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Die Erziehung zur Arbeit

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Textdaten
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Autor: Karl Biedermann
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Titel: Die Erziehung zur Arbeit
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 4, S. 64–67
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1880
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[64]
Die Erziehung zur Arbeit.
Eine Forderung des Lebens an die Schule.
Von Karl Biedermann.

Durch die Bildungsgeschichte unseres deutschen Volkes zieht sich in den letzten zwei, drei Jahrhunderten wie ein rother Faden hindurch der immerfort nach Vermittlung ringende, aber auch immer wieder auseinanderklaffende Gegensatz von Wissen und Können, Theorie und Praxis, Schule und Leben.

Manche von unseren bedeutendsten Gelehrten selbst haben diesen Uebelstand tief empfunden und an dessen Beseitigung gearbeitet. Leibnitz eiferte wiederholt gegen die Vernachlässigung der Realien (Naturwissenschaften, Geschichte, Geographie) und der Muttersprache über der allzu ausgedehnten Beschäftigung mit dem Alterthum; das Gleiche thaten namhafte Pädagogen, wie Ratich und Comenius, ja selbst classische Philologen, wie Gesner. Galt dies für die höheren Stufen des Unterrichts, so konnte allmählich auch die niedere, Elementar- oder Volksschule sich der Forderung nicht entziehen, daß sie mehr als bisher „für’s Leben“ erziehen und vorbilden sollte.

Die wirksamen ersten Anregungen zu einer Ergänzung des bloßen „Lernens“ in der Schule durch einen mehr auf das „Können“, auf die praktische Uebung auch der äußeren Fähigkeiten des Kindes, der Sinne und Gliedmaßen, gerichteten Unterricht kamen uns Deutschen von außen, von England und Frankreich her. Locke und Rousseau waren es, die auf die Herstellung eines größeren Gleichmaßes zwischen Körper und Geist in der Erziehung und deshalb auf die Aufnahme gewisser mechanischer Beschäftigungen in das System des Unterrichts drangen. Die deutsche Pädagogik erfaßte den Gedanken mit großer Wärme, besonders die sogenannten Philanthropen, Basedow und seine Schüler. Noch heute werden mechanische Beschäftigungen neben den gewöhnlichen Lernstunden in der einzigen aus jener Zeit noch übrigen Tochteranstalt des Basedow’schen Philanthropins, der von Salzmann gegründeten Erziehungsanstalt zu Schnepfenthal in Thüringen, getrieben. Salzmann’s „Ameisenbüchlein“ und seine Schrift „Ueber die Erziehungsanstalt zu Schnepfenthal“, sowie seines Schülers Blasche Schrift „Grundsätze der Jugendbildung zur Industrie als Gegenstand der allgemeinen Menschenbildung“ behandeln dieses Thema in lehrreicher Weise.

Die Regierungen selbst faßten den Gedanken einer Fruchtbarmachung der Schule für das Leben in’s Auge, und so entstanden in verschiedenen deutschen Ländern sogenannte „Industrie-“ oder „Erwerbsschulen“, von denen einzelne noch heute existiren. Namentlich die weibliche Jugend (allerdings nur die der unteren Stände) ward in diesen Schulen in den einfachsten weiblichen Handarbeiter geübt und dadurch zum Fortkommen im Leben geschickter gemacht.

