Die Weltallschiffer
Aus dem Reiche der Phantasie.
Herausgegeben von Robert Kraft.
Preis 10 Pfg. = 14 Heller = 15 Ctm.
Heft 4.
4.
Verlag und Druck von H. G. Münchmeyer, Dresden.
Auszug aus der erklärenden Einleitung
zum ersten Bändchen.
Richard ist bis zum zwölften Jahre ein kräftiger, lebensfroher Knabe gewesen, als er durch ein Unglück gelähmt wird.
Am Abend seines vierzehnten Geburtstages sitzt der sieche Knabe allein in der Stube, traurig und freudlos, kein Ziel mehr im Leben kennend. Da erscheint ihm eine Fee. Sie nennt sich die Phantasie, will ihm ihr Geburtstagsgeschenk bringen und sagt ungefähr Folgendes:
In Richards Schlafzimmer befindet sich eine Kammerthür. Jede Nacht wird er erwachen (das heißt nur scheinbar), er soll aufstehen, jene Thür öffnen, und er wird sich stets dort befinden, wohin versetzt zu sein er sich gewünscht hat. Er kann sich also wünschen, was er will, er kann allein sein oder mit Freunden, er kann auch den Gang seiner Abenteuer ungefähr im voraus bestimmen; hat er aber einmal die Schwelle der Thür überschritten, dann ist an dem Laufe der Erlebnisse nichts mehr zu ändern. Alles soll folgerichtig geschehen, der Traum nichts an Wirklichkeit einbüßen. –
Die Erscheinung verschwindet, Richard erwacht aus dem Halbschlummer. Aber die gütige Fee hält Wort, und so findet der arme Knabe im Traume einen Ersatz für sein unglückliches Leben.
Jede Erzählung schildert nun eins seiner wunderbaren Erlebnisse, wie sie ihm die Phantasie eingiebt.
IV.[WS 2]
Die Weltallschiffer.[1]
Das Weltallschiff.
In dem großen Saale, der hin und wieder verdunkelt wurde, um die auf eine weiße Wand geworfenen Lichtzeichnungen sichtbar zu machen, drängte sich eine Menge von Männern, die meist Brillen trugen und kahlköpfig waren. An einem erhöhten Rednerpult stand Richard, neben ihm gewahrte man einen Experimentiertisch, auf dem wunderliche Apparate aufgebaut waren, und hinter ihm hing eine große Wandtafel.
Richard erklärte vor den berühmtesten Gelehrten der ganzen Erde sein von ihm bereits fix und fertig hergestelltes Luftschiff, an dessen theoretischer Konstruktion sein ingeniöser Vater ein ganzes Menschenalter in einsamer Studierkammer gearbeitet hatte.
Nannte er aber im Gegensatz zu sich seinen Vater ingeniös, und behauptete er nur der einfache Handlanger für dessen geistreiche Ideen zu sein, so war das sicherlich nichts anderes als Bescheidenheit. Was er da den Gelehrten erzählte und vorrechnete, das war ja so fabelhaft, daß diese kein einziges Wort verstanden, es war ungefähr so, als wenn ein alter Mathematiker einem an der großen Zehe lutschenden Säugling die Richtigkeit des pythagoräischen Lehrsatzes beweisen wollte.
Richard schrieb nämlich auf die Wandtafel endlose Zahlenreihen, warf mit trigonometrischen Formeln und Wurzeln nur so um sich und bediente sich einer ganz unbekannten Rechnungsart aus der vierten Dimension, bei der noch das Einfachste war, daß er die vierzehnstelligen Logarithmen sämtlicher Zahlen im Kopfe hatte. Alle bisherigen Errungenschaften in den Naturwissenschaften, in der Physik, Chemie und Elektrotechnik schienen ihm schon längst überwundene Kinderspielereien zu sein, in der Sternenwelt war er zu Hause wie ein Droschkenkutscher in seiner Vaterstadt, und die Gelehrten drückten ihre Bewunderung um so mehr durch Applaudieren aus, als sie gar nichts von alledem verstanden.
Wirklich interessant aber wurde es erst, als Richard zu den demonstrierenden Experimenten überging. Da konnte man doch mit seinen eigenen Sinnen prüfen und beurteilen. Aber das Staunen wurde schließlich noch größer als vorhin.
Zweierlei war es, was Richard ermöglichte, nicht nur ein Luftschiff, sondern ein Weltallschiff so in seiner Gewalt zu haben, daß er mit ihm in der Sternenwelt herumsegeln konnte: erstens die beliebige Benutzung der beständig in der Luft befindlichen Elektricität, zweitens die willkürliche Aufhebung und Wiederherbeiführung der Schwerkraft.
Zur Gewinnung der Elektricität aus der Atmosphäre hatte er eine chemische Masse präpariert, die er Elektrik nannte. Er zeigte eine Probe davon vor, eine dünne Platte, nicht stärker als eine Pappe, von dunkelrotem Aussehen, die er nur an die Fensterscheibe lehnte, um dann, nachdem er Draht daran befestigt hatte, im stande zu sein, beliebig viel Funken von beliebiger Länge zu erzeugen. Und um auch einmal eine kleine Probe von wirklicher Kraft zu geben, isolierte er sich, nahm eine Platinstange von Armeslänge zwischen die ausgestreckten Hände, leitete den Strom hindurch, und – die Platinstange zerfloß in Tropfen.
„Wenn aber das Elektrik direkt den Sonnenstrahlen ausgesetzt wird, vermag es noch ganz andere Kräfte zu entfalten,“ meinte er schließlich leichthin.
Dem Experimente mit dem Almit, wie er das Metall genannt hatte, das nicht der Schwerkraft unterlag – sein Hauptbestandteil war Aluminium – ging erst wieder eine stundenlange theoretische Erklärung voraus. Denn hierbei handelte es sich nicht etwa um eine Masse, die den Naturgesetzen ungehorsam war – eine solche giebt es bekanntlich nicht – sondern das, was wir Schwer- oder Anziehungspunkt nennen, beruhte nach der Ansicht Richards einfach auf der Erscheinung einer ganz besonderen Art von Aetherwellen, die Richard Anziehungsschwingungen nannte. Ebenso wie Glas die Lichtwellen durchläßt, so bot Almit den Anziehungsschwingungen kein Hindernis, sobald es positiv elektrisch gemacht wurde.
Keuchend wälzten soeben zehn Männer mit Hebebäumen einen gar nicht allzu großen, silbergrauen Block herein. Das sollte der gewichtlose Almit sein. Richard leitete, um den Beweis seiner Behauptungen anzutreten, nunmehr einen elektrischen Strom hindurch, und in der That, als er darauf den Block an einer Ecke nur mit zwei Fingerspitzen anfaßte, hob er ihn wie eine Feder empor, und als er zurücktrat, schwebte der Block sogar frei in der Luft. Der elektrische Strom wurde darauf ausgeschaltet. Nun schlug der Block donnernd auf die Grunddiele nieder, sprang dann wieder hoch, schlug abermals donnernd nieder, und so ging das fort und fort, denn der Block war elastischer als ein Gummiball – die Elastizität war also eine zweite Eigenschaft des Almits, das außerdem unzerbrechlich war.
Richard beobachtete den springenden Block durch ein Instrument und entwarf eine schnelle Berechnung.
„Hielte ich die Bewegung jetzt nicht auf,“ erklärte er, „würde er ungefähr 846 Stunden, 25 Minuten, 0,32 Sekunden so weiter springen, ehe er vollkommen zur Ruhe käme. Nun werde ich den Herren zeigen, welche Wirkung negative Elektricität auf Almit ausübt.“
Er hob die Schwerkraft des hüpfenden Blockes auf und legte ihn, die Drähte der Elektrikbatterie daran lassend, wie ein Federkissen auf ein Fensterbrett. Dann zog er die Uhr und sagte:
„Jetzt ist der Block noch positiv elektrisch. Wollen die Herrschaften nun scharf auf den Block sehen. In dem Moment, wenn ich ‚jetzt‘ sage, schalte ich den positiven Strom aus und lasse dafür den negativen Strom hindurchgehen. Achtung – jetzt!“
Da war plötzlich der Block spurlos von der Fensterbank verschwunden, und man hörte dafür nur ein sausendes Pfeifen, das aber schnell verklang.
Richard sah nach der Uhr, trat an die Tafel und rechnete:
„Der Almitblock ist von der Erde abgeschleudert worden und bewegt sich jetzt als Meteor im Weltenraum mit einer Geschwindigkeit von 303478,6588 Meter pro Sekunde.“
Dann wischte er die Berechnung ab und malte auch gleich noch die Flugbahn dieses neuen Meteors um die Sonne hin, die ganz von derjenigen der Erde abwich.
