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Das Stahlroß

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Autor: Robert Kraft
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Titel: Das Stahlroß
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Erscheinungsdatum: (1901)
Verlag: H. G. Münchmeyer
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Erscheinungsort: Dresden
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Quelle: Commons
Kurzbeschreibung: Ein Abenteuer in Südafrika mit einem Roboterpferd.
Heft 7 der Heftromanserie Aus dem Reiche der Phantasie
Text auch als E-Book (EPUB, MobiPocket) erhältlich
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Aus dem Reiche der Phantasie.

Herausgegeben von Robert Kraft.

Preis 10 Pfg. = 14 Heller = 15 Ctm.

Heft 7.


Das Stahlroß.
[WS 1]           

7.

Verlag und Druck von H. G. Münchmeyer, Dresden.

Auszug aus der erklärenden Einleitung zum ersten Bändchen.

Richard ist bis zum zwölften Jahre ein kräftiger, lebensfroher Knabe gewesen, als er durch ein Unglück gelähmt wird.

Am Abend seines vierzehnten Geburtstages sitzt der sieche Knabe allein in der Stube, traurig und freudlos, kein Ziel mehr im Leben kennend. Da erscheint ihm eine Fee. Sie nennt sich die Phantasie, will ihm ihr Geburtstagsgeschenk bringen und sagt ungefähr Folgendes:

In Richards Schlafzimmer befindet sich eine Kammerthür. Jede Nacht wird er erwachen (das heißt nur scheinbar), er soll aufstehen, jene Thür öffnen, und er wird sich stets dort befinden, wohin versetzt zu sein er sich gewünscht hat. Er kann sich also wünschen, was er will, er kann allein sein oder mit Freunden, er kann auch den Gang seiner Abenteuer ungefähr im voraus bestimmen; hat er aber einmal die Schwelle der Thür überschritten, dann ist an dem Laufe der Erlebnisse nichts mehr zu ändern. Alles soll folgerichtig geschehen, der Traum nichts an Wirklichkeit einbüßen. –

Die Erscheinung verschwindet, Richard erwacht aus dem Halbschlummer. Aber die gütige Fee hält Wort, und so findet der arme Knabe im Traume einen Ersatz für sein unglückliches Leben.

Jede Erzählung schildert nun eins seiner wunderbaren Erlebnisse, wie sie ihm die Phantasie eingiebt.


VII.[WS 2]
Das Stahlroß.[1]




Die erste Kunde.
Alle Rechte vorbehalten.

Die englische Stadt Kolobeny liegt in einer blühenden Gegend, die rechts von dem wilden Grenzflusse Transvaals, dem Limpopo, durchflossen, links von der furchtbar öden Wüste Kalahari eingeschlossen wird.

Ueber diese ganze Landschaft herrschte als unumschränkter Monarch der Polizeihauptmann von Kolobeny, Mister Litton, dessen Schutztruppe teils aus verwegenen Abenteurern, teils aus Negern bestand, die auf einen Wink ihres Gebieters zu allem bereit waren. Man hatte für den weit in die Wildnis und an die Grenze vorgeschobenen Posten einen rücksichtslosen und sogar grausamen Charakter gebraucht, der bei aller eigenen Energie ein gefügiges Werkzeug der Regierung war, und Mister Litton vereinigte alle geforderten Eigenschaften in sich.

Soeben hatte dieser allmächtige Mann in seiner Villa einen Besuch empfangen, vor dem selbst er sich in kriechender Demut beugte, denn es war kein anderer als Mister Samuel Davis, der Direktor der Kimberley-Diamantenminen, der in Afrika so ziemlich die Rolle des lieben Herrgottes spielte.

„Halloh, Mister Litton, was in aller Welt haben Sie denn gemacht?“ war das erste Wort des ältlichen Mannes mit den ehernen Zügen und den lüsternen Augen. „Haben Sie ein Duell auf Reitpeitschen gehabt?“

Die spöttische Frage war berechtigt, denn das schon an und für sich nicht schöne Antlitz des Polizeihauptmannes war über und über mit blutroten Schwielen bedeckt, die sicher von einer Reitpeitsche herrührten.

„O nein, ich bin ein Engländer. Wie könnte ein Engländer sich in ein Duell einlassen!“ versuchte Mister Litton mit einer schmerzhaften Verzerrung des Gesichtes zu lächeln. „Ich habe Unglück mit meinem Pferde gehabt, bin gerade in einen Dornenbusch geschleudert worden.“

„So, so, das ist etwas anderes,“ sagte Mister Davis. „Ich habe gehört, Sie hätten gestern ein Rencontre mit einem Farmer, einem jungen Deutschen, gehabt, der ein ganz rabiater Bursche sein soll.“

„So war es in der That, Herr Direktor. Georg Schneider ist sein Name; hat ganz nahe an der Grenze seine Farm; ist nur aus Trotz ein schlechter Steuerzahler, und überhaupt ein Rebell, der behauptet, wir Engländer hätten hier kein Recht, dieses Gebiet gehöre noch zu Transvaal.“

„Unerhört!“ stieß Mister Davis hervor.

„Als er gestern wieder Scenen aufführte und meine Leute mit der Waffe bedrohte, wenn sie nicht seinen Hof verließen, wollte ich einmal ein Beispiel statuieren. Ich ließ ihn festnehmen. Da tötete er einen Kaffer, der aber immerhin ein Beamter war, sodaß ich ihn ins Gefängnis werfen mußte. – Heute morgen nun wurde Georg Schneider in seiner Zelle erhängt aufgefunden, er hat sicherlich aus Furcht vor der Aburteilung Selbstmord begangen.“

Mister Litton wandte das blutunterlaufene Gesicht ab und dem Fenster zu, von dem aus man die Anfänge der Kalahariwüste überblicken konnte.

„Recht so,“ pflichtete der Minendirektor bei, „dennoch fürchte ich, Sie erzählen mir nicht ganz die Wahrheit –“

„O gewiß!“ fiel Mister Litton hastig ein. „Ich versichere Ihnen, ich war so aufgeregt, daß ich mein Pferd nicht zügeln konnte, und da hat es mich abgeschleudert, gerade in einen Dornenbusch hinein.“

„Nicht ganz die Wahrheit,“ fuhr Mister Davis gelassen fort, „ich bin nämlich der Ansicht, daß dieser Kerl von einem Deutschen sich nicht nur aus Furcht und Reue aufgehängt hat, sondern auch deswegen, weil Sie ihm im Gefängnisse, das Sie eine Zelle zu nennen belieben, so zugesetzt haben, daß er sich aus Verzweiflung lieber gleich das Leben nahm. Wenn ich an Ihrer Stelle gewesen wäre, ich hätte mit dem Burschen noch etwas ganz anderes angestellt – die Haut hätte ich ihm bei lebendigem Leibe in Streifen abgeschält. Nun, lassen wir das jetzt. Sie können sich denken, daß ich nicht die beschwerliche Reise von Kimberley hierher angetreten habe, um mich mit Ihnen über englische, an einem Deutschen geübte Gerechtigkeit zu unterhalten. Andererseits betrifft die Angelegenheit, die mich hierherführt, wiederum gerade einen Deutschen, und zwar ist sie von größerer Wichtigkeit als die soeben erzählte. Sie haben doch gewiß schon von dem jungen, deutschen Ingenieur gehört, der auf einer ganz wunderbaren, mechanischen Erfindung, einer Art von stählernem Pferde einen Ritt quer durch Afrika macht?“

Erstaunt verneinte Mister Litton und entschuldigte dann seine Unkenntnis mit der großen Abgelegenheit von Kolobeny, das noch nicht einmal mit einer Eisenbahnlinie verbunden war.

„Schon vor einem Vierteljahre,“ erklärte der Direktor weiter, „tauchte in den Zeitungen das Gerücht auf, daß ein deutscher Ingenieur eine ganz wunderbare Erfindung gemacht habe, um entweder Elektrizität oder auch eine andere Kraft zu erzeugen. Alles, was man darüber hörte, klang so unwahrscheinlich, daß man zunächst glaubte, es hier lediglich mit der Phantasie eines Zeitungsschreibers zu thun zu haben. Nun aber bestätigt sich das Gerücht als Thatsache. Der Betreffende ist noch ein Knabe, und ob er nun die Entdeckung selbst gemacht, oder sie vielleicht als Erbschaft von seinem Vater oder von sonst jemandem überkommen hat, er besitzt zweifellos das Geheimnis, eine bisher ganz unbekannte Kraft scheinbar aus nichts zu entwickeln und sie dann zu verwerten. Ganz in der Einsamkeit hat er sein Werk vollendet oder vollenden lassen. Alles ging so heimlich zu, daß man noch nicht einmal seinen Vatersnamen, sondern nur seinen Vornamen Richard kennt. – Der Natur eines Knaben ist es übrigens ganz angemessen, daß er die neue Kraft zuerst bei einem ganz phantastischen Vehikel verwertet hat und mit diesem gleich quer durch Afrika auf Reisen gehen will.

