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Die kleinste deutsche Residenz

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Titel: Die kleinste deutsche Residenz
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aus: Die Gartenlaube, Heft 4, S. 53–54
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1866
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Ein gemüthliches Genrebild aus der deutschen Reichsconfusion
Berichtigung: Die Schweiz und Liechtenstein
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[53]
Die kleinste deutsche Residenz.
Ein gemüthliches Genrebild aus der deutschen Reichconfusion.


Mein Weg ging rheinauf, von Rorschach am Bodensee nach Ragaz und Chur. Etwa in der Mitte unserer schönen Bahnfahrt fiel mir drüben jenseit des jungen Stroms eine kleine Gruppe weißer Häuschen auf einem Bergvorsprunge auf, die weiter höhwärts das Mauerwerk einer alten Burg überragte. Das Ganze hatte etwas eigenthümlich Malerisches; ich frug darum meinen Nachbar in dem langen amerikanischen Wagensalon nach dem Namen von Ort und Schloß. „Das ist Vaduz, Herr“ entgegnete der Schweizer mit einer unverkennbaren Verachtung in Ton und Manier, „Vaduz, die Hauptstadt des souverainen deutschen – Fürstenthums Liechtenstein.“

Die Miniaturresidenz des Miniaturstaates reizte mich. Auf

Schloß Vaduz.

der Rückfahrt stieg ich darum in Sevelen aus, ließ mich über den hier in mannigfache Arme getheilten Rhein setzen, dessen Hochwasser fast alljährlich die Landschaft verwüsten, und stieg an einer Grenzsäule mit dem Liechtenstein’schen Wappen und der stolzen Inschrift: „Grenze des souverainen Fürstenthums Liechtenstein“ durch eine ziemlich trostlose Sandwüste den Hügel zum Flecken hinan.

Schon in seinen Baulichkeiten trug der Ort, der kaum mehr als einhundert und fünfzig Häuser zählen dürfte, den Stempel tiefer Armuth. Im Gasthof des Ortsbürgermeisters wurde ich freundlich aufgenommen. Derselbe hat auf einer kleinen Anhöhe eine bezaubernde Lage. Zur Linken erhebt sich das alte Schloß auf steilen Felsen, den Abhängen des Schwesterngebirges; die Mitte der Landschaft wird durch die riesenhaften Formen der Mittagsspitze mit ihren Felszacken und Schneefeldern eingenommen, und zur Rechten ragen die grotesken Linien der Schweizer Berge unmittelbar von den Ufern des wilden Rheins auf. Wie contrastirt mit diesem reichen Landschaftsbilde die Bevölkerung. Ueberall die augenfälligen Spuren von Noth und Dürftigkeit. Die Leute klagten mir ihr Elend. Sie hatten vorzüglich mit zwei schweren Feinden zu kämpfen. Die sterilen schroff ansteigenden Bergabhänge senden fortwährend Massen von Steingeröllen in das Thal und auf ihre Besitzungen, die aus einigen Weingärten und Wiesen bestehen, herab und der Rhein reißt ihnen den wenigen fruchtbaren Boden unter den Füßen hinweg und verringert die Möglichkeit des kargen Erwerbes von Jahr zu Jahr.

„Wie glücklich doch unsere Nachbarn, die Schweizer, uns gegenüber daran sind!“ sagte mir ein alter Weinbauer von Vaduz, „sie haben nicht mehr Steuern als wir, sind freie Leute und jetzt, wo unser Fürstenthum aus Mangel an Mitteln sammt dem mächtigen Oesterreich die Regulirung unseres Rheinufers auszuführen nicht im Stande ist, wird die Schweizer Regierung die jenseitigen Flußufer ohne Rücksicht auf uns in Ordnung bringen, und wir haben die Aussicht, doppelt mehr Land zu verlieren als zeither.“

Ich klomm die steilen Abhänge zum Schloß hinan, welches ein Conglomerat der verschiedenartigsten Gebäude ist. Zunächst in die Augen fallend ist ein großer runder, aus starken Felsenblöcken erbauter und nach der Eingangsseite mit dichtem Epheu überzogener Festungsthurm; wenn auch in seinem jetzigen Zustand Ruine, ein prächtiges Stück Mittelalter. Nur ein Theil der den Schloßhof bildenden Gebäude war neu, oder in einem abscheulichen Style restaurirt. Während ich mir das Gemäuer beschaute, hörte ich fernen Hörnerklang. Das fürstlich Liechtenstein’sche Bundescontingent war von seinen Exercirübungen auf dem Nachhausemarsch begriffen und bezog jene häßlichen Neubauten, welche ihm als Caserne dienen. Ich zählte im Ganzen dreißig Mann und zwar einundzwanzig Soldaten und neun Chargen, lauter kräftig sehnige Figuren, echte Gebirgskinder.

