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Ein spanisches Schattenbild

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Textdaten
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Autor: R.
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Titel: Ein spanisches Schattenbild
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 26, S. 344–345
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1856
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Ein spanisches Schattenbild.

Wenn auch „Räubergeschichten“ keineswegs in das Gebiet der Gartenlaube gehören, so trage ich doch kein Bedenken, in Folgendem eine solche den Lesern zu erzählen. Natürlich ist dabei meine Absicht nicht, einem verdorbenen Geschmacke zu fröhnen; und auch darauf will ich die Mittheilung meiner Räubergeschichte nicht stützen, daß sie auf buchstäblicher Wahrheit beruht, und der jüngsten Vergangenheit angehört. Sie soll vielmehr ein grelles Schlaglicht auf die Zustände eines Landes werfen, welches Keime genug in seinem Schooße birgt, um unter einer bessern Pflege in schnellem Emporblühen ein reiches und glückliches zu werden, während es jetzt davon beinahe das Gegentheil ist.

Spanien ist dieses Land, und indem ich an die schlichte Erzählung gehe, kann ich es füglich den Lesern überlassen, ihre Folgerungen zu ziehen auf die Gesittung des spanischen Volkes und auf die Beschaffenheit der Regierung, unter deren Walten noch im Jahre 1849 solche Dinge möglich waren, solche freche Verhöhnung der Staatsgewalt und solch’ panisches Schrecken der Bevölkerung über die am hellen Tage vor Tausenden verübte That. Ich schalte blos noch ein, daß ich meine Erzählung im Wesentlichen aus einem Manuscripte über „Spaniens Handelsverbindungen mit dem Auslande, Deutschland insbesondere, Zollwesen und Industrie“ entlehne, welches der Verfasser, mein verewigter Freund Julius Tucht, sächsischer Consul in Barcelona, der von der vorletzten Cholera-Epidemie daselbst weggerafft wurde, leider unvollendet hinterlassen hat.

Wenn man die Festungsmauern Barcelona’s verläßt und durch die Puerta de Isabel segunda in derjenigen Richtung sich landeinwärts wendet, welche dem Hafen gerade entgegengesetzt ist, so dauert es geraume Zeit, ehe man die letzten Außenwerke des Gewerbfleißes der zweiten Stadt des Königreichs im Rücken hat. Der breite und, in Spanien leider eine Seltenheit, vortrefflich erhaltene vierfache Reit- und Fahrweg zeigt an seinen beiden Seiten eine Menge Belustigungsorte, welche an Schönheit und Geschmack der Gärten und Gebäude den ersten pariser Anstalten dieser Art nicht nachstehen. Links und namentlich rechts liegen ganz dicht an der Straße, die Tag und Nacht den regsten Verkehr zeigt, eine Menge ländlicher Ortschaften mit den Quinta’s der reichen Barcelonesen. So kommt man endlich in die große, ganz städtisch aussehende Landgemeinde Sanz, in welcher einige Spinnereien und Kattunfabriken von der erheblichsten Bedeutung ihre hohen Dampfessen durch die fortwährend von wirbelnden Straßenstaubwolken erfüllte Luft emporragen lassen. Ich selbst habe mich mehrmals überzeugt, welch’ reges Leben den ganzen Tag über in Sanz auf den Beinen ist, welches fast nur eine einzige, mindestens eine halbe Stunde lange Gasse bildet.

Hier traten am 10. April 1849 in den Vormittagsstunden ein paar bewaffnete Strauchdiebe (trabucaires) in das besuchteste Kaffeehaus des Ortes und drohten Jeden der Anwesenden mit ihren weitrohrigen Trabucos niederzuschießen, der sich nicht ruhig verhalten würde, lasen dann eine Liste vor, auf welcher die Namen von sechs Personen verzeichnet waren, von denen fünf, unter ihnen der Alcalde des Ortes, zufällig gegenwärtig waren, welche von ihnen festgenommen, geknebelt und aus dem Hause geführt wurden, wo sie unter sprachlosem Entsetzen der übrigen Anwesenden in eine bereit stehende Tartane gepackt wurden. Furcht und Entsetzen hatte dem inzwischen zusammengekommenen Haufen Neugieriger die ganze Kraft gelähmt, so daß die Räuber unangefochten mit den geraubten fünf Personen, unter denen auch ein reicher Franzose sich befand, unangefochten die Straße entlang und zum Dorfe hinausfuhren, ohne daß Jemand auch nur Miene gemacht hätte, sie aufzuhalten. Erst eine halbe Stunde später, nachdem die Räuber längst in Sicherheit waren, läutete man die Sturmglocke, jedenfalls mehr deshalb, um dem schwächlichen, geschriebenen Gesetz gegenüber wenigstens mit Etwas aufkommen zu können, als in der ernstlichen Absicht, den Bandoleros die bewaffnete Gewalt auf die Fersen zu hetzen, welche dem ritterlichen und kecke Abenteuer liebenden Sinne des spanischen Volkes für eine Art Heroen gelten.

Mehrere Wochen verflossen, ohne daß man den Räubern auf die Spur kam; die öffentliche Meinung sprach sich sehr laut darüber aus, und der Raubanfall erhielt eine gewisse Berühmtheit, die in Spanien jeder kühnen Handlung, sei sie gut oder böse, zugestanden wird. Endlich gelang es dem Sicherheitscommissar Serra y Monclus, in das undurchdringlich scheinende Dunkel zu dringen und dem Gesetze wie den unglücklichen Betheiligten ihr Recht zu verschaffen.