Vor drei Wochen ist er mit seinem stählernen Roß an der Westküste angekommen und von Windhoek aufgebrochen. Er befindet sich unterwegs; alles ist Thatsache, unzählige Menschen haben ihn und sein Stahlroß bereits gesehen und können nicht Wunderbares genug davon erzählen. Ich habe auch schon erfahrene Ingenieure gesprochen, die das Stahlroß besichtigt haben, und sie alle stimmen darin überein, daß hier eine Erfindung von phänomenaler Bedeutung vorliegt. Keine Kohlenheizung, keine Dampfkraft, keine elektrische Batterie, keine Reibungselektrizität, kein Petroleum, kein Benzin – und doch bewegt sich das Ding mit einer fabelhaften Geschwindigkeit!“

„Alle Wetter,“ ließ sich da Mister Litton vernehmen, als der Minendirektor eine Pause machte und gedankenvoll vor sich hinsah, „die Entdeckung einer solchen neuen Kraft muß ja eine vollkommene Rebellion in der gesamten Technik bewirken und tief ins Geschäftsleben einschneiden. Vermutlich werden nun zahllose Fabriken bankrott.“

Mister Davis nickte beistimmend und blinzelte den anderen schlau an.

„Ja,“ antwortete er, „aber wenn nun ein Staat diese Erfindung allein besäße und sie den anderen Ländern vorenthielte, so wie jetzt der Knabe ja keinen einzigen Menschen eingeweiht hat? Was wäre dann zu erwarten?“

„O, derjenige, der sie allein besitzt, würde der mächtigste Mensch auf der Erde werden!“ rief Mister Litton, erregt aufspringend. „Und der Staat, der sie allein verwerten könnte, müßte die ganze Welt zu seinen Füßen legen können.“

Auch der alte Direktor hatte sich erhoben.

„So soll dieser Staat England sein!“ sagte er feierlich. „An Ihnen aber, Mister Litton, ist es, Ihrem Vaterlande diesen unschätzbaren Dienst zu erweisen und sich selbst damit zugleich einen unsterblichen Namen zu machen.“

Die beiden Männer hatten sich schnell verstanden; sie setzten sich wieder und verhandelten nun wie kühl rechnende Engländer.

„Wo sich Richard gegenwärtig befindet, ist nicht bekannt,“ fuhr Mister Davis fort. „Zuletzt ist er mit dem Stahlroß in Rehobath, jenseits der Wüste Kalahari, gesehen worden, also hält er sich höchstwahrscheinlich in der Wüste auf. Aber diese ist groß, und ob es ihm gelingt, die grausige Einöde zu passieren, ist immerhin noch die Frage. So haben wir bis jetzt noch keine Garantie für das Gelingen unserer Pläne. Doch wir dürfen die Hoffnung nicht aufgeben. Das mechanische Pferd kann übrigens gehen, traben und galoppieren, ganz wie ein natürliches Pferd. Aber sonst ist von seiner Schnelligkeit nichts bekannt. Doch wir wollen jetzt auch nicht einen Augenblick Zeit mehr verlieren. Machen Sie sich auf der Stelle bereit und bieten Sie alle Ihre Mannschaft und die sonstigen Hilfsmittel, die Ihnen zur Verfügung stehen, auf, um den Stahlreiter zu empfangen und – abzufangen, ehe er noch die Grenze von Transvaal überschritten hat. Denn dort ist er außerhalb des Bereiches unserer Macht.“

Mister Davis zog eine Brieftasche hervor, entnahm ihr ein Papier, das er dem Polizeihauptmann auseinandergefaltet hinhielt, und setzte hinzu:

„Dann, Mister Litton, gehört dieser Check Ihnen.“

Die roten Schwielen des Polizeihauptmannes färbten sich noch dunkler. Es war ein Check über 50,000 Pfund Sterling, über eine Million Mark, auszahlbar von Mister Davis an den Einlieferer des Stahlrosses.

„Ich werde mir den Check verdienen,“ sagte er mit eisiger Ruhe. „Nur habe ich noch einige Fragen, die Sie mir wohl beantworten können, da Sie schon nähere Erkundigungen über die Maschinerie eingezogen haben. Ist anzunehmen, daß der Stahlreiter die Grenze gerade hier passieren wird?“

„Er wird es auf jeden Fall thun. Der junge Ingenieur hat seine Ehre daran gesetzt, nicht wo anders aus der Wüste herauszukommen, als gerade hier, und er ist mit allen Instrumenten ausgerüstet, um seinen Weg zu finden.“

„Ah, dann ist meine einzige Sorge beseitigt. Läuft das Stahlroß schneller als ein Pferd?“

„Als ein Pferd in Carriere? Sicher nicht! Es soll sehr unbeholfen aussehen, wenn es galoppiert, und bei der fabelhaften Schnelligkeit, die ich erwähnte, dachte ich nur an einen Vergleich mit anderen, ähnlichen Automobilen, die es ja auch schon gegeben hat. Denken Sie doch nur: ein Pferd, aus Stahl gebaut, dessen Gelenke sich alle bewegen müssen! Nein, so schnell wie ein Eisenbahnzug geht es natürlich nicht.“

„Kann es schwimmen?“

„Auch das ist undenkbar. Ingenieure haben bereits berechnet, daß der Hohlraum des Pferdes – vorausgesetzt, daß ein solcher wirklich vorhanden ist – nicht ausreicht, um den Stahlbau über Wasser zu halten.“

„Dann gäbe es ja für den Reiter überhaupt keinen anderen Weg über den Grenzstrom als über die hölzerne Brücke! Wenn ich das Roß nun, um mich seiner zu bemächtigen, erst im Wasser versenkte, würde das der Maschinerie etwas schaden?“

„Auch darüber kann ich Sie beruhigen. Nein, auch das schadete nichts. Man hat bereits gesehen, wie der Reiter das Roß durchs Wasser lenkte, sodaß es sich ganz darunter befand und nur er selbst mit dem Kopfe hervorsah. Die Nässe schadet also dem Mechanismus und der Kraftentwicklung nicht. Wenn Sie aber vorhaben, die Brücke anzusägen, die der Reiter passieren muß, so mache ich Sie darauf aufmerksam, daß der Limpopo sehr tief ist. Die Maschine darf nicht verschlammen. Heil müssen wir sie in jedem Falle haben. Sie darf nicht zerschossen, nicht zerschmettert, nicht demoliert werden, damit wir die innere Einrichtung noch studieren können – das ist Bedingung.“

„Die ich einhalten werde,“ ergänzte der Polizeihauptmann. „Uebrigens würde das Versenken im Strom und das Wiederheraufholen aus demselben auch das letzte Mittel sein, dessen ich mich bedienen würde, um mich des Stahlrosses zu bemächtigen. Eigentlich ist die Sache ganz einfach. Ich brauche den Reiter doch nur ....“

Der ehrenwerte Beamte machte eine sehr bezeichnende Bewegung, die, auf deutsch übersetzt, ungefähr ‚wegzuputzen‘ bedeutet hätte.

Da aber erhob Mr. Davis warnend die Hand.

„Keinen Mord, keine übereilte That!“ flüsterte er. „Bedenken Sie, daß er ein Deutscher ist, der direkt aus Deutschland kommt. Durch eine solche That könnten wir aller Früchte verlustig gehen. Außerdem halten Sie auf die Ehre Old-Englands! Wir haben nie ungerechterweise Blut vergossen und unser Schild nie mit einer Schandthat befleckt. Ja, etwas anderes wäre es,“ setzte er nach einer kleinen Pause augenblinzelnd hinzu, „wenn Sie den leichtsinnigen Knaben vielleicht erst zu einer unbedachtsamen That hinreißen könnten, wenn Sie ihn vielleicht durch irgend ein Versehen – irren ist ja menschlich – zu einem Vergehen, etwa zu einem kleinen Totschlag reizten. Dann können Sie ihn allerdings …“

Diesmal machte der Polizeihauptmann eine abwehrende Handbewegung, das heißt nur zum Zeichen, daß er nicht mehr hören wolle, weil er vollkommen verstanden habe und schon allein wisse, was Mr. Davis ihm hatte sagen wollen.

„Dann mache ich Sie noch darauf aufmerksam,“ schloß letzterer nunmehr, „daß der Knabe Schußwaffen besitzt, bei denen er ebenfalls die neue Kraft verwertet. Sie sollen eine furchtbare Wirkung haben. Etwas Vorsicht möchte ich Ihnen also anraten, falls es wirklich auf Leben und Tod gehen sollte.“

Die beiden Biederleute nahmen darauf Abschied voneinander.

Mr. Litton ließ seine Blicke durch das Fenster über die sich endlos erstreckende Wüste gleiten.

„Von dort soll er kommen,“ murmelte er, „von dort, wohin ich Annas Bruder in den Tod geschickt habe? Hm, ich hatte heute morgen eigentlich etwas ganz anderes vor, als mich Dienstgeschäften zu widmen. Aber die 50,000 Pfund Sterling lasse ich mir nicht entgehen. Anna bleibt mir ja trotzdem sicher.“

Nach diesem Selbstgespräche rief er durch ein Klingelzeichen seine schwarze Ordonnanz herbei, um ihr Instruktionen für seine Schutzmannschaft zu erteilen.




Ein Racheakt.

