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Seite:Meyers Universum 5. Band 1838.djvu/78

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Mit solchen Empfindungen durchwanderten Seetzen, Burkhardt und Bukingham die berühmten Ruinen, von denen unser vortrefflicher Stahlstich eine Gruppe darstellt. Nur mit denen von Palmyra sind sie zu vergleichen; aber sie haben vor jenen noch eine bessere Erhaltung, eine weit größere Mannichfaltigkeit und den Vortheil voraus, daß sie in einer zwar unbebauten, aber malerischen und schönen Landschaft liegen, während jene von dem Sande der Wüste, von Heerden wilder Thiere, und noch mehr gefürchteter Menschen umgeben sind, Gefahren, welche den ruhigen, ästhetischen Genuß sehr beeinträchtigen. – Merkwürdig ist es, daß bis zum Beginne dieses Jahrhunderts das Daseyn dieser herrlichen Trümmerwelt gänzlich unbekannt geblieben. Erst Seetzen fand sie auf und erkannte in derselben das uralte Gerasa, eine der „Zehnstädte“ und in der Kaiserzeit der schönste und blühendste Ort in Syrien.

Die Ruinen liegen am südlichen Ende des Sees Tiberias, in einer hügeligen, schönen, aber gänzlich verlassenen Gegend. Westwärts herkommend führt der Weg zuerst über die Necropolis, einen fast eine halbe Stunde großen Raum, der mit Bruchstücken von Grabsteinen und Sarkophagen übersäet ist. Unmittelbar an die Necropolis stößt die alte Stadtmauer, und an der nordwestlichen Seite derselben erhebt sich, von einem Hügel, die majestätische Ruine eines großen corinthischen Tempels, gegenüber dem Nordwestthore der Stadt. Zwölf Säulen, jede 51 Fuß hoch, stehen noch aufrecht; die 28 andern sind niedergeworfen und zertrümmert, und fast der ganze übrige Theil des Gebäudes liegt unkenntlich in hoch überranktem Schutt. Nahe dabei ist ein zweiter, kleinerer, nicht weniger verfallener Tempel, und unfern von diesem ein großes Theater, fast vollkommen erhalten. Die steinernen Sitze sind unbeschädigt, die Mauer hinter dem Proszenium steht noch aufrecht, und ebenso der größere Theil der Säulen, welche das Innere schmückten. Seitwärts vom Theater ist ein dritter, sehr großer Tempel, ebenfalls corinthischer Ordnung. Blos drei Seiten der Cella stehen noch; alles Andere, Säulenhalle, Portikus, Peristyl, liegt in Schutt. Eine 120 Fuß breite Marmortreppe führt zur Höhe dieses Tempels, und von dem Plateau hat man einen herrlichen Ueberblick aller Trümmer. Die Stadt bildet ein Viereck, von mindestens einer Stunde Umfang. Sie hat 4 Thore, welche zu den Hauptstraßen führen, die sich in rechten Winkeln kreuzen. Noch stehen die Hauserwände zu beiden Seiten der Straßen, eingefaßt mit unabsehlichen Colonnaden in corinthischer oder jonischer Ordnung. Die Mitte der Stadt bildet ein Cirkus, mit einer Doppelcolonnade, jonischen Styls, umgeben. 76 Säulen stehen noch, jede 25 Fuß hoch und aus einem Stücke. Wahrscheinlich war hier das Forum, und Piedestals, die aus dem tiefen Schutte, welcher den Raum bedeckt, hervorragen, trugen ohne Zweifel Bildsäulen und Denkmäler. Auch ein ziemlich wohlerhaltener Triumphbogen zierte diesen Platz, und 2 kleine Tempel von den anmuthigsten Verhältnissen. – Auf der andern Stadtseite, außerhalb der Mauer, dem westlichen Thore gegenüber, steht ein halbrunder Tempel von der imposantesten Form und Größe, dessen Portikus Säulen von 58 Fuß Höhe

Empfohlene Zitierweise:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Fünfter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1838, Seite 70. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_5._Band_1838.djvu/78&oldid=- (Version vom 25.8.2024)