Man hatte mir gesagt, daß Seine Durchlaucht der Landesfürst es nicht verschmähe, den selbsterbauten Wein in den Räumen seines Ahnenschlosses seinen Unterthanen und den Besuchern auszuschenken. Mein Stern führte mich denn auch bald in jene heiligen Räume. Die Wirthschaft befand sich in großen weitläufigen Sälen des Hauptschloßgebäudes. Der Pächter derselben, welcher zugleich darin sein Handwerk, die Tischlerei, ausübt, empfing mich überaus zuvorkommend und ich fand in ihm einen weit über seine Verhältnisse hinaus gebildeten Mann. Die Aussicht von den Fenstern seiner Behausung über das vierhundert Fuß senkrecht darunter liegende Vaduz, über das Rheinthal und die gegenüber aufragenden Appenzeller Alpen ist unvergleichlich schön. Bald hatte sich eine heitere Gesellschaft Localkundiger zusammengefunden und die Situation des kleinen Fürstenthums wurde das Tischgespräch. Auch der Höchstcommandirende des fürstlichen Bundesheeres, ein Oberlieutenant, welcher zugleich die Stelle eines Landesvermessers inne hat, war erschienen.

Was konnte wohl näher liegen, als daß man der Drangsale des kleinen Ländchens, der steigenden Armuth gedachte, welche die Kämpfe der Natur, verbunden mit dem volkswirthschaftswidrigen Regime der fürstlichen Regierung, hervorgerufen hatte. Und wieder wurden im Gegensatze die ungeheueren Hülfsquellen des Fürsten hervorgehoben, welcher, trotz der notorisch zweifelhaften Wirthschaft seines Hausgeistlichen, der zugleich sein Bevollmächtigter ist, dennoch jährlich gegen drei Millionen Gulden zu verzehren hat.

Ich selbst kannte die Liechtenstein’sche Wirthschaft von Oesterreich her, speciell von den Stammgütern Lundenburg, Eisgrub und Feldsberg. Dort entblödet man sich zum Beispiel nicht, jahraus jahrein die für die Herbstjagden bestimmten zahllosen Fasanenheerden mit dem ausgesuchtesten Hirsen und dem besten Banater Weizen zu füttern, während die armen kroatischen und slavonischen Unterthanen dieser Dörfer oft weder hinreichend Erdäpfel noch Kukurutz (türkischer Weizen) zur Nahrung haben. So viel wurde mir klar, das Ländchen mit seinen eilf kleinen Gemeinden [54] ist nur von dem einen Wunsche beseelt, dem, sich der freien Schweiz anschließen zu dürfen. – Später hörte ich an anderer Stelle noch Manches über die Liechtenstein’schen Zustände, älteren und neueren Datums. Ich erzähle es wieder, wie mir’s berichtet wurde; weil die Geschichten gar so ergötzlich sind, ohne indeß die Wahrheit des Vernommenen in allen Stücken verbürgen zu wollen.

Des souverainen Herrschergeschlechts von Liechtenstein Urahn war ein Lombarde aus der berühmten italienischen Familie Este. Er kam über die Schweizer Berge nach Deutschland, um Geld und sein Glück zu machen, zu welchem Zweck er zunächst eine kleine Prinzessin aus dem Hause Schwaben heirathete (1145). Nach zehn Jahren hatte er zehn Kinder, aber noch keine Mitgift für sie, geschweige ein Land. Aber er machte mit Scharfsinn und hohen Zinsen immer größere Geldgeschäfte, so daß er endlich auch deutschen Fürsten und Rittern gegen gute Sicherheit borgte, besonders gegen Verpfändung von Gütern und Landstückchen. Wenn dann die Herren Schuldner zurückzahlen sollten, fehlte es oft an Geld, so daß sich der Liechtensteiner an die Pfänder hielt. So gewann er durch dieses Pfänderspiel Geld und Gut und hohe Connexionen. Endlich bekam ein Nachfolger (denn sie setzten das Geschäft mit immer größeren Mitteln fort von Geschlecht zu Geschlecht) 1614 vom Kaiser Matthias als Zahlung das ganze kleine Fürstenthum Troppau in Schlesien. Dazu fügte Kaiser Ferdinand der Zweite neun Jahre später Jägerndorf und den Titel „Fürst des heiligen römischen Reichs“. Während der Zeit kaufte sich der neue Fürst auch Vaduz und Schellenberg am Rhein dicht an den Grenzen der Schweizer Berge, weil es schon damals dort so schön war, wie es noch heute ist. Sie ließen sich dort nieder, kauften mehr dazu und regierten seitdem dort als ziemlich souveraine Fürsten von Liechtenstein über ihr Häuflein von Unterthanen. Sowohl im Frieden von Osnabrück und Münster, als auf dem Wiener Congreß blieben die Souverainetätsrechte der Liechtensteiner unangetastet. Sie erhielten sogar eine ganze Stimme im deutschen Bunde. Dafür verpflichteten sie sich blos, fünfzig Mann Soldaten und einen Trommler zur Bundes-Armee zu stellen. Fünfzig Mann und einen Trommler! Das merke man, denn sie sind wichtig.