Auf dem gelben Sande der Wüste Kalahari jagte in wilden, unregelmäßigen Sprüngen ein mächtiger Rappe hin und her, bald in jäher Flucht vorwärts stürmend, bald mit allen Zeichen des Entsetzens zur Seite springend, um sich dann manchmal auch in dem lockeren Sande zu wälzen.

Das Roß war, obgleich es wohl noch nie einen Menschen getragen hatte, nicht reiterlos. Sogar zwei Menschen saßen auf dem Rücken des aufgeregten Tieres, das weder Zügel noch Sattel oder Steigbügel hatte, und machten die Wälzungen desselben im Sande mit, ohne herabzufallen, obwohl sie sich nicht festhielten.

Sie waren nämlich mit Stricken und Riemen auf dem Rücken des Pferdes festgebunden.

Ein furchtbarer Racheakt lag hier vor, ein Racheakt, wie ihn nur die teuflischste Phantasie ersinnen konnte. Schon daß man einen oder zwei Menschen auf ein wildes, ungebändigtes Roß gebunden und dieses dann in die Wüste gejagt hatte, in der Hoffnung, daß ein Wälzen des Tieres in dem äußerst tiefen und weichen Sande der Kalahari die Reiter nicht töten, sondern nur leicht verletzen würde, war an und für sich eine Grausamkeit, die nur in der Hölle erfunden sein konnte.

Aber hier lebte nur einer der Reiter. Der andere, eng mit dem ersteren befestigt, war bereits tot. Außerdem aber hätte der noch lebende Reiter es in der feurigen Sonnenglut auch nicht lange ohne Trinkwasser aushalten können.

Letzterer war niemand anderes als Georg Schneider, der junge deutsche Farmer, und der Schwarze vor ihm war derjenige Neger, den er im Kampfe um Eigentum, Ehre und Leben, also aus Notwehr, getötet hatte.

Georg Schneider hatte keinen Selbstmord begangen. Der Polizeihauptmann, den er gerechtermaßen mit der Reitpeitsche gezüchtigt, hatte also seine Rache noch ausüben können, und er wußte in der That eine bessere Rache als die Verurteilung zum Tode!

Es wurde nämlich einfach gesagt, der Häftling hätte sich in seiner Zelle erhängt, und während man dann einen vielleicht gerade gestorbenen Mann an seiner Stelle verscharrte, band man Georg heute morgen noch vor Aufgang der Sonne nackt auf ein wildes Roß, das jedem Zähmungsversuch spottete und daher untauglich und nur gerade zu diesem Zwecke recht gut brauchbar war und vor ihn schnallte man den getöteten Soldaten. Dann wurde das unbändige Pferd in die Wüste hinausgejagt.

Die Sonne ging auf, die Hitze nahm zu. Der Glut nackt preisgegeben, von unzähligen Mosquitos gepeinigt, auf einem vom Entsetzen gepackten, sich überschlagenden Pferde – wer mag die Gefühle solch eines Gefolterten zu beschreiben!

Immer höher stieg die Sonne. Ohnmachten wechselten mit klaren Minuten ab, der Unglückliche weinte und betete zu Gott und selbst zum Teufel, denn auch die Hölle wäre ihm willkommen gewesen, wenn nur sein Zustand ein Ende nahm. Endlich machte ihn ein abermaliges Wälzen des Pferdes bewußtlos, doch der Schmerz der davongetragenen Quetschwunden brachte ihn wieder zur Besinnung.

„Herr, habe Erbarmen mit mir, mache meinen Qualen ein Ende,“ wimmerte er, ohne noch einer Thräne in den leergebrannten Augen fähig zu sein.

Da war es ihm, als ob er etwas in der Sonne blitzen sähe. Er achtete nicht darauf, es funkelte ihm ja beständig vor den Augen. Jetzt aber machte das Pferd, das sich nicht mehr warf, sondern nur noch scharf jagte, eine Wendung, sodaß er deutlicher sehen konnte. So erkannte er denn, daß es ein silbergraues, und zwar kein natürliches, sondern anscheinend ein aus Stahl gebautes Pferd war, was ihm vorhin aufgefallen. Die mechanische Konstruktion desselben war unverkennbar, doch bemerkte er auf demselben einen Jüngling. Das Stahlroß jagte hinter dem wilden Pferde her, dem der Reiter vergeblich von der Seite beizukommen suchte, da der Wildling dessen Absicht durch Ausschlagen völlig unmöglich machte.

Jetzt brachen aus den Nüstern des Geisterpferdes zwei mächtige Feuerstrahlen hervor.

Ja, gewiß, es war ein Geisterpferd mit einem Engel, ihm zur Rettung vom Himmel gesandt! Der Unglückliche befand sich ja in einer Verfassung, daß er nichts mehr für unmöglich hielt.

„Zu Hilfe, zu Hilfe!“ wimmerte er, sich der deutschen Sprache bedienend.

„Nur Mut, nur noch einen Augenblick,“ erklang es da, und diese Worte deuchten dem Unglücklichen Engelsmusik zu sein, „ich mag nicht schießen, ich könnte Dich treffen. Aber Dein Pferd entgeht mir nicht!“

Etwas Blendendes und Heißes jagte darauf an Georg vorbei. Dann fühlte er, wie sein Tier stehen blieb und er selbst von einem Arm umschlungen wurde, und endlich fiel er abermals in Ohnmacht.




Auf dem Stahlroß.

Georg machte die Bewegung des Schluckens. Dadurch kam er wieder zu sich. O, wie so angenehm kühl rann es ihm durch den Leib! Ach, so hätte er ewig trinken mögen!

Als er die Augen aufschlug, sah er einen in dunkelgrünen Stoff gekleideten Knaben vor sich stehen, der ihm eine große Flasche an den Mund hielt, und als er, ohne mit Trinken aufzuhören, die Augen etwas weiter wandte, erblickte er auch das blanke Pferd, das jetzt steif dastand. Gewiß war es ganz aus Eisen oder Stahl, eine wunderbare, im Himmel von Engeln gefertigte Maschine, die ein irdisches Pferd nie eingeholt hätte.

Das war eine seltsame Schlußfolgerung, aber bei einem Menschen, der eben aus einer Ohnmacht erwacht ist, nachdem er so Schreckliches durchgemacht hat, wohl begreiflich.

„Bist Du ein Engel?“ war Georgs erstes Wort, als er mit Trinken absetzte.

Statt hierauf eine direkte Antwort zu geben, hob der Knabe die Hand zum Himmel empor und antwortete feierlich:

„So wahr ich ein Mensch bin wie Du, Unglücklicher, schwöre ich hiermit, diese ungeheuerliche Schandthat an dem zu rächen, der ihren Plan ersonnen hat, auf daß nicht die Sonne über mir vor Scham erblinde und der Himmel nicht feurigen Schwefel auch über die Unschuldigen regnen lasse. Und hättest Du auch selbst eine so furchtbare Sünde begangen, daß Du die ewige Verdammnis verdientest, so will ich Dich doch rächen und den Teufel ausfindig machen und ihn mit dem Tode bestrafen, der so Entsetzliches an Dir verbrochen hat.“

„Ich bin unschuldig,“ flüsterte Georg, „denn habe ich auch einen Menschen getötet, so geschah es nur in Notwehr.“

„Erzähle mir, wie Du in diese furchtbare Lage kamst, und nenne mir den, der eine solche teuflische Rache ausfindig machte, damit ich ihn zur Rechenschaft ziehe.“

Während Richard den völlig nackten Mann, der über und über mit Abschürfungen bedeckt war, wenn er auch sonst keine gefährlichen Verletzungen davongetragen hatte, mit Wein und Oel wusch, erzählte dieser mit häufig stockender Stimme, daß er nach dem Tode seiner Eltern zusammen mit seiner Schwester und den nötigen Landarbeitern eine Farm auf englischem Gebiete an der Grenze Transvaals bewirtschaftet habe. Mochte er auch mit deutscher Offenheit manchmal über englische Anmaßung gesprochen haben, den Gesetzen, unter denen er nun einmal stand, hatte er sich doch stets untergeordnet und auch seine Steuern immer pünktlich bezahlt. Aber da seine Schwester Anna ein schönes Mädchen war und von den Werbungen des sich allmächtig dünkenden Polizeihauptmannes nichts wissen wollte, dem Georg schon das Haus hatte verbieten müssen, um seine Ehre und die seiner Schwester zu schützen – so war er in den Augen des Mister Litton zum Verbrecher geworden. Es war nach dessen Ansicht eine unverzeihliche Frechheit, daß die beiden Deutschen ihm auf englischem Gebiete zu trotzen wagten.

Als Georg nun gestern morgen von einer weiten Reise zurückkam, fand er seine Farm von englischen Polizisten besetzt, die wie die Gebieter auftraten, und erschien gerade noch zur rechten Zeit, um Anna vor den Zudringlichkeiten des Hauptmannes zu retten. Die Züchtigung, die er Mister Litton dafür mit der Reitpeitsche zuteil werden ließ, hatte dieser daher wohl verdient. Dann kam es zum offenen Kampfe, in dem Georg einen Soldaten tötete, darauf wurde er überwältigt, und das Folgende wissen wir bereits ausführlich.