Umfassender in ihrem Plane und zugleich von größerer Lebensfähigkeit waren die 1796 von dem edelsinnigen Herzog Peter von Oldenburg auf seinen Fideicommißgütern im Eutin’schen in Holstein errichteten „Arbeitsschulen für Landgemeinden“. Dieselben bestehen noch heute, wenn auch mit etwas veränderten Lehrplane. Der menschenfreundliche Herzog hatte die Leibeigenschaft auf seinen Gütern aufgehoben und wollte bewirken, daß die sich selbst überlassene ländliche Bevölkerung auch die neue Freiheit recht gebrauchen lerne, daß sie nicht in Müßiggang verfalle, vielmehr von früh auf in der Liebe und Gewöhnung zur Arbeitsamkeit geübt werde. Jene Schulen erscheinen im Sommer als „Gartenschulen“, im Winter als „Spinn-, Näh- und Strickschulen“ für die Mädchen und als „Klüterschulen“ (Schulen für Holzarbeiten) für die Knaben. Die „Klüterschule“ soll nach der ausgesprochenen Absicht ihres Stifters „nicht die Knaben zu Handwerkern bilden“, wohl aber sie „im Gebrauch der verschiedenen Werkzeuge ihres künftigen Berufs und in der Fertigung solcher Arbeiten üben, welche im Hause, im Stall in der Scheune etc. des Landmannes vorkommen“. Diese Schule haben sich, wie Michelsen in seiner Schrift über dieselben bezeugt, als sehr wohlthätig bewährt.

Wie im Norden, so faßte auch im Süden, in der Schweiz, der Gedanke der „Arbeitsschule“ kräftige Wurzel. Der Pädagog Pestalozzi pflegte ihn dort theoretisch; sein Zeitgenosse Fellenberg, ein großer Landwirth, Besitzer des Gutes Hofwyl, verwirklichte ihn praktisch – allerdings hauptsächlich nur nach der landwirthschaftlichcn Seite hin und für ärmere Kinder. Landwirthschaftliche Arbeiten waren in den Fellenberg’schen Anstalten die Hauptsache, der theoretische Unterricht ward nur dazwischen hinein (in drei Stunden täglich) gegeben; man glaubte aber zu bemerken, daß dieses geringe Maß ebensoviel, ja mehr wirke, als in anderen Lernschulen ein weit größeres, weil die Zöglinge von den körperlichen Arbeiten geistig erfrischt zum theoretischen Unterricht zurückkehrten. [65] Einen für diese Art von Erziehung ganz besonders befähigten Lehrer fand Fellenberg in Jakob Wehrli, nach welchem denn auch sowohl die von Fellenberg selbst, wie die nach dessen Vorgang anderwärts errichteten Arbeitsschulen „Wehrli-Schulen“ benannt wurden. Aehnliche Einrichtungen entstanden in Frankreich, in England, in Belgien. Besonders gut organisirt und von den besten Erfolgen begleitet waren nach zuverlässigen Berichten die in Mettray in Frankreich (1840) und in Ruyffelede in Belgien (1849) begründeten. In Deutschland machten sich um Errichtung von „Wehrli-Schulen“ verdient die zu Pestalozzi's hundertjährigem Geburtstage entstandenen „Pestalozzi-Vereine“ und der um dieselbe Zeit in Wirksamkeit getretene „Verein für das Wohl der arbeitenden Classen“ in Preußen.

Alle diese Anstalten verfolgten vorzugsweise den Zweck, arme, besonders auch verwahrloste Kinder durch das sittlich bildende Mittel geregelter Arbeit an Ordnung, Thätigkeit und Betriebsamkeit zu gewöhnen, und sie erwiesen sich für Erreichung dieses Zweckes als sehr fruchtbar.