Die Eigenschaft, welche die negative Elektricität im Almit erzeugte, war es hauptsächlich, worauf das Flugvermögen des Weltallschiffes beruhte. Es wurde erst gewichtlos gemacht, und in dem Moment, da man die Elektricität wechselte, löste es sich von der Erde ab und wurde in das Weltall hinausgeschleudert, etwa wie eine Kugel von einer rotierenden Scheibe abgeschleudert wird. Dies war die erste Geschwindigkeit. Dazu kam dann noch das Gesetz des Beharrungsvermögens. Da die Erde nämlich sich um die Sonne mit einer mittleren Geschwindigkeit von 4,1 Meilen pro Sekunde bewegt, machte das abgeschleuderte Luftschiff auch noch ihre Bewegung, nur nach einer anderen Richtung hin, mit, und zwar konnte man, wie der junge Ingenieur weiter erklärte, diese Richtung ebenso wie die Geschwindigkeit ändern.
Es seien nun noch die Hauptmerkmale des Luftschiffes hervorgehoben. Die kolossale Maschinerie, die das Weltallschiff barg, wurde durch Elektricität getrieben, diese durch Elektrik erzeugt, und die Hauptkraft der letzteren lag wiederum in dem beständigem Wechsel von Erzeugen und Aufheben der Schwerkraft. Durch ein Vermindern des Schwergewichtes innerhalb des Schiffes selbst konnte ferner die Richtung der Flugbahn verändert werden. Außerdem war eine Vorrichtung vorhanden, um die vorrätige, als Bewegung von der Erde empfangene Kraft in Wärme umzuwandeln. Auf diese Weise konnte man nun sowohl die Geschwindigkeit mäßigen und sogar ganz hemmen, als auch, wenn unterdessen sich die Kraft wiederum als Wärme immer mehr aufgespeichert hatte, die Geschwindigkeit bis zu jedem beliebigen Grade steigern.
Kurz, das Problem, im Weltall herumzufliegen und an jedem beliebigen Stern zu landen, war gelöst, es fehlte nichts mehr daran, nicht einmal die Frage wegen der Proviantierung machte noch Sorge, denn Richard zeigte auch durch chemische Experimente, wie man aus den Elementen Stickstoff, Sauerstoff, Kohlenstoff und Wasserstoff die Nahrungsmittel herzustellen vermöge, die man dann nur der Kunst des Koches zu überlassen brauchte. Diese Elemente konnten mit Leichtigkeit aus der Atmosphäre gezogen oder in komprimiertem Zustande in einer Menge, die für die ganze Schiffsmannschaft auf Jahrhunderte hinreichte, mitgenommen werden – und donnernder Applaus belohnte den jungen Erfinder, zugleich den ersten Weltallkapitän, der in den nächsten Tagen die Reise nach dem Mars antreten wollte, die er in zehn bis zwölf Wochen zurückzulegen gedachte.
Doch bescheiden lehnte Richard jede vorzeitige Ehrung ab, er wies vielmehr darauf hin, daß auch die Weltallschifffahrt gelernt sein wolle. War er auch fest überzeugt, mit seinem Schiffe fremde Weltkörper erreichen zu können, so fehlte doch noch jede Erfahrung. Auch hier hatte man mit Schiffbruch und unbekannten Mächten zu rechnen, und er sagte von vornherein, es stehe in Frage, ob er den Mars überhaupt fände.
Vielleicht, schloß er scherzend, ginge es ihm so wie Kolumbus, der den Seeweg nach Ostindien suchen wollte und dabei Amerika entdeckte.
Eine ungeheure Menschenmenge umstand den freien Platz, in dessen Mitte eine silbergraue Kugel von etwa dreißig Meter Durchmesser lag, also ein ganz gewaltiger Ball, denn, um einen Vergleich zu geben, sei erwähnt, daß ein Ozeandampfer von 3000 Tonnen, schon ein ganz ansehnliches Schiff, dem Inhalte nach acht Mal in diese Kugel hineingegangen wäre.
Dementsprechend bestand die Mannschaft des Weltallschiffes aus hundert Arbeitern, meistenteils geschickten Mechanikern, die sich freiwillig zu der abenteuerlichen Fahrt ins geheimnisvolle Unbekannte gemeldet hatten, aber es waren auch wirkliche Seeleute darunter, dazu kamen dann noch die Offiziere, nur talentvolle Ingenieure, und schließlich einige Gelehrte.
Zum Umschauen im Inneren haben wir später noch Zeit. Aber von außen hatten die versammelten Neugierigen auch nicht viel zu sehen, sie konnten höchstens die ungeheure Größe der Billardkugel anstaunen. Nichts war an ihr bemerkenswert als die nackte, gebogene, silbergraue Wand. Nur unten befand sich eine Thür, im Verhältnis zu der Riesenkugel ein winziges Loch, durch welches Menschen ein- und ausgingen und noch einige Gegenstände hineintrugen.
Jetzt ging ein Murmeln und eine Bewegung durch die Reihen der Zunächststehenden, dann wurden sie zurückgedrängt, und man sah, wie ein vornehmer, alter Herr, der zuletzt an der Kugel stehen blieb, dem jungen Kapitän die Hand schüttelte, endlich verschwand auch dieser im Inneren, und nun wurde die Thür geschlossen.
„Aufgepaßt!“
Eine angstvolle Todesstille lagerte über der ganzen Menge. Ein Kanonenschuß sollte das Zeichen zum Aufstieg geben, dann erwartete man, das Weltallschiff so schnell oder etwas schneller als einen freigelassenen Luftballon sich erheben zu sehen.
Doch als der Kanonenschuß erkrachte – war die Kugel fort, einfach verschwunden. Und als man daran dachte, die Augen zu erheben, war der Ball auch nicht einmal mehr im Aether zu erblicken.
Das Weltallschiff war eben nicht aufgestiegen, sondern mit einer Geschwindigkeit von ziemlich fünf Meilen in der Sekunde von der Erde abgeschleudert worden, und da gab es denn natürlich kein Nachsehen!
Fünf Meilen in der Sekunde, das ist eine gewaltige, überhaupt ganz unbegreifliche Geschwindigkeit, da mußte es den Weltallschiffern wohl schwindlig werden! Aber verspüren wir denn etwas davon, daß wir auf der Erde mit einer nur wenig geringeren Schnelligkeit durch das Weltall sausen? Oder merken wir es etwa, daß wir manchmal mit den Füßen am Erdball kleben und mit dem Kopfe nach unten in den Weltenraum hineinbaumeln? Im Weltenraume giebt es eben kein unten und oben, diese Begriffe machen wir uns nur in unserer Einbildung.
So wußte der gewöhnliche Arbeiter in dem Schiffe auch nicht mehr, was unten und was oben war, er stand eben aufrecht, wie er sonst auf der Erde zu stehen meinte, denn für dieses stabile Gleichgewicht sorgte die ganze Anziehungskraft der Almitwände, und ebensowenig war etwas von der enormen Geschwindigkeit zu bemerken.
Ueberall waren, den Bollaugen eines Schiffes entsprechend, Gucklöcher angebracht, jedoch bestanden diese nicht aus Glas, sondern aus einer anderen durchsichtigen Masse, die jedem Drucke widerstand, außerdem konnten noch Almitplatten über wirkliche, große Fenster zurückgeschoben werden.
Von diesen Fenstern aus hätten die Wunder des Weltalls betrachtet werden können – wenn es nämlich solche für den zu sehen gegeben hätten, der Wunder erwartete.
Hier stand die Sonne als feuriger Ball, dort sah man den Mond als matte Scheibe, alles genau wie von der Erde aus. Von einer Bewegung war ja nichts zu bemerken, und so wäre nur das Verschwinden der Erde interessant gewesen, wenn das nicht auch so ungemein langsam vor sich gegangen wäre.
In dem Augenblicke, als die Luftschiffer sich bewußt wurden, mit ungefähr 36000 Meter Geschwindigkeit in der Sekunde zu fliegen, waren sie an die Fenster gesprungen. Da aber doch schon eine Minute vergangen war, sahen sie bereits die Erde seitwärts unter sich als einen ungeheuren Ball schweben. Durch ein gutes Fernrohr konnte man noch Wasser von Erde unterscheiden, mehr aber auch nicht, und von nun an ging die Verkleinerung durch die Zunahme der Entfernung so langsam vor sich, daß man beim bloßen Hinsehen sie nicht mehr wahrnehmen konnte, ebensowenig wie man dem Fortrücken des kleinen Zeigers auf der Taschenuhr zu folgen vermag. Nur in längeren Pausen vermochte man die Abnahme der Erdgröße zu beurteilen.
Durch den Weltenraum schwirren, oft in endlosen Schwärmen vereint, Myriaden von Meteoren, Reste von zertrümmerten Himmelskörpern, die man dann Kometen nennt. Wie nun, wenn das Schiff mit solch einem Schwarm oder nur mit einem einzigen Meteor, vielleicht hundertmal so groß als das Schiff, zusammenstieß? Mochten die Almitplatten auch nicht zerbrechen, aber bei dem Zusammenprall, der nicht rechtzeitig abgeschwächt werden konnte, mußten die Insassen doch an den inneren Wänden zu Brei zerquetscht werden.