„Der Schurke soll seiner Strafe nicht entgehen,“ wiederholte Richard in gerechter Entrüstung. „Wo aber mag Deine Schwester sein?“

„Sie ist ihm vollkommen schutzlos preisgegeben,“ klagte Georg, „und ich kann mich nur noch an Mister Litton rächen. O, ich weiß, wo sich der Polizeihauptmann jetzt befindet. Er hat im sogenannten roten Thale ein Bungalow, eine indische Villa, dorthin schleppt er stets seine Opfer.“

„Dann auf nach dem roten Thale! Und die Rache sei doppelt, wenn wir zu spät kommen! Bist Du fähig, mich auf meinem Stahlroß zu begleiten, nachdem ich zunächst für Deine erste Bekleidung gesorgt habe?“

Georg erhob sich und dehnte die Glieder. Er fühlte nichts gebrochen. Ja, er war zu allem fähig, wenn es galt, vielleicht noch seine unglückliche Schwester zu retten. Er sah nun, wie der Knabe am Hinterteile des Pferdes eine Klappe öffnete und dem Innenraume einige Kleidungsstücke entnahm. Jetzt wußte er auch, daß er es nicht mit einem Engel, sondern mit einem Menschen zu thun habe. Deshalb war sein Staunen über die wunderbare Maschine grenzenlos.

Aber Richard bedeutete ihm, jetzt nicht zu fragen, dann nannte er seinen Namen, erwähnte, daß er Ingenieur sei und daß die Maschine, die Georg schon kennen lernen würde, seine Erfindung wäre, Richard bat letzteren, sich anzuziehen und sich durch Speise und Trank zu stärken. Als Georg jetzt seiner Bitte entsprach, konnte er wenigstens das Aeußere der wunderbaren Maschine betrachten, an der sich Richard eben beschäftigte.

Das Roß, das ungefähr die Größe eines gewaltigen Zugpferdes hatte, war ganz aus Stahlplatten zusammengenietet und überall mit Gelenken versehen, sodaß es wohl ganz die Bewegungen eines natürlichen Tieres nachahmen konnte. Außerdem aber war es auch noch mit Schrauben, Ventilen und anderen Mechanismen bedeckt und mußte daher auch noch ganz andere Eigenschaften als ein lebendes Pferd besitzen. Eine ausführliche Beschreibung desselben war gar nicht möglich, denn wohin das Auge blickte, überall entdeckte es etwas Neues, Seltsames, was sicher seinen Zweck hatte. Auffallend war besonders das große, spitze Horn an der Stirn, das vorn und an der scharfen Schneide in der Sonne wie ein Diamant blitzte, und als das Pferd, scheinbar ganz aus eigenem Antriebe, den einen Fuß hob, zeigte es sich, daß der Huf mit vier spitzen Stacheln besetzt war, die ebenfalls wie Diamanten funkelten.

Sein Rücken war mit zwei bequemen Sätteln, an denen sich Steigbügel befanden, belegt, und als Georg bereit war, mußte er sich auf den hinteren Sattel setzen, während Richard sich in den vorderen schwang. Ein Ruck nun in die aus Draht geflochtenen Zügel, und das Stahlroß setzte sich erst schritt-, dann trabweise in Bewegung, endlich begann es, ganz genau wie ein lebendes Pferd, zu galoppieren.

Während sie durch die Wüste sprengten, berieten sie sich. Richard zog nähere Erkundigungen ein, und als die gelbe Oede der grünen Landschaft wich und das Stahlroß auf guter Landstraße der auftauchenden Stadt zusprengte, wußte Richard, wie er sich zu verhalten habe, und entgegnete auf die Befürchtung, die Georg aussprach, daß der Polizeihauptmann, dessen Macht grenzenlos sei, ihn, wenn er ihn noch am Leben sähe, zum zweiten Male zum Tode verurteilen würde:

„Sei ohne Sorge, mag seine Macht auch noch so groß sein – wenn sie nur in seiner Mannschaft und seiner Brutalität besteht, so bin ich ihm gewachsen,“ und dabei streichelte er lächelnd den Hals des Stahlrosses und schlug an den Kolben einer kleinen, seltsam geformten Pistole, die in seinem Gürtel steckte.




Vereitelte Listen.

„Er kommt! Dort naht das Stahlroß!“

Seit dem Besuche des Direktors war erst eine Stunde vergangen, und Mister Litton war noch damit beschäftigt, seinen auf einem freien Platze vor der Stadt, dem Kasernenhofe, vollzählig versammelten Leuten die besten Instruktionen über den Empfang des seltsamen Gastes zu erteilen, als obige Rufe an sein Ohr drangen.

Sofort wandte er sich um und hielt zum Schutze gegen die blendende Sonne die Hand vor die Augen.

„Er kommt schon? Verdammt, das sind ja zwei!“ waren seine ersten Worte. Dann aber wurde er, wie jeder andere, der zum ersten Male das Stahlroß in Bewegung sah, von einem solchen Staunen befallen, daß er alles übrige darüber vergaß, zumal er gerade noch Gelegenheit fand, mehrere besondere Wunder an der ingeniösen Maschine zu beobachten.

Richard hatte die Landstraße verlassen und einen schmäleren Pfad eingeschlagen; wie er nun um die Ecke eines kleinen Gehölzes bog, sah er, daß ein vom letzten Sturme gefällter, mächtiger Baumstamm den Weg versperrte.

„Das wußte ich nicht, wir müssen umkehren,“ meinte Georg.

Doch Richard folgte nicht dieser Aufforderung, und so trabte das Stahlroß weiter, fiel plötzlich in einen kurzen Galopp und setzte, den Kopf in die Höhe werfend und in die Hinterbeine fallend, in leichtem Sprunge über den zwei Meter dicken Baumstamm hinweg, um dann auf der anderen Seite ruhig weiter zu traben. Aber nicht nur das, jetzt lenkte es seitwärts, wo ein klarer Bach floß, trat mit den Vorderfüßen hinein, senkte den Kopf immer tiefer, bis es mit dem Maule das Wasser erreichte und trank ganz genau wie ein lebendes Pferd! Keine Führung des Reiters war dabei bemerkt worden, und niemand sah, daß es das Wasser nicht mit dem Maule trank, sondern durch die Nüstern einsog!

„Das Wasser, welches das Stahlroß zu sich nimmt, bildet unseren Proviant,“ erklärte Richard seinem Gefährten, „da wissen wir genau, daß wir reines Quellwasser zu trinken bekommen werden.“

Georg war zu sehr von Staunen ergriffen, um die Vorsicht seines jungen Retters zu verstehen, die sich in seinen Worten offenbarte, und war er schon, der bereits zwei Stunden auf der Wundermaschine saß, außer sich vor Staunen, so mußten es diejenigen, die sie zum ersten Male sahen, den Sprung und das Saufen des Stahlrosses beobachtet hatten, erst recht sein.

„Das ist keine stählerne Maschine, keine Erfindung eines Menschen, das ist eine mit Höllenkünsten verwirklichte Phantasiegeburt,“ flüsterte der Polizeihauptmann, aus dessen Antlitz alle Farbe gewichen war.

Dann raffte er sich auf, denn der Check über eine Million war ihm eingefallen, kommandierte „Stillgestanden!“ und eilte auf das den Bach verlassende Stahlroß zu.

„Mister Richard!“ rief er in ehrerbietigem und zugleich herzlichen Tone. „Natürlich, wer kann es anders sein! Mein Name ist Frederik Litton, Polizeihauptmann von Kolobeny. Mir ist von der englischen Regierung aus Kapstadt der Befehl zugegangen, dem genialsten Mann des zwanzigsten Jahrhunderts bei seiner Durchreise durch Kolobeny mit militärischen Ehren zu empfangen. Achtung, präsentiert das Gewehr!“

Trommelwirbel erschallte, dann hielten die weißen und schwarzen Soldaten das Gewehr, so ungleichmäßig als möglich, etwas schräg vor sich hin, und einige von ihnen vergaßen dabei sogar, den noch vor Staunen offenen Mund zuzumachen.

Richard dankte kalt, indem er scharf den Leutnant beobachtete, und bemerkte, wie dieser ebenso genau seinen Begleiter musterte. Zu erkennen schien er Georg nicht, weil dessen Gesicht etwas von Schrammen, noch mehr aber durch die ausgestandenen Schrecken des Todes entstellt war.

„Haben Sie einen guten Ritt hinter sich?“ fuhr Mister Litton höflich lächelnd fort. „Sind Sie allen Gefahren glücklich entgangen? Man weiß wirklich nicht, ob man mehr Ihren Mut oder Ihre göttliche Genialität bewundern soll. Nein, diese kolossale Schnelligkeit! Und wie jung Sie noch sind! Ein Kind noch, und schon – verzeihen Sie, Mister Richard, aber ich bin außer mir, ich möchte niederfallen und Sie wie einen Gott anbeten! – Natürlich sind Sie mein Gast, Mister Richard, Sie müssen sich von den Strapazen erholen. Mein Haus, ganz Kolobeny gehört Ihnen. Wollen Sie nicht absteigen und gestatten, daß ich Ihr Zauberroß führe?“

Er streckte die Hand nach dem Zügel aus.

„Halt,“ rief da Richard schnell, „fassen Sie es um Gottes willen nicht an, es beißt bei der Berührung jeder fremden Hand, und seine vergifteten Zähne wirken augenblicklich tödlich!“

Als wäre er schon von einer Giftschlange gebissen worden, zog Mister Litton schnell seine Hand zurück.

