Im Adlerhorst
[348] Im Adlerhorst. Ueber den Adlerfang im algauer Hochgebirge werden in dem Berichte des naturhistorischen Vereins in Baiern interessante Details mitgetheilt. Die Räubereien, die die Adler in diesem Gebirge seit längerer Zeit an den Heerden verübten, waren namentlich im Mai 1851 bedeutender als je. Man hatte bald die Gewißheit, daß im Oythale auf der Ostseite des Oberzillerthales ein paar dieser Räuber den alten Horst an der Adlerwand bezogen hatten. Man sah bei hellem Wetter zuweilen einen oder beide Adler hoch im Aether gleich schwarzen Pünktchen schweben, majestätisch und ruhig mächtige Kreise ziehend, bald dem Auge entrückt, hinter den Seeköpfen, dem Himmeleck oder der wilden Höfats verschwindend, im nächsten Augenblicke hoch über dem Auge des Beobachters über das Thal ziehend. Die Höhe des Fluges mag mehr als 7000 Fuß über dem Meere und gewiß 4000 Fuß über der Thalsoole messen. Nicht selten wurde der Adler beobachtet, wie er mit Beute beladen nach der Adlerwand sich herabsenkte, um dort in der Höhe auf dem flachen Vorsprunge für sich und seine Nachkommenschaft die Schlachtbank aufzuschlagen. In der Nacht vom 3. auf den 4. Juli 1851 stiegen vier erfahrene Steiger die Seewände hinan, die den Kamm bilden, unter welchem die Adlerwand senkrecht in’s Thal abfällt. Sie waren mit dem 450 Fuß langen Taue versehen, mittels welchem ein Waghals die Wand herabgleiten sollte, um den jungen Vogel aus dem Horste zu nehmen. Beim Morgengrauen des 4. Juli stieg der Forstgehülfe Karl Agerer von Fischen an den Wänden nach dem Horste hinaus, und näherte sich demselben bis auf etwa 40 Schritte, soweit einem kräftigen und unerschrockenen Steiger die Annäherung an dieser überaus steilen und zerrissenen Wand möglich war, denn Gang und Stand auf solchem Terrain mißt nicht nach Fuß, sondern nach Zollen. Vielfache Beobachtungen hatten ergeben, daß die Adler meist bei anbrechendem Tage und fast gewiß gegen zwölf Uhr Mittags zur Aetzung der Jungen in den Horst streichen. Dies gab die Möglichkeit, einen der Alten mit der Büchse zu erlegen. Drei Uhr Nachmittags war als die Stunde bestimmt, in der der kecke Waghals an dem Taue vom Kamm in die Tiefe zum Horst hinabgelassen werden sollte. Gegen ein Uhr gewahrte man den Adler hoch in der Luft in der Richtung des großen Seekopfes. Langsam und ruhig ließ sich der königliche Vogel nach dem Horste herab. Die Sonne glänzte durch seine weiten Schwingen, und nachdem er sich dem Schützen bis aus etwa hundert Gänge genähert, bemerkte man einen Stoß im Vogel, der ihn in seinem Fluge unmerklich rückwärts warf, und einen Augenblick darauf schlug der Schall des Schusses in das Thal herab. Der Adler hatte seinen Lauf verlassen und beschrieb einen mächtigen Halbkreis durch die Breite des Thales. Schon glaubte man an einen Fehlschuß, als plötzlich der Vogel zusammenbrach und in einen Fichtenwald herabstürzte. Nach einer halben Stunde wurde der Adler gefunden, es was das Weibchen und ziemlich bejahrt, denn das Gefieder war stark gebräunt, die Iris feuerfarben, die hintere Kralle fast drei Zoll lang, er maß mit ausgebreiteten Schwingen etwas über acht Fuß. Die Kugel war dem Thier rechts am unteren Ende des Brustbeins eingedrungen, und trotzdem hatte es seinen Kreisflug ohne Flügelschlag im weiten Raume fortgesetzt, bis ihm der Tod zum Herzen drang.