So dachte auch der weniger Aengstliche.
Nun, auf den Oceanen der Erde treiben auch hier und da mastenlose Wracks, die dort etwa die Rolle von Meteoren spielen, und denkt etwa ein Kapitän oder ein Passagier daran, zufällig gerade mit solch einem Wrack zusammenzustoßen? Und doch wäre dies noch kein so kolossaler Zufall, als wenn das Luftschiff einem Meteor direkt in der Flugbahn begegnet wäre. Man befand sich eben im Weltall.
Schließlich dachte auch der Besorgteste nicht mehr an solch eine Möglichkeit.
Tage vergingen, die aber von keiner Nacht mehr unterbrochen wurden. Denn die Sonne hatte ja keinen Körper mehr, hinter den sie sich verstecken konnte. Die Erde sah jetzt aus wie ein großer Luftballon, gerade so groß war der Mond geworden, man beobachtete ihre Flugbahnen wie die der Sonne, die bald größer, bald kleiner wurde. Der Kapitän, die Offiziere und die Gelehrten mochten sich über nichts im unklaren sein, die gewöhnlichen Schiffer aber nahmen alles, wie sie es sahen, ohne sich den Kopf darüber zu zerbrechen, ohne mehr neugierige Fragen zu stellen. So war ihnen alles schon nach wenigen Tagen zur Gewohnheit geworden. Wir anderen Menschen leben doch auch unter den Wundern des Sternenzeltes, und nur sehr, sehr wenige werden von ihrer Wißbegierde zur Erforschung derselben angetrieben, wissen doch die meisten nicht einmal, wie denn eigentlich der Wechsel der Jahreszeiten zustande kommt.
Ja, diese Fahrt durch den Weltenraum wurde geradezu langweilig, denn sie war gar so eintönig. Wohl war für jede Bequemlichkeit und Zerstreuung gesorgt worden, es gab in dem Schiff eine Bibliothek, ein Spielzimmer, in dem sogar ein Billard nicht fehlte. Auch wer Belehrung suchte, konnte sie finden, denn die Maschinerien und Instrumente konnten beobachtet werden; ferner aß und trank man gut zu regelmäßigen Zeiten, und die Betten waren weich, es wurde auch für Arbeit gesorgt – aber es fehlte eben das, was den Aengstlichen von einer Seereise abhält, und was letztere doch gerade so anziehend macht: die Gefahr, deren angenehmen Nervenkitzel man allerdings erst richtig zu schätzen weiß, wenn man sie überstanden hat.
Hier war zunächst keine Seekrankheit durchzumachen, hier gab es keinen Sturm, der den Aether aufrüttelte, daß das Schiff darin tanzte und alles zusammenschüttelte, hier ergoß sich keine Woge über Deck, gab es kein Ueberbordwaschen, brauchte kein Rettungsboot ausgesetzt zu werden.
Gleichmäßig und in tiefstem Frieden verliefen die Tage, einer wie der andere, und diese Weltallfahrten selbst also versprachen für die einstige Generation von Aetherseeleuten wenig romantische Abenteuer, die einen Knaben derart verlocken konnten, daß er bei Nacht und Nebel von Hause fortlief, um Weltallschiffsjunge zu werden.
Man mußte auf das Landen an fremden Himmelskörpern warten und sehen, was sich dort dem unternehmenden Geiste bot.
Seit dem Auffluge von der Erde waren neun Tage vergangen. Die Erde glich noch einem Balle von zwei Metern Durchmesser, in doppelter Größe schwamm vor ihnen im Aether der Mond, der umschifft werden mußte, wenn der Kapitän nicht auf ihm vor Anker gehen wollte. Schon konnte man auf dem Monde die Gebirge und Thäler plastisch unterscheiden.
Da wurde der in seiner Kabine schlafende Richard geweckt. Der erste Steuermann war es, der ihn aus dem Schlafe aufgerüttelt hatte.
„Kapitän, es ist etwas nicht in Ordnung,“ sagte er. „Das Schiff hat sich gedreht, und wir stürzen dennoch nicht auf den Boden nieder. Entweder zeigen die Instrumente unrichtig an, oder die Schwerkraft hat sich verrückt – oder – oder – wir sind alle zusammen verrückt geworden.“
Ehe noch Richard den Sinn dieser sonderbaren Worte ganz erfaßt hatte, klammerte er sich erschrocken an seine Bettstätte an, damit er nicht heraus und auf den Boden des sehr hohen Gemaches herabstürzte. Denn er hing mit seinem Bette oben an der Decke. Aber, nein, das dort unten, worauf er hinabblickte, war doch die Decke! Er klebte an der Diele, aber dieselbe war oben. Ueberhaupt alles hing mit dem Kopfe nach unten, ohne daß doch etwas herabfiel.
Man stelle sich vor, die Stube, in der man sich befindet, mit allem, was darin ist, hat sich völlig umgekehrt, die Diele ist oben und die Decke unten, ohne daß etwas herabfällt, so kann man sich in die Lage versetzen, in der Richard sich beim Erwachen befand.
Obgleich er zwar bald sah, daß nichts herabfiel, unterlag er diesem ungewohnten Eindrucke doch so, daß er nur ganz vorsichtig aus dem Bette und in seine Kleider kroch, sich überall festhaltend und immer fürchtend, mit seinem Kopfe unten aufzuschlagen. Und auch der erste Offizier verhielt sich nicht anders, obwohl er doch schon eher daran gewöhnt sein mußte. Allerdings war es ja gar nicht ausgemacht, daß die Schwerkraft nicht plötzlich wieder in das alte Geleise zurückkehrte. Dann wäre nämlich, ohne daß sich dabei das Schiff umkehrte, alles herabgestürzt.
Auf Händen und Füßen krochen beide hinaus, die Einbildung nicht los werdend, oben an der Decke wie die Fliegen zu laufen, bis sich endlich Richard, den Kopf nach unten hängend, entschlossen aufrichtete. Stürzte er, dann konnte er sich so wie so nicht festhalten.
Lautes Lachen erfüllte das Weltallschiff. Es rührte von denen her, die dreister waren und die Sache nahmen, wie sie war. Sie spazierten eben als Fliegen an der Decke herum, wenn dies auch ganz falsch war, denn am Boden ruhte der Fuß immer noch. Andere krochen ängstlich hin und her, einige hielten sich nur krampfhaft fest.
Aber von der größten Besorgnis wurden die Offiziere und die Gelehrten erfüllt, wenngleich auch diese sich gerade, den Kopf nach unten, frei aufrichteten. Denn die Instrumente sagten genau das Gegenteil aus von dem, was die menschlichen Sinne wahrnahmen. Nach ihnen befand sich noch alles in alter Ordnung, die Schwerkraft hat sich nicht verändert, alles hätte daher noch sein müssen wie zuvor.
Wer log nun, die menschlichen Sinne, das Gefühl oder die Instrumente? Das letztere war das Allerbedenklichste, dann konnte man sich nicht mehr auf sie verlassen.
„Der Bootsmann hier behauptet, er empfände nicht, daß er und alles umgedreht sei,“ sagte der dritte Offizier.
Aller Augen wandten sich auf den herbeigerufenen, alten Bootsmann, einen wirklichen Seemann, der schon ein Dutzend mal die Erde umsegelt hatte und trotz seiner weißen Haare nun auch noch den Weltenraum kennen lernen wollte.
„Ich merke nichts, ich merke gar nichts davon,“ sagte er, etwas beschämt, weil er so viele Augen auf sich gerichtet sah, „aber wenn es auch die Herren Offiziere fühlen, da muß es wohl so sein.“
„Ihr steht nicht mit den Füßen nach oben und mit dem Kopfe nach unten?“ fragte Richard.
„I wo, Kapitän, ich merke nichts davon, aber –“
„Wie fühlt Ihr Euch denn?“
„Na, gerade so wie sonst, ich stehe auf dem Boden.“
„Aber Ihr hängt doch auch an der Decke. Ich sehe Euch doch.“
„Na, davon ist mir nichts bewußt. Und der Karl weiß auch gar nicht, was die anderen wollen, wir stehen doch ebenso aufrecht wie sonst.“
Der Karl, ein junger Schlosser, wurde jetzt gerufen. Der aber kam auch schon auf Händen und Füßen, sich überall festhaltend, angekrochen.
„Herr Gott, ich hatte zu früh gelacht,“ sagte er mit kläglichem Gesicht. „Bis vor fünf Minuten stand ich noch unten, mit einem Male laufe ich die Wände hinauf, gerade wie die anderen.“
Zu den Wänden hinaufgelaufen war nun zwar niemand, aber bei allen war das Empfinden, mit dem Kopf nach unten zu hängen, so nach und nach gekommen. Und dennoch wurde konstatiert, daß hier nur eine Einbildung vorlag, freilich eine ganz unbegreifbare und eine der seltsamsten Art.
