Ein Besuch auf Liu-Kiu
Auf der Abendseite des großen europäisch-asiatischen Festlandes liegt das britische, auf der Morgenseite dagegen das japanische Inselreich, beide jedoch so weit von einander verschieden, als sie es kaum der Entfernung nach sind. Vom Inselreiche des Westens aus hat das Volk Englands eine Herrschaft gegründet, welche den ganzen Erdball umspannt, in deren Gebiete die Sonne nie untergeht. Wandere, wohin du willst, in allen Theilen der Erde, in allen Zonen, allen Gegenden findest du englische Kolonieen; auf allen Meeren weht Englands Flagge, in allen Ländern findest du Albions Sohn als Kaufmann. Besuche die Häfen Englands und du findest Schiffe, die von den verschiedensten Ländern des Erdballs heimgekehrt sind, oder im Begriff stehen, dahin abzufahren. Durchreise die Häfen seiner Kolonieen und Stationen und du findest die Fahrzeuge aller Nationen, vom Kanot des Neuseeländers und Südseeinsulaners bis zu dem stattlichen Schraubendampfer des Europäers. Wie verschieden dagegen das Inselreich des Ostens! Der Japaner hat sich von der ganzen übrigen Welt streng abgesondert, nur einigen wenigen Völkern einen äußerst kärglichen Handelsverkehr gestattet, seine Flagge einzig auf seine Meere beschränkt, und so einen Handelsstaat gegründet, wie er nicht allein nicht zum zweiten Male existirt, sondern sich selbst kaum denken läßt. Ein buchtenreiches Land von außerordentlicher Fruchtbarkeit, eine zahlreiche Bevölkerung (7–8000 Bewohner auf die Quadratmeile) von nicht unbedeutender geistiger Befähigung und Ausbildung, großen metallischen Reichthum im Innern der Berge, Steinkohlen, der große Betriebsfaktor des britischen Inselreichs, in außerordentlicher Menge, eine fleißige, geschickte und betriebsame Bevölkerung und dennoch kein Handelsverkehr mit den Nationen des Erdballs!
In solcher Abgeschlossenheit hat Japan viele Jahrhunderte verbracht, denn nur auf wenige Jahre trat es vor fast 300 Jahren mit den Portugiesen in Verkehr, um nach dessen gänzlicher Abbrechung im Jahre 1637 eine äußerst beschränkte Handelsverbindung mit den Holländern einzugehen, die unter dem Vorwande, „Holländer, aber nicht Christen“ zu sein, für Gewährung einiger unbedeutender Handelsvortheile die schmachvollsten Bedingungen eingingen. Mit Schlauheit und Konsequenz wies Japan die lockendsten Anerbietungen Englands, Rußlands und China’s zurück, gestattete seinen eigenen Bewohnern keinen Aufenthalt in fremden Ländern, und weigerte sich selbst, die von Stürmen nach benachbarten Küsten verschlagenen eigenen Bewohner wieder aufzunehmen, wenn sie auf fremden Fahrzeugen in ihr Heimathsland zurückgebracht wurden. Diese Hartnäckigkeit versuchten in unsern Tagen die nordamerikanischen Freistaaten durch Absendung eines Geschwaders unter dem Commodore M. C. Perry zu brechen, und ob Bruder Jonathan das, was ihm anscheinend gelang, auch in Wirklichkeit gelungen ist, muß die Zeit lehren. Wir aber begleiten den Commodore Perry an der Hand unseres deutschen Landsmannes W. Heine auf seiner Expeditionsreise und nehmen zugleich Gelegenheit, des letzteren trefflichen Bericht [1] auf’s Wärmste zu empfehlen.
Commodore Perry nahete sich dem japanischen Gebiete am 26. Mai 1854, als am Morgen mit Tagesanbruch man vom Schiffe aus eine der Liu-Kiu-Inseln in Sicht bekam. Ihre Südwestspitze besteht aus senkrecht aus dem Meere emporsteigenden Felsen, während die andern Seiten sich ziemlich sanft in üppig grünende von schönen Baumgruppen unterbrochene Felder abflachten, und so einen überaus anmuthigen Anblick gewährten. Man fuhr vorüber, wie im Laufe des Tages wohl noch an zwanzig andern, bis endlich um fünf Uhr die Ankerketten im Hafen von Napa fielen.