Nach drei Uhr wurde dann zum Adlerfang das Zeichen gegeben, und bald konnte man mit einem Fernrohre auf dem Kamme der Wand den Mann des Wagnisses erblicken, der in weißen Linnen gekleidet war, um ihn an der dunkeln Wand leichter unterscheiden zu können. Er setzte sich auf das Querholz an dem Ende des Taues und begann langsam und bedächtig die Fahrt in die grausige Tiefe. Der Mann war mit einer Hackenstange bewaffnet, um sich von den Ecken der Felswand abstoßen zu können, und unten in der Höhle des Horstes, die Hacke einschlagend, durch schaukelnde Bewegung die schmale Felsplatte vor dem Horste mit dem Fuße zu gewinnen. Alle diese gefährlichen Bewegungen konnte man vom Thale aus sehen, wie die weiße Gestalt, oft in drohendem Wirbel tanzend, dem Ausdrehen des Taues folgte, um, eine kleine Weile stillstehend, denselben schwindligen Tanz in entgegengesetzter Richtung zu beginnen. Endlich gelangte er der Höhle gegenüber an, und einige kräftige Schwingungen an dem Taue schleuderten ihn in den Horst. Sehen wir, was für ein Bild ein solcher Adlerhorst gewährt. Fast immer ist er unter einem überhängenden Felsen in einer seichten Höhle und an einer stets unzugänglichen Wand nachlässig gebaut, hat in der Mitte meist keine weiche Unterlage, welche mit einem Walle von starken und schwachen Aesten und Zweigen umgeben ist. In demselben und in der Umgebung sieht es bunt aus von den Resten des Raubes. Pelzwerk und Gebeine von Hasen, Murmelthieren, Schafen, Ziegen, Gemsen, Edelmardern und Wieseln, Federn und Hautstücke von Vögeln aller Art liegen und hängen an Gestein, Wänden und Gesträuch umher. Lange Röhrknochen und dicke Wirbel, Hornklauen und Vogelkrallen, Ballen von Haaren und Federn von dem Adler verschlungen, erstere schichtenweise vom Magensäfte aufgelöst und gänzlich verdaut, letztere gewöhnlich in faustgroßen Ballen wieder ausgespieen. – Im Horste befand sich ein junger Adler. Erschreckt von der ungewohnten Erscheinung duckte er sich tief nieder, der Jäger that einen kecken Griff in Rücken und Hals des Thieres und versicherte sich in demselben Augenblicke mit der andern Hand der beiden Unterschenkel, sie zwischen Fang und Kniee fest in die Faust nehmend, und brachte so den Vogel mit einem raschen Ruck unter den Arm der Hand, welche die Unterschenkel gepackt hatte. Nun schwang er sich mit dem geraubten Vogel aus dem Horste und fuhr in die Tiefe, wo der Weg in’s Thal möglich war. – Oft kommt es bei einem solchen Raube der jungen Adler vor, daß eines der Alten auf einen Felsen in der Nähe sitzend dem Vorgange in seinem Horste ruhig zuschaut, und es ist überhaupt eine Fabel, daß der Adler beim Raube seiner Jungen sich zur Wehre setzt. Kommt eines der Alten während des Fanges zum Horst, so geschieht es aus Unvorsichtigkeit, denn in den meisten Fällen läßt er im Heranziehen zum Horste pfeilschnell von der Richtung ab und flieht scheu und feig, sobald sein scharfes Auge die Gegenwart von Menschen entdeckt hat. Der Adler wird in dieser Beziehung mit dem Lämmergeier verwechselt, der allerdings oft den Kampf mit den Räubern seiner Brut aufnimmt. Dagegen sind schon oft Beispiele vorgekommen, daß Kinder von den Adlern angegriffen wurden und ein solches ist aus Graubündten bekannt geworden, wo in einem Bergdorfe ein Adler ein zweijähriges Kind wegtrug. Im Oythale erzählte man, daß ein heftiger Windzug und Aufwirbeln des Staubes eine Mutter veranlaßte, vor die Thür zu treten und nach der Ursache zu sehen. Da sah sie einen mächtigen Adler wenige Schritte von ihrem im Sande spielenden Kinde, dem er bei dem zweiten Fluge die Fänge in die Lenden geschlagen haben würde. Auch Hunde sind dem tollkühnen Vogel gegenüber in Gefahr, wie Pfarrer Linz berichtet, der bei einem Spaziergange auf eine Alpe, durch das Heulen seines großen fetten Pudels aufmerksam gemacht, einen Adler auf dessen Rücken sitzen und Schnabelhiebe auf den Kopf des Hundes führen sah. Durch lautes Rufen und Herbeilaufen ließ der Adler von dem übel zugerichteten Pudel ab. – Der Adler fängt sich leicht in Fuchseisen, wenn es in der Höhe seines Striches zur Winterszeit gelegt wird, sofern die Witterung im Eisen ihm ansteht und dasselbe rostfrei und gut gedeckt ist. – Nach den bisherigen Erfahrungen brütet der Adler das Ei etwas mehr als 30 Tage und dieselbe Zeit ist nöthig bis zum Flüggewerden des Vogels. Nach dieser Frist, in der fünften und sechsten Woche nach gebrochenem Ei, ist das Gelingen des Adlerfanges nicht mehr sicher. Jener junge Adler mochte vor ungefähr 4 Wochen das Ei gebrochen haben, seine Deckfedern waren schwarzbraun, dazwischen quoll weißer Flaum, was ihm ein buntes Aussehen gab. Seine Größe kam der eines starken Haushahns gleich.