Zum Inhalt springen

Fürstenberg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
CCI. Burgos in Spanien Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Fünfter Band (1838) von Joseph Meyer
CCII. Fürstenberg
CCIII. Djerasch (das alte Gerasa) in Syrien
  Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
[Ξ]

FÜRSTENBERG

[38]
CCII. Fürstenberg.




Menschen, die viel gereist sind, gleichen gewissermaßen den Zugvögeln, welche sich vor den übrigen ihrer Gattung durch eine größere Ausbildung vieler Fähigkeiten, durch Gewandtheit, Klugheit, Ortssinn u. s. w. auszeichnen. Freilich hat die Regel ihre Ausnahmen. Manchen Menschen fehlt die nöthige Aufmerksamkeit und Ruhe, um den Wechsel der Gegenstände und ihre Zusammenstellung erst gehörig zu betrachten, dann darüber nachzudenken und die nöthigen Vergleichungen vorzunehmen. Solche Menschen sollten lieber gar nicht reisen; als Bildungsmittel wenigstens wird es nie bei ihnen fruchten.

Man lernt eine Gegend erst recht kennen, wenn man viele andere Gegenden gesehen hat. Jede Pflanze, jeder Baum, jeder Hügel und Berg hat seinen besonderen Gesichtskreis, seine eigenthümliche Gegend. Diese steht zu jener immer in Wechselbeziehung; beide, die leblose, wie die organische Schöpfung, werden durch ihre Localität [39] charakterisirt. Auch der Mensch kann von dem Einfluß derselben sich nicht frei halten, und selbst der Vielgereiste, der alle Welttheile gesehen, er wird immer wieder daran erinnert, wie seines Vaterlandes Genius ihn mit unvergänglichen Farben angehaucht hat, wie Bild und Wesen der Heimath seine Seele durchschimmern, wie die Heimath gleichsam die Hieroglyphen-Schrift seines Gemüthes geworden ist, die er mehr und mehr entziffert, je schärfer er beobachtet, je tiefer er einsieht, daß Schicksal und Gemüth Namen eines Begriffs sind.

Ich sah manches Land und habe unter mehr als einem Volke gelebt. Ich habe die lebendige Natur in ihren großartigsten und reizendsten Erscheinungen, die gefeiertsten Werke der Kunst aller Zeiten und Menschen mit dem innern, geistigen Auge erschaut und beschrieben. Dennoch (warum sollte ich es nicht sagen?) hat ein Bild aus der Heimath immer am meisten auf mich gewirkt. Jedes neue Blatt vaterländischer Ansichten erfüllt mich mit Liebe, erhebt mich zum lebendigen Anschauen; es läßt mich nie ohne Theilnahme, ohne Genuß und Offenbarung. Ich begrüße ein solches Bild stets wie man einen alten Bekannten begrüßt: mit neuer Freude. – So auch diese Trümmer einer hohen Rheinburg.

Fürstenberg liegt am linken Ufer des Stroms, zwischen Bingen und Coblenz. Ein schmaler Fußsteig schlängelt sich bald durch Weingärten, bald durch Gestrüpp und Felsschluchten, in welchen ein scharfer Wind saust, den Berg hinan. Oben sehen wir uns vor einem geräumigen Platze, auf welchem einige verfallene Mauern und ein Thurm von gewaltiger Stärke hinter tiefen, halbverschütteten Gräben stehen. Junges Gebüsch schlingt sich um der Raubveste uralte Mauern, wie ein jugendlicher Kranz um das Silberhaupt eines Greises. Wir glauben in die Unermeßlichkeit der Zeiten zu sehen und meinen, die weitesten Zeiträume der Geschichte in kleine, glänzende Minuten zusammen gezogen zu erblicken, wenn wir des Gemäuers graues, bemoostes Gestein, seine blitzähnlichen Risse und seine hohen, schaurigen Gestalten betrachten. So zeigt uns der Himmel unendliche Räume in dunkles Blau gekleidet, und wie milchfarbene Schimmer, so unschuldig, wie die Wangen eines Kindes, die fernsten Heere seiner schweren, ungeheuern Welten. – –

Ehe wir in das durch Sturm und Zeit weit ausgebrochene Thor in das Innere der Ruine treten, fesselt uns der Zauber einer zwar nicht weiten, aber lieblichen Aussicht. – Gegenüber auf der rechten Rheinseite liegt der Flecken Lorich mit seiner stattlichen gothischen Kirche und mit seinen hohen Thürmen; die bewaldeten Bergwände spaltet eine tiefe, düstere Schlucht; es ist die der Wisper, welche dem Rheine zuströmt. Dicht über der Stadt prangt die Ruine des Schlosses Friedberg auf einer Anhöhe, und Bacharach mit seinem schönen Stahleck auf der einen Seite, auf der andern Nieder-Heimbach, ein freundlicher Flecken, begränzen die malerische Vista.

Die Geschichte Fürstenbergs hat merkwürdige und interessante Momente. – Im eilften Jahrhundert von den rheinischen Pfalzgrafen erbaut, artete, nach dem Tode des thatkräftigen, von dem raub- und fehdelustigen [40] Adel so gefürchteten Habsburgers, ihre ursprüngliche Bestimmung, die Winterresidenz der Pfalzgrafen zu seyn, aus, und Fürstenberg ward zu einem der gefürchtetsten Raubschlösser, dessen Mauern Handelsleute, Reisende und Schiffer nie ohne Zagen erblickten. Die Fürsten überboten damals die Stegreifritter an Frechheit, an Verhöhnung des Rechts und der Gesetze, und ihre gedungenen Rotten übten von ihren Burgen aus unerhörte Erpressungen und die ärgsten Gräuel. Da half kein Gesetz, wo die Hüter und Vollstrecker des Gesetzes selbst die Verbrecher waren! Des Kaisers Gebote wurden öffentlich verhöhnt und verspottet. Die Krone setzte sich der Uebermuth auf, als die Räuberbande des rheinischen Pfalzgrafen den Kaiser Adolf, den Nassauer, eben als er nach Frankfurt zur Krönung zog, bei Fürstenberg überfiel, mit seinem Gefolge gefangen nahm, ihn auf die Burg schleppte und dort so lange gefangen hielt, bis er sich mit schwerem Lösegeld losgekauft. Vergeltung blieb nicht aus. Nach seiner Befreiung unternahm der Kaiser einen Zug gegen die Friedensstörer, Fürstenberg wurde zerstört (1293) und zugleich die meisten übrigen Raubburgen am Rhein.

Fünfzig Jahre später erhob Fürstenberg sich wieder aus dem Schutte, schöner und stattlicher als zuvor. Aber bald nach seiner Vollendung versetzte es das pfalzgräfliche Haus an Trier, und dieses blieb in seinem Besitze, bis im dreißigjährigen Kriege es die Franzosen (1632) sprengten und einäscherten. Seit dieser Zeit ist es Ruine.

Innerhalb dieser düstern Mauern erwartet den Wanderer eine seltne Ueberraschung. Tritt er durch den alten Thorweg, so sieht er sich mit den schönsten blühenden Gewächsen und Fruchtbäumen umringt und erstaunt bemerkt er, daß diese Trümmer die Reize des anmuthigsten Gartens verstecken. Ein freundlicher Pavillon, mit schöner Aussicht, ist der Ruine eingebaut. Die ganze heitere Anlage ist das Werk und das Eigenthum eines Weinhändlers aus Nieder-Heimbach, eines Mannes, der die Liebe für die schöne Natur mit Bildung und Gastfreundschaft vereinigt.