Schon am nächsten Morgen kamen zwei Boote aus Napa und überbrachten die Geschenke des Hadji-madji oder Bürgermeisters, in zwei Ochsen, einigen hundert Eiern, Gemüsen und süßen Kartoffeln bestehend. Auf dies Verfahren bereits durch frühere Reisende aufmerksam gemacht, war beschlossen worden, ohne Entschädigung dafür nichts anzunehmen, und so mußte der Hadji-madji sich bequemen, ein Gegengeschenk anzunehmen. Nur Wenige von der Mannschaft waren an diesem Tage an’s Land gegangen, wogegen am folgenden einer weit größeren Anzahl die Erlaubniß dazu gegeben ward. Unter ihnen war auch unser Landsmann Heine.
Die Stadt Napa, deren Häusergruppen sich auf unserer Illustration links im Mittelgrunde zeigen, ist der bedeutendste Handelsplatz der Liu-Kiu-Gruppe und liegt auf der Hauptinsel dieses Namens. Ein Fluß, für chinesische Dschunken tief genug, bildet den innern mit steinernen Vertheidigungswerken versehenen Hafen, während der äußere, in welchem die amerikanischen Schiffe ankerten, durch eine halbmondförmige Krümmung der Küste von dem [346] Lande, und durch eine Reihe von Korallenriffen von der Seeseite eingeschlossen wird. Nur drei Einfahrten waren verblieben. Die Stadt dehnt sich längs der Küste aus und mag in vielleicht 4000 Häusern gegen 20,000 Bewohner enthalten. Die Straßen sind breit, mit großen Korallenblöcken gepflastert und werden in dem von Reicheren bewohnten Stadttheile von Mauern zu beiden Seiten begränzt, durch welche die Eingänge zu den dahinter liegenden Wohnhäusern führen. Niemand wagte, sich den angekommenen Fremdlingen zu nähern, viele aber sahen neugierig hinter Mauern, Bäumen und aus den Seitenstraßen hervor, ergriffen aber sofort die Flucht, sobald einer der Amerikaner nur Miene machte, sich ihnen zu nähern oder gar sie anzureden. Während einer zweiten Landung auf Liu-Kiu glückte es unserm Landsmanne, in Gesellschaft eines seiner Freunde eine genauere Kenntniß von der Stadt und dem Innern der Häuser zu erlangen. Beide waren während der Nacht am Lande geblieben, hatten sich von den Moskitos tüchtig stechen lassen, und waren darauf am andern Morgen längs des Flusses den Schnepfen nachgegangen. Eben war die Sonne aufgegangen, es war früh am Morgen, die Straßen noch völlig menschenleer.
Unsere Abenteurer befanden sich gerade in dem der untern Stadt entgegengesetzten, etwas höher gelegenen Stadttheile, dem Aufenthaltsorte der wohlhabenderen Klassen. Alle Thüren der Höfe, Gärten und Häuser standen offen, so daß Diebe eine hier unbekannte Klasse der menschlichen Gesellschaft zu sein schienen, und in Wahrheit gehören Eigenthumsvergehen in Japan zu den fast unerhörtesten, jederzeit aber mit dem Tode zu bestrafenden Verbrechen. Die Versuchung war zu groß, Räume, welche man bisher dem Eindringen der Fremdlinge beharrlich verschlossen hatte, standen jetzt offen, wer könnte da widerstehen! Unsere Freunde gelangen durch das in der 8–10 Fuß hohen Mauer befindliche Eingangsthor in den mit Buchsbaumhecken und nett gehaltenen Blumenbeeten versehenen Hof. In ihm liegt das einfach aus Holz erbaute Haus, das vorn eine oder einige Vorhallen besitzt, hinter welchen die Wohngemächer liegen. Hölzerne Schieber bilden in ihnen die Scheidewände; man kann sie beliebig entfernen und dadurch die Zimmer bald vergrößern, bald verkleinern. Nach der Hofseite zu sind sie meist weggenommen. Ist schlechtes Wetter, so setzt man Fenster von geöltem Papiere ein, wird dagegen die Wärme zu groß, so läßt man Jalousien aus gespaltenem Rohre herab, durch welche man zwar aus dem Hause die äußeren Räume sehen kann, die aber keinen Blick in das Innere des Hauses verstatten.