Der Schiffsarzt rief nach dem Kapitän, zwei Matrosen zeigten recht beängstigende Symptome. Die Leute klagten erst über große Mattigkeit in den Gliedern, dann über Kälte, und alle schrieen angstvoll und laut, es wäre ihnen, als wenn sie von der Decke stürzten, immer tiefer, ohne doch den Boden zu erreichen. Diese Krankheit griff schnell epidemisch um sich.
Und noch ein neuer Vorfall erfüllte die Offiziere mit der größten Bestürzung.
Das, was wir unter Kälte und Wärme bezeichnen und auf dem Thermometer durch den Nullpunkt unterscheiden, ist nur ein leerer Begriff, um eine Marke für eine Messung zu haben, und nicht einmal international, denn der Nullpunkt liegt auf dem Thermometer von Fahrenheit, dessen sich Engländer und Amerikaner bedienen, weit tiefer als bei Celsius und Reaumur. In Wirklichkeit herrscht selbst bei −60° noch Wärme, denn die Sonnenstrahlen üben immer noch eine Wirkung aus. Aber im luftlosen Weltenraume muß absolute Kälte sein, denn dort können die Sonnenstrahlen durch Reibung keine Wärme erzeugen.
In dem Weltallschiff empfand man bisher allerdings nichts von dieser furchtbaren Kälte, denn die Elektricität erzeugte genug Wärme, und die Almitplatten waren die denkbar schlechtesten Wärmeleiter, das heißt, sie nahmen nur wenig Kälte an und strahlten nur wenig Wärme aus.
Plötzlich wurde eine Leiche gefunden, und der Arzt konstatierte den Tod des Erfrierens, obgleich der Raum, in dem sie sich befand, ganz warm war. Der Tod mußte den Mann in vollster Bewegung überrascht haben, denn er saß auf einem Stuhl und hatte ein Buch in der Hand, und mit der anderen hatte er nach einer auf dem Tisch liegenden Cigarre greifen wollen, die noch rauchte. Nur ganz zufällig hatte man entdeckt, daß er tot war, und der Arzt konnte, so sehr das auch gegen seinen Glauben ging, nicht anders, als aus allen Anzeichen zu erklären, daß der Mann erfroren sei. Er war steif wie ein Holzbock, ganz blau am Körper, und als man ihm eine Ader öffnete, war das Blut zu Eis erstarrt. Auch wurde ihm bei einem unvorsichtigen Anfassen ein Ohr abgebrochen.
Ein großer Schreck befiel die Mannschaft, und dieser steigerte sich zum Entsetzen, als wieder eine erfrorene Leiche gefunden wurde, darauf eine dritte, und dann gleich mehrere auf einmal. Im Laufe von einer halben Stunde waren auch die am Schüttelfrost Erkrankten gestorben und im warmen Bett erfroren. Die Kälte mußte, es war gar nicht anders denkbar, aus ihrem eigenen Körper herausgekommen sein, und so ging das fort und fort. Einer nach dem anderen erstarrte in Todeskälte, entweder am Gefühl des Frostes sterbend, oder mitten in der Bewegung, und jeder blieb in derselben Stellung, die er zuletzt eingenommen hatte.
Der letzte, der noch lebte, war der alte Bootsmann. Mit Grausen sah er sich von Gestalten umringt, die ebenfalls zu leben schienen und doch schon tot waren, Statuen aus Fleisch und gefrorenem Blut. Er sprach eben noch mit einem, da aber verstummte auch schon dessen Mund mitten im Wort, und der Mann, der vor einer Sekunde noch die Hand ausgestreckt gehalten hatte, erstarrte und blieb in dieser Stellung stehen.
Da verwandelte sich auch bei dem Bootsmann das Entsetzen in Schüttelfrost, und nach wenigen Minuten stand er ebenfalls als erfrorene Leiche da.
Das Weltallschiff aber setzte mit unverminderter Schnelligkeit seine Fahrt fort, zwischen seinen Wänden mehr als einhundertundfünfzig Leichenstatuen bergend, und von keiner Hand mehr gesteuert.
Wir wenden uns nun zu Richard.
Dieser, nicht minder erschrocken als alle übrigen, blickte zufällig gerade noch nach der großen, in vierundzwanzig Stunden geteilten Schiffsuhr, wobei er sich mit den Händen auf ein Geländer stützte, und wollte soeben einen alten Gelehrten anreden, ihm eine Meinung mitteilen und weiter gehen – da vermochte er plötzlich die Hände nicht mehr von dem Geländer zurückzuziehen, so sehr er sich auch anstrengte. Ja, er bemerkte, daß er nicht einmal mehr mit den Augen blinzeln, noch viel weniger irgend eine andere Bewegung ausführen konnte.
Was war das? Es begann ihn zu frieren. Nicht gerade unerträglich, aber es war doch ein unangenehmes Gefühl der Kälte, ohne daß er jedoch dabei zitterte, denn das wäre ja eine Bewegung gewesen.
So mußte er, von einer geheimnisvollen Macht gebannt, die Augen auf die Uhr geheftet, unbeweglich stehen bleiben. Er hörte alles, was um ihn herum gesprochen wurde.
„Jetzt ist der Kapitän auch gestorben,“ schrie es laut durch das Schiff.
Man beschäftigte sich mit ihm, suchte ihm die Hände von dem Gitter zu lösen, aber vergebens!
Eine fürchterliche Angst befiel Richard. Jetzt wußte er zwar, daß sein Zustand nur ein Scheintod war, aber was ihn gegenwärtig am allermeisten entsetzte, war, daß man ihm die erstarrten Hände vielleicht abbrechen könnte, wie vorhin dem ersten Manne das Ohr. Er machte die krampfhaftesten Anstrengungen, sich zu bewegen, einen Ton von sich zu geben, allein vergebens.
Glücklicherweise ließ man von ihm ab, denn auch die anderen erstarrten, und bald herrschte im Schiffe das Schweigen des Todes.
Sollte denn dieser Scheintod ewig dauern? Entsetzlicher Gedanke!
Wir wollen es kurz machen. Richard stand so, wie er zuerst erstarrt war, die Augen auf die Uhr geheftet, volle siebenunddreißig Stunden und einige Minuten lang da, immer bei klarem Bewußtsein, aber ohne sich bewegen zu können, und immer mit dem Gefühl großer Kälte, als sei er eben erst zu einem Eisklumpen erstarrt. Dabei blieb auch immer noch die Empfindung bestehen, als wenn er mit dem Kopfe nach unten hinge.
Dann merkte er plötzlich, daß wieder Leben um ihn herum entstand. Ja, so war es. Die von den Toten Auferstandenen teilten sich gegenseitig die schrecklichen Gefühle mit, und auch Richard selbst empfand, wie die Blutwärme zurückkehrte; auch er konnte nun die Hände von dem Geländer ablösen und sich wieder bewegen. Einige Stunden darauf verließ auch einen nach dem anderen die Empfindung, als hänge er mit dem Kopfe nach unten. Jeder stand wieder auf den Füßen wie zuvor. Doch lachen über das Erlebte konnte niemand – das heißt, vorläufig noch nicht.
Es folgte nun eine lange Konferenz zwischen Offizieren und Gelehrten, und in dieser kam man zu der Ueberzeugung, daß man es hier mit einem Zustande zu thun gehabt hatte, der ganz mit der Seekrankheit zu vergleichen war.
Dort fordert das Meer, in dessen Macht man sich doch befindet, von dem man sich aber durch die Schiffsplanken vornehm reserviert, seinen Tribut. Hier schützte man sich durch Wärme und Almitplatten von der absoluten Kälte der Weltenraumes, aber diese machte sich einmal auf andere Weise geltend und trat mehr als Krankheitsform aus dem Menschen selbst heraus in Erscheinung.
Es wurde einstimmig beschlossen, diesen Zustand ‚Weltallskrankheit‘ zu nennen, und da die Seeleute nicht ‚seekrank‘, sondern ‚seetoll‘ sagen, so sprachen die Matrosen jetzt nur noch von ‚weltalltoll‘.
So entsetzlich dieser Zustand nun auch gewesen sein mochte, so war doch schwer zu entscheiden, was fürchterlicher ist: see- oder weltalltoll zu sein. Darüber konnte ja nur der mitsprechen, der schon einmal wirklich seekrank gewesen war und drei Tage lang den inneren Menschen fortwährend nach außen gekrempelt hatte. Hier möchte man gern sterben und kann nicht, bei der Weltallkrankheit aber wollte man gern leben und konnte es auch nicht.
Schließlich mußte noch angenommen werden, daß diesem Zustande das Gefühl des Umgekehrtseins vorausging und mit diesem wieder aufhörte, ähnlich wie bei der Seekrankheit, wo sich der eine erst lange mit der Ueberlegung herumquält, ob er dem Gott Neptun opfern soll oder nicht, während der andere gleich frisch darauf loslegt.
Hoffentlich trat auch diese Krankheit an jeden Menschen nur einmal heran, und wenn dies der Fall war, dann konnte es allerdings noch öfters passieren, daß die Weltallfesten die Weltalltollen auslachten, wenn sie wie die gefrorenen Schneemänner dastanden.