Die Unterthanen des Fürstenthums Liechtenstein, nicht mehr als die Einwohner einer kleinen Stadt, nämlich nicht viel über achttausend, sind friedliche und Unabhängigkeit von unnöthigen Geldausgaben liebende Leute. Die Großen der Hauptstadt Vaduz wählten schon 1816 eine Deputation an den Fürsten Johann den Ersten und sagten ihm mit acker- und freibürgerlicher Offenheit, daß sie zwar nichts dagegen hätten, sich von ihm regieren zu lassen, aber nicht auch dafür bezahlen wollten, zumal da er, der Fürst, sehr reich sei. Auch möchten sie die fünfzig Mann und den Trommler lieber zu Hause behalten, weil sie hier besser gebraucht werden könnten bei der Arbeit, als in dem Soldatenthume, das Geld koste und nichts thue.

Se. hochfürstliche Durchlaucht war ein außerordentlich reicher, aber auch ein sehr braver Mann und sagte: „Liebe Kinder, ich brauch’ Euer Geld nicht und will gern umsonst regieren. Auch will ich Euch die fünfzig Mann und den Trommler lassen und sie mir aus meiner Tasche anderweitig für die Bundesarmee verschaffen.“ Das war ein schönes Versprechen und er hielt’s auch. Die fünfzig Mann und den Trommler ließ er von nun an gegen Entschädigung von Oesterreich besorgen. Dazu regierte er ohne Honorar. So ging’s friedlich, freundschaftlich und steuerfrei fort bis 1836, als Fürst Aloysius der Erste den Thron seiner Väter bestieg in der Haupt- und Residenzstadt Vaduz. Die Eingebornen von Vaduz ließen sich’s bei dieser Gelegenheit etwas kosten, bauten eine Ehrenpforte, illuminirten und brannten für mehrere Gulden Feuerwerk ab.

Hinterher steckten aber die Weisesten von Vaduz ihre Köpfe zusammen, nachdem sie dieselben vorher nachdenklich geschüttelt hatten, und huben an miteinander so zu reden: „Unser erhabener Monarch regiert uns ganz unentgeltlich, das ist wahr, aber Ihr habt gesehen, Kinder, daß er uns doch noch immer manchen schönen Groschen Geld kostet. Wir haben die Ehrenpforte gemacht, haben ein Feuerwerk abgebrannt, haben überhaupt bei den jeweiligen Besuchen Seiner Durchlaucht, bei Jagden und andern hochfürstlichen Vergnügungen doch nicht unbedeutende Ausgaben, die uns geniren, versäumen dabei Zeit und werden dadurch an Geschäft und Gewerbe geschädigt! Also haben wir’s immer noch nicht umsonst. Jedenfalls macht’s ihm aber Vergnügen, uns zu regieren. Dieses hat einen großen Werth für ihn und er hat Geld. Stellen wir ihm einmal die Sache ordentlich vor.“ Und so wählten die Eingebornen von Vaduz die weisesten und angesehensten Bürger zu einer Deputation aus und entsandten diese vor die Stufen des Thrones. Hier brachten sie ihre drückende Beschwerde, daß ihnen der unentgeltlich regierende Fürst doch noch Kosten verursache und daß er sie für sein Vergnügen, sie zu regieren, entschädigen möchte, mit solchem Nachdruck zur Sprache, daß der gute Monarch ordentlich gerührt ward und Entschädigung versprach. Sie wurden mit ihm über eine jährliche Entschädigungssumme handelseins und er bezahlte sie mit musterhafter Pünktlichkeit.

