Zum Inhalt springen

Ein Besuch bei Karl Gutzkow in Dresden

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: A. S.
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Ein Besuch bei Karl Gutzkow in Dresden
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 26, S. 300–303
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1854
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[300]
Ein Besuch bei Karl Gutzkow in Dresden.

Wenn man in Dresden die aristokratische Straße „an der Bürgerwiese“ ganz hinuntergeht und dann rechts einbiegt, so ist man in der kleinen, ruhigen, von Gärten und Feldern eingeschlossenen „Lindengasse;“ es ist so still und lauschig hier, das Geräusch der großen Stadt liegt fern und doch ist man ihr auch verbunden durch glänzende Häuser, Villa’s und geschmackvolle Anlagen. Nach einer Seite hat das Auge weiten Fernblick und das Ohr das Schnaufen und Pfeifen der böhmischen Eisenbahn; nach anderer Seite ist der Blick durch ummauerte Gärten begrenzt und das Ohr hat nur des baumreichen Gartens Rauschen und Säuseln. Hier wohnt Karl Gutzkow, und passender, charakteristischer gerade für ihn, könnte dieser Mann wohl gar nicht wohnen. Als ich zum ersten Male sein Haus betrat, war es mir eigenthümlich zu Muthe: ich sollte nun dem bedeutendsten deutschen Schriftsteller der schönen Literatur der Gegenwart entgegentreten; und je mehr ich ihn als solchen erkannt hatte, je höher also die Verehrung war, die ich ihm zollte: desto größer mußte die Spannung, die Freude, aber auch das Bangen, ich möchte sagen, die Pietät sein, die ich, im Gefühle eigener Unbedeutendheit ihm gegenüber, empfand. Und wie mannigfache Urtheile hatte ich über seine Person und sein Wesen gehört; – von Freunden, die ihn gar nicht oder mißverstanden, von Feinden, die ihn verläumdet hatten, von jungen, süßlichen Naturen, die seine Realität erschreckt hatte. Das Alles ging mir durch Gefühl und Gedanke und nur durch einen ziemlich derben Riß an der Klingel befreite ich mich einigermaßen von dem so mannigfach bedrückenden Gefühl und trat unbefangen in ein weites, helles Zimmer; elegant und geschmackvoll, durchaus nicht auffallend und doch dichterisch, künstlerisch decorirt; eine Epheulaube um einen lauschigen Diwanwinkel; Blumen an den Fenstern, zwischen den Fenstern kleine Statüen auf entsprechenden Consols; – rings an den Wänden werthvolle Kupferstiche; Mappen, große Bücher, zierliche Lowelybände nachlässig geordnet auf Tischen mit schönen Decken; bequeme Lehnsessel mit dunkelrothem Sammet überzogen und darüber die weißen „Schützer“ von der sorglichen Hand der Hausfrau ausgebreitet: das Alles machte einen hellen, heiteren, wohlthuenden Eindruck. Ich hatte ihn kaum empfangen, als ich freundlich von einer jungen, blühend schönen Frau begrüßt wurde, die aus den blitzend braunen Augen mich gescheidt und resolut anschaute und mir sofort das Bild einer durchaus gesunden, praktisch sicheren, doch innerlich fein theilnehmenden Natur einprägte. Es war Gutzkow’s Frau zweiter Ehe; – sie begrüßte mich freundlich, bemerkend, daß ich schon früher erwartet sei; Gutzkow sei ausgegangen, werde aber jeden Augenblick zurück erwartet; die Stimme eines Wiegenkindleins aus fernem Zimmer rief sie ab; bald erschien sie wieder, mit dem ersten Kinde ihrer Ehe auf dem Arme, dem reizendsten, herzigsten Kinde, was ich seit Jahren gesehen. Im anstoßenden Zimmer hörte ich feste, strenge Tritte, „Karl!“ rief die Frau, „komm doch herein, es ist Jemand da.“

Im nächsten Augenblicke trat Gutzkow ein: eine kleine, aber stämmige, breitschultrige, muskulös gebaute Gestalt; der starke und namentlich im Profil durchaus edele Kopf fast dicht auf die breiten Schultern gesetzt; die Stirn ziemlich hoch, wenig gewölbt, aber fest wie aus Stahl gehämmert, doch giebt ihr das blonde, weiche,

[301]

Karl Gutzkow.