Noch zwei Tage weiter, und der Mond kam mit Riesenschnelligkeit auf das Weltallschiff zugeeilt. So schien es wenigstens, während doch die umgekehrte Bewegung stattfand.
Deutlich sah man schon die Gebirge, die Berge mit Kratern, die Thäler und Schluchten, alle mit Schnee oder Eis bedeckt und angefüllt, auch die geheimnisvollen Rillen, die man so lange und so gern für die Kanäle von intelligenten Mondbewohnern hielt, während sich jetzt die Gelehrten darüber klar sind, auch ohne den Mond betreten zu haben, daß diese Rillen nichts weiter sind als Risse in der Mondkruste, die durch ein gleichmäßig fortlaufendes, sogenanntes rollendes Erdbeben oder richtiger Mondbeben erzeugt wurden, woher auch die große Regelmäßigkeit in ihrer Richtung stammt.
Richard drängte es ebenso wie die Gelehrten, den Mond zu umschiffen, nur um einmal die andere, der Erde stets abgewandte Seite desselben kennen zu lernen, die das Auge nie geschaut hat. Gab er schon jetzt den Befehl zu einem Landungsmanöver, so that er es nur, um einmal die Leistungsfähigkeit seines Schiffes auf einem anderen Himmelskörper zu probieren.
Denn sonst versprach er sich nicht viel von der Oberfläche des Mondes. Keine Atmosphäre umgiebt ihn ja, dort mußte also ewige Weltallkälte herrschen, von einer Vegetation und tierischem Leben konnte also gar keine Rede sein. Außerdem fehlte den Aetherschiffern auch noch ein Mittel, um solch einer Kälte außerhalb des Schiffes zu trotzen. Ein Taucheranzug hätte vielleicht – vielleicht – den Aufenthalt in solch einem luftleeren Raume möglich gemacht, aber gegen diese Kälte schützte kein Eskimopelz. Da mußte erst ein geeignetes Kostüm erfunden werden, und Richard zweifelte nicht daran, daß dies bald geschehen würde, wenn man nur erst wußte, mit welchen Verhältnissen man zu rechnen hätte. –
Die Fahrt des Schiffes wurde gebremst und die Bewegung in Wärme umgesetzt, was wieder für später zu gute kam. Aber der Ball näherte sich dem Monde doch noch mit der Geschwindigkeit eines fallenden Steines. Ueber die den Stoß abhaltende Elastizität der Almitplatten herrschte kein Zweifel.
Wegen dieser doch noch immer ungeheuren Schnelligkeit war es aber der Mannschaft nicht möglich, etwas Näheres zu beobachten. Nur eins konnten sie bewundern: sie hatten sich dem Monde von unten herauf genähert, und sie thaten es auch jetzt noch, und dennoch kam es ihnen gerade so vor, als wenn sie von oben herab auf den Mond stürzten.
Richard stand am Bremsapparat, die Augen auf ein Instrument gerichtet, jetzt drehte er den Hebel. Das Weltallschiff war gewichtlos gemacht, nur ein ganz schwacher Stoß erfolgte, und als dann die Schwerkraft wieder eingeschaltet wurde, lag der Riesenball nach einigen noch weniger schwachen Stößen fest. Er hatte die Probe auch auf einem fremden Himmelskörper bestanden.
Durch die Fenster sah man eine wilde, zerklüftete Gebirgslandschaft, alles war blendend weiß, überall erblickte man zu Eis gefrorenen Schnee. Aber wenn man nicht daran dachte, auf dem Monde zu sein, so war dies nichts besonders Interessantes.
Doch wie das Auge schärfer unterschied, entdeckte es trotzdem Seltsames genug.
Zunächst machte jemand auf eine Ebene aufmerksam, die wie mit winzigen Zuckerhüten bedeckt zu sein schien. Dann meinten einige, sie könnten es zwischen den Zuckerhüten manchmal aufleuchten sehen.
Die darauf gerichteten Fernrohre ließen auch nicht mehr erkennen, sie machten die Zuckerhüte nur größer, versahen sie mit einigen Löchern und ließen das Aufleuchten deutlicher erscheinen.
Nun, konnte man das Weltallschiff auch nicht verlassen, um sich über diese Zuckerhüte Gewißheit zu verschaffen, so besaß man doch Mittel, sich direkt an Ort und Stelle zu begeben. Die Schwerkraft wurde nur aufgehoben, dann trieb die Maschinerie das Schiff etwas in die Höhe, und es schwebte nun auf die Zuckerhüte zu und ließ sich, einige zerdrückend, sacht zwischen ihnen nieder.
„Bei Gott, eine ganze Stadt! – Eine Stadt von Mondbewohnern! – Der Mond ist bewohnt! – Nein, er war bewohnt! – Nein, dort sind ja lebende Wesen!“
So und anders klang es erstaunt von den Lippen der Weltallfahrer durcheinander.
War das wirklich eine Stadt, so war es eine solche mit zuckerhutähnlichen Häusern. Jedes derselben war etwa einen Meter hoch. Aber es gab auch kleinere, größere und sehr große, und da die Kegel in Reihen angelegt waren, Straßen und Plätze bildeten, so war die Annahme berechtigt, daß man es hier mit einer Stadt von Mondbewohnern zu thun hatte. Die Kegel waren mit Schnee bedeckt, an einigen nahm man aber doch oben mehrere kleine Löcher und unten ein großes Loch wahr. Das waren wahrscheinlich die Fenster und die Thür, das heißt, Lichtöffnungen und Zugänge. Sonst war von einer von Menschenhand herrührenden ähnlichen Einrichtung, wie etwa von einem Fensterrahmen, einem Thürpfosten und so weiter nichts zu bemerken. So machten die Zuckerhüte mehr den Eindruck von regelrecht angelegten Termitenhaufen.
Es wäre aber doch ebenso absurd gewesen, auf dem Monde an Termiten zu denken, wie sie in Afrika vorkommen, als anzunehmen, daß die Mondbewohner menschengleich wären, und ebensolche Häuser aufführten, wie wir auf der Erde.
Der Mond ist vierzehn Mal kleiner als die Erde, daher mußten ja alle Verhältnisse auf ihm ganz andere sein als auf dieser. Außerdem besitzt er keine Atmosphäre. Die auf ihm lebenden Wesen mußten ihre Existenz also ganz anderen Bedingungen verdanken, als dem Vorhandensein von Wärme, Sauerstoff und Stickstoff. Doch, wer da glaubt, ohne diese Bedingungen sei kein Leben möglich, der ist von Irrwahn befangen, denn dann meint er wahrscheinlich, nur unsere Erde, ein Staubatom im Weltall, könne Wesen erzeugen.
Auch der Mond hat früher einmal eine Atmosphäre gehabt und infolgedessen auch Wärme von der Sonne empfangen. Das war zu einer Zeit, wo er selbst noch warm war. Auch heute ist der Mond nicht vollständig erkaltet, er muß vielmehr noch immer einen glühenden Kern haben, denn die neuesten Forschungen und Beobachtungen haben endgültig bewiesen, daß auf dem Monde noch Vulkanausbrüche stattfinden.
Aus jener Zeit nun, als der Mond noch eine Atmosphäre besaß, konnte diese Stadt wohl sehr gut stammen, und zwar mußten es verständig denkende Geschöpfe gewesen sein, die sie aufgeführt hatten. Nur durfte man dabei niemals an ‚Menschen‘ denken. Wir Menschen haben gegenwärtig als Form für unsere Häuser den Kubus gewählt, die Mondbewohner damals die des Kegels, wie sie auch heute noch in unseren Zelten vertreten ist.
Dann war die Atmosphäre aufgesaugt worden, die Kälte des Weltalls trat nach und nach an den Mond heran, alles Leben erlosch. So konnte man hier also eine ausgestorbene Stadt vor sich haben, die vielleicht schon seit Jahrtausenden unter Schnee und Eis vergraben lag.
Aber nein, der Mond war doch bewohnt! Allen gelehrten Ansichten zum Trotz! Die ganze Stadt war ja noch belebt!
Hier in der Nähe erkannte man nämlich die schon vorher undeutlich bemerkten Lichterscheinungen. Man sah, es waren leuchtende Nebel, die hin und her huschten, in den Löchern der Zuckerhüte verschwanden, und zwar nicht nur durch die Thür, sondern auch durch die Fenster. Sie verwandelten sich beständig. So zum Beispiel schwoll ein dünner Streifen unförmig an und bekam einen Kopf. Dann wurden die leuchtenden Nebelstreifen zu Armen und Beinen. Und schon glaubte man, einen Menschen in ihnen zu erkennen – viel Phantasie gehörte allerdings dazu – da wurde wieder eine Schlange mit Füßen daraus, und endlich zerfloß alles in nichts. Es war ein rastloses, ganz unkontrollierbares Spiel von weiß leuchtenden Figuren. Und wenn sie auch manchmal dicht an die Fenster heran kamen, deutlich zu unterscheiden an ihnen war doch nichts.