Die Räuber hatten unter steter Todesandrohung die Gefangenen, denen sie die Augen verbunden, mit sich fortgeschleppt; man führte sie die Kreuz und Quer über mehrere Flüsse (ohne Zweifel Llobregat und Noya), zuletzt, nachdem man sie 20 Stunden ohne Nahrung gelassen, in ein bewohntes Haus, wo man sie alle Fünf zwang, in einen tiefen, feuchten Brunnen hinabzusteigen, in den kein Tageslicht drang. Hier reichte man den armen Gefangenen in einem Korbe einige schlechte Lebensmittel hinunter und nöthigte sie, einen Brief an ihre Familien zu unterzeichnen, in welchem gesagt wurde, daß ein grausamer Tod ihrer harre, wenn sie nicht bald ein Lösegeld von 900 Unzen Gold (ungefähr 20,000 Thaler) zahlten. Diesen Brief wußte man auch wirklich in die Hände eines Anverwandten eines der fünf Gefangenen zu bringen.

Es war in dem Briefe vorgeschrieben, derjenige, der das Geld zu bringen habe, müsse auf einem Esel reiten, eine rothe Mütze tragen und würde die Person, die zur Empfangnahme des Lösegeldes geschickt werde, daran erkennen, daß dieselbe ihm die Hälfte einer unregelmäßig ausgeschnittenen Karte zum Vergleich mit der andern Hälfte, die man in jenen Brief gelegt, vorzeige. Zugleich war der Weg vorgeschrieben gewesen und die Banditen hatten ihre Maßregeln so gut genommen, allenthalben Spione [345] aufgestellt, daß auf diesem Wege ihre Spur nicht verfolgt werden konnte.

Es wurde hierauf wirklich von den Verwandten ein Bote mit Geld abgeschickt und drei der Gefangenen wurden für das verlangte Lösegeld von 500 Unzen freigegeben und auf denselben Schlangenwegen nach Hause geführt; die beiden andern wurden zurückbehalten. Man führte sie indeß zu größerer Sicherheit aus dem Brunnen weg und in die enge Höhle eines Weinberges, wo man sie abermals auf alle mögliche Weise bedrohte und mißhandelte, bis endlich auch für sie das Lösegeld gekommen war.

Inzwischen hatte die Polizei alle zur Entdeckung führen könnenden Anzeichen benutzt, alle Mittel dazu in Bewegung gesetzt und überhaupt eine Thätigkeit entwickelt, die ihr diesmal alle Ehre machte. Sämmtliche benachbarte Gebirge und Höhlen wurden untersucht – und an solchen ist ganz Catalonien überreich – man nahm einige verdächtige Personen gefangen, kam aber während mehrerer Tage zu keinem Ziel und es schien fast, als ob alle Bemühungen vergeblich sein sollten. Endlich, von zwei der gewesenen Gefangenen begleitet, fanden der Sicherheitscommissar und seine Agenten in der nahe gelegenen Stadt Badalona den bewußten Brunnen, in dessen Seitenwände jene während ihres traurigen Aufenthalts mit den Fingernageln Zeichen eingegraben hatten, die sie gleich wieder erkannten. Der Eigenthümer und die Frau des Hauses mit einer vierzehnjährigen Tochter, welche später bekannte, die Geliebte eines der Bandeleros zu sein, wurden festgenommen und bei der Haussuchung fand man 200 Unzen in Gold, die Leuchte und den Korb, die man in den Brunnen hinabgelassen, wenn man den Eingesperrten zu essen gegeben, ein Taschentuch und mehrere andere Beweisstücke in dem Koffer des Mädchens verborgen. Man erfährt, daß das Oberhaupt der Bande, der das Unternehmen geleitet, Jaime Battle, sich in Arenys befinde, einem Städtchen am Meere ungefähr 6 Leguas von Barcelona; der Commissär Ramon Lerra eilte mit einem Trupp mozos de escuadra (einer vortrefflich organisirten Landgensd’armerie) in das bezeichnete Haus. Man klopft an die Thür, heischt zu öffnen und da dies nicht geschieht, stößt man sie ein. Es war zur Zeit der Dämmerung und die in dem Hause befindlichen Räuber wehrten sich aufs Verzweifeltste, schießen auf die Mozos und verwunden mehrere, müssen sich aber bald ergeben. Zwei der Banditen versuchten es noch, sich über das Dach zu retten; die tapfern Mozos aber eilen ihnen nach und erschießen den Einen, den zweiten Anführer der Bande, Anternio Roura aus Vich, der vom Dach herunter auf die Straße stürzt und nehmen den Andern Jaime Battle, der eine herkulische Stärke besitzt, nachdem er bereits verwundet ist und sich furchtbar vertheidigt hat, gefangen.

Binnen wenigen Tagen wurden auch noch die übrigen bei dem Raube und dem Verhehlen des Gestohlenen Betheiligten gefangen genommen und nach Barcelona geführt und Allen der Proceß gemacht. Eilf von den Thätern wurden öffentlich mit der Garotte erdrosselt, und zwar vier, unter denen der Anführer, vor den Thoren von Barcelona; drei in Sans vor dem Kaffeehause, wo die That stattgefunden und die übrigen vier neben dem erwähnten Brunnen in Badalona.

Schon im Jahre 1849 zeigte sich ein merkwürdiger Unterschied in der Sicherheit der Landstraßen und seitdem gehörten Raubanfälle auf öffentlichen Straßen immer mehr zu den Seltenheiten.
(R.)