kurzgeschnittene Haar wieder einen milderen Ausdruck, als sie sonst wohl haben würde. Die Augen, aus hellem Blau und Grau zu einem eigenthümlichen Glanze gemischt, groß und schön geschnitten, doch fast zusammengedrängt durch die, in der außerordentlichen Kurzsichtigkeit des Blickes bedingte, Gewohnheit: die Augen halbzuzudrücken und gleichsam zu „blinzeln.“ Die Nase stark, trotzig, energisch, doch durchaus nicht derb, unschön. Zwischen dem kleinen blonden Schnurrbart und dem Napoleon’s-Kinn mit dem kecken „Henri-Quatre,“ der scharfgeschlossene Mund mit feinen, ironischen Zügen, mit kaustischen Linien umspielt. Der Ton des Gesichtes mehr erdbleich als frisch; doch nicht ungesund und nach dem was Gutzkow erfahren und gewirkt, nach dem, wie man sich ihn denken möchte: sieht er weit eher jünger als älter aus; der 43jährige Mann könnte noch recht gut für einen „Vierziger“ gelten. Seinem vielbewegten Leben und Wirken gegenüber, ist diese wohlerhaltene Kraft bestaunenswerth. Die Totalerscheinung des Mannes ist sofort bedeutend, vielleicht zu bedeutend, um auch sofort angenehm, wohlthuend zu sein; man muß sich erst darin zurecht finden; in den äußerlich scharfen Linien und Kanten erst nach und nach ihre weichen, schönen Wellenschwingungen herausfinden und fühlen; die Derbheit der Züge sich erst auflösen in der tief unter ihnen gleichsam versteckt liegenden Güte und Weichheit seiner tiefinnersten Natur; den spürend-prüfenden Blick aushalten, bis er zu etwas hingedrungen ist, was dem scharfen Prüfer Vertrauen und dann auch seinem Blicke einen ganz andern Ausdruck giebt; man muß auch ihn erst in Erregung sprechen oder ihn dramatisch vorlesen hören, um in seinem sonst herben, spröden, fast klanglosen Sprachton ein Schönes, Tiefes und elastisch Klangvolles zu finden. Kurz, man muß dieser merkwürdigen, freilich schwer beizukommenden Erscheinung die mannigfachste, allseitigste Aufmerksamkeit des Verstandes und Gefühles widmen, um sie nach ihrer wahren Bedeutung auffassen zu können. Die Einen traten nur mit dem Verstande, die Andern nur mit dem Gefühl zu ihr heran; Viele konnten sich aus ihrer Subjektivität nicht losmachen und wollten den Mann haben, wie er nach ihren Anforderungen sein sollte oder legten ihr Eigenes ihm zu; daher die so unendlich verschiedenen und die vielen so unendlich falschen Auffassungen, wonach er geschildert wurde.

„Nun rathe, wer das ist, lieber Karl,“ sagte die hübsche, liebenswürdige Frau zu dem Eingetretenen. Dieser trat dicht zu mir heran und beschaute mich mit freundlichem Blicke, dann sah er seine Frau heiter fragend an. Sie nannte meinen Namen.