Da sich nirgend nur irgend ein Bewohner des Hauses sehen oder hören ließ, so ward die Entdeckungsreise fortgesetzt, und man gelangte in den eigentlichen, an der Rückseite des Hauses gelegenen Garten. Er ähnelte ziemlich den chinesischen Ziergärten, war aber kleiner und dabei geschmackvoller angelegt und mit schönen Blumen geschmückt. In der Mitte befand sich ein Wasserbassin, dessen Ränder mit Muscheln und allerlei bunten Steinen verziert waren, und in dessen Tiefe Goldfischchen sich lustig herumtummelten. Da die Jalousien des Hauses offen waren, so näherte man sich ihnen vorsichtig und lugte durch die Oeffnung. Auf den dicken Strohmatten, welche den Boden aller japanischen Wohnungen bedecken, lagen drei Frauen und zwei kleine Kinder im tiefsten Schlafe, nicht ahnend, daß ein paar freche Fremdlinge gewagt hatten, bis in’s Allerheiligste der guten Insulaner zu dringen. Leise, wie man gekommen, ward auch der Rückzug genommen, hatte man doch die Neugierde befriedigt und das Innere eines japanischen Privathauses gesehen, ohne selbst beobachtet zu sein.
Die Reisenden konnten sich das Vergnügen nicht versagen, ihre Wanderung auch nach den tiefer gelegenen Stadttheilen fortzusetzen. Die Scene wurde allgemach lebendiger und auf dem Marktplatze angekommen, fanden sie den Handel bereits im besten Gange. Mehrere hundert Frauen der niedern Stände saßen hier hinter Körben und Verkaufsständen, und boten Schweinefleisch, Geflügel, verschiedene Gemüse, als Bohnen, Kartoffeln, Zwiebeln, Gurken u. s. w. feil. Während das so ganz unerwartete Erscheinen der Fremdlinge einige zur sofortigen Flucht veranlaßte, blieben die andern ruhig sitzen, und da nunmehr jene sahen, daß man diesen kein Leid zufügte, so kamen sie auch bald wieder. Heine kaufte eine schöne Wassermelone, die beim Frühstück verzehrt, trefflich mundete. Ein gleichbeliebter und vorzüglicher Artikel schienen eine Art süßer Käse zu sein, die, in Würfel unserm limburger ähnlich geformt, auf Kohlen geröstet oder auch gleich frisch gegessen, recht angenehm schmeckten.
Beim Weitergehen gelangte man an den innern Hafen, in welchem viele japanische Dschunken lagen, von denen in den letzten acht Tagen ungefähr 16–20 eingelaufen sein mochten. Hier war es auch, wo man dem ersten japanischen Nobile, an seinen zwei im Gürtel getragenen Schwertern zu erkennen, begegnete. Ein Theil seines Kopfes war glatt geschoren, das übrig gelassene [347] Haar aber sauber gekämmt, geölt und auf dem Wirbel in einen Knoten geschlungen, der Bart zwar dünn, doch sorgfältig gepflegt. Seine Kleidung bestand in einem langen, grau und weiß gewürfelten Gewande mit weiten Hängeärmeln und war aus einem äußerst feinen, durchsichtigen Stoffe gefertigt. Ueber diesem Gewande trug er ein anderes Stück von demselben Stoffe, nach Art der schottischen Plaids eigenthümlich um Brust und Schultern, gefaltet, so daß es fast einem Panzer glich. Außer den bereits erwähnten zwei Schwertern, mit denen er auf Befehl seines kaiserlichen Herrn sich den Bauch aufzuschlitzen hat, trug er im Gürtel noch einen Fächer, ein kurzes Pfeifchen mit äußerst kleinem Kopfe in seidenem Ueberzuge, einen kleinen seidenen Tabacksbeutel und endlich in der Hand einen papiernen, schwarzlackirten Sonnenschirm. Auch er ging an den Fremden vorüber ohne scheinbar die mindeste Notiz zu nehmen, wogegen sie natürlich dasselbe thaten. Zuletzt besuchten diese noch einige Dschunken, wurden hier mit Thee und Sacky (eine Art Liqueur) bewirthet und von der japanischen Mannschaft freundlich und leutselig, doch nicht ohne die überall bemerkbare Scheu aufgenommen, da alle wußten, wie streng der Umgang mit Fremden geahndet ward.
