Djerasch (das alte Gerasa) in Syrien
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext. |
In allen Uebergängen scheint, wie in einem Zwischenreiche, eine höhere, geistige Macht durchbrechen zu wollen; und wie auf unserm Wohnplatze die an unterirdischen Schätzen reichsten Gegenden in der Mitte zwischen den wilden, unwirthlichen Urgebirgen und den unermeßlichen Ebenen liegen, so hat sich auch zwischen den rohen Zeiten der Urgeschichte und der Alles wissen wollenden, flachen, luxuriösen Gegenwart die griechische Zeit niedergelassen, welche unter einfachem Kleide die edelsten und bedeutungsvollsten Gestalten verbirgt. Wer geht nicht lieber im Zwielichte, wenn er die Wahl hat, entweder in finsterer Nacht, oder in heißem, grellem, hellem Sonnenschein zu wandeln? Darum vertiefen wir uns auch so gern in jene Zeiten, über welche das griechische Leben einen magischen Schein geworfen hat, einen Schimmer, der noch wohlthätig im Spiegel der Gegenwart reflektirt.
Die Erscheinungen des griechischen Lebens bleiben sich in ihren Grundzügen überall gleich. Die Lust an der Freiheit, der Sinn für die Freuden eines geselligen, ja üppigen Lebens, und ein eingeborner Schönheitssinn, durch den sich der Grieche für Alles in und außer sich Ideale schuf, die ihm zum Maßstabe dienten für jedes Erzeugniß der Kunst und Poesie, wurden die gemeinschaftliche Quelle jener Liebe zu großen Handlungen und Unternehmungen, wovon die Geschichte so unzählige Beispiele giebt, und jener Werke, welche uns, obschon nur noch in Trümmern erkenntlich, zugleich mit Erstaunen und Bewunderung anfüllen. In der griechischen Kunst herrscht überall Verkörperung des Begriffs der höchsten Schönheit, ein Begriff, an den die Gegenwart nur ahnend hinanreicht. Ungleich den neuern, welche blos die äußern Sinne mit angenehmen Empfindungen erfüllen, erfüllt der griechische Künstler das inwendige Heiligthum des Gemüths mit wunderbaren Vorstellungen und Gedanken. Durch seine Werke weiß er in uns geheime, vorher uns unbekannte Kräfte zu erregen; sie sprechen uns an, wie eine Hieroglyphenschrift höherer Art. Wir vermeinen Worte aus einer bessern, schönern Welt zu vernehmen. In ihre Betrachtung verloren, fühlen wir uns der bekannten Gegenwart entrückt; alte und zukünftige Zeiten steigen herauf, Menschen, Gegenden, Begebenheiten, Vorstellungen, wie sie kein Wortrahm fassen mag; wir lesen eine uns vorher unbekannt gewesene Sprache, und dennoch verstehen wir sie vollkommen; unsere Seele ist berauscht von Ehrfurcht, und trunken von Entzücken. –
[42] Mit solchen Empfindungen durchwanderten Seetzen, Burkhardt und Bukingham die berühmten Ruinen, von denen unser vortrefflicher Stahlstich eine Gruppe darstellt. Nur mit denen von Palmyra sind sie zu vergleichen; aber sie haben vor jenen noch eine bessere Erhaltung, eine weit größere Mannichfaltigkeit und den Vortheil voraus, daß sie in einer zwar unbebauten, aber malerischen und schönen Landschaft liegen, während jene von dem Sande der Wüste, von Heerden wilder Thiere, und noch mehr gefürchteter Menschen umgeben sind, Gefahren, welche den ruhigen, ästhetischen Genuß sehr beeinträchtigen. – Merkwürdig ist es, daß bis zum Beginne dieses Jahrhunderts das Daseyn dieser herrlichen Trümmerwelt gänzlich unbekannt geblieben. Erst Seetzen fand sie auf und erkannte in derselben das uralte Gerasa, eine der „Zehnstädte“ und in der Kaiserzeit der schönste und blühendste Ort in Syrien.