„Also das sind Sie? Nun, herzlich willkommen,“ er reichte mir die Hand, „und nun lassen Sie sich einmal betrachten, wie [302] Sie aussehen,“ und er trat so dicht zu mir heran, daß unsere Füße sich berührten; sein Blick ruhte mit durchdringender Schärfe auf meinen Zügen und es war mir, als hinge von diesem Blicke ein Theil meines Geschickes ab. Ich weiß nur zwei Blicke ähnlicher Art mich zu erinnern: von Immermann und Kaulbach, und in jenem Augenblicke fiel mir wirklich eine Aehnlichkeit Gutzkow’s mit jenen beiden Männern auf. Gutzkow nannte mir sofort mit glücklichem Treffen zwei Männer, der eine in London, der andere in Zürich lebend, mit denen ich Aehnlichkeit hätte, und die Nennung dieser Namen führte uns bald in ein ernstes Gespräch über Literatur, Kunst und Staat; ich brachte das Gespräch auf sein Schaffen, er beschämte mich mit der Güte, von meinem eigenen Schaffen zu sprechen, so wurde es Mittag und ich war gleich ein liebevoll eingeladener, ein glücklicher Gast am Tische des berühmten Mannes. Zwei kräftige, stämmige Knaben von zwölf und vierzehn Jahren (aus Gutzkow’s erster Ehe) vergrößerten die Tafel und waren mir interessant, um aus ihrem Wesen und ihren Zügen viele Elemente des Vaters zu entziffern. Bei längerem Aufenthalt in Dresden hatte ich das Glück nach und nach ein herzlich aufgenommener Freund im Gutzkow’schen Hause zu werden und ich muß offen gestehen, daß jede Stunde in diesem Kreise mir von nachhaltiger Freude, von nachwirkendem Nutzen war. Der verständige, gescheidte und herzlich liebevolle Ton des ganzen Hauswesens, der ganzen Familie, war wohlthuend; Gutzkow als Gatten und Vater zu beobachten, war liebenswürdig, interessant; die kleinen Kreise der Gesellschaft waren gesucht und wurden einfach-natürlich belebt; es handelte sich da nie um Allotria’s und Geklatsche und doch war meist Alles auf das Naheliegende, auf das Fruchtbare und Nützliche gerichtet; man lebte nicht in Himmeln und Idealen, sondern auf der gesunden Erde, ebenso fern dem sogenannten „Genialen,“ als dem „Spießbürgerlichen;“ nicht berlinisch frivol die schwere, ernste Zeit mit Witzen behandelnd, aber auch nicht geseufzt und geklagt, sondern mit Ernst und Kraft das Unabänderliche erfassend und das Mögliche erwägend. Gutzkow’s außerordentliche Klarheit und Schärfe, sein reeller Patriotismus, sein sittliches Pathos traten mir dabei ebenso persönlich entgegen, wie das Alles mir stets aus seinen Schriften entgegen trat. Dann und wann wurde auch Musik gemacht; Gutzkow hört sie gern; an die Thüre gelehnt und den Blick von der Gesellschaft abgewendet, so stand er dann und war ganz Ohr, ganz Gefühl. Er selbst spielt recht gut. Oft auch wurde gelesen und merkwürdig, wie ich es sonst bei Keinem fand: Gutzkow liest ein Drama, ein Gedicht, zum erstenmale, ihm ganz fremd, und doch sofort mit einer so sicheren Charakteristik der betreffenden Person oder der betreffenden Stimmung, als wenn er das Ganze schon genau kenne. Ein wunderbarer Instinkt läßt ihn da nie fehlgehen. Vielleicht hängt dies mit einer Eigenschaft zusammen, die der berühmte englische Phrenologe Nöel an Gutzkow’s Schädel herausfand: großes Darstellungstalent. Vielleicht wäre Gutzkow ein großer Schauspieler geworden, wenn er nicht eben ein großer Darsteller im Roman und Drama geworden wäre. In besonders heitern Stimmungen läßt er übrigens jenes Talent auch noch anders hervortreten; er copirt mit großem Glücke irgend wie bekannte Persönlichkeiten; so giebt er z. B. eine Scene aus dem Leben des weiland berühmten Theaterdirectors Schmidt in Hamburg mit unnachahmlicher Treue und Komik. Ueberhaupt kann Gutzkow sehr heiter und ein liebenswürdiger „Kneiper“ sein, wenn er auch im Ganzen mehr ernst und zurückhaltend ist und es stets war. Das moderne „Genialsein“ im Wirthshaus etc. hat er stets verschmäht; er hat seine Zeit und Kraft wacker zusammengehalten und er kann wohl sagen, daß er ein redlich angewendetes Dasein, von sittlichem Ernst getragen, als fruchtbares Kapital zurückgelegt hat. – Hier wollen wir denn von seiner Person übergehn zu seinem Wirken als Schriftsteller. Dieses reiche und umfassende Wirken liegt zwischen seinen beiden Werken: „Wally“ und „Aus der Knabenzeit.“ Jenes ist zwar nicht das erste, was er herausgab; vorher erschienen schon – anonym, – die in Rousseau’schem Geiste geschriebenen „Briefe eines Narren an eine Närrin,“ von Börne sehr gefeiert, dann der phantastisch-satyrische Roman: „Maha Gura, Geschichte eines Gottes,“ die aus dem Morgenblatte und der A. Allgem. Ztg. gesammelten: „Novellen,“ „Soireen“ und „Oeffentliche Charaktere,“ dann auch noch das gegen viele Schwächen der Zeit gerichtete satirische Drama: „Nero;“ diese Werke hatten den Verfasser nun zwar schon bedeutungsvoll in die Literaturkreise eingeführt, ihn als einen Hauptträger der damals beginnenden oppositionellen Literatur des „jungen Deutschlands“ bezeichnet, große Erwartungen von ihm angeregt, viele Feinde ihm zugezogen, aber für die große Oeffentlichkeit wurde Gutzkow erst nach dem Erscheinen seiner „Wally“ ein bekannter Name; theils durch das eigenthümliche, seltsame Buch selbst, theils durch die kirchlichen und polizeilichen Verfolgungen bis zur Einkerkerung, die dasselbe dem Verfasser zuzogen. „Aus der Knabenzeit“ ist das neueste Werk Gutzkow’s, und so schließen denn beide sein übriges Wirken ein. Dies bewegte sich nun nach drei Seiten hin: in kritischen Schriften, in Bühnenwerken und in Romanen, und es ist bereits eine historische Thatsache, daß er in jeder dieser Richtungen hin das Wirkungsvollste brachte, was die Gegenwart darbietet, wenn dabei auch Unbedeutenderes und Irrthümliches. Seine kritischen Schriften konnten zwar, ihres Stoffes und der Form der Kritik überhaupt wegen, nicht allgemein und populär werden, indessen wurde die deutsche Literaturgeschichte nicht allein bereichert, sondern auch gefördert durch die Werke: „Zur Philosophie der Geschichte,“ „Beiträge zur Geschichte der neuesten Literatur,“ „Goethe im Wendepunkte zweier Jahrhunderte,“ „Götter, Helden und Don Quixote,“ „Aus der Zeit und dem Leben,“ „Vermischte Schriften,“ „Wiener Eindrücke,“ „Pariser Briefe“ und „Börne’s Leben,“ ein braves Buch voll rührender Pietät; ein ebenso ehrenwerther als geistvoller Schutz gegen Heine’s frivole und perfide Angriffe gegen einen der edelsten und größten Charaktere Deutschlands.