Da unter der Mannschaft des Schiffes sich auch ein Daguerreotypist befand, so machte sich Heine mit diesem auf, Gruppen von Eingebornen aufzunehmen, ganz wie man sie auf den Straßen und Plätzen der Stadt unbeweglich, gleich Statuen, und rauchend im Schatten schöner Bäume fand. Alle waren dazu bereit, so wenig sie auch anfangs unsern Zweck erriethen, und ließen sich behufs besserer Gruppirung an die betreffende Stelle führen, wo sie steif und unbeweglich verharrten, bis man mit der Hand ein dankendes Zeichen gab, nun aber nicht wenig erstaunt, ihre ehrenwerthen Persönlichkeiten in gleich wunderbarer Weise und kurzer Zeit so treu wiedergegeben zu finden. Im Allgemeinen fand man die Eingebornen höchst mild, artig und liebenswürdig. Nie war man Zeuge eines Actes von Bestrafung, noch eines Zankes oder einer Rohheit. Schwere Arbeit schien auch hier das Loos der niederen Klassen zu sein, während alle nur einigermaßen vornehmeren Männer einen großen Theil des Tages an angenehmen schattigen Plätzen saßen und Taback rauchten oder aus mitgebrachten kleinen, hübsch lackirten, mehrere Schubfächer enthaltenden Kästen allerlei Eßwaaren verzehrten und dazu Thee oder Sacky tranken.
Die Mannschaft der amerikanischen Flotille hatte bereits am 29. Mai die Ehre, den Regenten der Liu-Kiu-Inseln in einem officiellen Besuche an Bord zu sehen, nachdem einige Vorverhandlungen über den Zweck ihres Hierseins vorhergegangen waren. Er ward mit allen kaiserlichen Ehren empfangen, bewirthet und überall im ganzen Schiffe herumgeführt. Der Regent war ein ehrwürdiger Greis, welcher während der Minderjährigkeit des erst 12 Jahre alten Fürsten das Regiment führte. Sein Gefolge bestand größtentheils aus alten Männern mit langen Bärten; das Haupthaar war von allen Seiten aufwärts gekämmt und auf dem Scheitel in einen zierlichen Knoten geflochten, durch welchen zwei Metallnadeln gesteckt waren. Die Kleidung bestand aus einem langen Kaftan mit weiten Aermeln und war aus einem feinen Stoffe gefertigt. Ein Gürtel hielt dieses Kleidungsstück zusammen und trug zugleich den Fächer, die Tabackspfeife und den seidenen Beutel. Unter dem Kaftan trugen die vornehmeren Männer noch ein feines Hemde, weite bis an’s Kniee reichende Beinkleider und genähte Strümpfe, in denen sie auf dem Schiffe, wie sie es auch in ihren Häusern zu thun pflegen, herumgingen, da sie die übrige Fußbekleidung aus Höflichkeit im Boote zurückgelassen hatten. Die Salutschüsse beim Abschiede versetzten sie in nicht geringen Schrecken, mehrere fielen beinahe um.
Commodore Perry beschloß, nach diesen Formalitäten eine Expedition in das Innere der Insel abzusenden, und da unser Heine sich unter den vier Hauptpersonen derselben befand, so haben wir Gelegenheit uns vom Zustande des Landes zu unterrichten. Der Weg führte von Napa aus über wohlangebaute Felder, unter denen ein Theil Reisfelder, nach Schuy, der eigentlichen Hauptstadt der ganzen Insel. Die Straße, 18–20 Fuß breit und mit Steinblöcken gepflastert, war meist mit Bäumen bepflanzt, welche einen recht angenehmen Spaziergang bildeten. Auf den Feldern war man eben beschäftigt, Reis zu pflanzen. Sämmtliche Felder sind terrassenartig angelegt und werden dadurch reichlich bewässert, daß kleine Kanäle das Wasser oberhalb liegender Quellen der nächsten Terrasse zuführen, welche es, nachdem sie überrieselt der folgenden zusendet, wo es denselben Zweck zu erfüllen hat. Hierdurch wird der Boden stets sumpfig erhalten. Im Frühjahr werden erst kleine Stücken mit Reis besäet, die dadurch gewonnenen Pflanzen aber später, wie bei uns die Kohl- und Krautpflanzen, weiter verpflanzt. Eben war man hiermit beschäftigt, doch fand man auch Felder, auf denen der Reis in vollen Aehren stand.