Wieder in anderer Weise machte Pestalozzi's Schüler und Nachfolger auf dem Gebiete der Pädagogik, Friedrich Fröbel, das Princip der „Erziehung zur Arbeit“ nutzbar. Zunächst ward in der von ihm gegründeten Erziehungsanstalt zu Keilhau bei Rudolstadt die Verbindung von Arbeit und Unterricht in ganz ähnlicher Weise in's Werk gesetzt, wie in Schnepfenthal. Außerdem aber ist Fröbel bekannt als der Vater der „Kindergärten“, die eine so große Ausbreitung erlangten und in mancher Hinsicht ganz günstig wirkten. Ihnen liegt die Idee zu Grunde, den dem Kinde angeborenen Spieltrieb zu planmäßigen Beschäftigungen zu entwickeln und zu verwerthen, durch welche Hand, Auge, Form- und Schönheitsinn der Kleinen in leichter und geregelter Weise geübt und ausgebildet werden sollen. Dergleichen Beschäftigungen sind das Stäbchenlegen, die Herstellung von allerhand Gegenständen aus verbundenen Stäbchen und Erbsen, das Flechten aus Papier und anderen Stoffen, das Bauen mit Bausteinen u. dergl. m. Bisweilen ist man dabei wohl zu systematisch für dieses Kindesalter verfahren und so theilweise in Künstelei verfallen, allein der Grundgedanke ist jedenfalls ein gesunder: den Thätigkeitstrieb des Kindes, der, sich selbst überlassen, sich leicht zerstörend äußert, in den richtigeren Weg des Schaffens überzuleiten und so unbemerkt ihm eine ernstere Richtung zu geben.

Eine sehr zweckmäßige Erweiterung der Fröbel'schen Spiele bietet die „Arbeitsschule“ von Schmidt und Seydel in Weimar (Verlag von H. Böhlau daselbst), eine planmäßig vom Leichten zum Schwereren fortschreitende Reihenfolge von Aufgaben zu Arbeiten für etwas ältere Kinder.

Auch in einzelnen Privaterziehungsanstalten, z. B. der des Dr. Barth in Leipzig, ward das Princip der Arbeit mehrfach zur Anwendung gebracht. Ebenso werden in der Realschule zu Leipzig von Schülern allerhand kleine mathematische, physikalische, astronomische und andere Lehrapparate gefertigt, gewiß ebenfalls eine sehr gute Uebung.

Neben diesen praktischen Versuchen zur Einführung geregelter mechanischer Beschäftigungen in das System der Erziehung entstand nun auch in den vierziger und fünfziger Jahren in Deutschland eine reiche pädagogische Literatur, welche indirect oder direct auf das gleiche Ziel hinarbeitete, auf die, wie es damals hieß, Versöhnung der Schule mit dem Leben. Indirect geschah dies durch Aufdeckung von allerhand Mängeln der sogenannten Lernschule. Man klagte darüber, daß diese für die Charakterbildung und die Vorbereitung der Jugend für's praktische Leben zu wenig leiste, daß sie zu einseitig blos das Gedächtniß in Anspruch nehme, daß ihre Ergebnisse unzureichende, insbesondere aber nicht genug nachhaltige seien u. dergl. m. Und zwar wurden solche Klagen – merkwürdiger Weise! – gerade von Schulmännern, Schul- und Seminardirectoren erhoben, also solchen denen man einerseits genaueste Kenntniß des Gegenstandes zutrauen konnte, und von denen andererseits nicht anzunehmen war, daß sie von einem Vorurtheil gegen die bestehenden Schulanstalten geleitet würden. Zu ihnen gehörten Männer wie Vogel, Scherr, Curtmann, Kirchmann, Kellner, Diesterweg. In allen jenen Klagen klang zugleich mehr oder weniger direct der Gedanke an, daß eine wirksame Abhülfe der wahrgenommenen Uebelstände nur in einer größeren Berücksichtigung der körperlichen Kraft und Fähigkeit, der Sinne und Gliedmaßen zu finden sei.

Auch in den Versammlungen deutscher Lehrer ward zu Anfang der fünfziger Jahre die Frage der sogenannten „Erziehung zur Arbeit“ mehrfach discutiert, ohne daß es indeß zu einem greifbaren Resultat gekommen wäre.

Der Verfasser gegenwärtigen Aufsatzes hat damals in einer Schrift unter dem Titel „Die Erziehung zur Arbeit, eine Forderung des Lebeus an die Schule“ von Karl Friedrich (1852, Leipzig, Avenarius und Mendelssohn) das ganze bis dahin angesammelte Material sowohl von theoretischen Ausführungen wie von praktischen Versuchen zur Lösung der so hochwichtige Frage in möglichster Vollständigkeit zusammengestellt.