Von seinen zahlreichen Dramen sind die meisten mit vielem Erfolge gegeben worden: so namentlich: „Ein weißes Blatt,“ „Werner oder Herz und Welt,“ „Richard Savage;“ mit „Uriel Acosta,“ so wie mit den historischen Lustspielen: „Zopf und Schwert“ und das „Urbild des Tartüffe“ wurde er indessen erst zum eigentlichen populären Bühnendichter, gewann er Erfolge, wie kein anderer jetztlebender Dramendichter, und bot er jedenfalls auch das Beste an zugleich praktisch ausführbaren Werken, was irgend die Gegenwart geboten hat. Außer den genannten Dramen gab er noch das zuerst von ihm aufgeführte biblische Drama: „Saul;“ die drei historischen Trauerspiele: „Patkul,“ „Pugatscheff“ und „Wullenweber,“ mit gediegenem, starkem Gehalt und historischem Geiste durchwebt, doch ohne wahrhaft zündende tragische Gewalt; dann die capriciösen, theils etwas bizarren, theils etwas carrikirten, doch überall mit Intelligenz und poetischem Geiste getränkten Dramen: „Der 13. November,“ „Anonym“ und „die Schule der Reichen:“ ein psychologisch tief angelegtes und sublim ausgeführtes Drama: „Ottfried:“ ein Lustspiel aus Goethe’s Jugendzeit: „Der Königslieutenant,“ geistvoll belebt, doch mehr der höheren Literatur angehörend und viel gebildetere Schauspieler verlangend, als wir besitzen. – Dies könnte man auch sagen von dem liebenswürdigen, feinen Vorspielscherz: „Fremdes Glück.“

Auch das Volksdrama betrat Gutzkow mit dem Trauerspiel: „Liesli,“ dessen dritter Act in seinem jähen und, nicht zu leugnen, grassen Ausgang wohl verhinderte, daß das Stück nicht Den Erfolg gewann, den es im Ganzen und namentlich nach den zwei ersten Akten verdiente. Diese geben eine ebenso belebende als ergreifende Wahrheit und treffende Situationen; sie müssen bedauern lassen, wenn Gutzkow den so unendlich dankbaren Boden des Volksdrama’s ein für allemal verlassen würde. Er könnte da noch Bedeutendes wirken.