Schon von Napa aus war die Expedition von drei Eingebornen begleitet, jedenfalls Personen von gewissem Range, welche sie fortan keinen Augenblick mehr verließen, und augenscheinlich dazu abgeordnet waren, zu erspähen, was die wunderlichen Fremdlinge wohl vorhätten. Es war eine ältere und zwei jüngere Personen. Alles, was man that, ward von jedem Einzelnen gewissenhaft niedergeschrieben, und diese Niederschriften Abends verglichen. Trennte sich einer der Amerikaner von den übrigen, so konnte man gewiß sein, daß ihm einer der Späher folgte. Als das mitgenommene Gepäck sich für die als Lastträger begleitenden Chinesen zu schwer erwies, so wurden von den Spähern sofort einige Eingeborne aufgefordert, die Last zu tragen, und wenn auch diese müde waren, so nahm man oft Leute von der Feldarbeit weg, welche dem erhaltenen Befehle auch sofort Folge leisteten. Ebenso sorgten die drei Begleiter für die nöthigen Lebensmittel, und nur nach vielen Bemühungen gelang es später, sie zur Annahme von Bezahlung zu bewegen. Dicht vor Schuy, das wie Napa, doch in einem etwas großartigerem Style erbaut war, nöthigten die Begleiter in einem der Einkehrhäuser (Kunk-kwa) einzusprechen und Erfrischungen einzunehmen. Es war von Holz gebaut und glich in seiner Einrichtung dem bereits oben beschriebenen. Der Wirth, eine Art Magistratsperson, klatschte nach vorangegangenen Verbeugungen in die Hände, worauf Diener erschienen, welche für jeden ein hölzernes Tellerchen nebst einer Porzellanschale mit brennenden Kohlen und einer Aschenbüchse zum Ausklopfen der Pfeife brachten. Auf ein zweites Zeichen wurden kleine Tassen mit Thee, jedoch ohne Milch und Zucker herumgereicht. Das Zimmer war mit Teppichen belegt, die man jedoch nur mit den Strümpfen betrat. Diese Herbergen, sowie die Empfangsceremonien blieben sich überall[WS 1] vollkommen gleich. Die ganze Reise dauerte sechs Tage und führte durch äußerst fruchtbare, wohlangebaute Gegenden, in denen kein Plätzchen unbenutzt gelassen war. Ueberall ward man auf das Leutseligste aufgenommen und behandelt, mit Lebensmitteln versehen, wie sie eben das Land darbot, meist in Hühnern, Eiern, Fröschen und gesalzenen Fischen, Gurken, Kürbissen, eingemachten Zwiebeln, Reis und einer Art süßer Kartoffeln bestehend. Die Bezahlung ward von den uns begleitenden Beamten besorgt und war ungemein mäßig. Ueberall wo man einkehrte, war die höchste Sauberkeit vorherrschend, Höfe und Gärten sorgfältig gefegt und mit feinem, weißem Flußkies bestreut. An den Eingängen fanden sich stets Wasserbehälter, in denen man Gesicht, Hände und Füße wusch, was für Hand und Gesicht auch vor und nach dem Essen regelmäßig und streng beobachtet ward. Nirgend fand sich Ungeziefer, die leidigen Moskitos ausgenommen. Von dem Gesehenen reich belohnt und belehrt, kehrte man endlich nach Napa zurück, um von hier aus der Einladung des Regenten von Liu-Kiu zu folgen, wobei man die Sitten der Bevölkerung recht genau kennen zu lernen Gelegenheit hatte.