Diese scheinbar so lebhafte Reformbewegung wurde indeß damals, wie das zu gehen pflegt, von anderen Fragen und anderen Interessen in den Hintergrund gedrängt.

Neuerlich nun, das heißt seit Anfang der siebenziger Jahre, ist die Frage der „Erziehung zur Arbeit“ wiederum angeregt, ja sind auch schon zum Theil recht vielversprechende Anfänge zur praktische Lösung des Problems gemacht worden. Leider auch jetzt, wie schon im vorigen Jahrhundert, nicht von Deutschland aus, sondern vom Auslande. Und zwar ist es diesmal der skandinavische Norden, der die Initiative ergriffen hat. Dort handelt es sich in erster Linie um Erreichung und Förderung des sogenannten „Hausfleißes“, mit anderen Worten, um Anregung und Anleitung zunächst der (dort bei Weitem überwiegenden) ländlichen Bevölkerung zur Benutzung namentlich der im Winter ihr aufgedrungenen Muße, überhaupt aber ihrer freien Zeit, z. B. an den Abenden, zu solchen häuslichen Arbeiten, die theils einen gewissen wirthschaftlichen Werth für sie haben, theils den großen moralischen Nutzen versprechen, daß dadurch die Männer vom Besuche öffentlicher Orte, von Spiel und Trunk abgelenkt und zu größerer Häuslichkeit gewöhnt werden.

Den ersten Anstoß dazu gab ein Privatmann, der Rittmeister a. D. Clauson Kaas zu Kopenhagen. Als Officier in einem kleinen Garnisonsorte stehend, wo es an guten Schulen fehlte, kam der sehr praktisch angelegte Mann auf den Gedanken, seine Kinder selbst zu erziehen und hierbei neben den theoretischen Wissensgegenständen auch praktische, mechanische Beschäftigungen anzuwenden. Er that dies mit so viel Erfolg, daß bald auch andere Eltern ihn baten, ihre Kinder in seinen Unterricht mit aufzunehmen, und daß sich so eine förmliche Schule um ihn bildete. Das Gleiche geschah in Kopenhagen, wohin er später versetzt ward. Dies veranlaßte ihn, 1864 seinen Abschied zu nehmen, um sich ganz dem Erziehungsfache zu widmen. Es gelang ihm, seiner Ansicht von der Nützlichkeit des „Arbeitsunterrichts“ in weiteren Kreisen Geltung zu verschaffen, wobei er von einem ihm geistesverwandten Lehrer, Rom, unterstützt ward. Seit 1871 giebt er eine Monatsschrift heraus, „Nordisk Husflids-Tidende“ („Nordische Hausfleiß-Zeitung“) mit Abbildungen, worin er für seine Idee Propaganda macht; in einer zweiten Monatsschrift, „Husflids-Meddelelser“ („Hausfleiß-Mittheilungen“), erstattet er Bericht über die Fortschritte der Hausfleißvereine.

Auf Clauson's Betrieb entstand nämlich schon 1873 in Kopenhagen eine „Hausfleißgesellschaft“, die überall im Lande zur Gründung von „Hausfleißvereinen“ anregt; 1877 bestanden deren schon 61 nebst 26 Hausfleißschulen. Die Hauptgesellschaft zählte 553 Mitglieder. Sie wird sowohl von der Regierung, wie von einer großen Anzahl von Gemeinden, Vereinen etc. mit Geldmitteln unterstützt. Die Regierung spendete 1875 4000, 1876 und 1877 je 6000 Kronen (etwa 6800 Mark). Das von Dänemark gegebene Beispiel hat im benachbarten Schweden Nachahmung gefunden – oder, vielleicht richtiger gesagt: der gesunde Volksinstinct in beiden Ländern hatte fast gleichzeitig das tiefe Bedürfniß einer sittlich-wirthschaftlichen und pädagogischen Reform in dieser Richtung empfunden, und die Anregung, die in Dänemark Clauson, in Schweden Graf Clas von Lewenhaupt, in Norwegen Dr. Greve gaben, fanden eben deshalb auch so rasche Verbreitung. Die Sache kam schon 1876 im schwedischen Reichstage zur Sprache, und es ward der Regierung ein Fonds zur Unterstützung der „Hausfleißgesellschaften“ bewilligt. So hat denn die schwedische Regierung 1876 16 solchen Gesellschaften zusammen die Summe von 18,000 Kronen (etwa 20,000 Mark) [66] theils zur Anstellung von Wanderlehrern, theils zur Errichtung besonderer Schulen für den Hausfleiß (Slöjdskolors) angewiesen.