In jener dritten Sphäre als Novellen- und Romandichter gab Gutzkow: „Novellen,“ unter denen: „Die Wellenbraut“ und „Die Selbsttaufe“ nicht allein als die besten des Verfassers genannt werden, sondern die auch mit zu den besten der deutschen Novellenliteratur gezählt werden müssen. Tiefe psychologische Conflikte auf’s Feinste und Lebendigste gelöst und mit echter Poesie durchdrungen. Der Roman: „Seraphine“ schließt sich in seiner kühnen Idee den Intentionen des Verfassers in der „Wally“ an, bleibt aber in der Ausführung hinter der Idee zurück. Der komische Roman: „Blasedow und seine Söhne,“ ist mehr ein geistvolles, sehr merkwürdiges und in manchen Theilen auch bedeutungsvolles Capricio, als ein eigentlich komischer Roman und hat den beengenden Fehler, daß er eine eigentlich tragische Idee komisch behandelt. Das größte dieser dritten Sphäre und überhaupt das größte von allem Wirken Gutzkow’s ist jedenfalls sein neunbändiger Roman: „Die Ritter vom Geiste.“ Der vortrefflichste Roman, den Deutschland besitzt, der uns mit Stolz den vielberühmten [303] Romanen Englands und Frankreichs gegenüber treten laßt, der die außerordentlichste Wirkung nach allen Seiten der Gesellschaft hin ausübte und noch ausüben wird und der dem Verfasser als Dichter, Denker und Historiker, als Bürger, Patriot und Verfechter der höchsten und edelsten Interessen des Vaterlandes und der Menschheit einen Ehrenplatz anwies und erhalten wird. – Das ist das bisherige schriftstellerische Wirken Gutzkow’s, dem er jetzt noch die Führung der Zeitschrift: „Unterhaltungen am häuslichen Herd“ verknüpft hat. Die Zeitschrift ist für populäre Intelligenz berechnet und wirkt dafür nach allen Seiten hin poetisch, ästhetisch und künstlerisch, die Naturwissenschaft, den Staat, das Familien- und Bürgerleben sinnig anregend und einfach geschmackvoll in ihre Kreise ziehend.

Das äußere Schicksalsleben Gutzkow’s anbelangend, so erfahren wir zuerst aus seinem letzten Werke: „Aus der Knabenzeit,“ daß auch er aus dem Volke hervorgegangen, als Sohn eines Reitknechts eines preußischen Prinzen (am 17. März 1811) in Berlin geboren und der Bruder und Schwager von ehrbaren Handwerkern ist. Seine schon früh sich zeigenden Talente veranlaßten die Aeltern, den Knaben studiren zu lassen. In seiner Vaterstadt studirte er Theologie und Philosophie und gewann dabei schon den ersten Preis einer Concurenzarbeit. Mächtig ergriff ihn die Julirevolution; er warf sich nun lebhaft auf öffentliche Fragen der Zeit und seine ersten Journalarbeiten erregten in hohem Grade die Aufmerksamkeit des damals mächtigen Wolfgang Menzel, der ihn deshalb nach Stuttgart zog, wo er einige Zeit für das Literaturblatt und Morgenblatt arbeitete. Aber der Wissensdrang ließ ihn nicht ruhen; Theologie und Philosophie ließen ihn kalt und bereits mit der Doctorwürde beehrt, studirte er in Heidelberg und München Jurisprudenz und Staatswissenschaft. Im Jahre 1835 gründete er mit dem wackeren Duller in Frankfurt a. M. den „Phönix;“ gleichzeitig erschien seine „Wally,“ die ihn drei Monate nach Mannheim in’s Gefängniß brachte. Von da an hatten er und seine Schriften, so wie mannigfach von ihm versuchte Journalunternehmungen die heftigsten und oft vernichtende Verfolgungen zu erdulden. Diese trieben ihn denn zuletzt nach Hamburg, wo er den „Telegraph für Deutschland“ redigirte und damit auf die Höhe seines kritischen Rufes gelangte. Der Drang zur Bühne wurde aber immer mächtiger in ihm; so gab er sein Journal in andere Hände und widmete sich nur der Bühnenproduction. Seine glänzenden Erfolge darin verschafften ihm 1847 einen Ruf als Dramaturg für das Hoftheater zu Dresden. Als solcher wirkte er nun Schönes und Nützliches im Einrichten und Aufführen klassischer Stücke und in Förderung junger Talente. Indessen war seine Stellung doch nicht frei und selbstständig genug, daß er Alles das hätte ausführen können, was er wünschte, und so gab er denn dieses Wirken nach 21/2 Jahre wieder auf; in neuer Ehe und in neuem Schaffensdrange ein neues, ruhig schönes Leben beginnend, wie ich es Eingangs dieser Skizze anzudeuten versuchte. Direct an dem öffentlichen Leben des Jahres 1848 betheiligte sich Gutzkow nur mit einigen kleinen Schriften: „Ansprache an das Volk,“ ein Vermittelungsversuch in den Märztagen Berlins, und „Deutschland am Vorabend seines Falles und seiner Größe,“ eine Broschüre für das Frankfurter Parlament. Beide natürlich in liberalem Sinne.
A. S.