Das Zauberroß hatte vergiftete Zähne und biß! Das war fatal! Denn nach dem, was man jetzt schon von ihm gesehen hatte, mußte man alles von ihm glauben.

„Beißt es auch, wenn ich einmal seinen Schwanz angreife?“ fragte er kleinlaut.

„Der ist erst recht giftig; das Stahlroß sticht damit unfehlbar sicher wie der Skorpion mit dem Stachel, und wo man es auch sonst anfaßt, es reicht mit dem Maule überall hin. Jede Berührung einer fremden Hand gegen meinen Willen erzeugt nämlich eine besondere Art von Magnetismus an dieser Stelle, und dorthin schnappt und sticht es stets. Das ist meine Hauptsicherheit. Nur die Hand seines Meisters kennt das Roß, das heißt, ich bin durch eine besondere Vorrichtung isoliert.“

Dem Polizeihauptmann rutschte das Herz vollends durch die Hosen bis in die Gamaschen hinein. Ja, wenn das Teufelsvieh so beschaffen war, wie sollte man ihm denn da überhaupt beikommen?!

Doch so leicht ließ sich der zähe Engländer nicht einschüchtern. Unter solchen Umständen mußte das giftige Höllentier eben einfach in einen Gitterkäfig gelockt werden, mußte man ihm mit Zangen die Giftzähne ausbrechen, den Schwanz ausreißen und es dann im Käfig als reißendes Tier transportieren. Nur kam es zuerst darauf an, den Reiter fest zu haben.

„So darf ich wohl auf die Ehre rechnen, Sie nach meinem Hause führen zu dürfen?“

„Danke sehr, aber ich beabsichtige wirklich nicht, mich länger in Kolobeny aufzuhalten,“ entgegnete Richard. „Meine Zeit ist sehr bemessen, es handelt sich um eine Wette.“

„O, o, eine Wette, das ist freilich etwas anderes!“ stimmte der Engländer gleich bei. „Aber eine kleine Erfrischung werden Sie und Ihr Herr Begleiter doch wenigstens zu sich nehmen?“

„Auch das muß ich mit Bedauern ablehnen. Meine Wette verbietet mir nämlich, irgend etwas zu genießen, was ich mir nicht durch meine Büchse selbst erlegt habe. Uebrigens bin ich auch gar nicht so unbekannt in Kolobeny; ich habe hier einen sehr guten Freund, und dem wäre ich zunächst einen Besuch schuldig. Sie kennen ihn wohl, Herr Polizeihauptmann, er ist ein deutscher Farmer hier in der Nähe, sein Name lautet Georg Schneider.“

Nur wenig wechselte der Hauptmann die Farbe. Dann schlug er wie vor Bestürzung die Hände über dem Kopfe zusammen.

„O Gott! Dieser unglückselige Zufall!“ rief er. „Da muß ich Ihnen verkünden, daß Ihr armer Freund gestern gestorben ist!“

„Tot?“ schrie Richard in gut gespieltem Schrecken. „Wie fand er seinen Tod?“

„In den Flammen seiner eigenen Wohnung. Neger überfielen dieselbe und steckten die Farm in Brand; wir kamen leider zu spät – o dieses furchtbare Verhängnis!“

Der Polizeihauptmann sprach übermäßig laut, sodaß ihn jeder hören mußte. Fast die ganze Stadt war ja versammelt. Doch wehe dem, der jetzt etwas anderes ausgesagt hätte, als was Mister Litton behauptete!

„Und Anna, seine Schwester?“ forschte Richard weiter.

„Auch seine schöne, unschuldige Schwester ist verbrannt,“ schrie Mister Litton jammernd, „nichts konnte mehr gerettet werden.“

„Bitte, schreien sie doch nicht so,“ sagte der kecke Knabe ungnädig, „Sie machen ja sogar mein Pferd scheu, obgleich es aus Stahl ist. Nun, da will ich mich nicht länger aufhalten. Bitte, beten Sie am Grabe von Georg und Anna, und meinen besten Dank für das Trommeln und Präsentieren. Good-bye. Hopp, Schimmel.“

Der Schimmel setzte sich in Trab, und zähneknirschend blickte ihm der Polizeihauptmann nach. Entgangen war ihm der Check allerdings noch nicht, denn das Zauberpferd hatte noch manches zu überwinden, ehe es die Grenze erreichte, und zuletzt kam ja auch noch die angesägte Brücke! – Aber, was er sonst gedacht hatte: die Gastfreundschaft, das Weglocken, der Betäubungstrank, den er schon in der Tasche hatte, und mit dem er vielleicht sogar die Maschine bezecht machen wollte – das war vorläufig alles ebenso umsonst gewesen, wie seine höflichen Worte!

Da ließ ein Neger plötzlich sein Gewehr fallen, sprang auf ihn zu und rief:

„Herr Hauptmann, Herr Hauptmann, der da hinten sitzt, das ist doch kein anderer, als der Georg Schneider!“

Nun fiel es Mister Litton wie Schuppen von den Augen, und jede weitere List war vollends vergessen. Georg Schneider! Ah, jetzt ritten Richard und Georg natürlich nach dem roten Thale und holten auch noch Anna ab! Da half nur die rohe Gewalt!

„Auf die Pferde! Ihnen nach!“ brüllte der Geprellte, rasend vor Wut. „Keine Schonung! Fangt sie! Schießt sie! Tötet sie!“

Mit diesen Worten hetzte er seine Sklaven den Entflohenen nach. Ha, so schnell konnte die plumpe Eisenmaschine doch nicht laufen als die Wüstenrenner! Gebändigt, erdrückt, umgekippt mußte sie werden! Und wenn das Maul derselben auch biß und der Schwanz auch stach und Gift ausspritzte, einmal mußte das Roß sich doch ausgespritzt haben! Wenn dabei auch ein paar Dutzend Soldaten verendeten, was ging das ihn an! Er konnte sich ja sichern! Jetzt brauchte er auch den Deutschen nicht mehr zu schonen: dieser hatte ja einen Verbrecher befreit, nahm ihn in Schutz, entzog ihn der Gerechtigkeit!




Im roten Thale.

„Achtung, wir werden verfolgt,“ sagte Richard kaltblütig zu Georg. „Ziehe Deinen Nackenschleier fest, daß er keine bloßen Stellen am Halse giebt, und wende nicht das unbedeckte Gesicht. Tr–r–r–ab, Galopp, Carriere!“

Ein Dutzend Schüsse fielen, eine ganze Salve krachte hinter ihnen.

„Ich bin verwundet,“ stöhnte da plötzlich Georg.

„Unsinn, gar nicht möglich, das bildest Du Dir nur ein. Durch den grünen Stoff geht keine Kugel, höchstens kann’s einen blauen Fleck geben.“

„Sie holen uns ein!“

„So? Dann wollen wir etwas mehr loslegen. Kennst Du auch den richtigen Weg nach dem roten Thale?“

Georg deutete die Richtung mit der Hand an; dann verging ihm fast der Atem, so schnell begann das Stahlroß zu rasen. Auch die Verfolger merkten es bald, daß es nicht einzuholen war; das hörte man an ihrem Wutgeheul.

„Erst bringen wir Deine Schwester in Sicherheit; zur Bestrafung dieses Schurken ist es immer noch Zeit,“ meinte Richard.

Sie passierten ein Steinplateau. Die Hufe des Stahlrosses schlugen hier am hellen Tage einen wahren Feuerregen, dann erhob sich eine jähe Bergwand, die von Schluchten unterbrochen war, und eine solche Oeffnung gab Georg als den Eingang zum roten Thale an.

Die Schlucht war sehr schmal, kaum zwei Meter breit, begrenzt von himmelhohen, glatten Wänden aus rotem Porphyr.

Nachdem sie bereits eine Weile getrabt waren, ohne das Geschrei der Verfolger noch hinter sich zu vernehmen, erweiterte sich plötzlich der Engpaß zu einem kleinen Thale, das ebenfalls von roten Porphyrwänden eingeschlossen war, die hier aber nahe am Boden Grottenbildungen zeigten, und in der Mitte des mit schöner Vegetation geschmücktem Thales – das eigentlich nur eine Erweiterung der Schlucht war – stand unter Palmenbäumen ein Landhäuschen, ein sogenanntes Bungalow.

Es war ein reizender Anblick, ein Paradies in der felsigen, von der Sonne ausgedörrten Steinwildnis.

Einige Neger, die im Garten beschäftigt gewesen waren, standen erst starr vor Schreck, als sie das Stahlroß sahen, dann liefen sie laut heulend davon, um sich im Hause zu verstecken.

„Georg, mein Bruder!“ rief da mit einem Male eine am Fenster stehende Mädchengestalt, eilte, von keinem Wächter mehr daran gehindert, die Treppe herab und warf sich in die Arme des aus dem Sattel gesprungenen Bruders, den Anna trotz seiner Entstellung sofort erkannt hatte.