Schon am Morgen des 6. Juni war die Rhede mit den Booten aller Schiffe bedeckt, welche die für die Procession bestimmten Abtheilungen mit ihren Officieren an’s Land bringen sollten. Man wollte imponiren, hatte deshalb Alles aufgeboten, und sich dabei möglichst an die Sitten der Japaner angeschlossen. Commodore Perry ward in einem Tragsessel von Chinesen getragen, Militair zog voran und folgte, die Musikcorps der verschiedenen Schiffe, so wie die Trommler waren nicht vergessen und stolz flatterte das Sternenbanner der Vereinigten Staaten. So ging der Zug in lustigem Geschwindmarsch nach der Hauptstadt Schuy, an deren Thore der Regent unter einem großen Sonnenschirme einherschreitend und mit der Würde und Gravität eines ehemaligen Dogen von Venedig den Commodore empfing. Alle Großwürdenträger waren versammelt mit zahlreichem Gefolge, allein schon am Eingange in das Schloß bot sich ein unerwartetes Hinderniß, indem der Regent den Commodore nicht hier, sondern in seiner Privatwohnung empfangen wollte. Dem widersetzte man sich, da die Officiere eines englischen Schiffes auch im Schlosse empfangen worden waren, und so gestattete man endlich das Verlangte. Das Schloß war groß und mit weiten Höfen umgeben, in deren zweitem [348] die Empfangsceremonie stattfinden sollte. Nach Versicherung friedlicher und freundschaftlicher Gesinnungen überreichte man die mitgebrachten Geschenke, worauf unter vielen Verbeugungen Thee und Backwerk servirt wurden, letzteres aber nur vorläufig, da das Bankett in der Privatwohnung des Regenten hergerichtet war. Dahin begab man sich. Die Gewehre wurden in Pyramiden gesetzt, die mitgebrachten Geschütze aufgefahren und die Mannschaft mit einem Extra-Grog bewirthet. Für die vornehmeren Gäste waren in einer besonderen Halle Tafeln mit einer höchst bedeutenden Zahl kleiner Tellerchen gedeckt, sämmtlich mit allerlei Delikatessen versehen und recht nett angeordnet. Thee ward in den schon bekannten kleinen Täßchen gereicht, doch war dies Alles nur die Einleitung zum eigentlichen Mahle, welches aus 12 verschiedenen Sorten Suppen bestand, und deshalb ein königliches war, da nach dem Range des Gastes dieses bald aus 3, bald aus 6 oder 9 Gängen besteht. Alle Suppen kamen in Schüsselchen von der Größe einer Untertasse und bestanden aus Fleisch, Fisch, Gemüse, Eierklöschen u. s. w., waren aber durchgängig höchst schmackhaft bereitet, besonders eine Sorte, welche man als – Hundesuppe bezeichnete. Thee und Sacky machten den Schluß der Tafel. Zum Zuführen der kleinen Schaugerichte nach dem Munde bediente man sich schwacher Ebenholzstäbchen, welche mit dem Daumen und dritten Finger gehalten, mit dem Zeigefinger gelenkt wurden. Selbst die Suppe sollte so genossen werden, doch kam man dem amerikanischen Ungeschick durch Darreichung kleiner Porzellanlöffel entgegen.
Nach etwa einer Stunde trat man in heiterer Stimmung den Rückweg an. Man gelangte unter den Klängen fröhlicher Weisen mit fliegenden Fahnen auf von schönen Kiefern beschatteten, über Hügel und üppige Felder sich hinschlängelnden Wegen bald in die Nähe der Schiffe, von denen die zurückgebliebene Mannschaft den fröhlich Heimkehrenden entgegen kam, nicht unerfreut über das gute Einvernehmen mit den Eingebornen, denn von dem ersten Besuche hing viel für die Folge ab, und einen solchen Empfang in einem Japan tributpflichtigen Lande, welches gleichsam die Eingangspforte zum Reiche selbst bildet, durfte man wohl für ein günstiges Anzeichen erachten. Am 2. Juli verließ das Geschwader Napa und langte am 8. bereits vor Niphon, in der äußeren Bai von Jeddo an.
- ↑ Reise um die Erde nach Japan am Bord der Expeditions-Escadre unter Commodore M. C. Perry in den Jahren 1853–1855. Deutsche Original-Ausgabe von W. Heine. Erster Band. Leipzig, Costenoble. Der von uns gegebene Holzschnitt von Kretzschmar, gezeichnet nach der Natur von Heine, ist diesem Werke entnommen.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: überab