Clauson hat in Kopenhagen eine Bildungsanstalt für Lehrer errichtet, um solche zur zweckmäßigen Ertheilung des praktischen Unterrichts fähig zu machen, und hat sich bereit erklärt, ähnliche Curse auch anderwärts zu halten. In der nächsten Zeit wird ein Cursus in Berlin stattfinden, auch Görlitz hat sich bereits um einen solchen bemüht. In Schweden besteht eine ähnliche Anstalt in dem „Slöjdlehrerseminar“ im Dorfe Nääs, nordöstlich von Gothenburg. Auch giebt es bereits sowohl in Dänemark wie in Schweden eine ziemliche Anzahl von Schulen, in denen neben dem gewöhnlichen Lernunterricht Unterweisung in Hausarbeiten planmäßig ertheilt wird.

Sehen wir uns einmal eine solche „Lern- und Arbeitsschule“ näher an, z. B. die am längsten, schon seit sechs bis sieben Jahren, bestehende, am besten organisirte, zu Landskrona an der Südküste Schwedens! Auch in Schweden ist der gewöhnliche oder Lernunterricht obligatorisch, wennschon nicht ganz in der Ausdehnung wie bei uns, indessen gestattet das Gesetz den einzelnen Schulbehörden in Bezug auf Stundenzahl und Zeiteintheilung eine ziemlich große Freiheit. Demzufolge hat der Schulrath zu Landskrona den Handarbeitsunterricht als obligatorisches Lehrfach für Knaben und Mädchen in der Gemeindeschule eingeführt.

Die Handarbeiten für Knaben begreifen in sich: Tischlerei, Drechslerei, Laubsägen, Bildschnitzerei, Bürstenbinderei. Aus Mangel an Lehrkräften ist dieser Unterricht vor der Hand auf die obersten Classen, Knaben von zehn bis vierzehn Jahren, beschränkt. Die Mädchen, und zwar diese schon vom achten Jahre an, werden im Nähen, Stricken, Spinnen am Spinnrade und Weben des Gesponnenen an kleinen Webstühlen unterrichtet. Der Unterricht der Knaben beginnt mit den einfachsten Manipulationen; dabei werden sie anfänglich in allen oben genannten Beschäftigungen unterwiesen, und nur wenn bei einzelnen Schülern eine besondere Anlage und Neigung zu dieser oder jener Arbeit sich herausstellt, wird der Unterricht mehr auf diese concentrirt und in dieser gründlich betrieben. Besonders wird darauf gesehen, daß die Knaben selbstständig, ohne fremde Hülfe, arbeiten lernen, daß sie ferner mit den Werkzeugen und dem Rohmaterial sorgsam umgehen.

Die solcher Gestalt gefertigten Sachen: Becher, Kästchen, Dosen, Bürsten, Laubsäge-Arbeiten aller Art, geschnitzte Bilderrahmen etc., werden verkauft und der Ertrag davon theils zur Unterhaltung der Werkzeuge, theils zur Anschaffung von Material verwendet, sodaß wenigstens in dieser Beziehung die Schule sich selbst erhält. Die Berichte über den Fleiß und die Anstelligkeit der Kinder lauten sehr günstig; auch versicherte der Director der Anstalt, daß die Schüler durch diese Arbeiten keineswegs in den theoretischen Lehrfächern zurückblieben.