Zunächst ließ nun Richard das Pferd stehen, betrat das Haus und scheuchte hier einige Neger auf, um sie und auch einen Weißen, der die gleiche Furcht zeigte, vor sich her zu treiben. Sie verschwanden wieder, und nur zufällig bemerkte er, wie einer nach dem anderen der Schlucht zueilte, die ihnen vorhin als Eingang gedient hatte.

Dann besichtigte Richard noch etwas die Umgebung, da man ja das ganze Thal mit einem Blicke übersehen konnte, und begab sich nach dem Stahlroß zurück, an dem die beiden Geschwister noch standen und ihren Herzen in Worten Luft machten.

„Das ist mein Retter und auch der Deine,“ rief Georg bei Richards Anblick.

„Schon gut, schon gut,“ wehrte dieser die Dankesergießungen des Mädchens ab. „Sage einmal, Georg, besitzt dieses Thal eigentlich noch einen anderen Ausgang als dort die Schlucht, durch die wir gekommen?“

„So viel ich weiß, nein. Ich selbst bin nämlich noch nie hier gewesen, denn der Polizeihauptmann hält dieses Versteck überhaupt sehr geheim und hat nur vertraute Diener hier angestellt, die auch nie wieder herauskommen.“

„Ei, der Deixel,“ meinte auf diese Erklärung Richard, sich hinter dem Ohre krauend, „da können wir ja in eine ganz ekliche Klemme geraten sein. Auf freiem Terrain hätten wir auf dem Stahlroß, das ganz bequem drei trägt, aber nichts zu fürchten, da schlage ich mich gleich durch ein ganzes Regiment durch, zudem ich auch noch Deine Schwester in kugelfesten Stoff hüllen könnte. Hätte ich gewußt, daß dies eine Mausefalle mit nur einem Ausgange ist, dann hätte ich mich nicht so leicht hier hineingewagt.“

„Wir nehmen schnell den Rückweg!“

„Hm, das ist leicht gesagt. Einem zu großen Risiko möchte ich aber meine Maschine auch nicht aussetzen. Ich habe das Gesicht des Herrn Polizeihauptmannes studiert, es zeigt hinter den Schwielen eine Fuchsphysiognomie! Bevor ich in den Tunnel lenkte, sah ich oben auf dem Felsen viele Palmen stehen. Wie kommen die da hinauf?“

„Dort oben hat sich Mister Litton einen sogenannten hängenden Garten angelegt.“

Richard musterte die Felswände des Thalkessels.

„Von hier aus kann niemand hinauf, auch mein Stahlroß nicht, denn aufs Fliegen und an der Wand Emporklettern ist es noch nicht dressiert. Aber von draußen giebt’s einen Weg da oben hinauf. Das ist fatal, nun sitzen wir gründlich in der Klemme. Man kann uns hier beliebig mit Steinen bombardieren. Aha, da geht’s schon los!“

Ein Donnern erscholl in diesem Moment, dem ein anhaltendes Prasseln und Stürzen folgte.

„Wenn sie eine Explosion herbeigeführt und den Engpaß verschüttet hätten!“ sagte Georg erbleichend.

„Das ist nicht nur möglich, sondern das wird wirklich so sein,“ entgegnete Richard kaltblütig, sich immer noch umsehend. „Na, mit dem Totwerfen ist es vorläufig noch nichts. Davor sind wir in diesen Grotten gesichert, und wenn sie den ganzen Himalaya auf uns herabwälzten. Nahrungsmittel werden wir in dem Häuschen dort wohl auch genügend finden, um uns ein paar Tage über Wasser zu halten, und kommt Zeit, kommt Rat. Vielleicht ist auch noch ein Diener zurückgeblieben, der uns Auskunft über einen zweiten Ausweg geben kann, sonst suchen wir allein nach ihm, und finden wir keinen, so wird einfach eine andere List ersonnen. Ins Freie will und muß ich mein Stahlroß auf alle Fälle bringen, zurücklassen werde ich es nicht, wenn es nicht über die Steine kann; und bin ich einmal draußen, dann gnade Gott ihnen!“

Diese Worte verfehlten nicht, den beiden Geschwistern jede Sorge zu nehmen und ihnen Mut einzuflößen. Vertrauensvoll blickten sie auf den Knaben, der von seiner Geisteskraft vor ihren Augen eine solche Probe abgelegt hatte.

„Aha, da kommt ja schon ein Parlamentär mit einem schmutzigen Taschentuche,“ sagte plötzlich Richard.




In der Falle.

Aus dem Tunnel kam in der That ein weißer Soldat in der Uniform eines Sergeanten hervor, der einen grauen Lappen an einem Stocke schwang und in vorsichtiger Entfernung stehen blieb.

„Mister Richard?“ rief er.

„Ist mein Name. Treten Sie näher.“

„Erkennen Sie mich als Parlamentär an?“

„Jawohl. Kommen Sie nur herein in die gute Stube.“

Der Parlamentär machte ob solcher humoristischen Antwort ein verdutztes Gesicht.

„Sie haben einen dem Tode verfallenen Verbrecher in Ihren Schutz genommen, indem Sie ihn dem Arme der Gerechtigkeit entzogen, und sich dadurch selbst einer sträflichen Handlung schuldig machten, die Ihnen sehr teuer zu stehen kommen kann. Der Polizeihauptmann fordert Sie auf, den Verbrecher sofort auszuliefern und sich selbst ihm zu stellen – nur in diesem Falle gewährt er Ihnen volle Begnadigung auf seine eigene Verantwortung.“

„Sehr liebenswürdig,“ spottete Richard. „Aber wer in aller Welt soll denn dieser Verbrecher sein? Ich bin mir nicht bewußt, einen Sträfling oder Häftling befreit zu haben.“

„Dieser dort ist es – Georg Schneider.“

„Der dort? I wo, Georg Schneider ist doch tot, verbrannt.“

„Es ist Georg Schneider, des Mordes schuldig, begangen an einem englischen Beamten.“

„Und ich sage Ihnen: Georg Schneider ist tot. Der Polizeihauptmann hat es ja so laut geschrieen, daß es alle Welt gehört hat. Sonst könnte es nur sein Geist sein, und mit Geistern hat bekanntlich die Polizei nichts zu thun.“

„Wollen Sie ihn ausliefern?“ fragte jetzt der Sergeant kurz. „Wollen Sie sich selbst dem Polizeihauptmann zur Verantwortung stellen?“

„Nein,“ entgegnete Richard, der einsah, daß hier keine Ausrede half, ebenso kurz, „das will ich nicht thun. Wenn der Polizeihauptmann diesen Mann haben möchte, so soll er ihn sich gefälligst selbst holen und seine Schwester dazu – denn an der ist es ihm doch hauptsächlich gelegen.“

„Sie nehmen den Flüchtling also in Schutz?“

„Na und wie! Wer dieses Thal betritt, so lange ich darin verweile, wird ohne Gnade und Barmherzigkeit niedergeschossen, und Ihr sollt mich und mein Stahlroß erst noch kennen lernen.“

„Das ist offene Drohung gegen das Gesetz, jetzt sind Sie strafbar!“

„Jawohl, und mich dazu zu machen, darauf kommt es Euch Spitzbuben ja nur an. Oh, ich weiß alles! Ihr wollt mein Stahlroß haben, um sein Geheimnis untersuchen zu können, und dazu müßt Ihr mich erst festnehmen, oder noch besser, gleich ganz beseitigen. – Kehrt, marsch, hinaus!“

Der Parlamentär, so ängstlich er auch nach dem kecken Knaben und dem Stahlroß blickte, zögerte doch noch.

„Nehmen Sie Vernunft an,“ sagte er mit bittender Stimme. „Sie sind hier gefangen, denn wir haben den Engpaß verschüttet. Hinüber können Sie auch nicht auf dem Zauberpferd, wenn es nicht gerade Flügel besitzt, und daß es diese nicht hat, wissen wir. Wir aber können dort hinauf auf die Felswand und Sie von oben erschießen oder mit Steinen zerschmettern. Wir haben das Recht dazu, denn Sie sind durch Auflehnung gegen die Ordnung vogelfrei. Oder wir brauchen auch nur einige Tage zu warten, bis Ihnen die Nahrungsmittel ausgehen, und Sie und Ihre Schützlinge müssen verhungern.“

„Und Sie mögen Ihrem Herrn Polizeihauptmann sagen,“ rief jetzt Richard in hellem Zorne, „daß ich trotz alledem mit meinem Stahlroß hinauskommen werde, sobald es mir beliebt, um ihn auf das Stirnhorn zu nageln, und wenn Sie jetzt nicht auf der Stelle die Beine unter den Arm nehmen, dann …“

Er machte nur einen Griff nach dem Zügel des Pferdes, und schon drehte der Sergeant um und verschwand schleunigst in dem Tunnel.

„So, nun wissen wir, was wir zu erwarten haben,“ sagte Richard, wieder das Hinterthürchen am Leibe seiner Maschine öffnend und dem Innenraume einen kleinen Ballen grünen Stoff entnehmend. „Hiermit, Fräulein Anna, fertigen Sie sich zunächst ein kugelsicheres Kleid. Nach der neuesten Mode braucht es nicht gerade zu sein, wenn es nur den ganzen Körper verhüllt. Machen Sie sich auch eine Maske für das Gesicht. Du aber, Georg, inspizierst die Mundvorräte der Villa, und ich selbst werde einmal nachsehen, wie es im Tunnel ausschaut. Wenn ich zurückkomme, hoffe ich etwas Eßbares vorzufinden, denn ich habe tüchtigen Hunger.“

Richard führte nun das Stahlroß in eine Grotte an der Felsenwand, wo es von keinem Steinwurf zerschmettert werden konnte, und schritt dem Tunnel zu, beim Betreten desselben immer vorsichtig nach oben spähend.