Die Ruinen liegen am südlichen Ende des Sees Tiberias, in einer hügeligen, schönen, aber gänzlich verlassenen Gegend. Westwärts herkommend führt der Weg zuerst über die Necropolis, einen fast eine halbe Stunde großen Raum, der mit Bruchstücken von Grabsteinen und Sarkophagen übersäet ist. Unmittelbar an die Necropolis stößt die alte Stadtmauer, und an der nordwestlichen Seite derselben erhebt sich, von einem Hügel, die majestätische Ruine eines großen corinthischen Tempels, gegenüber dem Nordwestthore der Stadt. Zwölf Säulen, jede 51 Fuß hoch, stehen noch aufrecht; die 28 andern sind niedergeworfen und zertrümmert, und fast der ganze übrige Theil des Gebäudes liegt unkenntlich in hoch überranktem Schutt. Nahe dabei ist ein zweiter, kleinerer, nicht weniger verfallener Tempel, und unfern von diesem ein großes Theater, fast vollkommen erhalten. Die steinernen Sitze sind unbeschädigt, die Mauer hinter dem Proszenium steht noch aufrecht, und ebenso der größere Theil der Säulen, welche das Innere schmückten. Seitwärts vom Theater ist ein dritter, sehr großer Tempel, ebenfalls corinthischer Ordnung. Blos drei Seiten der Cella stehen noch; alles Andere, Säulenhalle, Portikus, Peristyl, liegt in Schutt. Eine 120 Fuß breite Marmortreppe führt zur Höhe dieses Tempels, und von dem Plateau hat man einen herrlichen Ueberblick aller Trümmer. Die Stadt bildet ein Viereck, von mindestens einer Stunde Umfang. Sie hat 4 Thore, welche zu den Hauptstraßen führen, die sich in rechten Winkeln kreuzen. Noch stehen die Hauserwände zu beiden Seiten der Straßen, eingefaßt mit unabsehlichen Colonnaden in corinthischer oder jonischer Ordnung. Die Mitte der Stadt bildet ein Cirkus, mit einer Doppelcolonnade, jonischen Styls, umgeben. 76 Säulen stehen noch, jede 25 Fuß hoch und aus einem Stücke. Wahrscheinlich war hier das Forum, und Piedestals, die aus dem tiefen Schutte, welcher den Raum bedeckt, hervorragen, trugen ohne Zweifel Bildsäulen und Denkmäler. Auch ein ziemlich wohlerhaltener Triumphbogen zierte diesen Platz, und 2 kleine Tempel von den anmuthigsten Verhältnissen. – Auf der andern Stadtseite, außerhalb der Mauer, dem westlichen Thore gegenüber, steht ein halbrunder Tempel von der imposantesten Form und Größe, dessen Portikus Säulen von 58 Fuß Höhe [43] tragen. Die reichen Skulptur-Verzierungen dieses Gebäudes zeugen von dem edelsten Geschmacke und von der höchsten Ausbildung griechischer Kunst. – Zwei hundert Schritte von diesem Gebäude beginnen die Trümmer eines ganzen Cyklus von Tempeln, mehrer Theater, halbcirkelförmiger, sechs- und zwölfeckiger Gebäude mit runden Dachgewölben und Säulenhallen etc. etc. Das Ganze scheint von einer prachtvollen Colonnade umgeben gewesen zu seyn, von der einzelne Säulengruppen sich noch erhalten haben. Ein Säulengang, welcher von 2 Aquaedukten, deren Trümmer Staunen erregen, durchschnitten wird, führte zu 2 Amphitheatern, deren eines, als Naumachia, zu Vorstellungen von Seeschlachten eingerichtet war. Das andere ist sehr verfallen; letzteres hingegen fast vollkommen erhalten; selbst die Kanäle, durch welche das Wasser zugeführt wurde, sind noch unbeschädigt. Wände und Verzierungen, mit Immergrün umrankt, scheinen geschmückt wie zu einem Feste, und die mit weichem Moos gepolsterten Sitze nur des Volks zu harren, das sie einnehmen soll. Aber seit anderthalb Jahrtausenden stehen die Thore von Gerasa offen – leer die harrenden Sitze, und nicht einmal ein streifender Araber wagt sich in die verödeten Straßen der Stadt. Er glaubt sie bewohnt von Gespenstern, den Geistern der, wie die Sage geht, in einer Nacht erschlagenen Bevölkerung. Dieser Aberglaube hat bisher die prächtigen Trümmer von Gerasa vor einer weitern Zerstörung durch Menschenhand geschützt, einer Zerstörung, gefährlicher als die der Zeit.