Aehnliche Zeugnisse liegen von den Directoren anderer derartiger Arbeitsschulen im Norden vor. Die Einrichtung dieser Schulen selbst, die Vertheilung des Lern- und des Arbeitsunterrichts etc., ist bei den verschiedenen keineswegs immer die gleiche. Besonders stark betrieben wird der Arbeitsunterricht in der Schule zu Nääs. Bei den Mädchen kommen dort im Winter in der ersten Classe auf fünfzehn Stunden Lernunterricht deren einundzwanzig für Handarbeiten, in der zweiten Classe ist es umgekehrt; im Sommer wird dem Arbeitsunterricht noch mehr Zeit gewidmet. Die Knaben haben sogar neben drei Lern- sieben Arbeitsstunden. Trotz der ziemlich ausgedehnten Arbeitszeit fand der deutsche Besucher der Schule, dem wir diese Mittheilungen verdanken (der Lehrer Hansen), die Knaben wohlaussehend, frisch und munter. Knaben und Mädchen erhalten dort einen Antheil von dem Ertrag ihrer Arbeiten; derselbe wird für sie in Sparcassenbüchern angelegt.

Der „Centralverein für das Wohl der arbeitenden Classen“ in Berlin hat in seiner Zeitschrift „Der Arbeiterfreund“ sehr lehrreiche Berichte deutscher Lehrer (Höhn, Wilski und Hansen) über Beobachtungen veröffentlicht, welche dieselben beim Besuch theils der Lehrerbildungsanstalt des Herrn Clauson, theils der verschiedenen in dieser Richtung thätigen Anstalten in Dänemark und Schweden gemacht haben.

Wie nun verhält sich bisher Deutschland zu dieser im Norden so stark und so nachhaltig auftretenden Bewegung für Einführung der mechanischen Beschäftigungen in den Jugendunterricht? In Folge von Vorträgen, welche der Rittmeister Clauson Kaas 1875 und 1876 an mehreren Orten des nördlichen Deutschlands gehalten (der zu Berlin gehaltene ist gedruckt erschienen unter dem Titel: „Die Arbeitsschule neben der Lernschule und der häusliche Gewerbefleiß.“ Berlin, Simion), entstand 1876 in Berlin ein „Verein für häuslichen Gewerbefleiß“, an dessen Leitung sich Männer wie Gneist, Hammacher, Lippert und Andere betheiligten, dessen eigentlicher Vorsitzender aber Eisenbahndirector Schrader ist. Um dieselbe Zeit nahm in Kiel die dortige Gesellschaft freiwilliger Armenfreunde die Sache in die Hand, in Bremen der dortige Bildungsverein, speciell aber der durch seine gemeinnützige Thätigkeit überhaupt vielverdiente Dr. A. Lammers. Letzterer machte die von ihm herausgegebene Zeitschrift „Nordwest“ zu einem Organ für diese Bestrebungen. In Hannover wandte sich Superintendent Th. Raydt mit einer gedruckt vorliegenden Denkschrift an das Landesdirectorinm zu Hannover, um dasselbe zu einem Kostenbeitrag für Anlernung von Lehrern in der Clauson'schen Anstalt zu veranlassen, und erhielt von dieser Behörde eine zusagende Antwort. Die landwirthschaftlichen Vereine der Provinz Hannover zeigten gleichfalls ein sehr lebhaftes Interesse für Förderung dieser Unternehmung. Unlängst hat auch die „Gemeinnützige Gesellschaft“ in Leipzig die Angelegenheit in die Hand genommen. In Folge eines in ihrer Mitte von Herrn Dr. Lammers gehaltenen Vortrages über „Handfertigkeit und Hausfleiß“ ward eine Commission niedergesetzt, die sich weiter mit der Frage beschäftigen soll, ob und in welcher Weise der Gedanke einer „Erziehung zur Arbeit“ für die hiesigen Verhältnisse praktisch und nutzbar gemacht werden könne.