Und das sollten die intelligenten Wesen sein, die diese Kegelhäuser aufgeführt hatten? Es war wirklich schwer, daran zu glauben.
Daher wurde in der Sitzung der Gelehrten nach langer Debatte angenommen, daß man doch eine ausgestorbene Stadt ehemaliger Mondbewohner vor sich habe, daß es auf dem Monde kein Leben mehr gäbe, und diese leuchtenden Erscheinungen wurden für Ausflüsse von Elektricität gehalten, wie sie sich im Aether zeigten. Man beschloß, ihnen den Namen ‚Aetherwesen‘ zu geben. Aber ob diese Erscheinungen wirkliche Wesen mit selbstständiger, willkürlicher Bewegung waren, oder nur Lichtgebilde, das konnte man vorläufig noch nicht unterscheiden, wenn man auch zu der Annahme hinneigte, es hier mit wirklichen, aus Aether bestehenden und von Elektricität belebten Geschöpfen zu thun zu haben.
Es gab keine Möglichkeit, das Schiff zu verlassen. Die Untersuchung des Inneren der Mondhäuser und der Aetherwesen mußte Weltallschiffern überlassen bleiben, die Kostüme besaßen, um sich gegen die absolute Kälte zu schützen, auch außerhalb des Schiffes.
Wohl aber besaß das Schiff Einrichtungen, um die Kälte des Weltalls und andere Erscheinungen darin zu prüfen. Das waren Kammern mit doppelten Thüren, die Wände mit Glasfenstern zum Beobachten versehen, während die nach außen führende Thür geöffnet werden konnte, ohne daß man die Kammer selbst betrat. Man hat die Kälte auf 60 Grad nach Celsius berechnen wollen. Das ist aber sicher falsch, denn solch eine Kälte ist schon in Sibirien beobachtet worden. Vielmehr muß man annehmen, daß es für jene absolute Kälte keine Messung giebt, so wenig wie für Ewigkeit und Unendlichkeit, und wenn man hört, was schon eine Kälte von 60 Grad anrichten kann, so mußte solch eine absolute Kälte ungefähr so wirken, als wenn man mit vollen Zügen in einem mit Cyangas gefüllten Raume atmen wollte.
Während der Fahrt hatte Richard noch gar nicht gewagt, Experimente in der Kammer anzustellen. Hier auf dem Monde fühlte er sich etwas sicherer.
Es waren Katzen, Hunde, Hühner und andere Tiere mitgenommen worden. Als Versuchsobjekt wurde nun ein Huhn in die Kammer gebracht. Es flatterte herum. In dem Augenblick aber, als man die Außenthür durch die Vorrichtung nur ein ganz klein wenig geöffnet hatte, ja, kaum erst öffnen wollte, saß das Huhn unbeweglich da – es war erfroren. Man machte die Thür vollends auf, schloß sie wieder und ließ erst warme, dann gleich heiße Luft in den natürlich luftleergewordenen Raum ein, aber dieser mußte erst mehrfach wieder ausgepumpt und von neuem mit überhitzter Luft angefüllt werden, ehe ein an die Wand gehaltenes Thermometer anzeigte, daß man ihn betreten durfte.
Das Huhn war und blieb steif gefroren, es ließ sich über dem heißesten Feuer nicht wieder auftauen, es erwies sich als unverbrennbar und zeigte auch noch andere Eigenschaften, welche die nächsten Experimente besser erklären.
Ein Glasgefäß mit Wasser wurde ausgesetzt und der absoluten Kälte preisgegeben. Augenblicklich gerann das Wasser zu Eis. Man holte das Gefäß wieder herein, und das Wasser oder das Eis war aus dem Gefäß verschwunden. Doch war dies nur eine Täuschung. Man fühlte das Eis noch, aber man sah es nicht, auch verspürte man nichts mehr von Kälte.
Die Folgerung der Gelehrten war: in der absoluten Kälte geht das Wasser in einen vierten, uns unbekannten Aggregatzustand über, und kommt es in diesen Aggregatzustand in die für uns entsprechende Wärme und Atmosphäre, so wird es für unser Auge unsichtbar.
Wir unterscheiden dreierlei Aggregatzustände: den gasförmigen, den flüssigen und den festen. Einige Substanzen beobachten[WS 3] wir oft genug in den verschiedenen Zuständen, zum Beispiel das Wasser als Gas, nämlich als Dampf; als flüssiges Wasser; als Eis. So können wir ziemlich jede unorganische Substanz von einen Aggregatzustand in den anderen überführen, auch viele Elemente. Selbst die Luft wird jetzt unter einem kolossalen Druck und Kälte verflüssigt, aber sie fest herzustellen, das wird uns wohl nie – halt, nicht so leicht gelingen, wollen wir lieber sagen. Denn ‚nie‘ und ‚unmöglich‘ sind bei Erwägung solcher Sachen, die ins Reich der Naturwissenschaften gehören, ganz zu streichen.
Die Gelehrten des Weltallschiffes hätten aber von einem fünften Aggregatzustand sprechen sollen, denn ein vierter, uns bisher völlig unbekannter, dem auch noch immer ein Name fehlt, ist bereits entdeckt worden.
Im Jahre 1872 wurde im nördlichen Eismeer ein Wal – der Walfisch ist kein Fisch, sondern ein Säugetier – harpuniert. Der tödlich getroffene Wal schoß senkrecht in die Tiefe, kam nicht wieder zum Vorschein, wohl aber vermochte man, den in der Mitte abgebrochenen Schaft der Harpune wieder heraufzuholen, wozu die Leine wohl einige tausend Fuß aufgewunden werden mußte. Ob der Wal diese Tiefe erreicht hat, ist nicht bekannt, jedenfalls aber ist dieses Stück Holz dort unten einem ungeheuren Druck ausgesetzt gewesen.
Dem Kapitän fiel gleich etwas an dem Eschenholze auf, französische Gelehrte setzten ihre Versuche fort, und die Thatsache ist folgende: das Wasser ist durch den enormen Druck nicht nur in das Holz hineingetrieben worden, sondern es hat darin auch einen ganz anderen Zustand angenommen. Das Holz ist unverbrennbar geworden; man kann das Wasser nicht durch Hitze, nicht in der intensivsten Glut daraus verdampfen; man mag und Holz zerkleinern und zermahlen, wie man will, das Wasser bleibt auch noch dem Pulver beigemischt, dieses fühlt sich feucht an, aber getrennt kann Wasser und Holz nicht mehr werden. Hier muß angenommen werden, daß das Wasser durch den Druck in einen anderen Aggregatzustand übergegangen ist; eine andere Erklärung giebt es nicht. Ein Stückchen Holz von jenem Schafte liegt noch heute im Pariser Museum, noch immer in diesem rätselhaften Zustande. –
Die verblüffendste Eigenschaft des in der Aetherkälte gefrorenen Wassers, das in irdischer Atmosphäre und Wärme unsichtbar wurde, sollte erst noch durch einen Zufall entdeckt werden.
Als man nämlich vielerlei Versuche vornahm, Quecksilber und Säuren gefrieren ließ, Nahrungsmittel und anderes der Kälte des Weltraumes aussetzte, kam Richard zuletzt auch auf den Gedanken, ein Stück Tuch mit Wasser anzufeuchten und es in die Kältekammer zu legen. Wie die warme Luft in den Raum drang, war es, als wenn das Tuch in einen Nebel zerrinne, bis es schließlich ganz unsichtbar geworden war, aber noch fühlbar blieb.
Das war schon erstaunlich. Also auch der Gegenstand, in den Wasser drang, oder der es einhüllte, wurde beim Gefrieren desselben unsichtbar! Plötzlich bemerkte Richard noch etwas ganz anderes und stieß einen Ruf des Staunens aus, denn als er seine Hand vollends in das unsichtbare Tuch wickelte, war auch seine Hand ganz und gar verschwunden! Er legte diese unsichtbare Hand, die er nur noch fühlte, auf die Seite eines Buches, und konnte nun durch sie hindurch lesen, ja, es war überhaupt, als ob gar nichts auf der Seite läge.
Man imprägnierte darauf ganze Anzüge mit Wasser, ließ sie im Aetherraume gefrieren, zog sie an – und der Mann war verschwunden, nur Kopf und Hände schienen frei in der Luft zu schweben, und darunter standen die Stiefel.
Hier gab es genug für die Gelehrten zu tun, eine Erklärung für diese Art von Lichtbrechung oder besonderen Strahlen, die dieses Eis erzeugte, zu suchen. Wichtiger war ja aber die praktische Seite dieser Entdeckung. Eine neue Aera brach an, man hatte ein Mittel gefunden, sich unsichtbar zu machen, der Krieg und noch vieles andere würde sich vollkommen ändern. Das so verwandelte Wasser wurde Nihilit genannt, ‚nihil‘ ist ein lateinisches Wort und bedeutet ‚nichts‘.