Im Engpaß selbst befand sich kein Mensch, und erst am Ende des etwa hundert Meter langen Ganges gelangte er an das Hindernis, das seine Feinde ihm aufgebaut hatten.

Oben über den Eingang von draußen hatte sich eine natürliche Brücke, eine sehr dicke Steinlage, über den Engpaß gewölbt. Diese war gesprengt worden und füllte nun den Tunnel in der Höhe von einigen Metern aus. Da diese Sprengung fast augenblicklich geschehen war, als die Flüchtlinge das Thal eben erst erreicht hatten, so mußte[WS 3] man annehmen, daß die Sprengvorrichtung, zu der doch auch ein Bohrloch gehörte, immer vorhanden gewesen war und nur entzündet zu werden brauchte. Jedenfalls war Mister Litton stets bereit gewesen, seinen geheimen Schlupfwinkel in eine uneinnehmbare Festung zu verwandeln.

So ganz unersteigbar aber für das Stahlroß, dessen Leistungsfähigkeit sein junger Erbauer ja kannte, war dieser Wall nicht. Hinauf springen konnte es allerdings nicht, wohl aber ihn erklettern, denn der Steinsturz hatte Geröll, auch nach der Innenseite, gebildet, und da hinauf konnte das Pferd mit seinen stählernen Gelenken und diamantenen Hufen wohl kommen. Das Schlimmste war, daß man nicht wußte, was sich hinter dem Steinwall befand.

Denn auch das Stahlroß besaß seine Schwächen, und wenn es langsam kletternd zwischen Stricke kam oder in sonst eine Schlinge geriet, oder zum Sturze gebracht wurde, so war es dennoch gefangen; nur im freien Laufe hätte es wohl alles zerrissen. Daß da hinten etwas geschah, hörte man deutlich an dem Pochen und Hämmern. Gewiß wurde dort solch eine Falle gebaut.

Nun, Richard konnte ja einmal nachsehen. Schon wie er die ersten Schritte auf der Böschung machte, fielen oben einige Schüsse, fühlte er auch einen empfindlichen Schmerz an der Schulter; doch durchbohren konnte den grünen Panzer trotz seiner Dünne und Schmiegsamkeit keine Kugel. Dann vernahm er ein Geräusch über sich, blickte empor, sprang tödlich erschrocken zurück und lief, was er laufen konnte, davon, während ein donnerndes Prasseln erscholl und von oben Steine herabrollten.

Dieser Versuch durfte nicht wiederholt werden.

So begab sich Richard denn zurück und fand Anna in ein sackartiges Gewand mit Kapuze aus grünem Stoff gekleidet; auf dem Tische aber stand ein warmes Essen aus Konserven, das er sich trefflich schmecken ließ.

Dann erklärte er den beiden die Situation, die man ihnen bereitet hatte.

„An alledem sind nur wir schuld, Anna und ich,“ sagte Georg niedergeschlagen, „Du hast Dich für uns aufgeopfert, und alles scheint zwecklos gewesen zu sein.“

„Falsch, total falsch,“ entgegnete jedoch der kauende Richard. „Ich bin nämlich schon vor meiner Abreise gewarnt worden. Es hat sich in England ein Komitee gebildet, das bezweckt, mich abzufangen und sich meiner bisher geheim gehaltenen Erfindung zu bemächtigen. Als ich bis in die Nähe von Transvaal kam, bisher von anderen Gefahren unbelästigt, die nicht gerade solch ein Ritt durch die Wildnis mit sich bringt, und mir dann der Polizeihauptmann so hinterlistig freundlich entgegentrat, wußte ich sofort, daß ich es hier mit keinen civilisierten Gegnern zu thun bekommen würde, und zwar mit Gegnern, die zu allem fähig sind. Es liegt ihnen hauptsächlich daran, meiner Erfindung habhaft zu werden, und die Rache und Anna kommen nur so nebenbei in Betracht. Daher dürfen wir auf keinen Vorschlag eingehen; wir müssen uns selbst durchschlagen, und wir werden es.“

Der Rest des Tages verging mit Suchen nach einem zweiten, geheimen Ausgange, ohne daß jedoch einer gefunden wurde. Währenddessen wurden sie von oben beständig beschossen, bis auch dieses Schießen wegen der gänzlichen Erfolglosigkeit aufhörte. Steine dagegen wurden nicht in das Thal geschleudert; wahrscheinlich wollte der Hauptmann sein hübsches Häuschen schonen. Entgehen konnten ihm die Gefangenen ja so wie so nicht. Sie mußten nach seiner Meinung entweder kapitulieren oder Hungers sterben.




Der Ausfall.

Die Nacht brach an, die Eingeschlossenen hielten abwechselnd Wache. Als Richard an die Reihe kam, ging er wieder einmal durch den Engpaß, der in völliger Dunkelheit und in tiefster Stille dalag. Das machte ihn schon stutzig. Er erreichte den Steinwall, er kletterte vorsichtig hinauf – nichts regte sich.

Das Ersteigen des Gerölls ging allerdings nicht ohne Geräusch ab, und dennoch ertönte kein Zuruf, kein Schuß fiel, kein Poltern verkündete das Herabstürzen von Steinen.

Was war das? Sollte die Belagerung aufgegeben worden sein? Richard dachte nicht an eine solche Möglichkeit und ebenso wenig daran, den scheinbar freien Weg zu benutzen, wenigstens jetzt noch nicht. Hier war eben eine Falle gebaut worden, und so lange man nicht die Beschaffenheit derselben kannte, durfte man keinen Ausfall wagen.

Zu weit wollte Richard auch nicht gehen, er selbst konnte ja in die Schlinge geraten, und so begab er sich denn nachdenkend wieder zurück.

„Mister Richard,“ kam ihm da Anna, die er vorhin abgelöst hatte, atemlos entgegen, „ich habe einen geheimen Gang unter der Erde entdeckt. Ich suche vorhin nach Lichtern, öffne einen Schrank, sehe eine Leiter in einen Schacht hinabführen, denke erst, es sei ein Brunnen, steige aber hinab und bemerke, daß der Schacht weiter unten trocken aufhört und sich seitwärts abzweigt. Weiter verfolgt habe ich ihn noch nicht.“

„Ist der Schacht weit genug, um das Stahlroß durchzulenken?“ fragte Richard hastig.

„Leider nicht, er ist nur ganz eng und niedrig.“

„Auch gut, so wird es eben anders gemacht, vorausgesetzt, daß der Gang ins Freie mündet. Ist dies der Fall, so sind wir gerettet, und wenn das Stahlroß ihnen auch in die Hände fällt, lange sollen sie sich nicht daran erfreuen.“

Sie weckten nun Georg, der jedoch als Wächter zurückbleiben mußte, verabredeten ein Signal, und Richard ließ sich dann von Anna nach dem geheimnisvollen Wandschrank führen. Er fand alles, wie sie es beschrieben, beide stiegen nun hinab und krochen in dem Seitengange unter der Erde weiter, bis sie in einen ausgebohrten Steintunnel kamen und nach zehn Minuten einen Lichtschein sahen, der wahrscheinlich von einer Blendlaterne ausging.

Der Steintunnel war ein ausgezeichneter Schallleiter, sie hörten plötzlich deutlich Worte:

„Er hat den Steindamm untersucht,“ sagte eine Stimme, „paßt auf, heute nacht noch werden sie auf dem Stahlroß den Ausfall versuchen und in die Fallgrube stürzen; der Hauptmann bereitet schon alles vor.“

Auch noch andere Stimmen redeten, doch nichts von Bedeutung.

Richard hieß Anna jetzt zurückbleiben und kroch noch weiter vor, kam dann wieder und teilte schnell mit, was er beobachtet, um erst später, als sie oben bei Georg wieder eingetroffen waren, ausführlich zu berichten.

Sein Plan war fertig und wurde sofort ausgeführt, denn es war um fünf Uhr morgens, wo es in jener Gegend noch finstere Nacht ist, denn dort auf dem Wendekreis bricht der Tag fast punkt sechs Uhr und dann mit einem Schlage an. Diese Zeit war gerade die günstigste; keine Minute durfte versäumt werden.

Georg und Anna gingen also, mit den schärfsten Instrumenten versehen, in den geheimen Gang zurück; Richard aber machte sich an dem Stahlroß etwas zu schaffen, stellte einige Hebel, schwang sich in den Sattel und trabte dem Engpaß zu. Schon auf der weichen Erde hörte man laut den Hufschlag des schweren Eisenpferdes, und als es in dem Engpaß selbst nun gar in Galopp gesetzt wurde, erscholl es zwischen den Felswänden wie Donner.

Jetzt begann es das Geröll hinaufzustürmen; und wie dieses auch unter den Hufen wich, es kam hinauf, es war oben – noch ein Hebeldruck, und Richard glitt aus dem Sattel, rollte den Abhang, den er eben erklommen, wieder hinab und eilte in die Finsternis zurück!