Nach alledem steht zu hoffen, daß auch in Deutschland jene Idee immer fester Wurzel schlagen und Verbreitung finden wird, um so mehr, als, wie oben gezeigt, dieselbe eigentlich hier nichts Neues, im Gegentheil schon vor mehr als einem Vierteljahrhundert vielfach und lebhaft in der Presse und in der Lehrerwelt discutirt worden ist. Vielleicht ergeht es hiermit, wie es bisher mit so vielen Sachen in unserem lieben Deutschland erging, als deutsche Erfindung oder Anregung mißachtet und unverwerthet geblieben, bekommt ein Ding plötzlich ein ganz anderes Ansehen, wird beachtet und erstrebt, sobald es den Stempel ausländischen Ursprungs trägt. Indessen ist es immer noch besser, wir bekommen diese wichtige pädagogische Reform aus zweiter Hand, als daß sie uns abermals verloren geht, und so wünschen wir von Herzen, daß die in Berlin, Leipzig, Hannover, Bremen und anderen Orten gemachten Anfänge zu einer Verwerthung der Clauson'schen Idee nicht erfolglos bleiben mögen.

Allerdings dürfte für uns in Deutschland – und das erkennen auch diejenigen an, welche sich näher mit jenen skandinavischen Bestrebungen beschäftigt haben – der eine Zweck dieser letzteren, die Weckung des Hausfleißes, nicht in gleichem Maße im Vordergrunde stehen. Wir haben keine so überwiegend mit Landbau beschäftigte Bevölkerung, wie sie dort existirt; unsere Winter sind weniger streng, sodaß die Zeit, wo der Landmann gar nichts in seinem Berufe zu thun hätte, jedenfalls hier viel kürzer ist; für städtische und sonstige industrielle Bevölkerungen ist Manches von dem, was der „Hausfleiß“ bezweckt, überhaupt weniger anwendbar. Immerhin könnte es nichts schaden, wenn auch bei uns wenigstens jeder Hausvater nach dem Schiller'schen Spruche: „Die Axt im Haus erspart den Zimmermann“ kleine Reparaturen in der Hauswirthschaft selbst zu machen verstände, oder wenn er zum mindesten so viel praktisches Geschick besäße, um die Ausführung solcher anordnen und die Güte der ausgeführten controliren zu können.

Doch das sind Dinge, die sich von selbst finden werden, sobald nur erst ein Geschlecht herausgebildet ist, welches wieder mehr Achtung vor der mechanischen Arbeit, mehr Lust und Geschicklichkeit dazu hat, als leider jetzt einem großen Theil namentlich unserer sogenannten „gebildeten“ und „hochgebildeten“ Classen beiwohnt – wesentlich in Folge unserer allzu ausschließlich auf geistige, beziehentlich gelehrte Thätigkeit abzielenden Erziehungsmethode. Worauf es vor Allem ankommt, das ist die Herstellung des natürlichen Gleichgewichts zwischen Geist und Körper, Wissen und Können, welches uns leider nur zu sehr verloren gegangen ist und zu dessen Wiedergewinnung auch die Einführung des Turnens allein nicht ausreicht.