Die Mannschaft vergaß ganz, und sie auf dem Monde war, beachtete nicht mehr die Gebirge und Krater, über welche hin das Schiff eine langsame Expeditionsfahrt unternahm; man belustigte sich nur noch damit, sich unsichtbar zu machen, und jeder sorgte dafür, ein vollständiges Kostüm von imprägniertem Aethereis zu bekommen, bei dem natürlich auch eine den ganzen Kopf verhüllende Maske und Handschuhe nicht fehlen durften.
Am anderen Tage ließ sich das Luftschiff wieder vom Monde abschleudern, was völlig glatt von statten ging.
Der Mond war umschifft, auch die andere Seite war von den Gelehrten untersucht worden.
Was die Weltallschiffer hier Seltsames erlebten, das wird Richard in einer anderen Erzählung schildern.
Jetzt lassen wir sie die Reise nach dem Mars fortsetzen.
Sie hatten sich in wenigen Stunden schon so weit von dem kleinen Monde entfernt, daß dieser die Sonne nicht mehr zu verdecken vermochte, das Weltallschiff sich also auch nicht länger in Dunkelheit bewegen durfte.
Wieder umgab die kühnen Mannen ein ewig heller Tag.
Es waren zwanzig Stunden vergangen, seitdem sie den Mond verlassen hatten, als sich erst die Offiziere und dann auch die Matrosen untereinander aufmerksam machten, daß es doch recht düster würde. Es war wie ein Nebel, der sich rings um den Almitball bildete. Er wurde immer dichter, und dann kam noch etwas dazu, was die Offiziere und schließlich alle in die höchste Bestürzung versetzte, erstere, weil sie sich den Grund der Erscheinung nicht erklären konnten, letztere, weil diese ihnen bald sehr unangenehm werden sollte.
Zuerst rutschte ein Glas vom Tisch, dann fielen noch andere Gegenstände, die nicht befestigt waren und auf einer glatten Unterlage standen, herab. Ein Blick auf die Instrumente belehrte, daß sich das Schiff auf die Seite neigte. Das war schon sehr besorgniserregend.
Es wurde immer dunkler, und die Neigung nahm immer mehr zu, stets nur nach der einen Seite hin. Vorkehrungen, um alles zu befestigen, waren vorhanden, man that es; dabei konnte man sich aber selbst kaum noch auf dem schrägen Boden halten, zuletzt lief man auf der Wand, dann stand man auf der Decke, über sich den Boden, und diesmal war das keine Sinnestäuschung wie damals. Jetzt hingen die Möbel wirklich oben, und man stand auch noch aufrecht, nur daß das Unterste zu oberst gekehrt war.
Dabei nahm die Schnelligkeit dieser Drehung immer mehr zu, stets nur nach der einen Seite hin. Das kugelige Schiff begann zu rotieren, schon stürzten die Männer übereinander und zogen sich Verletzungen zu.
Schließlich konstatierten die Offiziere und Gelehrten auch noch, daß sie von einer unbekannten Macht aus dem Kurse gelenkt wurden, und zwar zeigten die Instrumente eine ungeheure Schnelligkeit an, über neun Meilen in der Sekunde.
Und immer schneller wurde mit zunehmender Dunkelheit die Rotation, schon konnte man ihr nicht mehr folgen.
„Haltet Euch fest, klemmt Euch ein!“ schrie Richard.
Er selbst zwängte sich mit Beinen und Armem in ein durchbrochenes Geländer, das Blut stieg ihm zu Kopf, dann verließ ihn die Besinnung.
Wie er wieder zu sich kam, beschäftigten sich einige Offiziere und Matrosen mit ihm und befreiten ihn aus seiner eingekeilten Lage. Es war wieder heller Tag, die Rotation vorüber, aber schon aus den Mienen der ihn Umstehenden erkannte Richard, daß sie nicht ohne böse Folgen geblieben war.
Zunächst nahm er die Meldung des ersten Offiziers entgegen, der ebenfalls ohnmächtig gewesen, aber schon längere Zeit bei Besinnung war. Ueber drei Stunden hatte die Rotation gedauert: allmählich, wie sie begonnen, hatte sie dann wieder aufgehört; ebenso langsam war der Nebel wieder gewichen. In dieser Zeit hatte das Weltallschiff 33748 Meilen zurückgelegt, jetzt steuerte es den alten Kurs, aber – mit 13 Leichen an Bord, darunter der zweite Offizier, 42 Verkrüppelten oder Schwerverwundeten und 104 Leuten, die mindestens Quetschungen davongetragen hatten. Kurz, verschont war niemand geblieben, und die noch Lebenden hatten ihre leichten Verletzungen nur dem Umstand zu verdanken, daß sie sich, freiwillig oder unfreiwillig, irgendwo festgeklammert hatten, oder aber – das konnte jedoch nicht mehr konstatiert werden – daß sie bei der kolossalen Umdrehungsgeschwindigkeit nach dem Gesetze der Centrifugalkraft an den äußeren Wänden kleben geblieben waren.
Die Verwundeten wurden gebettet, die Leichen in der Aetherkammer der Weltallkälte preisgegeben. Gesetzt nun den Fall, sie wären hinausgefallen, was dann? Nun, dann wären sie doch die traurigen Begleiter des Schiffes geblieben, denn hier gab es überhaupt kein ‚Fallen‘ mehr, außerdem kam noch das Verharrungsvermögen der Bewegung hinzu. Anders wäre es allerdings gewesen, wenn das Schiff gebremst oder seinen Kurs verändert hätte.
Man hatte einen Sturm oder einen Wirbelwind im Weltenraum erlebt. Von einer Erklärung aber seiner Entstehung wie seines ganzen Wesens mußte man natürlich absehen. Es konnten wohl Jahrhunderte vergehen, ehe man darüber etwas Näheres wußte.
Aber einen Namen konnte man dieser einem ‚Weltallschiff‘ gefährlich werdenden Erscheinung doch geben, und man nannte sie ‚Aetherwirbel‘. Es war die Frage, ob diesem immer ein Nebel vorausging und ihn begleitete. Jedenfalls mußte man auf der Hut sein, wenn sich der blendend klare Aether verfinsterte. Das andere lehrte dann die Erfahrung. Dieses Rotieren des Weltallschiffes war zu vergleichen mit dem Stampfen und Schlingern eines Seeschiffes auf sturmdurchwühltem Meer.
Sie war teuer, furchtbar teuer erkauft, diese Erfahrung auf der ersten Weltallfahrt, aber sie lehrte, in den nächst zu bauenden Schiffen Vorkehrungen zu treffen, durch welche die Schiffer geschützt waren, und zwar waren die am besten hierzu geeigneten: leicht in Achsen rollende Kapseln, in die man sich zwängte, ehe die Rotation begann.
Noch war man mit dem Betten und Verbinden der Verwundeten beschäftigt, als mehrere laute Rufe des Staunens Richards Aufmerksamkeit erregten. Er folgte den ausgestreckten Händen – und erblickte im Aether eine große dunkle Kugel.
Sofort versammelten sich alle Offiziere und Gelehrten, ein fieberhaftes Messen mit Instrumenten, ein Berechnen begann, und schon erfüllte ein Gedanke alle mit untrüglicher Gewißheit: das kann nur ein Planet sein, der von der Erde aus noch nie gesehen worden ist, weil er stets und ständig vom Monde verdeckt wird.
Die Lage des Schiffes konnte man jederzeit bis zur tausendstel Sekunde bestimmen, dadurch ward die astronomische Berechnung auch anderer Körper möglich, und diese ergab, daß der Inhalt des Planeten fünfmal den des Mondes betrug, also ziemlich den dritten Teil der Erde, und eine Bestimmung seiner Bahn im Laufe einiger Stunden, daß er sich thatsächlich, von der Erde aus gerechnet, immer hinter dem Monde hielt. So hatte die Erde also noch einen weit größeren Mond, den die Menschen aber nie sahen.
Die Aufregung der Ingenieure und besonders der Astronomen bei dieser Entdeckung war eine ungeheure, und die ganze Mannschaft wurde angesteckt, als sie erfuhr, aus der Spektralanalyse und anderen Anzeichen müsse man auf eine dichte Atmosphäre, und daraus wieder auf eine Vegetation und Bewohnbarkeit des Planeten schließen.
Der Kurs wurde geändert, und mit voller Kraft auf den neuen Planeten zugesteuert. Der alte Mars lief ja nicht davon. Erst zu diesem neuen! In einigen Tagen konnte man ihn erreicht haben.
Aber zunächst mußte das Kind auch einen Namen haben!
Richard sollte der Hauptpate sein, doch bescheiden schlug er es ab, seinen Namen am Himmel zu verewigen.
„Das Land der Deutschen hieß einst Germania,“ sagte er. „So soll nun Germania neu am Himmel entstehen.“
„Hurrah, Germania!“ jubelte es im Schiff.
