos; ein durch und durch ehrenhaftes Leben, das nicht nur keiner Versuchung erlag, an das sich nie eine Versuchung heranwagte. Daher kam wohl auch, bei allem Ernst, mit dem er jedes Ding ergriff, bei allen Lasten, die er auf seine Schultern nahm, jene Heiterkeit, die, wenn auch einen derben, doch einen wahrhaft Rabelais’schen Witz hervorsprudeln ließ, der ihm eben so viele Feinde wie Freunde machte. Im Kreise seiner Freunde werden sich noch lange Segeriana und Anekdoten erhalten, die gesammelt beweisen würden, daß er von Natur zum Uebersetzer des Aristophanes und der Falstaffiaden bestimmt war. Dies mahnt uns an seine letzte große Unternehmung, welche das Shakespeare-Jubiläum auf das Würdigste feiern sollte, an seine neue Uebersetzung. Leider sind nur drei Tragödien vollendet: Hamlet, König Johann und Timon von Athen. Othello ist mitten im 5. Acte abgebrochen. Schon krank arbeitete er noch mit Eifer an dieser Tragödie, und unfähig mehr die Feder zu halten, dictirte er noch eine Scene seiner treuen Lebensgefährtin. Das mag ihm ein großer Schmerz gewesen sein, dieses Monument, das er sich selber baute, eine neue Shakespeare-Uebersetzung, welche die Schlegel’sche übertreffen sollte, unvollendet zurückzulassen. Dafür wurde ihm in den letzten Monaten seines Lebens die Genugthuung, daß seine Gedichte „der Sohn der Zeit“ in neuer Auflage erschienen und, obwohl zu einem großen Theile politische Gedichte der vormärzlichen Zeit, sich als so frisch und jung erwiesen, daß sie mit noch größerem Beifall als bei ihrem ersten Erscheinen aufgenommen wurden. Für diese Gedichte wollen wir Seeger selber sprechen lassen, indem wir zum Schlusse eines derselben hierhersetzen, das zugleich ahnen läßt, wie er seinen Beranger übersetzt hat. Es heißt:

 Elternfreuden.
So ist es wahr, was nur bescheiden
Dein Lächeln, Dein Erröthen sagt,
Was heimlich schlief als Wunsch in Beiden,
Was kaum der Mund zu nennen wagt?

5
O laß mein Herz an Deinem schlagen:

Wir sind nicht länger mehr zu Zwei’n!
Der Nacht in’s Ohr will ich es sagen:
Geliebte, Du wirst Mutter sein!

Im Kranz der gottdurchströmten Wesen

10
Nicht taube Blüthen sind wir nur:

Zum Schaffen sind auch wir erlesen,
Auch wir sind göttlicher Natur.
Im Wechsel blühender Gestalten
Erneut sich stets der ew’ge Reihn;

15
Fühlst Du in Dir der Gottheit Walten?

Geliebte, Du wirst Mutter sein!

Geheimnißvolle Lebensfunken
Sind Deinem süßen Leib vertraut.
Ahnst Du, in Demuth hingesunken,

20
Die hohe Würde – Gottesbraut?

Und ich – o laß in Ehrfurcht küssen
Die Brust, den heil’gen Wunderschrein,
Erfüllt von Gottes Strahlengüssen,
Geliebte, Du wirst Mutter sein!

25
Ein Pfand der Liebe, unsrer Liebe,

Der Gottesliebe, wächst es still.
Wir blicken frei in’s Weltgetriebe,
Wir wissen, Jedes, was es will:
Wir wollen unser Glück verdienen,

30
Und Lieb und Kraft den Menschen weihn,

Ein Mann der Freiheit dien’ ich ihnen,
Geliebte, Du wirst Mutter sein!

Ein Mann der Freiheit? – ach, wir streiten
Nur für das kommende Geschlecht.

35
Dein Wunsch und Dein Gebet begleiten

Mich, holde Mutter, in’s Gefecht.
Selbst Vaterfreuden kosten Zähren,
So lang wir noch nach Freiheit schrein;
Die Zahl der Sclaven zu vermehren,

40
Bei Gott, wer möchte Mutter sein?


Und kehr’ ich heim mit rothen Wangen,
Vom Kampf des schwülen Tages warm,
Kommst Du entgegen mir gegangen,
Das süße Kleinod auf dem Arm;

45
Ich les’ im Kindesaug, dem blauen,

Die Siegesbotschaft. – Sieh’ darein,
Gerechter Gott, laß unsre Frauen
Nur freier Kinder Mütter sein!