Jene vorzeitige geistige Ermüdung der Kinder in den Schulen, worüber so viele Pädagogen klagen, und deren Folge [67] sehr häufig die ist, daß viele im Anfange geistig regsame und empfängliche Schüler später schlaff werden: sie würde sicherlich abgewendet werden durch eine zweckmäßige Abwechselung zwischen der einseitigen Anstrengung des Gehirns und einer Uebung der äußeren Organe. Pädagogen in solchen Anstalten, wo das bloße Lernen zeitweilig unterbrochen wird durch mechanische Beschäftigungen, haben es mit Freuden bestätigt, und auch Clauson stimmt nach seinen Beobachtungen dem bei, daß die Kinder von solchen Körperübungen viel erfrischter und auch geistig reger zu den geistigen Anstrengungen des Lernens und Denkens zurückkehren. Ja auch darin hat Clauson gewiß Recht, wenn er sagt: selbst manche theoretische Lernfächer würden direct gefördert werden können, wenn man sie in eine gewisse organische Verbindung brächte mit mechanischen Uebungen, so zwar, daß man ihre unmittelbare Anwendung auf letztere und somit ihren direct praktischen Nutzen den Kindern anschaulich machte, z. B. gewisse Lehren der Arithmetik und Geometrie, gewisse physikalische, chemische und andere Kenntnisse.

Endlich ist wohl auch daran nicht zu zweifeln, daß für denjenigen Theil unserer Jugend, der genöthigt sein wird, durch körperliche, vielleicht harte Arbeit sein tägliches Brod zu verdienen, eine frühe Gewöhnung an die Elemente dieser Arbeit, eine rechtzeitige Uebung und Geschicktmachung der Hand und des Auges von nicht zu unterschätzendem Werthe ist, daß der Knabe, der in der Schule mit Hobel, Säge, Schraubstock etc. umgehen gelernt hat, ein geschickterer und darum jedem Lehrmeister willommenerer Lehrling sein wird, als der, welcher dieser Geschicklichkeit entbehrt, daß es dem künftigen Dienstboten und ebenso der künftigen Frau eines Arbeiters, die in ihrer knappen Wirthschaft Alles streng zu Rathe halten muß, wesentlich zu gute kommen wird, wenn sie früh gelernt hat, sich ihren Bedarf an Kleidung, Wäsche etc. möglichst selbst zu fertigen und in Stand zu halten, oder wenn sie in der Kunst einer räthlich zu führenden Hauswirtschaft einige Vorübung besitzt.

An einen unmittelbaren Erwerb durch solche mechanische Beschäftigungen der Kinder ist dabei viel weniger zu denken, als an eben jene Vorbereitung für die künftige Erwerbsfähigkeit. Unseren Handwerkern werden derartige „Arbeitsschulen“ jedenfalls keine Concurrenz machen; es wäre das bei den ohnehin vielfach gedrückten Zuständen unseres Handwerkes nicht einmal zu wünschen.

Eine bedenkliche Schwierigkeit erwächst freilich der Anwendung jener Methode des sogenannten „Arbeitsunterrichts“ bei uns in Deutschland aus der immer mehr angewachsenen Ausdehnung des Lernstoffes sowohl in den höheren Lehranstalten wie auch in der Volksschule, aus der dadurch bedingten großen Zahl der Lehrstunden in der Schule selbst und den meist noch nebenhergehenden vielen Hausarbeiten. Allein hier drängt sich die ernste Frage auf: Ist nicht vielleicht gerade in diesem Punkte eine natürliche Reaction gegen das Zuviel angezeigt und unausbleiblich? Dieser Frage wird man wenigstens nicht einfach aus dem Wege gehen dürfen, man wird ihr vielmehr ungescheut und offen in's Auge sehen müssen.

Jedenfalls ist mit dem Thema „Erziehung zur Arbeit“ eine Frage auf die Tagesordnung der öffentlichen Discussion gesetzt, von der zu wünschen ist, daß sie gründlich, unbefangen, ohne Vorurtheil nach allen Seiten hin durchsprochen und erörtert, ja auch praktisch, wenn schon anfangs nur etwa im Kleinen, in engeren Kreisen, im Wege der Freiwilligkeit und außerhalb der eigentlichen Schule, in Angriff genommen werde, und daß sie von dieser Tagesordnung nicht wieder verschwinde, ohne greifbare und bleibende Resultate hinterlassen zu haben.