Unablässig standen die Schiffer an den Fenstern und legten das Fernrohr nicht aus der Hand, die Kranken aber konnten nicht schlafen, denn die Spannung wuchs immer mehr.
Jetzt konnte die Dichtigkeit der Atmosphäre gemessen werden – sie glich fast ganz derjenigen der Erde; man bemerkte Wolken, konnte sogar schon ein Gewitter wahrnehmen. Auch das Vorhandensein einer Vegetation war garantiert, denn nach der Dichtigkeit der Atmosphäre mußte der Planet[WS 4] schon fest sein; jetzt konnte man seine Umdrehung um die eigene Achse berechnen. Tag und Nacht wechselten innerhalb von fast genau vierundzwanzig Stunden miteinander. Alles war fast ebenso wie auf der Erde; man konnte Menschen, wirkliche Menschen dort finden, nur daß man im Verhältnis zum Durchmesser dieses Planeten und also zu seiner Anziehungskraft solche erwarten mußte, die kaum ein Drittel der Größe irdischer Menschen erreichten.
Nach zwei Tagen kam man in eine Nebelschicht; man durchbrach sie, und unter ihnen lag die Oberfläche der Germania!
Nun wurde die Fahrt des Schiffes gebremst, die letzte, schneckenhafte Bewegung, nur fünfzig Meilen in der Stunde, in eine vertikale über die Oberfläche hin verwandelt, und zwar in einer Höhe von tausend Metern, sodaß man alles, was dort unten vor sich ging, durch das Fernrohr deutlich erkennen konnte.
Es war ganz das Bild der Oberfläche unserer Erde. Wälder, grüne und breite Flächen, dazwischen sich hinschlängelnde Ströme, Seen, Wüsten, Gebirge, Thäler, alles war dort wie bei uns vertreten. Aber nur eins sah man nicht: keine einzige Stadt, kein Dorf, kein Haus.
In Städten lebende Menschen konnte es hier unten also nicht geben, und man war noch zu hoch, um überhaupt eine Tierwelt unterscheiden zu können.
Das Weltallschiff senkte sich noch fünfhundert Meter tiefer hinab.
„Ein Vogel – ein Elefant – ein Hirsch – ein Krokodil.“
So klang es durcheinander.
„Ein Mensch.“
„Ein Mensch – ein Mensch!“
„Es ist ein ungeheurer Riese,“ erklärten die das Fernrohr und die Entfernung besser Kennenden, „alle diese Tiere sind von einer enormen Größe, aber dieser Mensch übertrifft sie noch an Dimensionen, er mag 30–40 Meter hoch sein, wenn nicht noch größer. Wie ist das möglich auf solch einem kleinen Planeten?“
„Weil unsere Annahme, daß mit der Abnahme des Umfanges des Erdkörpers und seiner Anziehungskraft auch die Größe und Kraft seiner Bewohner abnehmen muß, nur eine leere Hypothese ist,“ entgegnete Richard.
„Kapitän, wir sinken!“ rief der wachthabende Offizier.
„Nicht möglich!“
„Wir sinken rapid, wir stürzen!“
Richard sah nicht erst nach den Instrumenten, jetzt bemerkte man den Sturz mit bloßen Augen. Er sprang an die Hebel und Apparate – alles war in Ordnung. Er gab volle Schnelligkeit, das Schiff schoß mit der Geschwindigkeit des elektrischen Funkens dahin. Unterscheiden konnte man natürlich dort unten nichts mehr.
Jetzt änderte Richard den Kurs, er wollte etwas in die Höhe.
Aber das Schiff gehorchte nicht mehr seinem Willen.
Es ging zwar langsam, es ging auch schneller und bog unter der Hand des Steuernden nach links und nach rechts aus, und es war an den Maschinen auch noch alles in Ordnung, wie eine Probe mit Instrumenten ergab – aber nach oben konnte es nicht mehr gebracht werden, es senkte sich immer mehr herab.
Richard wandte noch einmal die ganze aufgespeicherte Kraft an, es in die Höhe zu lenken. Vergebens, es gehorchte nicht.
In dieser Einseitigkeit des Ungehorsams lag etwas Unheimliches. Mit erschrockenen Gesichtern sahen sich die Ingenieure an.
Noch einmal probierte Richard. Es kam ihm genau so vor, als wenn das Schiff von einer unsichtbaren Kraft nach unten gezogen würde, die aber nicht die Schwerkraft sein konnte, das heißt, die Anziehung, die solch ein großer Himmelskörper allein als Masse ausübt.
„Ich weiß es,“ sagte Richard plötzlich und erbleichte, „dieser Planet zieht Almit an wie ein Magnet Eisen.“
Einen Augenblick herrschte Todesstille nach diesen Worten.
„Ja, wie wollen wir da wieder von ihm frei kommen?“ flüsterte endlich einer.
„Das ist es! Doch zu spät, jetzt darüber nachzugrübeln. Achtung, ich kann den Sturz nicht mehr aufhalten! Nur die Fahrt muß ich hemmen, sonst zerschmettern wir unfehlbar in Atome. Nun sei uns Gott gnädig!“
Aus einer Höhe von vierhundert Meilen sauste das Weltallschiff in sich immer mehr steigernder Geschwindigkeit herab. Richard vernahm noch einen donnernden Krach, er wurde mit dem Kopfe gegen die Decke geschmettert – – sah sich erstaunt in seinem Schlafzimmer um. Er war mit dem Kopfe zuerst aus dem Bett gefallen!
Heft 5 enthält die Erzählung: „Die verzauberte Insel“.
Verlag von H. G. Münchmeyer, Dresden.
Karl May’s illustrierte Werke.
Diese neue illustrierte Ausgabe umfaßt die in obigem Verlage erschienenen Werke des bekannten und beliebten Reiseschriftstellers Karl May in Radebeul bei Dresden. Dieselbe erscheint in 6–7 Serien à ca. 30 Lieferungen oder in ca. 30 Bänden à 5–600 Seiten.
Jede Lieferung von 5–6 Bogen, à 16 Seiten,
kostet nur 30 Pfg.
Jede Serie ist für sich abgeschlossen.
Serie I bringt den Reiseroman:
mit seinen 4 Abteilungen:
- Eine deutsche Sultana,
- Die Königin der Wüste,
- Der Fürst der Bleichgesichter,
- Der Engel der Verbannten.
Reiseroman von Otto Freitag.
Mit 90 Bilderbeilagen, 17 Karten und
circa 900 Textillustrationen.
90 Lieferungen brosch. à 15 Pf.
18 Bände geb. à 1 Mk.
Zu beziehen durch die meisten Buchhandlungen, wo nicht zu haben, auch direkt franko von der Verlagsbuchhandlung.
Prospekt.
„Aus dem Reiche der Phantasie“
ist der Gesamttitel für das vorliegende, epochemachende Unternehmen, das der bekannte und beliebte Reiseschriftsteller Robert Kraft der reiferen Jugend bietet.
Wohl kein anderer Schriftsteller dürfte geeigneter sein, ein derartiges Werk, das im Genre der Jules Verne’schen[WS 5] Schriften gehalten ist, besser durchzuführen, als Robert Kraft, dessen reiche und unerschöpfliche Phantasie unterstützt wird durch seine Erlebnisse und Erfahrungen, die er auf seinen Weltreisen gesammelt hat.
Schon als 13 jähriger Knabe zog Robert Kraft hinaus in die weite Welt und bereiste dieselbe als Schiffsjunge, Matrose und Forscher viele Jahre. (Siehe seine Werke: „Erlebnisse eines 13jährigen Knaben“ und „Die Vestalinnen oder Eine Reise um die Erde,“ aus dem unterzeichneten Verlage.)
Meisterhaft hat es Robert Kraft in seinem neuesten Werke: „Aus dem Reiche der Phantasie“ verstanden, den Leser nicht allein dauernd zu fesseln, sondern auch dabei zu belehren, und so hofft die Verlagsbuchhandlung, daß er sich durch dieses Werk viele neue und treue Freunde erwerben möge.
„Aus dem Reiche der Phantasie“ erscheint in abgeschlossenen Heften, à 10 Pfg., 10 Hefte in Umschlag broschiert kosten 1 Mk., 30 Hefte in hocheleganter Einbanddecke, gebunden, kosten 4 Mk. Bisher erschienen:
- Heft 1) Der letzte Höhlenmensch. – 2) Die Totenstadt. – 3) Der rote Messias. – 4) Die Weltallschiffer. – 5) Die verzauberte Insel. – 6) Der König der Zauberer. – 7) Das Stahlroß. – 8) Die Ansiedlung auf dem Meeresgrund. – 9) Eine Nordpolfahrt. – 10) Die indischen Eskimos.
Die Hefte sind durch alle Buch-, Kolportage- und Schreibwarenhandlungen zu beziehen, wo nicht zu haben, auch direkt franko von der Verlagsbuchhandlung.
Dresden-A.,
Freibergerstraße 75.
Fußnoten
- ↑ Bitte den Text auf nebenstehender Umschlagseite zu beachten.