Damit hatten’s die Liechtensteiner zu einer politischen Stellung gebracht, die weder in der Vergangenheit, noch in der Gegenwart der Welt ihres Gleichen findet. Statt ihre Regierung zu bezahlen, haben sie dieselbe nicht nur umsonst, sondern werden auch noch dafür entschädigt, daß sie sich regieren lassen. Weiter konnten sie’s doch nun unmöglich bringen. O doch! Wer blonde Haare hat, will sie auch noch gekräuselt haben, sagt ein Sprüchwort. Fürst Johann der Zweite von Liechtenstein sagte eines schönen Morgens zu sich selbst: „Da ich nicht nur keine Civilliste beziehe, sondern für meine Arbeit meine Unterthanen sogar auch noch entschädige, darf ich mir doch wohl auch die Freiheit nehmen, wenigstens nach meinem Geschmack und wo ich will, zu leben. Diese meine Haupt- und Residenzstadt Vaduz ist sehr langweilig. Ich habe Geld genug und will damit in der Kaiserstadt Wien leben.“

Fürst Johann der Zweite zieht also nach Wien, baut sich einen prachtvollen Palast und lebt herrlich und in Freuden darin. Das Regieren und die Entschädigung dafür besorgt er schriftlich und durch einen Minister. Aber da stecken die Liechtensteiner in Vaduz wieder die Köpfe zusammen, nachdem sie dieselben vorher nachdenklich geschüttelt hatten, und sprachen zu einander: „Wir müssen eine Deputation erwählen, nach Wien schicken und unserm Allergnädigsten unsere Beschwerden vortragen.“

So war eines schönen Morgens der Fürst kaum aus dem Bette, als sich ein Dutzend der höchsten Vaduzer anmelden ließ. Sie wurden alle Zwölf vorgelassen und sprachen nach Abmachung gehöriger Kratzfüße des Inhalts zu ihrem allergnädigsten Landesvater: „Wir bezahlen nichts an Euere Durchlaucht für’s Regieren, im Gegentheil Euere Durchlaucht entschädigen uns dafür, daß wir uns regieren lassen. Das ist ausgezeichnet. Aber Euere Durchlaucht haben heidenmäßig viel Geld und lassen halt viel drauf gehen hier in Wien, so daß uns aller Verdienst dabei entzogen wird. Wir bitten daher Euere Durchlaucht, wenigstens alle Jahre sechs Monate in unserm lieben Vaduz zu leben, wobei wir zwar immer noch viel Geld einbüßen, aber das wollen wir nicht so genau nehmen. Schenken Sie uns also gefälligst wenigstens Ihre halbe Gegenwart und eine kleine Zugabe, nämlich eine Constitution.“

Fürst Johann der Zweite bewilligte auch dies und gab eine Constitution zu, nach welcher die Liechtensteiner fünfzehn Abgeordnete wählen, die vom Fürsten ebenfalls bezahlt werden.

Jetzt konnten die Liechtensteiner beim besten Willen nichts weiter verlangen. O doch!

Der in der That ausgezeichnete und gutmüthige Fürst sagte, da er nicht nur keine Civilliste beziehe, sondern auch für seine Regierung bezahle, wolle er nun wenigstens nicht auch noch alle Jahre fünfzig Soldaten und einen Trommler kaufen, die Liechtensteiner sollten ihre Bundespflicht nun selbst erfüllen. Aber die Vaduzer stecken wieder ihre vorher nachdenklich geschüttelten Köpfe zusammen und sagen: „Das thun wir nun accurat nicht. Bundespflicht! Wir Bundespflichten? Fünfzig Mann und einen Trommler? Gar nicht dran zu denken! Der Fürst kann’s bezahlen wie seine Vorfahren. Wir haben einmal die alte Gerechtigkeit.“

Der Fürst ist standhaft gegen diese Zumuthung geblieben und hat bereits gedroht, daß er sein Land mit den Leuten dem Kaiserthum Oesterreich übergeben werde, wenn man fortfahre, ihm den Kopf warm zu machen. Die Liechtensteiner wehren sich dagegen mit trotzigen Worten (Waffen sind nicht da) und wollten sich lieber den Schweizern übergeben. Seitdem aber dort gerynickert ward, hat ihre republikanische Gesinnung einen kleinen Stoß erlitten, sie wollen aber immer noch nicht kaiserlich werden, sondern ihren lieben Fürsten behalten, der nicht nur nichts kostet, sondern auch noch bezahlt. Nur soll er auch die fünfzig Mann und den Trommler auf seine Rechnung besorgen. Der Fürst thut’s nicht, die Liechtensteiner wollen nicht herausrücken. Wie werden die Würfel im kleinsten Staate, dem größten Wunder, fallen?