Ein Lärm von Stimmen, ein Poltern und Krachen, aber Richard ließ sich nicht irre machen, sondern begab sich in den unterirdischen Tunnel und vereinigte sich mit Georg und Anna.

„Schnell vorwärts,“ drängte er. „Jetzt oder nie! Ehe die Engländer noch richtig zur Überzeugung kommen, daß sich gar niemand auf dem Rücken des Rosses befindet, und ob dieses nun gefangen ist oder nicht, wir müssen uns schon draußen befinden.“

Sie krochen so schnell als möglich weiter, an der Blendlaterne vorbei, dann durchschnitt Richard einen elektrischen Draht, der eine Mine zur Explosion bringen sollte, wenn die Gefangenen etwa den geheimen Weg entdeckten und benutzten, und erreichten glücklich das Freie. Richard hatte sich nicht verrechnet – das Stahlroß war in einer Fallgrube gefangen worden, und die Aufregung darüber war so groß, daß auch die hier aufgestellten Soldaten ihren Posten verlassen hatten.

Sie rannten nun hinaus und warfen sich in ein Gebüsch, gerade noch zur rechten Zeit, denn eben flammte es im Osten auf, war es plötzlich Tag. Nun konnten sie alles übersehen.

Nur wenige Meter befanden sie sich noch von der Grube entfernt, die man direkt vor dem Engpaß, also noch im freien Gelände, angelegt hatte. Das Stahlroß war in diese hineingestürzt und lag regungslos da, während ihre Feinde komische Reden führten.

„Ob es noch lebt? Ob es schon tot ist? Wenn wir es nun heraufziehen und es plötzlich wieder lebendig wird? Wir müßten ihm erst die Gurgel durchstechen,“ so klang es wirr durcheinander.

Daß man die drei Menschen nicht mitgefangen hatte, das ließ man jetzt ganz außer acht. Die mußten eben noch zur rechten Zeit abgesprungen und wieder zurückgeflüchtet sein, denn einige Soldaten beschworen, Menschen auf dem Stahlroß gesehen zu haben, als es das Geröll hinaufgaloppierte. Nun, die drei saßen ja auch noch sicher in der Falle!

Unter Mister Littons Leitung wurden nun Vorbereitungen getroffen, das Höllentier heraufzuschaffen. Sie brachten dies auch wirklich fertig; aber lächerlich war es, wie es geschah, denn unter tausend Kniffen hatte man Stricke unter den eisernen Leib in der Grube geschoben, und als man es endlich mit vereinten Kräften und Winden ganz heraufgezogen, hatte man ihm sogar mit einer langen Stange ein Tuch in sein offenstehendes Maul geschoben, und es stand auch schon ein eiserner Käfig zu seiner Aufnahme bereit – kurz, man benahm sich so, als habe man es hier mit einem lebenden Löwen zu thun, der noch mit einem Alligatorenschwanz und den Zähnen einer Giftschlange ausgestattet war.

Darüber waren einige Stunden vergangen.

„Diese Arbeit hätten sie für uns gethan,“ flüsterte Richard, „die Dummköpfe haben meinem Rosse selbst zur Freiheit verholfen; nur in den Käfig dürfen wir es nicht kommen lassen.“

„Drauf und dran, keine Schonung!“ brüllte er dann, und die Versteckten stürmten, ihre Pistolen abfeuernd, hervor.

Zu Tode getroffen stürzten einige Soldaten, teils von Revolverkugeln, teils von einer unsichtbaren Gewalt getroffen, nieder. Die übrigen aber dachten an keine Gegenwehr, und alles eilte nach den Pferden.

Richard hatte jetzt sein Stahlroß erreicht; ein Druck seiner Hand auf einen Hebel, und das Roß wälzte sich ein wenig, sprang dann wie eine Feder auf, zerriß die vielen Stricke wie Spinnenfäden und raste, während Richard in den Sattel sprang und Anna vor sich warf, während auch Georg sich hinter ihnen in den Sattel schwang, davon.

„Ihnen nach, sie entkommen uns doch nicht!“ schrie Litton hinter ihnen, und gleich darauf vernahm man Pferdehufe.

Die Flüchtlinge wollten kein weiteres Blut vergießen, denn dort tauchten schon der nicht breite Grenzstrom und die darüber führende Holzbrücke auf.

Nur Richard wandte sich noch einmal im Sattel und hob die kleine Waffe, die keine Mündung zeigte; dann knisterte es von der Kugel, und der Polizeihauptmann stürzte vom Pferde.

Nun hatte das Stahlroß die Brücke erreicht, donnerte es über das Holz – da, ein Krachen, dann wichen die Planken unter den Hufen, und Richard fühlte sich von Wasser umgeben – – und machte Schwimmbewegungen in seinem Bette!

Er hatte im Traume mit einer Bewegung die Wasserflasche vom Nachttisch gerissen und sich das Wasser über den Kopf gegossen.

„Aber gerettet sind wir doch,“ sagte er befriedigt, „mein Stahlroß konnte nämlich auch schwimmen; dafür hatte ich gestern abend schon gesorgt, als ich mir den Traum zurechtlegte. Wenn ich jetzt nur selber wüßte, wie es im Leibe meiner wunderbaren Erfindung eigentlich ausgesehen hat!“




Heft 8 enthält die Erzählung: „Die Ansiedelung auf dem Meeresgrunde“.


Verlag von H. G. Münchmeyer, Dresden.

Karl May’s illustrierte Werke.

Diese neue illustrierte Ausgabe umfaßt die in obigem Verlage erschienenen Werke des bekannten und beliebten Reiseschriftstellers Karl May in Radebeul bei Dresden. Dieselbe erscheint in 6–7 Serien à ca. 30 Lieferungen oder in ca. 30 Bänden à 5–600 Seiten.

Jede Lieferung von 5–6 Bogen, à 16 Seiten,

kostet nur 30 Pfg.

Jede Serie ist für sich abgeschlossen.

Serie I bringt den Reiseroman:

Deutsche Herzen und Helden

mit seinen 4 Abteilungen:

Eine deutsche Sultana,
Die Königin der Wüste,
Der Fürst der Bleichgesichter,
Der Engel der Verbannten.




Zehn Jahre im dunklen Afrika.

Reiseroman von Otto Freitag.

Mit 90 Bilderbeilagen, 17 Karten und

circa 900 Textillustrationen.

90 Lieferungen brosch. à 15 Pf.

18 Bände geb. à 1 Mk.

Zu beziehen durch die meisten Buchhandlungen, wo nicht zu haben, auch direkt franko von der Verlagsbuchhandlung.



Prospekt.

„Aus dem Reiche der Phantasie“


ist der Gesamttitel für das vorliegende, epochemachende Unternehmen, das der bekannte und beliebte Reiseschriftsteller Robert Kraft der reiferen Jugend bietet.

Wohl kein anderer Schriftsteller dürfte geeigneter sein, ein derartiges Werk, das im Genre der Jules Verne’schen Schriften gehalten ist, besser durchzuführen, als Robert Kraft, dessen reiche und unerschöpfliche Phantasie unterstützt wird durch seine Erlebnisse und Erfahrungen, die er auf seinen Weltreisen gesammelt hat.

Schon als 13 jähriger Knabe zog Robert Kraft hinaus in die weite Welt und bereiste dieselbe als Schiffsjunge, Matrose und Forscher viele Jahre. (Siehe seine Werke: „Erlebnisse eines 13jährigen Knaben“ und „Die Vestalinnen oder Eine Reise um die Erde,“ aus dem unterzeichneten Verlage.)

Meisterhaft hat es Robert Kraft in seinem neuesten Werke: „Aus dem Reiche der Phantasie“ verstanden, den Leser nicht allein dauernd zu fesseln, sondern auch dabei zu belehren, und so hofft die Verlagsbuchhandlung, daß er sich durch dieses Werk viele neue und treue Freunde erwerben möge.

„Aus dem Reiche der Phantasie“ erscheint in abgeschlossenen Heften, à 10 Pfg., 10 Hefte in Umschlag broschiert kosten 1 Mk., 30 Hefte in hocheleganter Einbanddecke, gebunden, kosten 4 Mk. Bisher erschienen:

Heft 1) Der letzte Höhlenmensch. – 2) Die Totenstadt. – 3) Der rote Messias. – 4) Die Weltallschiffer. – 5) Die verzauberte Insel. – 6) Der König der Zauberer. – 7) Das Stahlroß. – 8) Die Ansiedlung auf dem Meeresgrund. – 9) Eine Nordpolfahrt. – 10) Die indischen Eskimos.

Die Hefte sind durch alle Buch-, Kolportage- und Schreibwarenhandlungen zu beziehen, wo nicht zu haben, auch direkt franko von der Verlagsbuchhandlung.

     Dresden-A.,

Freibergerstraße 75.

H. G. Münchmeyer.

Fußnoten

  1. Bitte den Text auf nebenstehender Umschlagseite zu beachten.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Das Coverbild wurde von Thomas Braatz und Gerd-Michael Rose nachbearbeitet.
  2. d. h. Heft 7
  3. Vorlage: muße